Sabine Schiffner: wundern

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von Sabine Schiffner: wundern

Schiffner-wundern

DAS LIED AUF DEM MARKTPLATZ VON STRYI

hast du angst vor rumänien
furcht davor in die ukraine zu fahren
erscheint dir die durchquerung ungarns wie ein
aaaaahorrortrip
und moldawien
hat dir jemals jemand davon erzählt
und kannst du mir sagen wem dieses gotteshaus in
aaaaagalizien gehört
den griechisch katholischen unierten altorthodoxen
römisch-armenischen den georgisch-orthodoxen
oder den neuerdings hier hausenden adventisten
wachttürmlern oder protestanten
den juden jedenfalls nicht mehr
die wurden bis 1945 ermordet
umgesiedelt verschickt vertrieben
ihre synagogen sind heute lagerhäuser
und ruinen und von ihren vierteln ist
nichts mehr übrig geblieben
auch die letzten polen haben sie
1945 über die grenze geschickt
nur eine handvoll transkarpatische ungarn
durfte bleiben
die zählen nicht
aber ruthenen sind reichlich
gekommen und geblieben
denen war
russland nicht fremd
die krim ist auch nicht weit von hier
von der sie einst
die tataren vertrieben
von denen der größte teil
in zügen sein leben
ließ
ein paar männer
singen auf dem
markt von stryi ein
lied in einer sehr
fremden
sprache

 

 

 

In den neuen Gedichten von Sabine Schiffner

werden Geschichten von Verrat und Verlust, von Geburt und Tod, von Lebensfreude und Vergänglichkeit, von Familie und von Einsamkeit erzählt. Mit manchmal fast naivem, oft befremdetem Blick beobachtet sie und wundert sich über die jetzige und die vergangene Welt, die ihren biografischen Kosmos berührt. Die Worte kommen in diesen Gedichten scheinbar leichtfüßig tänzelnd daher und streifen einen wie im Vorbeigehen. Wenn man aber stehen bleibt und sich einlässt, sieht man hinter der rhythmischen und genau durchdachten Sprachkomposition die tiefe Wunde. Sabine Schiffners Sprache ist immer musikalisch, oft zugleich rau, Alltagssprache mit Hochpoetischem verbindend, ernüchternd, überraschend.

Quintus Verlag, Klappentext, 2022

 

Beiträge zu diesem Buch:

Rolf Birkholz: Bewegen reicht schon
Am Erker, Heft 84, April 2023

 

Lyriktalk: Sabine Schiffner („wundern“) und Silke Andrea Schuemmer („Organische Portraits“) stellen ihre neuen Bücher vor.

 

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Sabine Schiffner liest ihr Gedicht „Mit voller Wonne“ am 3.11.2021 im Amphittheater von Ephesos.

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