Róža Domašcyna: ort der erdung

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von Róža Domašcyna: ort der erdung

Domašcyna-ort der erdung

DIE GEGENSTÄNDE VERGESSEN MICH

die rennpappe die igelittschuhe
die natoplane der nylonbeutel
die pakolittpuppe spaltet sich
aus der kittnaht heraus
und vom stiel her werden aus bückedichapfelsinen
orangen und der kunsthonig büßt den geschmack ein
das pakolitt packt die schuhe ein
der beutel verstaut das nylon
und die NATO bedarf meiner plane nicht mehr

bleibt das auf den zweck fixierte
ich

 

 

 

Rosas Erdung im Sprachfluss

Regionalmarketing ist eine Wachstumsbranche. ,,Wir können alles außer Hochdeutsch“, tönt es aus Baden-Württemberg; in Sachsen-Anhalt behauptet man, nirgendwo sonst werde früher aufgestanden usw. Die Lausitz wiederum wird gern als zweisprachig angepriesen: Sorbisch und Deutsch seien da vorzufinden, die spezifische, nirgendwo sonst anzutreffende sprachlich-kulturelle Symbiose am von Polen, Tschechen und Deutschen nachbarschaftlich bewohnten Dreiländereck bewirke ein unbedingt bereisens-, betrachtenswertes Lokalkolorit.
Wer diese Sorben nun sind, die hinter Deutschen, Tschechen und Polen im Dreiländereck, in der Heide oder in den Spreewaldkanälen gleich wieder verschwinden, sobald der Reisende einmal von ihnen gehört hat, wie ihre Verwurzelung in der Lausitz sowie ihr beharrlich uneinfaches Zusammenleben mit der Mehrheitsbevölkerung sich gestalten – dies zu erkunden, bedarf mehr als touristisch oberflächlicher Aufmerksamkeit. Ja aus der Distanz lässt sich das eigentlich gar nicht leisten: da wären Stadt- und Landbewohner, katholische und protestantische, ober-, mittel-, niedersorbische, berufsmäßige und normale, eifrige und laue und noch so viele verschiedene andere Sorben zu unterscheiden, dass der einheitliche sorbische Osterreiteranzug in ganz disparate Stofffetzen zerfällt und alles Urteilen über die Sorben zur plumpen Anmaßung werden lässt. Die Sorben haben nämlich eine „heja“, einen eigenwilligen Kopf, in den sie sich nicht so gerne hineinschauen lassen. Sie teilen ein kulturelles Gedächtnis, das als eine einzige Folge von lauter Katastrophen gezeigt werden kann, aber auch als kontinuierlicher Aufweis von Überlebenswillen in einem zumeist eher unwilligen Umfeld gelten muss.
Den Deutschen sind die Sorben gegebenenfalls zunächst einmal verdächtig: Zwar beherrschen sie das Deutsche, doch halten sie mit ihrer „heja“ an einer vergleichsweise so ganz und gar unnützen Kleinsprache fest, dass man zum Beispiel als frisch seines Dialekts verlustig gegangener Großstädter in der zweiten Generation darüber nur den Kopf schütteln kann der keine ,heja“ ist. Johannes Bobrowski lässt – ein halbes Jahrhundert ist das her – den sorbischen Klassiker Jakub Bart-Ćišinski seinen Landsleuten predigen:

Sorben, es kommen die Fremden
sie sagen:
ihr seid Tote, ihr seid
wenige, lernt zu schweigen,
streckt euch ins Grab.

In ihrer Unauffälligkeit, Unbedrohlichkeit und in ihrer vermeintlichen volkstümlichen Unbedarftheit sind die Sorben für die Deutschen als Minderheit so untypisch, dass sie vorsichtshalber am besten gleich ganz unsichtbar werden sollten. Am fundamentalen Unverständnis der Deutschen – die alles können außer Sorbisch – für ihre slavischen Landsleute hat sich über die Jahrhunderte nur wenig geändert.
In diesem Geflecht aus historischen Assimilationsgeboten, die bis heute immer wieder in bester Absicht erteilt werden, aus unwiederholbaren kulturellen Erfahrungen des Verkürztwerdens aber auch aus über Generationen hinweg intensiv erlebten künstlerischem Aufblühen vom schöpferischen Boden des Sprachkontakts – dichten die Sorben. Jurij Brezan, einer der bekannteren sorbischen Schriftsteller, schätzte vor Jahren die Wahrscheinlichkeit einer dichtenden „heja“ erheblich höher als die eines dichtenden Kopfes, und in der Tat: Über die vergangenen zwei Jahrhunderte hat es bei den Sorben eine ganze Reihe hervorragender Poeten gegeben, die aus dem Sorbischen eine anmutige, ausdrucksstarke und vielseitige Literatursprache gemacht haben.
Seit einigen Jahrzehnten machen sich die Sorben für ihre Dichtung auch das Deutsche zunutze. Rosa (für alle übrigen) mit den fünf Vornamen oder, wie es auf Sorbisch offiziell korrekt heißt, Róža Domašcyna erschafft aus dem Standortvorteil der Zweisprachigkeit eine faszinierende, vor Politik, Ideologie und Ökonomie verlässlich geschützte poetische Heimstatt, in der sie weder die wehrlos bestaunte Exotin noch die kämpferische Minderheitspartisanin zu geben braucht. Im Rückzug auf die Sprache ist sie damit ganz vorne, wenn es um die Gestaltung individuellen Ausdruckswillens geht, der – bohudžak! Gottseidank – nicht an das Sorbische als absolutes Thema gefesselt ist. So bewahrt sie sich vollkommene Freiheit und dichterische Autonomie (was bisher noch nicht ganz so vielen dichtenden Sorben bzw. sorbischen Dichtern gelungen ist), eine Selbstbestimmtheit, von der aus sie Verfügungsrecht und Deutungshoheit über die mehrsprachig verfasste Wirklichkeit gewinnt. Mit dem Sorbischen zu sortieren, mit dem Deutschen zu deuten, mit beiden Sprachen zu spielen und im Spiel zu höchster bildlicher Präzision zu gelangen, ob das „den sprachgelehrten gefällt“ oder nicht – das ist Rosas Beschäftigung und, die beachtliche Zahl von bereits erschienenen Gedichtbänden mag es auch quantitativ untermauern, Berufung. Diese Texte zu lesen, im Umgang mit ihnen dem künstlerischen Subjekt und zugleich der vibrierenden Spannung kultureller Differenz zu begegnen, garantiert ein ästhetisches Abenteuer. Denn wie auch bei dem großen Kito Lorenc ist die deutsche Literatursprache bei Rosa oft nur eine weitere Wendung im identitären Maskenspiel, zeigt ihre Verwendung alles andere als die erwünschte Ankunft im großsprachlichen Hafen nach langer Irrfahrt von der Kleinspracheninsel her. Jederzeit steht der zweisprachigen Rosa die Verfremdung dieses Deutschen, seine Zurichtung für den Eigenbedarf zu Gebote. Deshalb erfüllt diese Dichtung keine Quoten, sie braucht sich nicht über Minderheitenprivilegien zu legitimieren, sondern sie entsteht aus sorgfältiger künstlerischer Arbeit am gefundenen Bild. Dies „geschieht im jetzt und das gedicht ist einfach der ort wo dies seine erdung findet“.
Geerdet ist diese Dichtung nicht zuletzt in der Lausitz als einer Region gewaltiger Umbrüche, einer Gegend, deren Human- und Rohstoffressourcen erst an hinterer Stelle ihr selbst zugute kamen. Motivisch taucht dieser Umstand immer wieder in Form der „folgelandschaft“ auf, dem verharmlosenden Begriff für Natur- und Dorfdevastation größten Stils, durch die der sorbischen materiellen Kultur ungeheure Schäden zugefügt wurden. Rosa schafft diesen durch Bergbaukonzessionen bewirkten Sachverhalt dichterisch z.B. in einen „Konzessivsatz“ um, der anders als abgebaggerte Dörfer kein Ende hat und „hier, wo jetzt spärlicher strauchbewuchs und strandhafer sich mühen“, die Geschichten aufruft, die trotz der Bergbau-Folgen in Erinnerung und damit vorhanden bleiben. Ihre Dichtung tritt auf diese Weise dann auch in einen intensiven Dialog mit Literatur und Kunst ein, der etwa am langjährigen poetischen Austausch mit Volker Braun sichtbar wird. Rosa als Lausitzer Dichterin bietet mit ihrem Schaffen einen ausgezeichneten Einblick in die Eigenart zeitgenössischer sorbischer Literatur, deren herausragende Vertreter alles außer Schweigen gelernt haben. Das sorbische kulturelle Gedächtnis besitzt eine erst auf den zweiten Blick erkennbare Stabilität, man mag das an Rosas Variationen zu sorbischen Märchen nachvollziehen und vielleicht feststellen, dass gerade die Kunst zu den Lausitzer Wachstumsbranchen zählt. Und so „ist das eigentlich eine ganz einfache sache“.

Christian Prunitsch, Nachwort

 

Róža Domašcyna,

die deutsch und sorbisch schreibt, ist vor allem für ihre Gedichte über die Grenzen Deutschlands hinaus bekannt geworden (eine französische Ausgabe steht vor dem Druck). Nun ein weiterer Band Gedichte und Miniaturen: ihre wundersam-nachdenklichen Texte bewegen sich zwischen einstigen südöstlichen Tagebauen und Pariser Plätzen, sorbischen Erfahrungen und Lausitzer Legenden und Märchen, denen eine sanfte Ironie nicht fremd ist. Ein Buch der Kontraste, bis hin zu Bericht und Wortspiel, voll poetischer Kraft.

amazon.de, Buchvorstellung

 

 

Dichterinnenporträt von Róža Domašcyna im Haus für Poesie am 3. Februar 2022. Moderation Hans Thill.

 

Fakten und Vermutungen zur Autorin + Interview
Porträtgalerie: Dirk Skibas Autorenporträts +
Brigitte Friedrich Autorenfotos
shi 詩 yan 言 kou 口

 

Richard Pietraß: Dichterleben – Roža Domašcyna

 

Róža Domašcyna und Volker Sielaff sprechen über ihre Dichtungen und lesen aus ihren Werken.

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