− Zu Christoph W. Bauers Gedicht „so circa fünf frauen nach dir“ aus dem Lyrikband Christoph W. Bauer: mein lieben mein hassen mein mittendrin du. −
CHRISTOPH W. BAUER
so circa fünf frauen nach dir
treffe ich dich zufällig wieder in den gängen
eines supermarkts und starre befangen
in deinen einkaufswagen
du kaufst immer noch den saft
derselben marke und ich spür den geschmack
deiner lippen auf den meinen
ein brennen plötzlich auswippend in wut
dass wir einander gehen liessen
ohne widerstand
in ein leben aus zweiter hand
nachdem wir uns aus der ersten verstiessen
und höre dich faseln es gehe dir gut
ich sei mit mir und der welt im reinen
dresche ich phrasen im doppelpack
und kämpfe gegen mich an mit aller kraft
dabei hätten wir uns so manches zu sagen
doch du ahnst nichts von meinem verlangen
wie ich nichts weiss von deinen zwängen
so circa fünf männer nach mir
Es kommt ganz und gar überraschend, dieses Zusammentreffen. Mit dem Titel fällt man gleich in den ersten Satz und ist mitten im unverhofften Wiedersehen eines Paares, das sich vor einiger Zeit getrennt hat. Beide Teile sind gehemmt und machen keine Anstalten sich um den Hals zu fallen, stattdessen halten sie sich mit belanglosen Sätzen auf Distanz. Die Begegnung verschlägt ihnen die Sprache, zumindest jene vertrauliche Sprache, die sie füreinander hatten, als sie zusammen noch ein Leben aus erster Hand führten. Gleichzeitig weckt sie im männlichen Sprecher das Bedürfnis sich mitzuteilen. Seine ehemalige Geliebte, die er explizit anspricht, bekommt davon nichts mit. Stumm redet er in sich hinein, ganz mit sich selbst beschäftigt, mit sich und der ehemaligen Beziehung. Er analysiert seine momentane Befindlichkeit: erotische Sehnsucht, Befangenheit, Wut über die Trennung. Er registriert, wie er sich hinter dem Einkaufswagen Gewalt antut, wie er sein eigentliches Sprechen unterdrückt und stattdessen Phrasen drischt. Über das, was in ihm vorgeht, ist er hinlänglich im Bild.
Projektionen
Über die Frau vor ihm weniger. Sie kommt in seinem Monolog praktisch nicht vor. Nur dass sie noch immer denselben Saft trinkt, bemerkt er. Im Übrigen ergeht er sich in Mutmassungen. Diese bringt er in der Form von Gewissheiten vor, und so werden sie unter der Hand zu Behauptungen: Die Aussage seiner Ex-Geliebten, es gehe ihr gut, bezeichnet er als Gefasel. Hofft er heimlich, sie möge an der Trennung leiden? Anschliessend spricht er von ihren Zwängen. Zwar fügt er bei, er wisse nichts darüber, aber indem er von ihnen spricht, setzt er sie als gegeben. Und schliesslich unterstellt er seiner Ehemaligen, sie habe nach ihm „so circa fünf männer“ gehabt – begleitet von einem Augenzwinkern, das die Unterstellung nur wenig mildert. Er erweckt nicht den Eindruck eines Mannes von vorsichtigem Urteil. Der Verdacht liegt nahe, er könnte sich einer Illusion hingeben, was die Geschichte der Trennung angeht. Seine Darstellung, „dass wir einander gehen liessen / ohne widerstand“ klingt nach einem harmlosen Auseinandergehen. Aus der Sicht seiner Frau oder Freundin sähe die Sache womöglich anders aus. Aber das ist Spekulation. Sie wird nicht gefragt und nicht zitiert, sie bleibt Objekt seiner Projektionen. „dabei hätten wir uns so manches zu sagen“, spricht es in ihm. Würde er ihr wirklich zuhören wollen?
Der Schluss der Begegnung ist ausgespart, aber der symmetrische Aufbau des Gedichts legt nahe, ihn als genau so schroff anzunehmen, wie der Anfang es ist. Was als rasante Annäherung beginnt, endet mit einer brüsken Trennung. Ohne Punkt und Komma geht es den nächsten Beziehungen entgegen. Die letzte Zeile wiederholt die erste fast wörtlich: So wie es bisher war, wird es weitergehen, eine Liebschaft wird der anderen folgen, die Sehnsucht nach Erfüllung sich fortsetzen in einem „leben aus zweiter hand“.
Rudolf Bussmann, TagesWoche, 25.6.2012
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