REIBUNG
schau dieser park ist hirngespinst
ist spinnennetz und du hast geglaubt er sei das
was du lang vermisst hast in
gedichten
unwohl ist dir jetzt wenn
in den schuhen
kiesel und kindheitslaute knirschen und
die augen wendest du dem oleander zu
du fragst dich wo du hingehörst denn
alles woran du jemals geglaubt hast
geht hier im schmuck der beete
verloren
schau wenn du in den park gehst geht der
park in dich hinein
du merkst wie sich die
ebenen überlappen
wenn gestern und jetzt
sich willig verbinden
der park tut alles damit du vergisst
nach draußen zu finden
– Sabine Schiffner spielt mit romantischen Lyrikwelten. –
In einem Garten bei Köln steht ein poetisches „Glückshäuschen“. Ein rheinländisches Refugium, in dem noch romantische Melodien tönen und die Welt zu singen anhebt. Alte Bekannte aus den Grimm’schen Märchen geistern hier herum, und die idyllische Ordnung der Naturzeichen scheint ungefährdet. Fasan, Rebhuhn und Birkhahn besiedeln diesen Garten ebenso friedvoll wie „Schneeweißchen“ und „Rosenrot“. Selbst die traditionsschweren „Wildgänse“ fliegen hier über das nächtliche Köln, als hätte es die missbräuchliche Usurpation solcher Naturmetaphorik nie gegeben.
Nur wenige Lyriker der Gegenwart riskieren so vorbehaltlos ein romantisches Setting wie die Dichterin Sabine Schiffner. In den drei Zyklen ihres Gedichtbands Male (2005) hatte die Autorin noch Kindheitsmuster aus einer Bremer Kaufmannsfamilie präsentiert. Traumverlorene Blicke in einen scheinbar unversehrten Kindheitskosmos findet man nun auch im neuen Band – diesmal in eine rheinländische Lebenswelt. Das lyrische Ich verzeichnet zunächst Verluste: das Ende der Unschuld, eine unglückliche Liebe, den Tod einer Freundin. Die Töne des romantischen „Liedguts“ überkreuzen sich mit prosaischen Redegesten. Sabine Schiffner versucht der eigenen Emphase gegenzusteuern und streut gelegentlich ernüchternde Konterbande in ihre Gedichte. Aber gegen jede Ernüchterung triumphiert immer wieder die Sehnsucht nach dem poetischen locus amoenus. In einem Kapitel werden die Verheißungen der Fremde erkundet, die fremden Stimmen und extremen Landschaften der arabischen Welt. Hier treten dann die „Dschinns“, also die Dämonen auf, die dem Gedichtband den Titel geben, aber nicht so recht zum begütigenden Gestus von Schiffners Texten passen. Im letzten Gedicht des Bandes scheint sich das lyrische Ich zur schroffen Absage an die artifizielle Garten- und Parkherrlichkeit zu zwingen: „schau dieser park ist hirngespinst“. Aber am Ende erliegt das Ich bereitwillig den Glücksversprechen des Parks und auch dem zuvor beschworenen „rotblühenden Garten“:
der park tut alles damit du vergisst
nach draußen zu finden.
Sjoukje Dabisch: Hibiskus aus Plastik und Seide
litlog.de, 9.4.2010
– Die Autorin outet sich als Fan des „mallorquí“: Am 28.6. findet eine zweisprachige Lesung ihrer Gedichte statt. –
Thomas Fitzner: Viele Texte ihres letzten Gedichtbandes Dschinn (2007) entstanden auf und handeln von Mallorca. Doch mit Betrachten gab sich Sabine Schiffner, die heute zwischen Köln und Palma lebt, nicht zufrieden: Sie wollte „in diese Welt rein“ und studierte Katalanisch. Dass sie ihre Nivel-B-Prüfung bestanden hat und am Dienstag (28.6.) im Kulturzentrum Can Alcover in Palma eine deutsch-katalanische Lesung ihrer Arbeiten stattfindet, suggeriert eine glatte Erfolgsgeschichte. In Wahrheit war Schiffners Annäherung an die Inselsprache mehr ein holpriger Abenteuerparcours. Wir befragten die 45-Jährige über ihre Motivation und ihren Slalom zwischen eingefleischten Katalanisten und Insulanern, die nicht mit jedem Mallorquinisch reden.
Fitzner: Was war das größte Hindernis für Ihren Lernprozess?
Schiffner: Niemand wollte mit mir reden. Man wird auch sofort zurechtgewiesen: Hier sprechen wir nicht Katalanisch, sondern Mallorquinisch. Unbenommen davon ist es sehr schwer, dass mal jemand auf Mallorquinisch antwortet, wenn man seine Kenntnisse anwenden möchte.
Fitzner: Worauf führen Sie das zurück?
Schiffner: Mit all den Fremden auf der Insel ist es heute für die Insulaner der einzige Weg, um unter sich zu bleiben. Die Aversionen etlicher Residenten gegen das Mallorquinische kommen ihnen im Grunde gelegen. Dazu kommt, dass viele Mallorquiner, die noch keine reguläre katalanische Schulbildung genossen haben, eine Art Hassliebe zu dieser Sprache empfinden, weil sie sie nur mündlich, nicht aber schriftlich beherrschen. Früher war Mallorquinisch die Sprache des einfachen Volkes. Das wirkt bis heute nach und erklärt wohl auch die Empfindlichkeit in der Sprachendiskussion.
Fitzner: Sie leben mit dem mallorquinischen Schriftsteller José Luis de Juan zusammen. Haben Sie deshalb durchgehalten?
Schiffner: Er hat mich weder gedrängt noch ermutigt. José Luis stammt aus einer Familie, in der Spanisch gesprochen wird, und er schreibt ja auch Spanisch. Nein, der Antrieb kam von mir selbst.
Fitzner: Und hatte welches Motiv?
Schiffner: Mir gefällt das Mallorquinische. Anders als beim Spanischen habe ich darin zum Beispiel Wörter gefunden, die bei mir einen Wiedererkennungseffekt ausgelöst haben, wie blau (blau) oder floc (Schneeflocke). Die Aussprache ist einfacher, das ,R‘ wird nicht so gerollt wie im Spanischen, und diesen Lispellaut mit der Zunge zwischen den Zähnen gibt es auch nicht. Ich höre das Katalanische der Insel, also das Mallorquinische, sehr gerne. Es hört sich gesungen sehr schön an. Obwohl die meisten meiner Landsleute dagegen sind und obwohl es mir auch die Mallorquiner schwer gemacht haben, habe ich mich in die Sprache verliebt und bin dann trotzig und hartnäckig geworden.
Fitzner: Wie haben Sie die linguistische Hemmschwelle überwunden?
Schiffner: Sehr geholfen hat mir ein Programm der Vereinigung Paraula, die Lernwilligen Gesprächspartner vermittelt, damit man Konversation auf Katalanisch üben kann.
Fitzner: Ist die Existenz dieses Programms nicht ein Eingeständnis der Schwierigkeit, jemanden zu finden, der bereit ist, mit einem Ausländer Katalanisch zu sprechen?
Schiffner: Irgendwie schon. Und mit meinem ersten Konversationspartner hatte ich wenig Glück. Er war sehr sendungsbewusst und ideologisch. Wir sahen uns einmal pro Woche jeweils eine Stunde. Er redete so viel, dass ich kaum zu Wort kam, ein echter Aktivist eben. Für mich hätte es Radiohören auch getan. Und ich war anderweitig ebenso enttäuscht. Es ist ja so schwierig, Mallorquiner mal näher kennenzulernen, und ich hatte mir eine menschlich interessante Beziehung vorgestellt.
Fitzner: Wie gingen Ihre Studien voran?
Schiffner: Im Juni 2010 machte ich mein Nivel-A-Examen. 25 Leute im Saal, davon 24 Mallorquiner, die alle perfekt Mallorquinisch sprachen, aber null Grammatik konnten. Nach dem Sommer wurde mir ein neuer Gesprächspartner zugeteilt: Antònia. Diesmal war es sozusagen Liebe auf den ersten Blick.
Fitzner: Kam damals die Idee einer zweisprachigen Lesung auf?
Schiffner: Nein, die Übersetzung meiner Gedichte war eine Übung, eine Art Hausaufgabe für mich. Die Treffen mit Antònia waren wunderbar, wir haben uns angefreundet. Statt einer Stunde saßen wir oft zwei oder drei Stunden zusammen und haben an den Gedichten gearbeitet. Die Idee mit der Lesung kam danach quasi automatisch. Ich liebe Lesungen.
Fitzner: Poesie zu übersetzen, gilt als extrem schwierig.
Schiffner: Es ging erstaunlich gut. Ich glaube, das lag weniger an den Gedichten als am Mallorquinischen. Die Sprache eignet sich ideal für Poesie. Wir haben fast immer treffende Ausdrücke gefunden.
Fitzner: Haben Sie weiter versucht, mit Unbekannten Mallorquinisch zu kommunizieren?
Schiffner: Unermüdlich. Der härteste Brocken war ein Bankangestellter in Palma. Vor mir hatte er eine Mallorquinerin bedient. Dann kam ich dran und eröffnete das Gespräch mit ein paar wohlvorbereiteten Phrasen. Er antwortete auf Spanisch. Ich dachte mir: Das zieh ich jetzt durch. So haben wir 10 Minuten lang gesprochen, er stur auf Spanisch, ich stur auf Mallorquinisch. Mehrmals bin ich in diese Bank gegangen und habe mit demselben Angestellten dasselbe erlebt. Erst beim vierten Mal ist er weich geworden und auf Mallorquinisch umgeschwenkt. Es war ein irres Erfolgserlebnis.
Fitzner: Hat Ihnen nicht auch mal jemand gratuliert?
Schiffner: Doch, in einem Gesundheitszentrum. Die Angestellte war fassungslos vor Freude: Da kommt eine blonde Deutsche daher und redet Mallorquinisch mit ihr!
AN DER SEVERINSBRÜCKE
für Sabine Schiffner
Wie sie über die Brücke fährt,
die Frau, das sehe ich,
in der Morgendämmerung
quert sie den Rhein.
Und ihr blaues Regencape spannt wie ein Segel
und so fliegt sie am Geländer lang,
das ihr folgt bis an den fernen Brückenaufgang,
bevor sie wieder festes Land betritt.
Die Frau vertraut darauf, dass das Geländer
sie getreu geleitet, und es hält so fest,
dass nicht einmal die starren Stäbe schwingen.
Der Pylon hat alles fest im Griff,
er hält die ganze lange Schrägseilbrücke, auf einer Strecke von knapp 700 Metern.
So radelt sie dahin und quert die Severinsbrücke
an jedem Tag, den Gott erschaffen hat.
Und nirgendwo wird sie vom Weg abweichen
oder ein Stück Weg abschneiden.
Sie kommt nicht mit der Bordsteinkante in Berührung,
denn da ist die Brüstung vor.
Und so wehrt sie meiner irren Angst, dass ich nicht denken muss,
und macht, dass ich mich wieder wende, fort vom Fluss.
Bela Chekurishvili
Übersetzung Norbert Hummelt
Sabine Schiffner liest ihr Gedicht „Mit voller Wonne“ am 3.11.2021 im Amphittheater von Ephesos.
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