Sascha Anderson: rosa indica vulgaris

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von Sascha Anderson: rosa indica vulgaris

Anderson/Penck-rosa indica vulgaris

SELBSTBILDNIS VOR DER NATUR

Du, Demokritos’ Weltraum, verlassen vom
aaaaawandernden
aaaaaaaaaLehrer
Als er Dich fand zu Abdera nachdenkend, dem was er
aaaaasah
Ortend die Zeit, Deinen Zins, der Anschauung
aaaaasandiges
aaaaaaaaaLasttier
Licht, das Dich gleich einem Stein ins formende
aaaaaaaaaSchattenreichglüht
Zahlst Du natürlich, und mehr oder weniger wörtlich
aaaaaaaaagenommen
Fürs Weltbild, das Schattenspiel bleibt künstlich gebrochnes
aaaaaaaaaGesetz.

 

 

 

Rosa indica vulgaris, die gemeine Teerose,

eine Rose, deren Blüte von einem noblen Rahmweiß bis zu einer wuchtigen Purpurfarbe geht, insgesamt von einer zarten Statur, aber mit fast geraden, pointiert sitzenden Dornen, in denen ein hellrotes Blut zu zirkulieren scheint. Eine Rose, die im ledrigen Glanz ihrer wie filigrane Verse gearbeiteten Blätter in Rom, in Italien einen wurzelnden, wohlklingenden Kontrapunkt zum schwebenden Licht setzt. Das Gedicht, das die Sprachrose ist, klimmt an einer unbedachten Säule, jener ragenden Ruine der idealen Existenz, die in jedermann zertrümmert zurückliegt, unbedacht. Mit ihrer scharfen und drohenden Kannelierung und ihren heillosen Brüchen wird sie der Poesie die Allegorie für den lebenswichtigen, immanenten Gegensatz im Schönen. Die Säule wird so mit dem Gedicht bedacht.

Ernst August Grimm, Druckhaus Galrev, Ankündigung, 1995

 

Wortgeröll vom Prenzelberg

Mit rosa indica vulgaris legt Sascha Anderson nach längere Zeit wieder einen Gedichtband vor. Von den Angriffen während der ersten großen Stasi-Outing-Welle gegen ihn wohl arg gebeutelt, zog er sich eine Zeitlang nach Italien zurück, ins klassische Bildungsland deutscher Dichter und Philosophen. An klassischen Strukturen, inhaltlich wie sprachlich und formal orientiert er sich auch in seinen neuen Gedichten, die durchaus lesbar und ansprechend, wenn auch manchmal etwas schwerblütig-tiefgründelnd sind. „Elegien“ nennen sich einige Texte. (Die Elegie ist ein antikes Trauer- oder Klagelied mit nicht festgelegtem Inhalt.) immer wieder fließen Erinnerungsbilder ein an italienischen Landschaften, an deren Farbigkeit und Licht, verbunden mit Anspielungen auf historische Örtlichkeiten, Kunstwerke, Philosophie. Wer schon mal in Rom oder Pompeji war, wird natürlich einiges wieder erkennen. Doch dem Autor geht es nicht primär um die poetische Umsetzung von Reiseerlebnissen, vielmehr um das Erinnern überhaupt und die Übersetzung dieser Erinnerungsbilder in eine adäquate Sprachform. Die „rosa indica“ (Botanischer Name der Teerose) steht dabei allegorisch für alles, was den Dichter beschäftigt, angefangen von der Kindheit (hier erfährt der Leser, daß Sascha Anderson ein begnadeter Fußballspieler ist – wer hätte das gedacht?) bis zum römischen Exil. Sehr philosophisch wird es hier, und man kommt um’s tiefere Nachsinnen nicht herum; eine Pflanze als Symbol für „den Gegensatz im Schönen“. Farbe, Licht, Sinnlichkeit, Brüche, Vergänglichkeit, Trauer und was man sonst noch assoziieren mag. Bei alledem ist immer eine gewisse kühle Reserviertheit spürbar, die das Gesagte nie ins Pathetische oder Sentimentale abgleiten lässt.

Susanne Tank, Scheinschlag, 16.3.1995

Andersons Gedichtband rosa indica vulgaris,

der 1994 erschien, läßt sich schwerlich losgelöst von der Stasi-Affäre betrachten. Anderson erhielt im Jahr 1990 ein Arbeitsstipendium für die Villa Massimo in Italien, auf das er nach heftigen Protesten der übrigen Stipendiaten nach seiner Enttarnung als mutmaßlicher IM verzichtete. Er unternahm anschließend auf eigene Faust eine Reise nach Italien. Die Eindrücke dieser Reise verarbeitet Anderson in „Rosa Indica Vulgaris“. Der ständige Bezug auf das Land und die Kultur ist auffällig. Als Beispiel folgendes Gedicht:

GRANDE RACCORDO, ANULARE

aus dem zwischenraum, meiner unbestimmten
körper
losigkeit beginn, gesprochen, frißt sich, gegen den
verkehr, oneway abwärts, mit der wirklich ihrem
tal verschriebnen kurve, wie die alte via
cassia, richtung
ponte milvio, unsre, nicht von ungefähr im norden
orphisch
aufgetankte, doch im widerschein der wolken aus
dem nahen meer
pausenlose farbigkeit. durch die sprache
sind die häuser leicht wie die wege schwer geworden

Die gehäuften Anspielungen auf die Kultur Italiens werden im Anhang von Anderson erläutert, wodurch der ganze Gedichtband den Charakter eines Reiseführers erhält.
rosa indica vulgaris kommt einem Reisetagebuch gleich, einer Art „italienischer Reise“. Die undurchdringliche hermetische Ummantelung seiner Gedichte, wie sie in „Jewish Jetset“ noch vorhanden ist, wird durch die Bilder gemildert, dennoch setzt Anderson weiterhin Zeilenbrüche ein. Anderson entdeckt in der italienischen Kultur eine Sprachlebendigkeit, die er durch landschaftliche Impressionen in seinen Gedichten zu fassen versucht. Das Werk wirkt dadurch insgesamt konventioneller, sanfter, aber auch etwas kulturbürgerlich. Es entfernt sich dadurch von der Expressivität der früheren Werke. Helmut Böttiger in seiner Kritik:

Die verquaste Künstlerpose wird gelegentlich konterkariert von Wortspielen, die wirklich nichts weiter sind als Wortspiele. (…) So steht scheinbar kühner Gedankenschwung neben offenkundigem Nonsens. Es geht nicht um Sprache, um Reflexionen, um Vergegenwärtigung, es geht bloß um Posen.

Der Essay „KURZER TEXT ÜBER KÜNSTLICHES LICHT“, der dem Gedichtband beiliegt, führt die Überlegungen aus „BIN ICH DENN NUR EIN GOTT AUS DER NÄHE UND NICHT AUCH EIN GOTT AUS DER FERNE“ weiter. Rom und Italien werden in diesem Essay als Symbol eines in sich abgeschlossenen Raumes, der zwar auf alles verweist, selbst aber wertneutral ist, beschrieben. Das Gedicht bzw. die Kunst ist die aufbewahrte Erinnerungsspur an das verschwindende eigene Ich, das seinen Ursprung im anderen hat.Die Kunst, die ihren Ursprung im anderen hat, kann eine Kommunikation ermöglichen, die unmittelbarer und tiefer als ein durch gesellschaftliche Konventionen geprägtes Sprechen ist. Anderson schafft hier einen Begriff der Entgrenzung, in der die Kunst die Grenze, die zwischen dem Ich und dem Du steht, überwindet und auflöst.

Sacha Szabo, „Sascha Arschloch“. Verrat der Ästhetik – Ästhetik des Verrats, Tectum Verlag, 2002

 

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Bild von Juliane Duda mit den Übermalungen von C.M.P. Schleime und den Texten von Andreas Koziol aus seinem Bestiarium Literaricum. Hier „Der S.anderson“.

 

Sascha Anderson antwortet auf die Standartfragen von faustkultur.

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