Nun hat der Hermann wieder einen Orden,
Sagt Schweyk, der fromm im ANGRIFF liest.
Sechs sind heut’ morgen hingerichtet worden.
Wohl dem, der so ein Amt genießt.
Der Zinksarg, den er streng verlötet,
Hat auch sein Gutes. Und warum?
Sich anschau’n lassen frisch getötet
Das war den Toten schon zu dumm.
Gescheit von ihm, daß er den Reichstag angezündet.
Weil sonst die goldne Kuppel nutzlos war.
Damit hat man das dritte Reich begründet,
Und weil’s so schön ist, här’ich, gleich für tausend Jahr’.
So im erschreckten Menschenknäuel
Lobt Schweyk den Göring und die Greuel.
Die Menge flieht. Ein Schupo naht.
Und Schweyk sitzt hinter Stacheldraht.
Er war als Berliner und Sohn des Operettenkomponisten Jean Gilberts durch seine schmissigen Schlagertexte in den 20er und 30er Jahren des vorigen Jahrhunderts bekannt und beliebt. Seit 1929 hatte er politische Lieder verfaßt, ab 1933 dann politische Gedichte. Zum Lyriker wurde er erst durch das Exil, in das er wegen seiner jüdischen Abstammung fliehen mußte. Zunächst in Wien schrieb er ,zweisprachig‘ im Berliner- und Wiener-Dialekt gegen das Dritte Reich und führende Politiker mit einer satirischen Direktheit an, zu der nicht viele Dichter den Mut hatten; in New York dann auch wehmütige und ergreifende Gedichte über die Tragik der Emigration.
Ankündigung in Christine Busta: Poesiealbum 380, MärkischerVerlag Wilhelmshorst, 2023
Gilbert ist in keiner der etablierten Literaturgattungen unterzubringen; er gehört literarisch nirgendwo hin, vor allem auch nicht zu denen, die die leichte Muse der Kästners und Tucholskys geküßt hat. Gilbert hat dem Berlinischen, das niemals ein richtiger Dialekt gewesen ist, sondern die Mund- und Denkart einer Stadt, der man gerade das Lyrische am wenigsten zugetraut hat, Platz und Rang im Poetischen verschafft. Er hat nicht gezögert, gemeinsam mit einer Reihe perfekter Verse auch weniger perfekte Verse gedruckt zu haben, wenn er denn das Gefühl hatte, daß das Thema wichtig sei; er hat sogar gewagt, die Grenzen zum Kirsch und zur Gosse zu berühren – und war doch vor beiden bewahrt, wie es nur ein wahrer Poet sein kann. Er hat die Unbekümmertheit und innere Güte eines Heine geerbt, Anstand und Fröhlichkeit eines Liliencron und die politische Leidenschaft und den Mut eines Arno Holz.
Hannah Arendt
Seine Gedichte berühren sich mit der Kunst von Heinrich Zille und George Grosz. Seine Wiener Gedichte erinnern an Horvaths Theaterstücke. Sie sind in ihrer hintervotzigen Gemütlichkeit unverwechselbar und böse Zeiten vorausahnend.
Helmut Kindler
Es ist dieselbe Sprach- und Witzart, die vor 100 Jahren Glaßbrenner fand, die dann in die berlin-jüdische Posse des wackeren David Kalisch überging und später von Tucholsky gesprochen wurde. Ihr gegenwärtiger Meister ist Robert Gilbert.
Heinrich Eduard Jacob
Gilbert werden die Substantive unter der federleichten Hand zu Adverben – ein ganz besonders anmutiges Spiel von Zungenfertigkeit dieses volteschlagenden Wortzauberers.
Robert Stolz
Zwar sind auch die Gedichte des Berliners Gilbert schnoddrig, keß und manchmal von unwiderstehlichem Humor, aber es sind Dichtungen – obwohl sie sich reimen.
Hans Habe
Nachdem ich die ungewöhnlich gut gelungenen Texte von Gilbert gehört habe, bin ich von den großen Erfolgschancen so überzeugt, daß ich mich selbst mit Verbesserungen des Dialogs befassen werde.
Carl Zuckmayer
Der Berliner Gilbert war kein Lyriker als er wegen seiner jüdischen Abstammung ins Exil gehen mußte – er wurde zum Lyriker erst durch das Dritte Reich und das Exil.
Wilfried Ihrig
Gilberts Lebensgeschichte spielt zwischen Berliner Kiez und New York, zwischen Karriere und Exil, zwischen Judentum und Atheismus, zwischen obenauf und abgrundtief, zwischen Politballade und Musical. In den 20er und 30er Jahren des v.Jh. schrieb er Erfolgsschlager, wie „Am Sonntag will mein Süßer mit mir segeln gehn“, „Liebling, mein Herz läßt dich grüßen“, „Ein Freund, ein guter Freund“ und gleichzeitig unter Pseudonym mit Eislerscher Musik massenwirksame Politsongs, bekannteste: das „Stempellied“ und „Die Ballade von der Krüppelgarde“. Unschätzbar seine Übertragungen der großen amerikanischen Musicals ins Deutsche, wie My fair Lady und Annie get your gun oder Cabaret. Schließlich hat er zahllose Gedichte geschrieben, viele davon im berlinerischen Jargon. Hannah Arendt rühmt seine „Fazilität des Reimens“ und nennt Gilbert den „Nachfolger, den Heine nie hatte“.
MärkischerVerlag Wilhelmshorst, Klappentext, 2023
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