Rudolf Jürgen Bartsch: Zu Johannes Bobrowskis Gedicht „Der Samländische Aufstand 1525“

Mashup von Juliane Duda zu der Beitragsserie „Im Kern“

Im Kern

– Zu Johannes Bobrowskis Gedicht „Der Samländische Aufstand 1525“ aus Johannes Bobrowski: Im Windgesträuch. –

 

 

 

 

JOHANNES BOBROWSKI

Der Samländische Aufstand 1525

Bauern, ein Heer, gekommen
mit Kreuzen, gerufen vom Herzog
auf das Feld Lauth, betrogen
dort im Geschwätz der Herrn, gerichtet,
heißt es, in Königsberg, in den Dörfern
Laukischken und Kaymen
und auf dem Felde Lauth.

Kaspar, Müller zu Kaymen,
über den Hügeln dein Ruf,
ein Kranich mit tropfender Schwinge,
heimisch dein Roß in Wäldern,
im Rauch der niedrigen Feuer,
die sich am Feldkreuz fanden,
nächtlich, singen: Nun bitten
wir den heiligen Geist.

Vor der Dämmerung wieder
der Himmel ein Krähenbaum.
Kaspar, schartige Frucht
dein Mund, ich find deine Hände
nicht, ich geh, sie zu suchen,
Dörfer und Weiler ab,
ich steh auf dem weißen Ufer.
Steig, schrei ich, mein Haff!

 

Lokaltermin, historisch-poetisch

Johannes Bobrowski, der in Königsberg während seiner Gymnasialzeit vom Domorganisten Eschenbach in Harmonielehre unterwiesen wurde, wird den Tatort gekannt haben. Im sechzehnten Jahrhundert bestand Königsberg in Preußen noch aus den selbständigen Städten Kneiphof, Altstadt, Löbenicht: „der dreyen Städte Pracht“ (Simon Dach in seiner Kürbishütten-Elegie). Das senkenfreie „Feld Lauth“, nordostwärts vom Kneiphof gelegen, ist mit dem späteren Devauer Feld identisch: Schauplatz königlicher Feldparaden und Flugplatz zu Bobrowskis Schulzeit.
Auf dieser offenen Ebene hatte der erste Preußen-Herzog dem Aufstand der knapp dreitausend Rebellen tückisch ein Ende bereitet („betrogen dort im Geschwätz der Herrn“). Dreizehn Bauern ließ er gleich am Ort köpfen, die Hauptleute Kaspar und Gericke wurden in ihren Heimatdörfern hingerichtet. Denn angefangen hatte es im Kirchspiel Kaymen, einem winzigen Weiler rund zwölf Kilometer vom Kurischen Haff entfernt und wie Laukischken zum Kreis Labiau gehörend.
Warum diese Erhebung? Die freien Bauern wurden entgegen ihren verbrieften Rechten zum Hofdienst als Scharwerker herangezogen. Hinzu kam, daß der Kämmerer Andreas Rippe ein übler Leuteschinder war, was erst den Müller Kaspar – eine Mühle ist eine gute Nachrichtenbörse – zum Widerstehen herausforderte.
In der Nacht vom zweiten auf den dritten September versammelte Kaspar seine Bauern, berief sich in seiner Ansprache auf das Evangelium („gekommen mit Kreuzen“) und erzählte ihnen die Geschichte seines Nacht für Nacht wiederkehrenden Traums. Ein alter Mann habe ihm zugerufen:

Auf, auf, Müller! Es ist nichts daran gelegen, wie gering und schwach du seyst. Nur frisch und getrost daran!

Eine männliche Jeanne aus dem alten Preußenland.
Sie stürmten die Burg, führten den Rippe als Gefangenen mit sich und zogen vor das Ordensschloß Labiau. Unterwegs hatten sie den Dorfpastor von Legitten gebeten, sie zu begleiten, um einen des Lesens Kundigen dabei zu haben. Eine Hellebarde in der Hand wie der Bischof den Krummstab („Nun bitten / wir den heiligen Geist“), so zog Pastor Sommer ihnen voran. Nun, alle Aufenthalte der Stärkung und Verstärkung eingerechnet, werden sie morgens zeitig in Labiau eingetroffen sein. Ich kenne den Weg, bin ihn so manche Sommernacht als Halbwüchsiger mit dem Fahrrad gefahren, einen Aufruhr ganz anderer Art im Kopf.
Kurzum: Die Labiauer lieferten die geforderten Amtmänner aus, und über Tapiau ging es pregelabwärts auf die Dreistadt zu. Das Ende ist bekannt. – „Vor der Dämmerung wieder / der Himmel ein Krähenbaum.“ Bei aller Bedeutungsvielfalt ist die Krähe als Todesbotin auch in Bobrowskis Versen zu erkennen. Indessen will mir „Krähenbaum“ hier nicht als Nist- oder Schlafbaum des Vogels erscheinen, sondern als Metapher. Eine Wolke von schwärmenden Zugkrähen – ohnehin in diesem Landstrich heimisch – nimmt im Begriff, niederzustoßen, die Gestalt eines Baumes an. Die Unbestatteten ziehen die Unglücksvögel an. Deshalb auch der letzte Vers:

Steig, schrei ich, mein Haff!

Historie – kritisch gespiegelt – im Gedicht. Entstanden ist es am 27. Dezember 1956, erschienen jedoch erst im Nachlaßband, den Eberhard Haufe herausgab. Episodisch kam Johannes Bobrowski noch zweimal auf den Stoff zurück: im Roman Litauische Claviere und in der Erzählung „Von nachgelassenen Poesien“. Zu lesen und zu interpretieren als Variationen seines großen von ihm selbst so definierten Themas:

Die Deutschen und der europäische Osten. Eine lange Geschichte aus Unglück und Verschuldung, seit den Tagen des deutschen Ordens, die meinem Volk zu Buch steht.

Rudolf Jürgen Bartsch, aus Marcel Reich-Ranicki (Hrsg.): Frankfurter Anthologie. Sechster Band, Insel Verlag, 1982

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

0:00
0:00