SAID: Sei Nacht zu mir

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von SAID: Sei Nacht zu mir

SAID-Sei Nacht zu mir

Es gibt Sternschnuppen,
Geliebte,
die das Leben auswendig lernen.
Später hält man dich
für eine verlorene Paillette.
Der Himmel
will die Zeit vergessen haben,
da du sein Gast warst.

 

 

 

Iran und Deutschland, Politik und Liebe, Heimat und Fremde

sind die thematischen Pole, um die SAIDs Leben und Werk kreist.
Der Gedichtzyklus Sei Nacht zu mir hat sich ganz dem einen Pol verschrieben, dem der Liebe. In ausdrucksstarken, meist kurzen Gedichten und in einer prägnanten Sprache entfaltet SAID die Liebesbeziehungen zwischen dem lyrischen männlichen Ich und seiner Geliebten – eine Beziehung, zu der auch ein namenloser Dritter gehört, der nichts von dieser Liebe weiß und doch hinzutritt. Eine Liebesbeziehung, zwischen deren Beginn und Ende viele Facetten und sinnliche Momente liegen, die der Lyriker meisterhaft in ausdrucksstarken, sensiblen Bildern einfängt. Es sind Gedichte, die den Leser durch ihre große Authenthizität in ihren Bann ziehen.

Verlag C.H. Beck, Klappentext, 1998

 

Charakteristikum des Autors

(abgesehen davon, dass sein Name ein Anagramm von AIDS darstellt) ist seine Existenz als doppelter Exilant: dass es ihm weder unter dem Schah-Regime noch unter den bisherigen Mullahs sinnvoll schien, ein Leben in seinem Ursprungsland Iran zu führen. So lebt er stattdessen in München und hat in Deutschland auch sprachlich (derzeit ist er Präsident des deutschen Pen-Clubs) eine neue Heimat gefunden. Davon kann man sich auch in seinem Zyklus von Liebesgedichten Sei Nacht zu mir überzeugen.

Eine Apfelblüte lang
wehrt sich die Liebe.
Dann welkt sie
in unseren habgierigen Händen.

lautet das 27. Seiner 70 Gedichte, welches man als in der Grundtonart des ganzen Werks geschrieben bezeichnen kann:
illusionsloses Bewusstsein von der Vergänglichkeit alles Seienden gebrochen durch die Macht der Liebe gebrochen durch menschliche Schwächen.
Letztere freilich sind nur angedeutet, in der Form von nicht näher bestimmten Lügen zwischen den Liebenden beispielsweise, oder als leise Töne der Resignation angesichts der letztlichen Unüberwindlichkeit der eigenen Einsamkeit. Als psychische Stärke wiederum kann gelten, dass die Liebenden in keiner Weise versuchen, die Willensfreiheit des anderen zu beschneiden. Selbst als ein nur schematisch skizzierter Dritter erscheint (der aber auch als Teil des lyrischen Ich gedeutet werden kann) und der Geruch der Trennung bereits in der Luft liegt, gibt das Ich agressiven Gefühlen keinen Raum, sondern verwandelt seine Trauer in Segnungen der Geliebten oder allenfalls in rührend-bizarre Wunschbilder.
Der größere Teil der Gedichte aber ist jenen Momenten gewidmet, in denen durch den Zauber der Liebe ein völliges Sichversenken in die Zeitlosigkeit glückt. Man erfährt von Zetteln, auf die die Liebenden ihre geheimen Wünsche schreiben, um dann einen davon mit verbundenen Augen auszusuchen, von fernen Ländern, in die sie reisen, zusammengesetzt aus Kindheitserinnerungen und Zukunftsphantasien. Es gibt Augenblicke, in denen Körper oder Gestik der Geliebten so stark empfunden wird, dass diese Intensität sich gleichsam auf die Natur ausdehnt und in ebenso persönlichen wie überzeugenden Metafern Ausdruck auf dem Papier findet.
Said ist ein Lyriker, bei dem für Leser mit feinem Gehör viele verborgene Schätze der Entdeckung harren.

fritz, sandammeer.at

Laudatio auf den Dichter SAID

− Die Laudatio hielt der Literaturkritiker des mdr, Michael Hametner, anlässlich der Ehrung mit dem Literaturpreis des Freien Deutschen Autorenverbands. –

Lieber SAID! Meine Damen und Herren!
„der islam ist ‚nur‘ sein ausgangspunkt, die poesie sein pfad; das ziel immer die Liebe. Das gilt für alle religionen. Man kann nicht gott lieben, aber seine geschöpfe hassen oder gar töten – im namen desselben gottes. Diese Wahrheit ist seit den tagen von hafis nicht gealtert.“ – So formuliert SAID es in seinem großen Essay über den persischen Dichter Hafis, der das Hauptstück seines neuen Essaybands bildet, erschienen bei DIEDERICHS unter dem Titel Das Niemandsland ist unseres. In diesen vier Sätzen teilt sich sehr viel von der Poetik wie vom Wesen des Mannes mit, an den der Freie Deutsche Autorenverband seinen Literaturpreis vergibt.
SAIDs erstes Buch, das in seinem deutschen Exil 1981 erschien, war ein Band mit Liebesgedichten: Liebesgedichte von SAID. SAID sagt, dass er diesen Band praktisch fertig hatte, als er 1979 nach dem Sturz des Schahs in den Iran eilte – er benutzte das Wort: eilte, nicht etwa fuhr. Zurück in seiner geliebten Heimat erlebte er die große Desillusion: das neue Regime der Ayjatolla unter Chomeini glich in seinen Repressionen, in seinem Terror gegen Andersdenkende dem des Schahs: die alte Diktatur im Iran war nach einer kurzen euphorischen Zwischenphase von einer neuen ersetzt worden, die den Dichter SAID ein zweites Mal heimatlos machte und ihn zurückkehren ließ nach Deutschland, mit der Ahnung, dass es für immer sein würde. Sein zweites Buch, das 1983 in Deutschland erschien, trägt den Titel: Wo ich sterbe ist meine Fremde. Das Wort: Heimat bleibt künftig dem Ort im Kopf vorbehalten, der Erinnerung und das Wort Heimat wird für Sprache gelten: auch für die deutsche Sprache. Das Wort Fremde tritt nach dem gescheiterten Versuch der Rückkehr in die Heimat an die Stelle des Wortes Exil. Wer im Exil ist, hofft auf Rückkehr. Fremde – sagt SAID – ist ein Wort der Dichter, deren Fremdsein an jedem Ort auf dieser Welt sie erst zu Dichtern macht. – SAID hatte 1979, als er nach dem Sturz des Schahs in seine Heimat „eilte“, erleben müssen, dass die Wächter des Islams zwar von Liebe sprachen, aber Gottes Geschöpfe hassten und gar töteten. Wie er schreibt: Im Namen desselben Gottes, den sie vorgeben zu lieben. Im Iran, wo SAID 1947 geboren worden ist, wuchs der Dichter als junger Mann mit den unter dem Schahregime verbotenen Idealen der europäischen Freiheit auf: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit – Ideale, die ihn als jungen Mann nach Europa lockten: 1965 nach München zum Studium. Mit diesem Glauben an die Freiheit konnte er im Iran weder unter der Diktatur des Schahs noch unter der der Ayjatollas bleiben, ohne Angst um sein Leben haben zu müssen. – Man kann nicht bleiben, wo Gott gepriesen wird, aber seine Geschöpfe gehasst werden. „Dort, wo keine Liebe ist, wächst kein Verstehen“, sagt SAID in einem Gespräch mit Wieland Freund, das in dem Band In Deutschland leben publiziert ist. Aber er sagt es als Dichter eigentlich immerfort.
Wir begreifen als Leser und als Bewunderer des dichterischen Werks und der Menschlichkeit von SAID im Kern alles, wenn wir uns an diesen Gedanken halten: „Dort, wo keine Liebe ist, wächst kein Verstehen“. Die Liebe ist der „rote Faden“ seiner Dichtung, wir dürfen sie nur nicht so eng sehen, als die Liebes eines Mannes zu einer Frau: mal ist es die Geliebte, mal ist es die Heimat – aber das Verhältnis des Dichters SAID zur Poesie ist das der Liebe. Im Gegenstand seiner Poesie schließt es Hass, Schmerz, Wut, Trauer, Verzweiflung niemals aus. SAID folgt der Goetheschen Interpretation des Wortes „Dulden“: Dulden heißt beleidigen! SAID duldet nicht, wenn es Unrecht gibt, wo immer auf der Welt es stattfindet. Beispielsweise findet sich seine Unduldsamkeit tief eingeschrieben in seinen „Notizen aus dem Exil“, die 1995 unter dem Titel Der lange Arm der Mullahs als Buch erschienen sind. Das Pseudonym SAID und die Tatsache, dass er lange Zeit, zwar seinen Lesern eine Adresse für das Gespräch mit ihnen anbot, aber es nur ein Postfach war, haben etwas mit Schutz zu tun: vor dem langen Arm der Mullahs. – Dies sei angefügt, wenn ich darauf insistiere, die Liebe als „roten Faden“ seiner Dichtung zu lesen. SAID hat es selbst gesagt, warum die Liebe anwesend ist in seinen Gedichten: „Ich glaube, dass man in der Fremde viel mehr Liebe braucht, als wenn man zuhause ist“. – So spricht ein Dichter. Kein Poet der Beliebigkeit. Er lebt in der Fremde: SAID hat sich als Menschenrechtsbeauftragter des deutschen PEN und als sein Präsident als engagierter Beschützer und Verteidiger all jener gezeigt, denen Freiheit vorenthalten wird. Auch dieses Engagement würdigt der Literaturpreis des Freien Deutschen Autorenverbandes.
Dass SAID seine Annäherung an Hafis in dem gerade erschienen Band Das Niemandsland ist unseres überschreibt mit: „hafis, du entschlüsselst alle geheimnisse“ lässt sich als Hinführung auf die Dichtung von Hafis und SAID verstehen. Natürlich werden wir Dichtung niemals alle Geheimnisse entreißen!
Hören Sie drei Gedichte von SAID. Das Erste aus seinem Band Sei Nacht zu mir von 1998:

Sie sagte nichts
Und gab sich dazu her.
Ich erklärte sie
Zu einer Magnolie
Und bog sie zurecht –
Für meine Hände.
Sie nahm die Huldigung an.

Das Zweite aus Aussenhaut Binnenträume von 2002:

Jeder Ort ist zufällig –
Bis auf deinen mund,
der empfängt
und sich nach einer mündung
ohne splitter sehnt.

Und ein Drittes aus dem aktuellen Lyrikband von SAID, gerade erschienen bei C.H. Beck:

Ruf zurück die Vögel:
Für fuat saka

Ruf zurück die vögel
Sie werden nicht mehr berichten
Vom lehm und unseren gewesenen stunden
Das meer ist eingepackt
Und die sonne ausgezählt
Beides kann man kaufen
Hier
Wo man alles kaufen kann
Bis auf den staub unserer gassen

Ich werde mich nicht auf Gedichtinterpretationen einlassen, über die SAID in einer kleinen Erzählung, „Unterwegs in Deutschland“ heißt sie, sehr ablehnend geschrieben hat. Er las vor einer Schulklasse und bekannte in Anwesenheit der Lehrer den Schülern freimütig: Er halte nichts von Gedichtinterpretationen. – Warum?, wollte da ein Mädchen mit Kopftuch wissen: „ich erkläre, dass es viele Methoden gibt, an ein gedicht heranzugehen; das interpretieren ist die dümmste darunter“. – Ich werde es also unterlassen: Sie nur aufmerksam machen, dass seine Gedichte alles haben, was Gedichte haben können: sie sind direkt und nachdenklich, aphoristisch gedrängt und lyrisch sensibel, sie haben den Ton der Surrealisten und den des melancholischen Moralisten: „Beides kann man kaufen / hier / wo man alles kaufen kann / bis auf den staub unserer gassen“.
Was das große dichterische Werk von SAID eint, ist das Wesen des Dichters selbst. Er formuliert es bezogen auf seine Dichtung so:

Für mich hat das Leben sehr viel mit den Sinnen zu tun und mit Instinkten und wenn ich überhaupt an eine Funktion von Lyrik glaube, dann an die, über die Sinne und über die Instinkte die Welt neu zu definieren… Die Lyrik hat für mich die Aufgabe, die Dinge mit dem Herzen zu sehen.

Und wieder möchte ich die andere Seite hinzufügen, die für SAID keine andere Seite ist: sein Sprechen über die Fremde. Er sagt von sich, dass er kein politischer Dichter sei, sondern ein Augenmensch. Dann muss man für ihn das Politische anders fassen. Natürlich ist SAID ein Autor, der das Vaterland, das ihm eine Diktatur versperrt, unter den Schuhen mit sich schleppt. Natürlich bleibt er wie Hölderlin, über den SAID geschrieben hat, fremd im eigenen Land. Es sind seine, SAIDs Worte, die er für Hölderlin findet: „immer dorthin gehen, wo keine Berührung / möglich ist / ein geborener Flüchtling“. Natürlich trifft immer noch zu, was Luise Rinser im Vorwort des zweiten Buches von SAID Wo ich sterbe ist meine Fremde geschrieben hat: „Seine Wunden sind nicht nur die seinen und seine Gedichte nicht nur jene eines einzelnen Exil-Iraners, sondern all jener, die je ihr Vaterland verlassen mussten.“ Über die Jahre – fast vierzig sind es −, die SAID in Deutschland lebt, hat sich seine Poetik geformt und ihn getragen zu einer, ich sage es bewusst, nicht ohne Vorsicht, ob der Bedeutung dieses Wortes: Weltliteratur: in der die Erfahrungen seines Leben aufgehoben sind zu nicht weniger als zu einem lyrischen Kosmos. Dass es ein Kosmos ist, schrieb schon sein gelegentlicher Disputationspartner Hans Maier, der Katholik und ehemalige bayrische Kultusminister. Maier sagt es über SAIDS Band mit Psalmen so: „In 99 Psalmen lässt SAID Gefühle, Erfahrungen, Stimmungen anklingen, wie sie sich auch in den biblischen Psalmen finden: von Erhebung, Lob, Dank, Begeisterung, Jubel, bis zum Ausdruck der Melancholie, der Klage und Anklage, der Zerknirschung und Verzweiflung, manchmal des Aufschreis und der Lästerung“.
Das ist es, was SAID beherrscht und weshalb sein Hafis-Essay auf bestimmte Weise einen irreführenden Titel trägt: „hafis, du entschlüsselst alle geheimnisse“. SAID glaubt nicht nur an die „Mysterien der menschlichen Seele“ und respektiert sie – er vermag es, diese Mysterien in seiner Dichtung zu berühren, ohne sie im Geringsten zu verletzen. Verstehen heißt ja nichts anderes, als das, was ein anderer ausgesprochen hat, aus sich selbst zu entwickeln – auch in diesem Gedanken steht SAID bei Goethe, dessen nach ihm benannte Medaille: die Goethe-Medaille ihm 2006 verliehen wurde.
Vielleicht am Schluss noch ein Gedanke, wo mir SAID auch eine Haltung einnimmt, die nur ihm gehört. Er ist in seiner Dichtung, die er auf Deutsch schreibt, nicht der Versuchung erlegen, noch deutscher zu werden als die deutschen Dichter. Auf Konkurrenz ist SAID nicht aus. Selbst als Heimatloser besitzt er eine Heimat: die Heimat seiner Kindheit. Und natürlich hat er das Persische, die Sprache seiner Kindheit, bis heute zur Verfügung. Und er sagt: das Persische ergreift mich, zum Deutschen greife ich – so ist es bis heute. Wenn er Fremde sagt, meint er nicht Heimat, aber auch nicht Exil. Es ist unbestreitbar ein Dazwischen, nach 37 Jahren auf der Flucht, liegt der Begriff nahe: das Niemandsland – Das Niemandsland ist unseres, wie der Titel seines Essaybands, der in diesem Frühjahr bei Diederichs erschienen ist, präzise bezeichnet. Von hier aus ist seine Dichtung etwas Einzigartiges, die der Literaturpreis des Freien Deutschen Autorenvereins so berechtigt würdigt. SAID spricht natürlich selbst nicht über das Einzigartige, dafür verhält er sich gegenüber seinem Werk viel zu demütig, beschreibt aber die Lage eines Menschen, der sich im Niemandsland sieht, und meint von ihr, dass sie ihn glücklich mache. Warum? – Ich zitiere SAID aus seinem Essay „ein kind auf der suche nach europa“: „er meint, er sei glücklich, weil sein schritt nicht abgeschlossen sei, weil er provisorisch bleibe, und er sagt, er wolle beiden treu bleiben, jenem licht und dieser sprache. Seither weilt nun das kind in einem zwischenland – zwischen zwei flüssen. Hier der persische, dort der deutsche; jeder stillt einen anderen durst“. So spricht ein Dichter – so spricht SAID. Ich gratuliere zum Literaturpreis des Freien Deutschen Autorenverbands!

Michael Hametscher, fda.de, 2010

 

Werner Weimar-Mazur: Dreimal für Said

 

 

Aveleen Avide interviewt SAID

 

 

Zum 70. Geburtstag des Autors:

Maryam Aras: Im Niemandsland, vorläufig für immer
faustkultur.de, 26.6.2017

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SAID liest das Gedicht „Manchmal gehen meine Schuhe“ aus beim 2. Hochstadter Stier 2010.

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