− Zu Jan Wagners Gedicht „Saint-Just“ aus dem Lyrikband Jan Wagner: Guerickes Sperling. −
JAN WAGNER
Saint-Just
„To the like effect, or still more plainly, spake young
Saint-Just, the black-haired, mild-toned youth.“
Thomas Carlyle, The French Revolution, Vol. III
„das wahre glück: den unglücklichen helfen.“
ein satz von meiner hand. mit idealen,
mein freund, bist du so einsam unter menschen
wie die axt im wald.
der citoyen proudhon hat ein portrait
von mir geschaffen. mein gesicht darauf
so fein und transparent – fast sieht man sie,
die wand dahinter.
die nationalversammlung und das pult,
das seiner redner harrt: ein falsches wort,
ein laut zuviel nur, und der beifall rauscht
als fallbeil herab.
Der hier spricht, war einer der gefürchtetsten Männer seiner Zeit. Louis Antoine Léon de Saint-Just kam mit 25 Jahren nach Paris und machte im Konvent durch seine eindringlichen Reden auf sich aufmerksam. Er durchlief eine ebenso stürmische wie kurze Karriere als Revolutionär. 1793 in den Wohlfahrtsausschuss gewählt, entwickelte er sich zu einem rücksichtslosen Schlächter und endete, zusammen mit Robespierre, auf dem Schafott, knapp 27-jährig.
Der hier spricht, ist ein von humanistisch-religiösen Idealen beseelter junger Mann aus der Provinz, der nach Paris kam, um seinem Land, ja der ganzen Menschheit die Ideen von Freiheit und Gleichheit zu bringen. In seinen Reden, unter anderem in der Rede vom Glück als „neue Idee in Europa“, formulierte er hochfliegende Ziele einer gerechten Gesellschaft. Der Katalog der Menschenrechte, den er entwarf, ging in seiner Radikalität weit über alle vergleichbaren Verlautbarungen der Zeit hinaus.
Hell-Dunkel
Der hier aus seinem Leben erzählt, weiss mehr als der historische Saint-Just wissen konnte. Seine Sätze sind von seinem abrupten Tod her geschrieben. Alle drei Strophen des Gedichts haben gleichsam eine helle und eine dunkle Seite. Sie beginnen unverfänglich, die erste mit einem schönen Zitat, die zweite mit der Erwähnung der feinen Gesichtszüge auf Pierre Paul Prudhons Porträt, die dritte mit dem Rednerpult, an dem Saint-Just seine Triumphe feierte. In der Mitte kippen sie ins Abgründige. Die Feststellung, wer Ideale verkünde, sei einsam, wird ergänzt durch den martialischen Vergleich „wie die axt im wald“. Der Vergleich wird unter der Hand zur Metapher, die den Redner selber meint, der mit der Guillotine reihenweise Menschen töten liess.
Die Beschreibung des Porträts in der zweiten Strophe hebt am Schluss die „Wand dahinter“ so deutlich hervor, dass auch diese nur metaphorisch verstanden werden kann – als Wand, gegen die Saint-Just anrennt?, an die er selber seine Gegner anrennen lässt?
Am deutlichsten fällt der Umschwung in der letzten Strophe aus. Der Revolutionär nimmt hier seinen eigenen Sturz vorweg, wobei das Wortspiel „beifall“ – „fallbeil“ den jähen Stimmungsumschwung im Konvent in seiner Unerbittlichkeit und Endgültigkeit mitvollzieht.
Der hier spricht, ist ein Visionär, ein anmutiger Jüngling und ein Massenmörder. Zugleich verleiht ihm das nachgetragene Gedicht die Gabe, sich in all seinen Widersprüchen wahrzunehmen und sein späteres Schicksal als düstere Prophezeiung anzudeuten. Er verlässt hier die Rolle, auf die ihn die Historie festgelegt hat, und wird zu einem Gegenüber, der die Lesenden als „mein freund“ anspricht. Sein Tonfall verleiht ihm einen Hauch dessen, wovon er in seinen Reden gerne sprach, was ihm aber als Person fremd war: Brüderlichkeit.
Rudolf Bussmann, TagesWoche, 22.7.2013
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