KRITZELFITZEL FÜR EBERHARD HÄFNER
ZUM KRACHTZIGSTEN
Spinnstube & Alchimistenküche sind eins.
Phiole & Viola sind zwei.
Dreibein durchlebt eine ödipale Phase.
Viererbande & Fünferstück drücken sich um die
aaaaaDeutungshoheit.
Sixpack bleibt Sixpack.
Krumme Sieben muß man lieben.
Macht hab acht!
Mal zehn macht krachtzig.
*
Häfner, alter Heftelmacher
will dir einen Lorbeer falten
einen Falter flibustieren
dich ans Herze drücken
bis es kracht.
Hüne unter Sprachgelichter
Tonjongleur, Krystallverdichter.
*
Ein gutes Arschleder
hält die Tritte ab
die man einsackt
wenn man mit Saft & Seele
die Säcke verpimpert.
Schürz deine Flüstertüte
krächze & hüte
deine Apachenblüte!
Thomas Böhme
DER BRATEN LÄCHELT
– Zum 80. Geburtstag von Eberhard Häfner. –
Der Aufbau-Verlag in Ostberlin war besonders in den achtziger Jahren eine Insel für allerlei Liberalitäten. Da ging man mal eben, wenn man schon im Lektorat war, mit dieser oder jenem beispielsweise gleich um die Ecke in einen Vorführsaal des DEFA-Studios für Dokumentarfilme, um sich „Streifen“ anzusehen, die die Zensur nicht überstanden hatten, etwa den schwarzweißen im Breitwandformat über den Dichter Uwe Greßmann und sein ungeschöntes Ostberlin, oder, zusammen mit Eva Strittmatter, einen Farbfilm, in dem die Dichterin recht unverblümt die großen Umweltprobleme des Landes ansprach.
Der Aufbau-Verlag, dieser Suhrkamp der DDR, war überhaupt sehr gut im Betreuen seiner Auserwählten. Es muß gegen Mitte der achtziger Jahre gewesen sein, als ich Eberhard Häfner erstmals traf, und zwar im Rahmen eines Verlagswochenendes mit kommenden Aufbau-Autoren im November in Ahrenshoop, in dem Fall etwa mit Reinhard Jirgl, Thomas Böhme, Bernd-Dieter Hüge, mir – und eben, als letztem Dazugekommenen, Eberhard Häfner.
Wir sahen Eberhard am Strand von Ahrenshoop, an der Bunkerruine. Er war schon damals ein vornehm armer Silberschmied von hinter dem Thüringer Wald mit einem Crocodile-Dundee-Lederhut, erschien aber trotzdem gleich absolut en vogue. Ich werde den Anblick nie vergessen, denn er war mit seiner Liebsten da und hatte einen seltsamen, aber sofort überzeugenden Draht zu ihr, sie war nämlich gemeinsam mit ihm verkorkt durch etwas noch nie zuvor von uns Gesehenes, nämlich die Doppelkopfhörer eines Walkmans, und durch meinen dagegen nun ältlich zurückgebliebenen Kopf ging gleich der Titel einer hoffnungslos zurückbleibenden DDR-Radiosendung: „Auf den Flügeln bunter Noten“. Die beiden Bunten da erschienen so was von federleicht!
Sie spazieren auch durch mein dann entstandenes und quasi altgermanisches Revolutionsgedicht „Novembernacht in Ahrenshoop“. Das baute bis hin zur Selbstparodie eine erhabene Drohkulisse auf, nur um von den Überwachungssatelliten darin dann sagen zu können:
Manche davon blickten tags oder nachts durch die Gardine
Mir und meiner Geliebten zu mit den grelltoten Augen
Der Recherchen, aber wir zeigten euch stets nur den Hintern.
Heult nur todeinsam in euren Bunkerneurosen!…
Das lyrische Ich ist hier eigentlich das eines Rollengedichts. Eberhard Häfner spricht, zusammen mit seiner Liebsten. Heute, zu seinem schier unglaublichen Achtzigsten, verrate ich das gern.
Auch des Ostseeanrainers Tomas Tranströmer ziemlich paralleles Gedicht „November in der DDR“ beginnt ja ähnlich:
Das allmächtige Zyklopenauge ging in Wolken,
und das Gras schüttelte sich im Kohlenstaub.
Unverwechselbar häfnerisch sei hier die DDR vor allem auch ein „zahnsteinbraunes land“ genannt.
Aber, um eine ganz blöde Sentenz einmal diametral umzudrehen, es gibt nicht nur ein richtiges Leben im Falschen, es ist vielleicht auch gar kein anderes möglich. Und eines ohne Humor gleich gar nicht. Hier mein häfnersches Lieblings-Gedicht in der DDR.
Der Häfner!, konnte ich da nur ausrufen, der hat da ja mein ureigenes Herzensschatzi-Gedicht auf dieser eben nicht nur zahnsteinbraunen Fahrtstrecke meines Lebens geschrieben!
IM ZUCH
rückwärts schläft sie
auf der freibank necken fliegen
schweißbedeckte zeitungsreste
erstausgabe aus sommerfrische
sauerkirschenabendrot
bedeckt ihr schlummerfeld
lässig garniert in locken
der braten lächelt
im eigenen saft nähert sich
beim erwachen zündholz
der zigarette
Das Gedicht steht im Gedichtband Syndrom D, der 1989 erschienen ist, jener Endzeit auch für „schweißbedeckte zeitungsreste“. „Der Überbau ist entmachtet, der Untergrund ist tot“, schrieb Klaus Michael über das Ende der Szene vom Prenzlauer Berg, zu der auch Eberhard Häfner, aber in seiner ihm stark eigenen Lockerheit, gehörte. Aber wer hatte den längeren schönen Atem? Noch einmal Klaus Michael:
Dichter, die in ihren inhärenten Poetiken die Welt außerhalb der Sprache wie auch ihr Publikum nie aus den Augen verloren hatten wie Bert Papenfuß oder Eberhard Häfner, blieben der Lyrik treu. Viele verstummten.
Ich glaube, es war zur Buchmesse 1986, als wir frischen Aufbauler im Studentenklub Moritzburg in Leipzig lasen. Wir übernachteten im Continental-Hotel gegenüber dem Hauptbahnhof. Bernd-Dieter Hüge und ich hatten ein Doppelzimmer, in dem wir nach Mitternacht noch Eberhard Häfner empfingen. Neben das Doppelbett hatten wir einen Kasten Bier deponiert, und Eberhard lagerte sich zu uns und las nach einigen Vorträgen Hüges in Ostpreußisch und meinen in Eberswalder Kanaldeutsch seine Gedichte in thüringisch-fränkischem Dialekt vor: „on munche doag / ömhargedappt und gefroacht“ – er kann halt machen und dichten, was er will, ohne auch nur ein bißchen Provinzmief. „Ich denke, also bin ich woanders“, so lautet ja auch ein Gedichttitel in seinem Band Narkotische Gewässer.
Es wurde eine lange schöne Nacht der Literatur, denn Bert Papenfuß hatte uns heimlich eingeschlossen und dann wohl vergessen. Beim Frühstück bedankten wir uns bei Bert und bedauerten es ganz echt, dass er am nächtlichen Event nicht ebenfalls hatte teilnehmen können.
Barocke Pracht in blitzartiger Brillanz kann Eberhard Häfner auch in der Prosa. Er kann, wie kaum einer sonst seltsam durchheitert von Finsternis, uns auch die entscheidenden Geschmacksrichtungen aus der Geschichttorte Deutschland auf die Zunge legen, etwa in Vergoldung der Innenhaut:
Laden und Backstube waren in der Michaelisstraße gelegen, gegenüber dem Goldenen Schwanz; und es wohnten in dieser Gegend viele Gläubige und Gläubiger, die ewigen Gewinner nach Katastrophen, wo sie nach dem Sturz des Führers oder des Väterchens einem neuen Phantom nachgingen. Im Goldenen Schwanz hing jetzt an der Wand einer mit Brille. Das Bier neunundvierzig Pfennig. Zu essen gabs nichts. Aber Rauchen.
Das hier war sicher nicht nur meine DDR ganz genau auf den Punkt. Wie es da gewesen war? Man mußte sich nicht alles auftischen lassen. Man konnte leben, sogar frei, manchmal. Viele haben stirnrunzelnd überall nur den Braten gerochen. Eberhard Häfners Braten aber kann sogar lächeln, auch noch weit über achtzig.
Wilhelm Bartsch
In diesem Jahr feiert Eberhard Häfner achtzigsten Geburtstag. Er ist der Jüngstgebliebene seines Alters, den ich kenne. Angefüllt mit Wärme, Geistesgegenwart und einem Wissen, das gut warten kann, erst dann zu glänzen, wenn es darauf ankommt. Einer, der gern entdeckt – in der Sprache, den Dingen, der Literatur –, der das eigene Schreiben aber kontinuierlich kritisch begleitet, bis sich das Gedicht zu guter Letzt nach geheimen Mustern wie gewünscht zusammenzersetzt hat.
Oder bis die Sprache ihr Sperrfeuer auspulst, wenn der Begriff erlaubt ist. Häfners Poetik mit Leidenschaft für Überbilderung, die ihre Gewinne aus Anschlussverlusten bezieht, würde es vermutlich.
Zurückzuzucken ist das Mindeste, was diese Gedichte erwarten (wobei aus Gründen der Werkfülle für mich vor allem die Texte der letzten beiden Jahrzehnte im Vordergrund stehen). Stromstöße und Querschläge, Irrlichter und Finten überall; cartooneske Feldporträts, die dazu einladen, sich der Routine-Ichs zu entledigen… Wer könnte dieses Autors habhaft werden? Und: Wie? Wer könnte zum Warum uns führen? Eberhard Häfner sicher nicht, er wird den Teufel tun. Oder, wie seine Lyrik vielleicht sagen könnte: den Nichtteufel vollführen. Im Grunde jedoch beides, mit Option auf weitere präsente wie verborgene Bedeutungsschweife.
Zunehmend ist das Gedicht zum Mittelpunkt dieses weiter drängenden Œuvres geworden. Als perfekter Streukörper für sprachliche Verwegenheit, Anomalien und Kippfiguren, Snapshots momentaner Stufen von Verwandlung. Es ist Lyrik, die ihr Inneres nach außen explodiert, ohne sich je ganz zu entblößen. Aufreizend und renitent.
Dass sich die Hommagen auf den folgenden Seiten vor allem als Gedichte zutragen, überrascht zunächst, ist aber letztlich doch hoch plausibel. Auf Fraktales lässt sich eben gut fraktal antworten.
Ron Winkler, Vorwort
Ron Winkler liest zweites urbanes Panneau im Maxim Gorki Theater Berlin („Hardcover Studio“) am 5.2.2011.
Peter Geist: Im Duett mit der Spottdrossel
Der Tagesspiegel, 15.8.2013
Peter Geist: Fata Morgana über dem Wörtersand
Der Tagesspiegel, 23.10.2021
Eberhard Häfner – Porträt von Gérard Courant aufgenommen am 20.1.1990 in Paris.
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