ZWEI MÄNNER IN BETRACHTUNG DES MONDES
Der Abend ist schon spät, die Nacht gerad
aaaaagekommen,
die schrägen Formen sind verstörend und bizarr.
Die schmale Sichel macht die Männer fast
aaaaabenommen,
ihr Blick, den wir nicht sehn, ist sicher etwas starr.
Im Vordergrunde ist fast alles, was wir sehen,
im Hintergrunde sind nur Himmel, Mond und Stern.
Die Mitte liegt versteckt vor uns in dem Vergehen,
die Tiefe lügt, sie fehlt im Bild und bleibt uns fern.
Wir sehn die Männer stehn, wir sehn sie nur vom Rücken
und werden zum Betrachter, werden gleichsam sie.
Was sie auch meditieren, muss es uns bedrücken?
Das Paradoxe zieht uns an, verlässt uns nie.
Der Mond ist das Symbol des stetig Wandelbaren
verkörpert Wachsen, Schwinden, Glanz und matten Frost,
die große Liebe und die Sehnsucht nach dem Wahren,
nach kühlem Licht und Ruhe und nach ewgem Trost.
Caspar David Friedrich (1774–1840), in seiner Hauptwirkungsstätte Dresden bis heute liebevoll-schnoddrig ,CDF‘ genannt, war einer der bedeutendsten und bekanntesten deutschen Maler und wichtigster bildender Künstler der deutschen Frühromantik. Zu seinem, vor allem auf die Landschaft orientierten, Schaffen existiert eine Vielzahl unterschiedlicher interpretatorischer Ansätze und Theorien. Die breit gefächerte Literatur ist jedoch nicht immer hilfreich oder ersprießlich. Das Meiste, was die künstlerisch interessierte Öffentlichkeit über CDF weiß und denkt, ist fein säuberlich in, sich teilweise widersprechenden, Schubladenkategorien verortet. Der Künstler hätte es aber verdient, dass seine Bilder öfter gesehen, genauer betrachtet, besser beachtet und dabei vielleicht auch unter heutigen Blickwinkeln neu gewertet werden.
Als auf bildlichem Gebiet interessierter und engagierter Lyriker habe ich den Versuch unternommen, mich dem Phänomen ,CDF‘ auf neuartige Weise zu nähern. Was motiviert mich zu so einem, im digitalen Zeitalter eher ungewöhnlichen, Vorgehen?
Klar ist erstens, dass CDF rigoros mit überkommenen Traditionen bricht. Melancholie und individualisiertes philosophisches Naturverständnis werden zu tragenden Elementen der bildenden Kunst. Zum Zweiten bekennt er sich klar dazu, dass die Kunst das Ziel haben müsse, nicht, oder nicht nur, das Sichtbare abzubilden, sondern vor allem auch die Wahrheit hinter dem flachen Sichtbaren. Das manifestiert sich insbesondere in seinen Bildkompositionen, mit denen es ihm gelingt, Ideale zu erschaffen und sie mit Empfindungen anzureichern. Und drittens, im allgemeindeutschen Kontext aber oft unterschlagen, seine Werke popularisieren keinen südländischen und orangensüßen Himmel, sondern widerspiegeln nordische Größe und Erhabenheit. Nicht zuletzt ist CDF einer der ersten Maler der Moderne, der eine ideale Kombination von Zeichnung, Farbe und Idee schafft. Entwicklungslinien ziehen sich hier über Turner hin zu den Impressionisten und damit in ein neues künstlerisches Jahrhundert. Und, ganz besonders wichtig, die meisten der Bildangebote sind sinnoffen. CDF gibt Sichtweisen vor, auf denen er aber nicht besteht. Seine Bilder sind ein Schatz für die Menschheit, auch für einen Lyriker des 21. Jahrhunderts.
Bekanntlich sollte man sich bei Urteilen davor hüten, Klischees und einseitige Sichtweisen unkritisch zu verabsolutieren. Unter diesem Aspekt bin ich überzeugt, dass eine schubladenhafte Kategorisierung von CDF nur als Romantiker ohnehin zu kurz greift. Da gibt es zunächst den Vorwurf seitens des Realismus, Kunst habe dokumentarisch Widersprüche gesellschaftlicher Art abzubilden, Wege zur allein seligmachenden Zukunft aufzuzeigen und aktivierende Motivationen zu verbreiten. Überzeugende Konzeptionen dazu existieren bis heute nicht, es ist also unfair, von einem Künstler seiner Zeit diese Erkenntnisse und ihre bildnerische Umsetzung zu fordern. Andererseits kommt Kritik an der künstlerischen Konzeption der Romantik auch aus konservativen Kreisen, erinnert sei hier an den Ramdohr-Streit. Auch Thomas Mann hat sich in der Romantikfrage sehr weit aus dem Fenster gelehnt mit Aussagen zu Deutschtümelei, Idealismus und dem braunen Grundverbrechen deutscher Geschichte. Letztendlich gibt es Versuche, CDF vordergründig historisch, religiös oder psychopathologisch festzulegen. Vorurteile aber sind oft dogmatisch und meist zum Scheitern verurteilt. Gewiss, auch Landschaftsikonen gehören zu CDF, aber sie sind nicht der ganze Friedrich. Viele seiner Bilder weisen über diese Aspekte hinaus. Man wirft ihm vor, seine Bilder seien zu stark auf Einsamkeit und Jenseits orientiert – ja, worauf soll sich denn ein Künstler ausrichten, auf Eiapopeia-alles-ist-gut-in-der-Welt oder auf marketinggerechtes Keep-it-simple-and-stupid? Die Kunst hat nach CDF die Aufgabe, die Sinne zu erschüttern. Das tut Friedrich, und daran tut er gut.
Als Lyriker habe ich mich der Aufgabe gestellt, Gedichte zu Bildern von CDF zu schreiben, und dieses Vorhaben in den Jahren 2015 bis 2019 umgesetzt. Mein Kapital war dabei der großartige Spielraum, den die Friedrichschen Bilder für das Artikulieren persönlicher Sichtweisen vom Plausiblen bis hin zum Absurden bieten. Der Lyriker hat das Recht, Gesichtspunkte auszuwählen, Aussagen zu straffen und zu akzentuieren. Mir ist bewusst, dass damit womöglich neue interpretatorische Wege beschritten werden, die in den ursprünglichen Werken von CDF zwar latent enthalten, aber nicht in jedem Fall explizit vorgegeben waren. Das ist das Schöne an der Kunst, dass sie Neues befördert. Dem Kriterienkatalog einer formalistischen, kultusgerechten Interpretationsstrategie zu entsprechen, habe ich allerdings nie erstrebt.
Bei der Auswahl der Bilder für diesen Band habe ich mich neben der Verfügbarkeit von Vorlagen hauptsächlich an subjektiven Gesichtspunkten orientiert und mich für solche entschieden, bei denen ich glaube, Lesens- und Bedenkenswertes beitragen zu können. Andere, die mir persönlich weniger bedeuten, habe ich nicht berücksichtigt, zumal ich als Lyriker unabhängig von politischen, religiösen und kommerziellen Vorgaben bin. Bei der Anordnung der einzelnen Gedichte im vorliegenden Bändchen habe ich mich, bis auf eine bewusst getroffene Ausnahme, im wesentlichen an die Chronologie des Entstehens der Bilder gehalten.
Alle Abbildungen wurden nach einer von mir speziell erstellten Methode bearbeitet und gezielt künstlerisch modifiziert. Dies geschah aus zwei prinzipiellen Gründen. Erstens wurde durch die Verfremdung und weitgehende Orientierung auf Kontur- und Kontrasteffekte die Zeichnung als bildgebendes Element unterstrichen. Zweitens bestand die maßgebende Intention in der lyrischen Verwirklichung. Eine farbenfrohe Reproduktion hätte hier die Aufmerksamkeit mehr als erwünscht auf die Abbildung als auf die poetische Umsetzung in den Gedichten gelenkt. Für eine bildorientierte Betrachtung der Gemälde empfehle ich allerdings dringend die Originale in den Museen oder, da das aus Gründen des Aufwandes kaum durchgängig möglich ist, die Reproduktionen im Internet. Bilder von CDF sind immer des Anschauens wert.
Allen Lesern dieses Bandes wünsche ich – wie immer – Spaß und Erbauung, Innehalten, Nachdenken und Erkenntnisgewinn.
Roland Müller, März 2019, Nachwort
Roland Müller ist ein Dichter, der nicht nur exakt beobachtet,
erstaunliche Einsichten aus scheinbar trivialen Dingen ableitet und
diese auf hohem Niveau verallgemeinert, sondern mit präzisen Worten großartige Gedichte aus bewegenden poetischen Bildern erschafft. Er lebt und beherrscht die Sprache, ihren Rhythmus und ihren Klang; seine Verse zu lesen, bedeutet Erbauung, Freude und großen ästhetischen Genuss.
Beeindruckend sind seine dichterischen Interpretationen von Gemälden, eine ganz gelungene Symbiose von bildender Kunst und Lyrik.
Alexander Güttler
Dresden
Es zeugt von einer bemerkenswerten Idee, CDFs Bilder mit aktueller Lyrik neu zu interpretieren, was R. Müller gut gelingt. Besonders die Gedichte zu ,,Hünengrab im Schnee” und ,,Verschneite Hütte” zeigen das. ,,Der Wanderer im Nebelmeer” führt dann weit über Friedrichs Vorlage hinaus und widerspiegelt tiefe Gedanken zum Verhältnis von Realität und Fiktion, die in eine beeindruckende lyrische Form gegossen wurden, welche die Grundlage für weit reichende Assoziationen abgibt.
B. Dörfel