der schnee flüstert
von seiner bindung mit wolken
von dem schmalen steg
der das bedürfnis mit der begierde verbindet
von der schmelzzeit
die zu abgelegenen tieren führt
beginnt mit einem „Kleinen Inventar“, und Inventur halten diese Gedichte insgesamt. Sie sprechen vom Körper und von den Sinnen, von dem, was zerstört wird, aber auch vom Trotz und der Verwerfung des Todes. Sie sprechen von den Verlierern der Geschichte und den großen mythischen und historischen Figuren, die nicht selten Opfer wurden, aber unsere Vorstellungskraft immer wieder inspirieren.
Illusionslos betrachten sie unsere vermarktete Welt: „das meer ist eingepackt / und die sonne ausgezählt / beides kann man kaufen / hier / wo man alles kaufen kann“, nur den staub nicht, und das Gedicht, das Wort, sind in ihrer Unscheinbarkeit wie Staub, aber dass sie nicht käuflich sind, verleiht ihnen ihre Würde.
Furchtlos, frei, abgeklärt und doch voller Leidenschaft mustern diese Gedichte die Welt. SAIDs Sprache ist von einer reinen Schönheit, in ihren dunklen wie lichten Tönen liest sie sich immer wieder neu, so als wäre sie gerade erst erfunden worden.
Verlag C.H. Beck, Klappentext, 2010
− In welche Schublade soll man die Gedichte von SAID stecken? Tief geprägt ist er sicherlich von der Lyrik-Tradition seines Herkunftslands, in der die Poesie bis heute eine Popularität genießt, die bei uns überhaupt nicht mehr vorstellbar ist. –
Der nun schon seit fast einem halben Jahrhundert in Deutschland lebende SAID ist aber ebenso stark beeinflusst von Hölderlin und Heine. Immer wieder bezieht sich der zunächst vom Schah-Regime, später dann von den Mullahs aus dem Iran vertriebene Schriftsteller auch auf die antinazistische Exil-Literatur. SAID hat sich, man muss daran erinnern, für einige Jahre sehr für die Ideen des P.E.N, besonders für dessen „Writers-in-Exile-Programm“, engagiert. Ein großes Echo haben seine sprachgewaltigen, mal wütend schreienden, mal verzweifelnden, mal unglaublich zärtlichen Psalmen gefunden, mit denen ein erklärter „Nicht-Christ“ Ur-Texte des christlichen Glaubens in die heutige Sprache übersetzt hat.
Spürbar ist auch immer wieder sein Bezug auf Ideen der politisch unruhigen 60er-Jahre in Deutschland, dennoch haftet seinen Gedichten nicht die geringste Spur von billigem Agitprop oder Weltschmerz an, die Gedichte aus dem Umfeld von „68“ oft so unerträglich machen. Am besten, man unterlässt jeden Versuch, seine Gedichte irgendwie zu etikettieren, und liest sie ganz einfach. Inzwischen liegen ja schon einige Bände vor, die uns Freunde der modernen Lyrik dieses „Work in progress“ neugierig begleiten lassen.
Jetzt also Ruf zurück die Vögel, in dem SAID vor allem – aber nicht ausschließlich – eine Reihe von Widmungsgedichten aus den letzten Jahren zusammengefasst hat. Das Titelgedicht des Bandes ist zum Beispiel dem türkischen Sänger Fuat Saka gewidmet. An die konsequente Kleinschreibung aller Texte von SAID muss man sich vielleicht erst einmal gewöhnen. Aber auch sie hat ihren Reiz:
ruf zurück die vögel
sie werden nicht mehr berichten
vom lehm und unseren gewesenen stunden
das meer ist eingepackt
und die sonne ausgezählt
beides kann man kaufen
hier
wo man alles kaufen kann
bis auf den staub unserer gassen
Hier, wo SAID und Fuat Saka leben, ist alles, alles zu einer kaufbaren Ware geworden. Aber in dieser so durch und durch kommerzialisierten Welt gibt es noch etwas, was dem Geld, dem Investment, der Berechnung widersteht. Etwas scheinbar vollkommen Belangloses, Lächerliches, Banales: den „Staub unserer Gassen“.
Und in dieser börsennotierten, monotonen, gleichförmigen, von Schreihälsen des Augenblicks bewohnten Welt gibt es auch noch die Sprache der Gedichte. Von dieser Hoffnung auf Besserung durch Sprache, durch die Poesie lässt sich SAID bei aller Verzweiflung, die auch immer wieder in seinen Texten durchscheint, nicht abbringen.
das gedicht
ein bedürfnis nach einem ort
stumme landschaft der zeit
ein nötiger zwischenraum
ohne abwort gottes
Eine Reihe der hier veröffentlichten Gedichte hat SAID Personen gewidmet, die für viele Leser wahrscheinlich unbekannt sind.
die reise begann
wir ließen alles liegen
die narben
und das gedächtnis
doch der tod ist ein zuverlässiger botschafter
und das exil erst
macht uns reif zum sterben
(für fariborz riahy).
Vielleicht hätte man sich bei einigen von diesen kurze erläuternde Anmerkungen gewünscht. Aber ist das Wissen um die konkreten Personen letztlich wichtig, denen ein Autor seine Gedichte widmet?
Gute Gedichte lassen immer Fragen offen, bergen immer Geheimnisse, sind nicht bei der ersten, oft oberflächlichen Lektüre „eingängig“. „Keiner schriebe Verse“, hat Montale einmal gesagt, „wenn das Problem der Dichtung darin bestände, sich verständlich zu machen.“
Der aus dem Iran stammende Schriftsteller Said lebt seit mehr als vierzig Jahren in Deutschland und schreibt Märchen, Hörspiele sowie – als Exilant, der sowohl dem Persien des Schahs wie dem Gottesstaat der Mullahs den Rücken kehrte – auch politische Texte. Vor allem jedoch ist Said Lyriker. Seine Gedichte sind voll zarter Poesie und (es hilft nichts, das Klischee trifft zu) auch voll orientalisch blühender Phantasie. In welche imaginäre Fernen die ausschweifen kann, deutet sich im Titel eines vor gut zehn Jahren erschienenen Bands mit kurzen Prosatexten an. „Dieses Tier, das es nicht gibt“ breitete ein köstliches Bestiarium zwar denkbarer, aber höchst irrealer Tierwesen aus.
An jene Übungen in höherer Vorstellungskraft mit ihren wunderlichen Phantasiegeburten fühlt sich der Leser in Saids aktuellem Gedichtband ruf zurück die vögel häufiger erinnert – zumal in den meist kurzen Gedichten des abschließenden, gut die Hälfte des Bandes einnehmenden Kapitels. In den Prosatexten gehörte der Freibrief einer entfesselten, von jedweder Vernunft losgelösten Phantasie sozusagen zur Geschäftsgrundlage. In dem Gedichtband sind die Konditionen andere, und so ist für den Leser mitunter nur schwer zu entscheiden, ob ein Gedicht von unauslotbarem Tiefsinn oder lyrisch einfach nur so dahingesagt ist.
und dann die sieger
mit beteertem antlitz
die gemästete jungfrauen
aufgerüscht und bebend
den besiegten vorwerfen
bevor sie das schlachtfeld verlassen
So lautet eins dieser Gedichte.
Einleitend entfaltet der Band in dreizehn Gedichten ein „kleines inventar“. Mein Haus, mein Land, meine Uhr. Letztere „enthauptet die fliegen / glättet das schreibpapier bügelt / die morgenzeitung“. „meine blinden hände“ hingegen,
sie bewahren nichts und verraten jede haut (…)
sie sind stets bestrebt
die einheit ihrer demütigung aufrecht zu erhalten
meine hände ernähren sich von marginalen
stunden
und verweigern dem Tod die bestätigung
Surreale Botschaften gleich diesen, zu denen der Code verloren gegangen scheint, finden sich zuhauf.
Nicht weniger ratlos steht der Leser vor Gedichten, die Kollegen, Freunden oder nahöstlichen Dissidenten gewidmet sind, wenn sie auf unbekannte biografische Fakten anspielen. Noch am ehesten überzeugen die Gedichte des dritten Kapitels zu Gestalten der Mythologie und (Literatur- oder Kunst-)Geschichte wie Ikarus, Jesus, Rembrandt oder Hölderlin. „auch die fische wollen / den geschmack des wachses gekostet haben (…) / wärest du gärtner geblieben“, lesen wir in „ikarus“. „lenin nannte dich / stechmücke / und noske / zermalmte sie“, heißt es lakonisch in „für rosa l.“
mein wort
die verlängerung meiner hände
wartet zuzeiten geduldig auf seine schlaflosigkeit
um dann von jenem schweigen zu berichten
von seinen zerlegten einzelteilen
von seiner verwendbarkeit
Der Schriftsteller SAID – wir hörten ein Gedicht aus seinem neuen Lyrikband ruf zurück die vögel – SAID nimmt es sehr genau mit dem Wort, überprüft jedes einzelne besonders kritisch auf seine poetische Eignung. Grund: Der Autor verbrachte seine ersten 17 Lebensjahre im Iran, dachte, träumte, kommunizierte hier in seiner Muttersprache. Bis er 1965 nach Deutschland emigrierte. Das Exil bleibe eine Narbe in seinem Gedächtnis, sagt er. Die deutsche Sprache, in der er seit Jahrzehnten Prosa und Lyrik veröffentlicht, ist für ihn eine – Zitat – „Gastsprache“. Er verspüre zu ihr Distanz, fühle sich auch als ihr Gefangener, liebe sie aber sehr und versuche durch sie, in seine Kindheit zurückzufinden. Nur, wenn ihm die Kontrolle fehle, er müde, traurig oder krank sei, melde sich seine Muttersprache wieder. Dennoch aktivieren und beeinflussen beide Sprachstränge sich gegenseitig, denn beide sind stets vorhanden. Die Erinnerungen an die Kindheit und Jugend im Iran, auch die Gewalt im islamisch geprägten Umfeld, die er selbst erfahren musste, beeinflussen seine Poesie maßgeblich.
Das 1. Kapitel im neuen Lyrikband steht unter dem Motto „Kleines Inventar“. In diesen 13 Gedichten analysiert der Autor beispielhaft einige ihm wichtige Dinge und Themen. Da geht es um „meine augen“ die nicht mehr beten, um „mein abgetragenes land“, „mein unruhiges fenster“, um „mein(en) tod“ und eben um „mein wort“.
Das Gedicht steht für diesen feinsinnigen Autor für das – so wörtlich – „Bedürfnis nach einem Ort“, „an dem man sich mit Worten frei bewegen kann, auf der Suche nach etwas Besonderem“. SAID erwartet nicht, dass dieser Ort für alle seine Leser ein Ziel sein muß. Tatsächlich spürt man mitunter – wenn auch sehr selten – Widerstände, ihm zu folgen. Etwa wenn er allzu unverblümt von „seinem schwanz“ spricht, der taub und farbenblind usw. sei – oder von seinem „after“, der den Tod haßt, sich dagegen mit seinem Schlaf verträgt. Am Ende wendet SAID die anale Angelegenheit zwar noch ins leicht Humoristische, wenn er schreibt, dass sich sein After manchmal beklage, dass er ihn öffentlich verleugne. SAID sollte besser mit der Verleugnung fortfahren!
Viel ergreifender lesen sich dagegen die Widmungsgedichte im 2. Kapitel. Gemeinsam ist allen, dass SAID, der für seinen Einsatz für verfolgte Schriftsteller bereits ausgezeichnet wurde, sich hier mit Menschen beschäftigt, die leiden, Exil erfahren, sterben. Einer von ihnen war Kemal Altun. Der türkische Asylbewerber stürzte sich 1983 nach einem Jahr Einzelhaft in der Vollzugsanstalt Berlin-Moabit während seiner Verhandlung aus dem Fenster. Er war 23 Jahre alt.
kemal
du wolltest
zur sonne
aber die fenster hier
verstehen kein türkisch
und deine mutter
was sagte sie
dem botschafter des todes
der nur deutsch sprach
mit barer münze auf der zunge
und schlechtem Gewissen in der hand?
Vorsichtig nähert sich SAID auch mythischen und historischen Figuren, die nicht selten Opfer wurden. Ikarus, Jesus Christus, Rosa Luxemburg, Hölderlin beispielsweise. Und SAID lotet dann das Verhältnis zwischen Mensch und Tier aus, schaut auf den Zustand der Welt und setzt sich weiter mit sprachkritischen Fragen auseinander.
SAIDs Gedichte faszinieren durch Präzision, Suggestivität und unverbrauchte Bilder. In ihrer subtilen Sondierung emotionaler und gesellschaftspolitischer Vorgänge werden sie wieder sehr viele Leser tief berühren. Wie auch das melancholische, betörende Liebesgedicht, das am Ende des überaus beeindruckenden Lyrikbandes steht:
wenn du aus deinem versteck herauskommst
um mich zu lieben
sind wir dann nicht bewaffnet gegen den tod
mit unseren küssen
und mit der zeit
die auf unseren händen ruht?
Monika Köhn, Südwestrundfunk, 14.7.2010
Said heißt „der Glückliche”, dabei lebt der 1947 im Iran geborene Autor seit der Jugend in Deutschland im Exil. Das allerdings ist ihm längst zur Heimat geworden und noch mehr dessen Sprache. So sehr, dass er seit fast 30 Jahren in ihr auch Prosa, Essays und Theaterstücke verfasst.
Und Lyrik von erstaunlichem Sprachzauber, als nähme gerade er als ,Fremdsprachler‘ die Nuancen und Spannungen zwischen den Wörtern bewusster wahr als die meisten Muttersprachler. So wie jetzt in seinem jüngsten Lyrikband ruf zurück die vögel, wo er fesselt, verwirrt oder aufwühlt mit Sätzen wie „mein tod kennt mich nicht mehr“.
Dann geht er auf Wanderschaft und die Einladung steht auf dem Cover: „die reise begann / wir ließen alles liegen / die narben / und das gedächtnis“. Dabei widmet er sich doch in einer ganzen Reihe der stets in Kleinschreibung gehaltenen Verse Personen. So auch bei „für fuat saka“, einem im Exil lebenden türkischen Sänger, dem die Titelzeile entnommen ist. Und dennoch bleibt er dem Gedanken treu, wenn er das Vergessen beschwört gegen das Gedächtnis „als einziger feind, der mir geblieben ist.“
Bei aller Poesie ist Said gleichwohl engagiert und in seiner rationalen Leidenschaftlichkeit ahnt man seine persische Herkunft. Auf sperrige Weise elegant, geht er zugleich mit tiefem Ernst und spröder Zartheit mit der Sprache um. Der er trotz oder gerade wegen seiner Meisterschaft auch stets misstraut:
und das wort
diese lausige zufallshure
die an unserem mund hängt
um mit jedem
von der treue zu flüstern
Joachim Seng: Atempausen zwischen Flucht und Ankunft
literaturkritik.de, August 2010
Werner Weimar-Mazur: Dreimal für Said
Aveleen Avide interviewt SAID
Maryam Aras: Im Niemandsland, vorläufig für immer
faustkultur.de, 26.6.2017
SAID liest das Gedicht „Manchmal gehen meine Schuhe“ aus beim 2. Hochstadter Stier 2010.
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