− Zu Svenja Herrmanns Gedicht „Rotierende Maschinen wetteifern“ aus Svenja Herrmann: Ausschwärmen. −
SVENJA HERRMANN
Rotierende Maschinen wetteifern
Chopins Klavier aus knisternden Lautsprechern
Feuchtheisse Luft
die Fenster des Salons sind geöffnet
Der Salonier wacht über Laden und Wäsche während die Regentropfen der Prélude fallen
Und von der Strasse her
durchschneiden Motoren –
Warten für einen Waschgang Langsamkeit prüfende
Blicke im Intervall aus Angst vor Dieben
Ein Waschsalon der guten alten Art. Er wird nicht gesteuert von Automaten, vielmehr betreut ihn ein Mann, der zum Rechten schaut und um frische Luft besorgt ist. Es ist nicht ungemütlich in seinem Laden, in dem klassische Musik läuft. Sein Ort ist geradezu eine Oase. Der Lärm der Strasse, zwar zu hören, bleibt irgendwie ausgespart: Der Satz, der ihn erwähnt, bricht ab, der Strassenverkehr mag die Stille der Strasse „durchschneiden“, dem Waschmaschinenidyll kann er nichts anhaben.
Hier wird mehr gereinigt als Socken und Hemden, hier werden aus der Stadt der Lärm und die Hektik herausgefiltert. Man hört stattdessen die „Regentropfen“ des Pianos, das Knistern der Lautsprecher. Die Maschinen scheinen fast lautlos zu arbeiten, jedenfalls ist ihr Geräusch kein Thema. Die Zeit steht für die Zeit des Waschgangs still, und das ist mindestens so wichtig wie das Sauberwerden der Kleider. Nicht die Koch- und Buntwäsche findet Erwähnung, sondern der „Waschgang Langsamkeit“.
Abschalten
Dieses Wortpaar bildet den sprachlichen Fluchtpunkt in der ansonsten sachlich und kurz gehaltenen Aufzählung. Es steht fast am Ende und gibt dem, was folgt, eine bedeutsame Wende. Die Schlusszeile enthält ja eine zunächst überflüssig scheinende Wiederholung. Dass der Betreuer „prüfende Blicke“ wirft, wurde schon gesagt und müsste dem Gedicht, das auf Knappheit hin angelegt ist, als Fehler angekreidet werden. Ist es gar nicht der Salonbetreiber, der „prüfende Blicke“ wirft? Sondern jemand, der sich sorgt, die ihm (oder ihr) zugefallene Zeit könnte gestohlen werden?
Dieser Jemand spricht mit keinem Wort von sich, sondern beschränkt sich darauf festzuhalten, was im Salon allgemein abläuft. Was die erleben, die hier eintreten. Dazu gehört, dass die hier Weilenden die erzwungene Musse auskosten. Es gibt keine Gespräche, man darf, man will für sich sein. Die Arbeit wird von den Maschinen erledigt; der Waschvorgang bietet eine kurze Erholung von den Zwängen des Alltags, er stellt eine ängstlich gehütete Gelegenheit dar, sich aus dem Getriebe auszuklinken und für eine Weile den leeren Gang einzulegen. Was in früheren Zeiten körperliche Anstrengung und grossen Aufwand bedeutete, wird im chopindurchrieselten Salon zum Anlass des willkommenen Ungestörtseins.
Rudolf Bussmann, TagesWoche, 9.7.2012
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