Rudolf Bussmann: Zu Lisa Elsässers Gedicht „damals“

Mashup von Juliane Duda zu der Beitragsserie „Im Kern“

Im Kern

− Zu Lisa Elsässers Gedicht „damals“ aus dem Lyrikband Lisa Elsässer: Genau so sag es, genau so sag es. −

 

 

 

LISA ELSÄSSER

damals

damals                    hatten wir doch
du weißt                         damals wir
hatten doch                       weißt du
noch                          hatten wir da
mals liegt zurück                  zurück
weiss du                            ich auch
nicht weiss wie                       weiss
damals                       wir waren da
bei waren                           eis und
schnee                         werden wir
weiss                     wie schnee und
kalt wie eis                        damals
erinnerst du dich                       er
innere dich                   doch weiss
gott                                  damals
nahezu dabei            so lächerliche
erinnerung                    zu werden
erinnerung
ist               schnee        liegt jetzt
wir stehen                            noch

 

Wochengedicht #13: Lisa Elsässer

Es hat viel Platz in diesem Gedicht, die Mittelpartie ist von grosszügiger Weite, als halte sie den Platz für etwas frei, was noch fehlt. Das erste Wort lässt durchblicken, wofür der Raum vorgesehen ist; es geht um die Vergangenheit, genauer um die Erinnerung an ein gemeinsam erlebtes „damals“. Das vertraute Du, das angesprochen wird, scheint nicht auf Anhieb zu verstehen, worauf die redende Stimme hinaus will. Diese sieht sich genötigt zu insistieren: „damals hatten wir doch / du weißt“. Wovon spricht sie?
So genau weiss auch sie es nicht. Bald kommt sie ins Stocken, verwirrt sich, macht Pausen. Die ausgesparten Stellen markieren ihr Schweigen und Zögern. Wonach sie sucht, will ihr partout nicht einfallen. Der Satzrest, an den sie sich klammert, „damals hatten wir doch“, ist auch ein Appell an sie selbst: Mensch, ich müsste es doch wissen!

Wegweiser
Dann aber weist ihr die Sprache den Weg. Über die Frage „weißt du“ gelangt sie zu „weiss du“ und damit ist der Name der Farbe gefallen, die sie weiter zu „Eis und Schnee“ führt. Ob sie an ein Wintererlebnis erinnern will? Schwierig zu entscheiden, denn sogleich gehen die Sprachfetzen, in denen sie sich verheddert, untereinander neue Verbindungen ein. Was eben noch Suche nach Vergangenem war, geht in eine Zukunftsahnung über. Aus den Worten, die das Damals wiedererwecken wollen, ersteht eine Vision des Todes.: „werden wir / weiss wie schnee und / kalt wie eis“. Ist die Rede vom Tod, der die beiden bald erwarten wird? Oder vom Tod, dem sie damals knapp entkamen, als sie „nahezu dabei“ waren, irgendwo erfroren aufgefunden und „so lächerliche / erinnerung zu werden“?
Die Kälte hat sie nicht behalten, damals, aber die Erinnerung ist noch immer so angstbesetzt, dass sie ihren Weg mühsam durch sprachliche Verwehungen bahnen muss. Endlich erfahren wir, welcher Anlass den heftigen Wunsch nach Erinnerung auslöst: Es hat geschneit, „schnee liegt jetzt“. Es ist der Anblick des winterlichen Weiss, der die Stimme dazu drängt, das Damals aus dem Eis zu befreien, in das die Verdrängung sie eingefroren hat.

Ein Würfel auf zwei Füssen
Das Gedicht sieht aus wie ein etwas hoch geratener Eiswürfel. Vier Ecken, vier Kanten. Im Innern taut es, Gänge und Wasserläufe öffnen sich, Gefrorenes und Aufgetautes, Schrift und Zwischenraum wechseln sich ab. So wie sich im Monolog der redenden Person Gegenwart und Damals langsam annähern, berühren sich die linke und die rechte Seite in einer zaghaften Verschränkung. „damals“ und „noch“, das erste und das letzte Wort, bilden die Pole, zwischen denen die Erinnerung ihre Suchbewegungen macht. Die zahlreichen Leerräume, Abbrüche, zerbrechlichen Wortverbindungen legen Zeugnis davon ab, wie schwer die Orientierung fällt. Gesicherte Erkenntnisse sind unter diesen Bedingungen nicht zu erwarten.
Wie gut, dass der Gedichtquader immerhin auf verlässlichen Füssen steht: „wir stehen noch“, ist die Aussage der breit angelegten Basiszeile, auf der sich fürs Auge der Textkörper erhebt. Nach der Verunsicherung, die es in seinem Lauf durchzustehen hat, kommt das Gedicht am Ende bei einer vorsichtigen Zuversicht an. „wir“, das sind der linke und der rechte Teil des Wortquaders, die Schrift und das Dazwischen, aber auch die Sprecherin und das Du mit ihrer gemeinsamen Vergangenheit und Gegenwart. Alle Bewegtheit und Verunsicherung vermag die Grundstatik, in der die beiden leben, letztlich nicht zu erschüttern.

Rudolf Bussmann, TagesWoche, 2.7.2012

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