− Zu Ulla Hahns Gedicht „Das wär ein Leben“ aus dem Lyrikband Ulla Hahn: Herz über Kopf. −
ULLA HAHN
Das wär ein Leben
Ich bau mir mein Nest in der Achselhöhle
vom Mann mit dem Goldhelm. Geht er
so gehe ich bewegungslos mit. Krümmt er
den Leib tue ich aufrecht desgleichen.
Isst er sein Brot im Schweiss seines Angesichts
lieg ich betört von den Düften ihm
unterm männlichen Arm.
Seine Rede Ja Nein ist fraglos immer
die meine. Säe nicht ernte nicht: Er
nähret und kleidet mich doch. Nichts
verlangt er dafür als sein tägliches Quantum
Rosen dornenlos wind ich den Kranz ihm zwitschernd ums göttliche Haupt.
Es gibt Gedichte, die werden erst Jahre nach ihrem Erscheinen fertig geschrieben. Dasjenige von Ulla Hahn gehört zu ihnen – obwohl die Autorin ihm seit seiner Erstpublikation kein Wort mehr zugefügt hat. Es bildete den Auftakt zu ihrem ersten Lyrikband Herz über Kopf, der Ulla Hahn 1981 schlagartig berühmt machte und ihr den Leonce-und-Lena-Preis einbrachte. Das Gedicht, entstanden in der Hochblüte der europäischen Frauenbewegung, führt ein Weibchen vor, das allen Klischees der unemanzipierten Frau entspricht. Geborgen am starken Leib des Ernährers verliert es jeglichen Eigensinn, träumt von einem Dasein als Begleiterin, die dem Mann in allem untertan ist, ihn zudem verehrt, und dies auf eine von ihm genau festgelegte Weise: Rosen ja, aber bitte ohne Dornen.
Der verklärte Patriarch
Die Sprache des Gedichts verrät, welche kulturellen Wurzeln dem parodierten Frauenbild zugrunde liegen: An mehreren Stellen werden Zitate aus der Bibel variiert. Die Frau, die zu Wort kommt, hat das Alte und das Neue Testament so sehr verinnerlicht, dass sie immer wieder in deren Sprache und Metaphorik verfällt. Wobei sie eine deutliche Vorliebe für das Genre der Vorschriften und Ermahnungen entwickelt:
Eure Rede aber sei: Ja, ja; nein, nein. Was darüber ist, das ist vom Übel. (Matthäus 5,37)
Im Schweisse deines Angesichts sollst du dein Brot essen. (1. Mose 3.19)
Sehet die Vögel unter dem Himmel an: sie säen nicht, sie ernten nicht, sie sammeln nicht in die Scheunen; und euer himmlischer Vater nährt sie doch. (Matthäus 6.26)
Da sprach Jesus zu ihm: So gehe hin und tue desgleichen! (Lukas 10.37)
Die fromme Magd kniet sich so tief in die biblische Gehorsamsrhetorik, dass am Schluss nicht mehr zu unterscheiden ist, ob sie von dem Mensch gewordenen Gott oder vom irdischen Mann spricht, der gottähnliche Züge trägt. Für ihr Verständnis vom Verhältnis Mann – Frau macht es keinen Unterschied. Die Frau, zur Kreatur regrediert, verklärt ihren Herrn und Meister zur göttlichen Ikone.
Wer ist der Mann mit dem Goldhelm?
Die schwärmende Ich-Person nennt den herbei geträumten Geliebten den „Mann mit dem Goldhelm“. Diese Metapher ist keine Anlehnung an die Bibel, sondern ein säkulares Bild; es lässt an die Statue eines Feldherrn oder Königs denken. Das gleichnamige Gemälde von Rembrandt hat dafür wohl Pate gestanden. Dass das Gedicht darauf auch inhaltlich Bezug nimmt, ist unwahrscheinlich, handelt es sich bei Rembrandt doch um das Brustbild eines alten Mannes, der sich, sei er auch ein hoher Krieger, nicht zur Verherrlichung maskuliner Grösse eignet. Dennoch müssen wir auf das Gemälde zurückkommen. Zunächst aber geht es in die Welt des Sports.
Am 28. August 2011 erfuhr der Mann mit dem Goldhelm seine irdische Inkarnation in Gestalt des deutschen Automobilrennfahrers Michael Schumacher. Der Formel-1-Weltmeister setzte sich zur Feier seines 20-jährigen Rennjubiläums im belgischen Spa mit einem goldenen Kopfschutz in den Rennwagen, was ihm in den Medien das Attribut „der Mann mit dem Goldhelm“ eintrug. Damit ist die Metapher des Gedichts im Nachhinein aufgelöst und in das Bild eines real existierenden Rennstars überführt worden. Der Mann mit dem Goldhelm meint einen vergötterten Weltstar, zu dem frau als zu einem überirdischen Wesen aufblicken möchte. Das ist die erste Veränderung, die das Gedicht nachträglich erfahren hat.
Es gibt eine zweite; sie führt zurück ins Gebiet der Schönen Künste, zu Rembrandt. Im Zuge von Restaurierungsarbeiten am Gemälde wurde festgestellt, dass das um 1650 entstandene Bild gar nicht von Rembrandt stammt. Das berühmteste Bild des Meisters musste 1986 von der Rembrandt-Forschung definitiv als unecht eingestuft werden, es stammt vermutlich aus dem weiteren Umfeld des Malers. Diese Erkenntnis kann nicht ohne Konsequenzen auf die entsprechende Stelle im Gedicht bleiben. Der Heros, von dem in diesem die Rede ist, so die neue Aussage, ist nicht der, für den ihn alle hielten. An ihm ist alles unecht.
Kein Zweifel, die Art, wie die gesellschaftliche Wirklichkeit Ulla Hahns Text weitergedacht hat, ist ganz im Sinne der Autorin. Die Wirklichkeit hat als kongeniale Schöpferin ins Netzwerk des Gedichts eingegriffen und bei dessen zentralem Bild in aller Diskretion ein Upgrade vorgenommen.
Rudolf Bussmann, TagesWoche, 5.11.2012
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