Ruth Klüger: Zu Langston Hughes’ Gedicht „Auch Ich“

Mashup von Juliane Duda zu der Beitragsserie „Im Kern“

Im Kern

– Zu Langston Hughes’ Gedicht „Auch Ich“. –

 

 

 

 

LANGSTON HUGHES

Auch Ich

Auch ich besinge Amerika.

Ich bin der dunklere Bruder.
Man schickt mich zum Essen in die Küche
Wenn Gäste kommen,
Aber ich lache
Und esse mich satt
Und werde stark.

Morgen
Werde ich am Tisch sitzen
Wenn die Gäste kommen.
Niemand wird wagen
Mir zu befehlen:
„Iss in der Küche“,
Dann.

Außerdem
Wird man merken, wie schön ich bin
Und man wird sich schämen –

Auch ich bin Amerika.

(Übersetzung Ruth Klüger)

 

„I have a dream“

Langston Hughes (1902–1967) war eine der bedeutendsten Persönlichkeiten und unermüdlichsten Autoren der sogenannten „Harlem Renaissance“, der schwarzen Kulturbewegung der zwanziger und frühen dreißiger Jahre, die auch die etwas spätere französische „Négritude“-Bewegung beeinflusste. Ein Hauptanliegen war die Stärkung des schwarzen Selbstbewusstseins, das von den Weißen programmatisch unterdrückt worden war.
Historisch bewusst und politisch engagiert, hat sich Hughes gern über „moonshine poetry“ mokiert, romantische Verse, die sich von der sozialen Umwelt fernhalten und nichts zu sagen haben über Ungerechtigkeit und besonders über Rassenvorurteile. Fern von den elitären Sprachexperimenten berühmter Zeitgenossen, die einem breiteren Publikum sowieso nicht zugänglich waren, eröffnen Hughes’ scheinbar simple Gedichte, mit ihrer Anlehnung an Jazzrhythmen, an den Film und vor allem an die mündliche afroamerikanische Dialekttradition, selbst neues Terrain. Das Gedicht „I, Too“ wurde in der Bürgerrechtsbewegung oft zitiert und ist heute ein vielgelesenes Gedicht im amerikanischen Schulunterricht.
Die ersten und letzten Verse können als eine Verneigung vor Walt Whitmans weltumfassenden poetischen Umarmungen gelesen werden. „Ich feiere mich“ („I celebrate myself“), ruft Whitmans poetische Persona, aber nur, weil mein Ich alle an – deren mit einschließt. Hughes schließt sich an: Auch ich gehöre dazu. Zwischen der Klammer der trotzig-patriotischen Verse der ersten und letzten Zeile des Gedichts öffnet sich das Bild eines amerikanischen Haushalts der besitzenden Klassen, wo man sich Dienstboten leisten kann. Die bescheidene Szene handelt einfach von der Notwendigkeit der täglichen Nahrungsaufnahme und ist deshalb so eindringlich, weil es nicht darum geht, was oder wie viel man zu essen bekommt, sondern wo man isst, im Speisezimmer oder in der Küche.
Da herrscht zunächst die Verachtung der Herrenmenschen für ihre Diener, die sich aber nicht erniedrigen lassen, sondern durch ihren Willen, ihr Selbstbewusstsein und ihr Lachen nur stärker werden „in der Küche“, in die sie verbannt sind. Die nächste Strophe führt in eine Zukunft der Gleichberechtigten, wo die ehemaligen Untergebenen nicht etwa selbst Zwangsherrschaft ausüben, sondern Gäste und Gastgeber sein werden, also keine Umkehrung der Rollen, sondern ein Zusammensitzen und zusammen Essen, nicht ein einander Bekämpfen, sondern ein gegenseitiges Einverständnis. Der so kompakt ausgedrückten Hoffnung auf ein besseres „tomorrow“ steht am Ende der Strophe ein nicht wegzuwischendes, kleinlautes, wenn auch optimistisches „Dann“ entgegen, Hinweis auf ein noch nicht erreichtes Ziel. Der Kontrast zwischen Zurücksetzung und Triumph liegt im stillen, sprunghaft einfachen und gerade dadurch eindrücklichen Übergang von der einen Strophe zur anderen. Im Beisammensein erkennen die früheren Meister schließlich die Kraft, ergänzt durch die vorher nicht wahrgenommene Schönheit, der Schwarzen, und schämen sich ihrer einstigen Blindheit.
Man denkt unwillkürlich an Martin Luther Kings berühmtes Wort von 1963:

Ich habe den Traum, dass eines Tages die Söhne früherer Sklaven und die Söhne ihrer früheren Herren zusammensitzen werden am Tische der Brüderlichkeit.1

Das Gedicht „I, Too“ erschien 1932 in Hughes’ nicht zufällig The Dream Keeper (Der Hüter der Träume) betitelten Gedichtsammlung. Martin Luther King mag es gekannt haben.
Seither hat sich in Amerika vieles gebessert, doch am gleichen Tisch sitzen Weiße und Schwarze noch immer nur manchmal. So berührt „Auch Ich“ nach wie vor einen wunden Punkt. Dokumentierte Berichte über Gewalttätigkeit weißer Polizisten gegen farbige Minderheiten häufen sich, und die Feindseligkeit gegenüber Schwarzen in reaktionären Bevölkerungsschichten hat vielleicht sogar noch zugenommen durch die einst umjubelte Wahl eines afroamerikanischen Präsidenten. Ein Zyklus von Hughes handelt von „aufgeschobenen“ („deferred“) Träumen, die wie Rosinen in der Sonne aufschwellen und explodieren. Seine Gedichte, mit ihren Enttäuschungen und Hoffnungen, sind so zeitgemäß wie je.

Ruth Klüger, aus Ruth Klüger: Gegenwind, Paul Zsolnay Verlag, 2018

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