– Zu Volker Brauns Gedicht „Das Eigentum“ aus Rüdiger Mangel, Stefan Schnabel und Peter Staatsmann (Hrsg.): Deutsch in einem anderen Land. –
VOLKER BRAUN
Das Eigentum
Da bin ich noch: mein Land geht in den Westen.
KRIEG DEN HÜTTEN FRIEDE DEN PALÄSTEN.
Ich selber habe ihm den Tritt versetzt.
Es wirft sich weg und seine magre Zierde.
Dem Winter folgt der Sommer der Begierde.
Und ich kann bleiben wo der Pfeffer wächst.
Und unverständlich wird mein ganzer Text.
Was ich niemals besaß wird mir entrissen.
Was ich nicht lebte, werd ich ewig missen.
Die Hoffnung lag im Weg wie eine Falle.
Mein Eigentum, jetzt habt ihrs auf der Kralle.
Wann sag ich wieder mein und meine alle.
Für Volker Braun sei ihm nicht bang, sagte Heiner Müller im Todesjahr der DDR. Der Leidensdruck werde ihm weiterhelfen. Das Gedicht „Das Eigentum“ von 1990 bezeugt es. Trauer mischt sich mit Trotz:
Da bin ich noch.
Und Trotz vereint sich mit Hohn:
KRIEG DEN HÜTTEN FRIEDE DEN PALÄSTEN.
Der „Hessische Landbote“ steht kopf. Das großartige Zitat von 1834 reimt sich unversehens auf das populäre Ziel vor Augen, den Westen, das ungelobte Land. Die sozialistische Flugschrift verkehrt sich zum kapitalistischen Transparent. Der Dichter, der vor drei Jahren öffentlich erklärt hatte, er bleibe im Lande und nähre sich im Osten, weiß nicht mehr, wohin. Sein politischer Ort ist von der Bildfläche verschwunden. Der Vergleich, der ihm einfällt, ruft Shakespeares Monstrum herbei, Gloster, der sein Dasein anbellt, während das befriedete England tanzt:
Nun ward der Winter unsers Mißvergnügens
Glorreicher Sommer durch die Sonne Yorks.
So beginnt der Eingangsmonolog von „Richard dem Dritten“. Bei Volker Braun heißt es glatt:
Dem Winter folgt der Sommer der Begierde.
Er aber könne bleiben, wo der Pfeffer wächst. Auch sein Fall ist ein Drama.
Zwölf Zeilen setzen zwölfmal ein Punktum. Die Feststellungen reihen sich als Provokationen aneinander. Die Frage ist, wer sich als Adressat anbietet. Die verwaiste Bühne ist Arkadiens Antipode, und der poetische Dämon spricht und rechtet wie Richard, der Krüppel, mit sich selber. Denn so, daß er am Exodus schuldlos sei, steht es nicht. Er selber gab seinem Land den Tritt. Aber welchen? War es der entscheidende letzte Stoß oder der kritische Subtext die Jahrzehnte hindurch? Gleichviel. Die Zeile mit der Selbstbezichtigung hebt sich als einzige reimlos hervor. Sie schreit es heraus. Der Dichter gehört mit zu den Tätern. Und nun rächt es sich. Im massenhaften Aufbruch läuft ihm sein Publikum davon, das sein Intimus war. Mit der Zwiesprache ist es aus. Der heimliche Kanon, das Verständigungsritual inner- und unterhalb des Staatsidioms, erlischt mit dem Auslöschen der Deutschen Demokratischen Republik:
Und unverständlich wird mein ganzer Text.
Ein Opus aus Signalen, die niemand mehr entziffert? Verheißungen, die nicht wahr geworden sind, aufgehoben in einem Idiom, das keiner mehr kennt? Ein Lebenswerk für die Katz? Wir hoffen es nicht.
Indessen spricht Volker Braun von der Hoffnung im Imperfekt. Sie „lag im Weg wie eine Falle“. Das Bild gibt Rätsel auf. Womöglich war die Hoffnung selber trügerisch, oder sie wurde verkannt: ein Wesen, auf das man hereinfiel, oder eines, in dem man sich irrte. Jedenfalls handelte es sich um die Größe, mit der sich der Dichter identifiziert. Sie gehörte ihm und ging ihm verloren. Hoffnungslos steht er nun den Eroberern gegenüber:
Mein Eigentum, jetzt habt ihrs auf der Kralle.
Der Schlußvers verwandelt die Frage, die er stellt, in ein Bekenntnis. Es klingt wie ein Manifest:
Wann sag ich wieder mein und meine alle.
Das Gedicht schwört, wenn nicht alles täuscht, über die Gegenwart hinweg auf das Ziel, das der sozialistische Staat proklamierte und verfehlte. Im Moment der Offenbarung bekommt es der Leser mit seinen eigenen Zweifeln zu tun. Hat Volker Braun jemals uns alle in sein Mein einbezogen? Auch er genießt, wie Heiner Müller es selbst- und schuldbewußt von sich sagte, seine Privilegien. Und sei es das Vorrecht, seinen Verlust mit einer Könnerschaft zu betrauern, die nichts zu wünschen übrigläßt.
Sibylle Wirsing, aus Marcel Reich-Ranicki (Hrsg.): Frankfurter Anthologie. Fünfzehnter Band, Insel Verlag, 1992
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