Wetterlage*
* Zu den drei ,Blockgedichten‘, (von denen für unseren Beitrag „Wetterlage“ ausgewählt wurde) wie FPI sie nannte. Diese Gedichte bestehen jedoch nicht nur aus einem prosaischen Blocksatztext, sondern – diesen in verschiedener Fliess- also Lesebewegung umspielend und durchdringend – ebenso aus einem poetischen Part in freiem Zeilenfall. Die am Seitenfuss dem Text – mit merklichem Abstand zur letzten Textzeile – nachgestellten Gedichttitel sind in vertikal-imaginärer Linie dem Gedichtbeginn der ersten, obersten Zeile positionsgleich nachgestellt.
Mit diesem merklichen Abstand scheint der Gedichttitel – obschon auf der rechten Textseite platziert – zu einer Legende des auf der linken Seite platzierten Fotobildes zu changieren, wenngleich Text- und Bildthema auf keinem auctorial intendierten Inhaltsbezug gründen, es sei denn, eine virtuelle Beziehung bestehe darin, dass Text wie Fotobild FPIs Hand resp. Auge entspringen… Es ist – meine ich – erstmalig, dass FPI eine solche mediale Montage inszeniert, die ihn als Textmacher in Personalunion mit dem Fotobildmacher zeigt, mögen Antrieb und Auslöser von beidem auch völlig disparat sein und sich jeder linearen Logik entziehen. Da wird Freiheit erschaffen…
Theo Leuthold aus einer eMail vom 8.10.2013
Reise, Rimbaud, reise, so der Titel des Prokurist sieben des Jahres 1991. Und mit Rimbaud und seinem bateau ivre durchziehen diese dreißig Jahre Literatur Lana die Sprache und deren Laut, die Sprachen und deren Übersetzungen, buchstabieren stromernde Alpmschrift, horchen auf die Sprachen und spüren der Autorität der Sprache nach.
Und wenn meist so gesprochen wird, daß einem Hören und Sehen vergeht, und dies ein Sprechen ist, dem Verständlichkeit eignet, wie Hans-Jost Frey in einer Marginalie für Lana einmal geschrieben hat, dann hat Lana immer auf ein Hören auf Sprache gesetzt, in dem das Nichtbedeutende der Worte zu tasten war. Dieses läßt sich nicht als verstehbare Bedeutung in einem Eins zu Eins als veritabler Tauschwert an der Börse des schnellen Einverständnisses gewinnen, es läßt sich „vielleicht aber als das fassen, wodurch die Sprache am Sprechen mitarbeitet“. (Frey)
Es ist auch ein dreißigjähriges Nachgehen der Verrücktheiten der Wörter im Denken und im Denken der Sprache, ein Aufsuchen der Stille, ein Wenden von Sprachlandschaften und ein Überprüfen der Rückansicht von Sprachteppichen. Engelszungen werden im Menschenlaut gesucht und das Menschenwort in Gottessprache, wenn denn, wie Johann Georg Hamann einmal meinte, Gott selbst ein Schriftsteller sei.
Und die Pfropfungen, die das nicht weit abgelegene Obstbaumuseum Südtirol als verdienstliche Leistungen verzeichnet, die sind in der anderen LaborsteIle Literatur allemal als Extraschößlinge schon zur Blüte gebracht. So verschränkt sich ein Lana einem anderen Lana, dokumentiert Sachverhalte unterschiedlicher Provenienz, hält Stimmen und Blütenstaub fest in algebraischer Kombinatorik, zeichnet Provinzen einer Archäologie der Phantasie und bestimmt das Gran der Realität in den Phantasmagorien des Erinnerns.
Was Sprache ist? Dies zu bestimmen, reichten dreißig Jahre nicht hin. Ja, es reichte nicht hin, zu bestimmen, ob dieser Satz als Konstativ zu deuten sei, als die Behauptung, die da tut, als ob sie wüßte, was Sache wäre, oder ob der Konstativ nicht doch besser als Frage sich sprechen ließe, die bescheidener ein Wiegen und Wägen für die nächsten Jahre sich einbehält. Ob die nächsten dreißig Jahre dafür hinreichen?
Elmar Locher, Vorwort
Es wurde schon viel geschrieben, viel gedacht über Lana, über die Bücherwürmer, auch gestaunt über Existenz, Beharrlichkeit und Entwicklung einer literarischen Einrichtung an einem – für den deutschen Sprachraum – entlegenen Ort. Ob Begeisterung und Zustimmung, bisweilen vielleicht auch Unverständnis und Ablehnung, der Ort blieb und bleibt literarisch lebendig. Entstehung, Austausch von Texten, Ideen, Meinungen und Konzepten, Forum und Arena, dafür kann und soll „Lana“ synonym stehen.
Dreißig Jahre sind eine lange Zeit, vieles hat sich getan, gesellschaftlich und kulturell. Gewandelt hat sich das Bild des Landes, des Ortes und des Anspruchs an Literatur, an literarische Ereignisse und Möglichkeiten. Es hat sich vieles getan, vieles wurde versucht, erreicht, wurde aufgegeben oder hatte seine Zeit. Mittlerweile hatten und haben mehr als eine Generation von Schreibenden Anteil am offenen Projekt „Lana“. Das mag dazu beitragen, dass Lana wahrgenommen wird als einer der Orte, an denen Literatur präsentiert, ermöglicht und ausgetauscht werden kann, an denen Literatur geschieht.
Leben und Schreiben benötigen Schnittmengen, in Lana sind einige versucht, einige ausgebaut, einige nachhaltig gefestigt worden. Das ist gut so und zeigt, dass noch vieles erreicht werden kann. Wir bauen an der Gesellschaft, in der mehr Fragen gestellt, als vorschnell Antworten beschworen werden.
Dreißig Jahre sind eine lange Zeit, einige, die „Lana“ mit gebaut, mit getragen, geprägt haben in unterschiedlicher Weise, sind mittlerweile verstorben, H C Artmann, Thomas Kling, Oskar Pastior, Gennadij Ajgi, Inger Christensen oder Namen wie Erich Fried, Michael Hamburger, Jelena Schwarz. Ihre Texte bleiben, ihre Arbeit ist Ausgangspunkt fürs Weiterschreiben, fürs Weiterdenken, in und mit Sprache, für und mit Menschen und Konzepten, für Poesie und Leben.
Paul Valtiner und sein Umfeld haben vor dreißig Jahren vieles möglich gemacht, Oswald Egger hat in seiner Beharrlichkeit mehr erreicht als ursprünglich denkbar, viele weitere waren und sind wesentlich beteiligt am Langzeitprojekt, in „Teilhabe“ und Mitarbeit, in unterschiedlichster Art und Weise, anders wäre „Lana“ nicht möglich (gewesen) und nicht denkbar.
Ein Dank sei gerichtet an alle Beiträgerinnen und Beiträger dieses Bandes, für die anvertrauten Texte, für den Zuspruch über die Jahre, für die Ereignisse, die in und über Literatur möglich sind.
Robert Huez, Vorwort
Vor dreißig Jahren, im Frühjahr 1980, wurde in Lana, dem Dorf am Rande des breiten Etschtals, der Verein der Bücherwürmer gegründet. Seither ist Lana ein Ort der literarischen Begegnungen und ein Ort, der ermöglicht, dass sich durch Lektüren und Gespräche für eine kurze Weile eine Zusammenkunft ereignet, die die Möglichkeit sucht, um überzusetzen auf ein anderes Mal oder auf einen weiteren Zusammenhang, etwa so, wie manchmal ein Versprecher im Sprechen überspringt auf einen anderen Text oder einen weiteren Kontext.
Dies geschieht nicht bedingt durch Zielgerichtetheit und Zuspielung, wonach ein Wissen etwa oder ein Handeln eingebunden wären in eine schlüssige Zugehörigkeit und in die Gewähr für eine vielversprechende Folge. Es ist, wenn Literatur (wie in Lana) als offenes Fragen und Reden geschieht und wenn über literarisches Sprechen geredet ist, eher etwas Ungesichertes in Gang, etwas Unabsehbares, das erst zusehen müsste, wem, wenn nicht der Sprache als Denken und also dem Sprechenden als Denkenden zu vertrauen wäre. Und selbst demnach ist, wie man weiß, der Weg und Umweg des Verstehens über das Hindernis der Sprache gelenkt, die dem Sprechenden ein Einverständnis mit dem Denken zunächst nichts als abspenstig macht.
Vielleicht aber geht ein Denken, sobald es ein Verstehen über das Sprachliche sucht und also ausprobiert, wie ein Verstehen über Wörter geschehe, vielleicht geht es dann die Umwege, die nicht zu einer Erklärung führen, sondern dazu, dass sich ein Denken darstellt und dass es mitbringt, woher es kommt, und es kommt dann, wie nicht, auch von der Sprache her.
Wenn ein Verstehen, um das es geht, sich im Umweg der Sprache einstellt und wenn ein Verstehen geschieht, ohne dass es vorbereitet sein könnte, außer durch das, was Wörter und Sprache auslösend tun, dann ereignet es sich im Hören, fast unvorhersehbar und weit ohne vorgefertigtes Wissen und Verständnis. Und ein Reden, das den Umwegen der Sprache folgt, ist dann ein Reden in Unterbrechungen und in dem radebrecherischen, dem übersetzenden Unternehmen, hörend, vielleicht horchend zu verstehen.
So wenig, wie ein Verstehen über gefertigtes Sprechen und absichtsreiches Tun erfolgt, so wenig auch kann ein Ort wie Lana, der literarischem Geschehen Öffentlichkeit und Raum ohne Rolle gibt, Erklärungen behaupten und Behauptungen vertreten. Möglicherweise kann er nicht einmal sich selbst erklären in dezidierter Programmatik und deklarierter Absicht, denen so gar nicht zu trauen ist. Er kann nur verraten, wohin es ihn verschlägt, wenn er dem für ein Denken vorhandenen Sprechen folgt und wenn er demnach über die Umstände und Umwege der Wörter, über ihre Herkünfte und Läufe und Irrläufe der Dichtung horchend, erinnernd folgt.
Lana versucht dem literarischen Sprechen einen Raum zu geben, wo es sich hin verlaufen und etwas verlauten lassen kann an dem, was denkt durch Wörter und mitdenkt durch seine Vertracktheiten.
Der vorliegende Band möge durch die literarischen Stimmen derer, die in Lana waren, diesen Versuch zu erkennen geben.
Den Dichtern und Dichterinnen aber, die ihre Beiträge der Jubiläumsanthologie gewidmet haben, gelten ein großer Dank und eine große Anerkennung.
Christine Vescoli, Vorwort
bemüht sich der Verein der Bücherwürmer in Lana, der Literatur, der Sprache, einen Ort zu geben, literarisches Sprechen zu präsentieren, zu ermöglichen, Diskussionen anzuregen, aufzugreifen, die literarische Debatte mitzugestalten.
Der vorliegende Band versammelt Texte und Positionen von Autorinnen und Autoren, die im Laufe der Zeit in Lana zu Gast waren und den literarischen Diskurs wesentlich getragen haben. So entsteht ein markantes Bild zeitgenössischen literarischen Schaffens, ein Querschnitt mit subjektivem Charakter: ein Bild von „Lana“.
edition per procura, Klappentext, 2010
Auf das Zusammenspiel von Felix Philipp Ingold (Text) und Theo Leuthold (Typografie) in diesem Buch eingehend schreibt uns Theo Leuthold in einer E-Mail:
…In Zusammenarbeit mit Felix Philipp Ingold konnte ich einige seiner poetischen Texte in visuellen Formen realisieren, die eigene Lesesichten beinhalten und die über den courant normal der Lyrik-Typografie hinausführen.
Ingolds Texte und seine Art, diese in Richtung potentieller Leser aus seiner Hand zu entlassen und als Autor hinter sie zurückzutreten – wenn denn nicht: gänzlich in ihnen zu verschwinden –, haben mir eine Lesefreiheit eröffnet, deren Manifestation die vorliegenden typografierten und gestalteten Publikationen sind, die wiederum Anstoss zu weiteren Lesarten sein könnten … Bei allem Spiel bleibt dabei der schreibsprachliche poetische Text immer Ausgangspunkt und Referent, auch wenn eine neue Schreib- und Darstellungsweise ihn umgarnt, ihn vereinnahmt, ihn transformiert – wobei mir bewusst ist, dass Schreibsprachliches von Felix Philipp Ingold nur im Hörsprechendem wirklich wird…