Rudolf Bussmann: Zu Esther Kinskys Gedicht „Den sommer verbrennen im…“

Mashup von Juliane Duda zu der Beitragsserie „Im Kern“

Im Kern

− Zu Esther Kinskys Gedicht „Den sommer verbrennen im…“ aus dem Lyrikband von Esther Kinsky: Aufbruch nach Patagonien. −

 

 

 

 

ESTHER KINSKY

Den sommer verbrennen im
fernsten winkel des felds
im schutz von
holunder flieder hohem
gestrüpp schon eingeübt in die
steigende hitze, die
springende glut, in die
brandwunde kummerseite
feuerwärts dort
den sommer verbrennen
das dünne gestängel von phlox
rittersporn fingerhut malven die süßen
gaben verkapselter saat alles
in flammen
hier im schutz vor
dem wind den sommer
zu asche besprechen
während der herbst schon
im nahen schilf liegt
und lauscht wie der Sommer
endet als schwarze
narbe im feld.

 

Wochengedicht #20: Esther Kinsky

Es geht darum Abschied zu nehmen. Es geht um einen Abschied, welcher der unbekannten Stimme, die spricht, offensichtlich schwerfällt. Es ist, als müsse sie sich erst einmal an den Gedanken gewöhnen, dass der Sommer vorbei ist. Dreimal spricht sie den Satz aus „den sommer verbrennen“, zuletzt in der Variante „den sommer zu asche besprechen“. Dem Satz erwächst in der Wiederholung die Kraft einer Beschwörung. Die Verben stehen im Infinitiv, das Verbrennen ist zwar angesagt, aber es ist nicht klar, ob es schon im Gang ist. Der wiederkehrende Satz klingt eher wie eine Bitte um Aufschub, und die ausführliche Schilderung des Orts, wo das Feuer stattfindet, gefolgt von der Aufzählung dessen, was geopfert werden muss, schiebt das Wort „flammen“ so weit wie nur möglich hinaus. Die weite Geste des Gedichts holt die Zeit des Sommers noch einmal her, breitet dessen Gaben noch einmal vor uns aus.

Asche und Phönix
Mit dem Einfall des Ausdrucks „alles in flammen“ ist der Bann gebrochen, das „dünne gestängel“ lodert gleichsam auf. Es bleibt der Stimme nichts anderes übrig, als mitzuvollziehen, was nicht mehr aufzuhalten ist. Sie bespricht „den sommer zu asche“, begleitet ihn auf seiner Reise in den Tod. Das Wort „asche“ setzt den Schlusspunkt des Sterbens, und zugleich deutet es eine Gegenbewegung an. Asche weckt zwei Vorstellungen, die mit Leben in Verbindung stehen, einmal die des Phönix, hier nicht als Vogel, sondern als Frühling mit Blumen, Gras, Feldfrüchten. Und zweitens kann die Asche den Nachfolgepflanzen in ganz konkretem Sinn als Dünger dienen.
Für solche Vorstellungen lässt das Gedicht kaum Zeit. Vom Moment an, wo von Flammen und Asche die Rede ist, geht alles sehr rasch. Der Herbst tritt auf. 17 Zeilen lang hat er auf der Lauer gelegen, um in der 18. Zeile gleich als Subjekt in Erscheinung zu treten, als erstes im ganzen Gedicht. Kurz, aber unmissverständlich markiert er seine Präsenz, überlässt die Szene anschliessend wieder dem Sommer. Dieser, bisher lediglich in der Rolle des Objekts gegenwärtig, wird nun seinerseits zum Subjekt, aber lediglich um im Satz „der sommer endet“ definitiv abzutreten. Die letzten Zeilen klingen wie ein Nachruf. Was gewaltig begann, Farben, Früchte, Wärme brachte, endet als Brandspur „im fernsten winkel des felds“, unscheinbar und schon fast vergessen – würde ihn die emphatische Sprache des Gedichts nicht eindringlich in Erinnerung behalten.

Rudolf Bussmann, TagesWoche, 20.8.2012

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