− Zu Michael Donhausers Gedicht „Und die Kirschbäume“ aus dem Lyrikband Michael Donhauser: Ich habe lange nicht doch nur an dich gedacht. −
MICHAEL DONHAUSER
Und die Kirschbäume
Und die Kirschbäume werde ich
Und in die Sprache tragen, so wenn sie
Und stehen entlang einer Strasse oder
Verteilt an einem Hang ein Hain so wären
Und suchen, als suchten und ihre Blätter
Die rostgelben noch und die Röte, die rote
Ihrer Früchte, ihr stilles Hängen, so wenn
Und ein Wind sie bewegt oder ihn besucht
Den einen, einzelnen Wiesenbaum, dass er
Und wie rieselt so leise, so und sein Laub
Sich und löst und steigt, fällt und ins Gras
So laubregnend, sprachmüde, so wie und der
Und voll der Sprache ich und müde bin und
Arbeitsam auch, ergeben auch und ruhelos
So verschwenderisch wie sehend und dass
Was der Dichter will, drückt er programmatisch in den ersten zwei Zeilen aus: Die Kirschbäume „in die Sprache tragen“ ist seine Absicht. Das ist leichter gesagt als getan. Ein real existierender Kirschbaum in das System der Sprache zu verpflanzen, kann nicht ohne Verluste und Kollateralschäden vor sich gehen. Und umso weniger, wenn es sich nicht nur um einen, sondern um „die Kirschbäume“ handelt. Da gilt es vieles zu berücksichtigen, es muss eine ganze Menge einschlägiges Material mit in die Sprache, etwa Angaben über die möglichen Orte, an denen die Bäume stehen, Erwägungen über die Farbe der Blätter und Früchte, Bemerkungen zu atmosphärischen Einflüssen (Wind) und zu den unterschiedlichen Jahreszeiten.
Der Dichter, der die Umpflanzung vornimmt, hat am neuen Ort den zuverlässigen Toolpark des linguistischen Systems zu seiner Verfügung, doch wird dieser vom unübersichtlichen Material, das bei dem Unterfangen anfällt, erst einmal zugeschüttet. Wörter purzeln herum, die ihren Platz noch nicht gefunden haben, Beschreibung stellen sich ein, für die der passende Anschluss nicht bereit steht. Die Bestandteile sind da, schön in Zeilen gereiht, und warten auf ihre syntaktische Einbettung. Immerhin ist im Durcheinander der Grundriss einer möglichen Satzkonstruktion zu erkennen: Die Kirschbäume werde ich in die Sprache tragen… und suchen… den einen, einzelnen Kirschbaum, dass er… und dass –. Die Fortsetzung wäre noch zu schreiben und innerhalb der Konstruktion gäbe es einiges zu bereinigen, damit ein ordentliches Satzgebilde daraus entstünde. Die Frage ist, um welchen Preis dies geschähe und was das Gedicht dabei verlöre.
Die Arbeit des Umpflanzens
Halten wir fest: die anfänglich formulierte Absicht ist voll und ganz eingelöst. Die Kirschbäume sind mitsamt zugehörigen Attributen und Assoziationen in der Sprache drin, der Transport ist abgeschlossen. Ein Vorgänger Michael Donhausers, der spätbarocke Dichter Barthold Hinrich Brockes, hat die sprachlich korrekte Einpflanzung des Baums in die Literatur in „Kirschblüte bei der Nacht“ (aus der Sammlung Irdisches Vergnügen in Gott beispielhaft vorgeführt. Sein Gedicht beginnt so:
Ich sahe mit betrachtendem Gemüte
jüngst einen Kirschbaum, welcher blühte,
in kühler Nacht beim Mondenschein;
ich glaubt, es könne nichts von größerer Weiße sein.
Hier verrät nichts die Arbeit, die bei der Umsetzung des Bilds vom Kirschbaum in die Dichtung angefallen ist, vielmehr setzt das Gedicht alles daran den Eindruck zu erwecken, es sei schon immer hier ansässig gewesen. Michael Donhausers Werk hält dagegen die Verletzungen fest, die bei diesem Kraftakt nicht zu vermeiden sind. Seine Zeilen tragen Schürfspuren, sie sind aufgeraut und angeschlagen. Der Dichter spricht über seine Erschöpfung; obwohl „arbeitsam auch, ergeben auch und ruhelos“, ist er doch nicht am Ziel.
Oder hat er dieses gerade erreicht? Sein Gedicht enthält eine verhalten poetische Huldigung an die Schönheit der Kirschbäume. Daneben liest es sich als Arbeitsjournal, das von der Planung über die Ausführung bis zum Abschluss festhält, wie es beim Tun des Dichtens zugeht. Wer ein Lied über einen blühenden, Früchte tragenden oder winterlich kahlen Kirschbaum erwartet hat, kann getrost zu einer Anthologie mit Naturgedichten greifen, das Lied ist von Brockes und anderen Dichtern längst mit Bravour geschrieben und vollendet worden. Jenes, das neben dem Thema auch dessen sprachliche Realisierung mitreflektiert, hat bisher gefehlt.
Rudolf Bussmann, TagesWoche, 1.4.2013
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