FÜR JOSEPH CORNELL
I.
Der Erwachsene wirkt eingeklammert
Durch die schmale doppelte Scheibe
Und die zerzausten Blüten des Frosts.
Dahinter, in einer Apotheker Ampulle, ist
Eine violette Feder und drei blaue Perlen.
Sie bewachen die Karte der Sternenbilder:
Ein Guckloch in unsrer Kosmologie,
Wo die Medici Prinzessin in Seifenblasen badet,
Die nicht fortfliegen, sondern über Wasser bleiben
aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaafür immer
Wie Murmeln.
„It is a tiny thing a book I still like and care about“ sagt Siri Hustvedt über ihre allererste Veröffentlichung, ein schmales Buch mit Gedichten und Prosagedichten, das 1983 in New York erschienen ist. Eine poetische Bestandsaufnahme ihres jungen Lebens von Orten, Menschen, Liebes- und Familiengeschichten und eine Hommage an den amerikanischen Künstler Joseph Cornell. Der Ton ihrer frühen Gedichte ist der einer Erzählerin. Sie folgt einer Traumlogik, entwirft Kindheits- und Erinnerungsmuster als eine Landschaft, in denen sich die Orte ihrer Kindheit – Minnesota, Norwegen und von Reisen nach Asien – gleichsam surreal wie in geologischen Formationen übereinander schichten. Viele der Motive tauchen in ihren Romanen wieder auf. Mit der Traumlogik selbst beschäftigt sie sich, inzwischen explizit. In dem Essay „Auszüge aus einer Geschichte des verwundeten Selbst“ (Being a Man, Essays, Deutsch von Uli Aumüller, Reinbek 2006) schreibt sie über ihre erste Veröffentlichung:
Als ich endlich ein Gedicht verfasste, das mir gefiel, schickte ich es der Paris Review, und zu meinem Erstaunen wurde es angenommen und veröffentlicht. … Und ich setzte mich in meiner Wohnung in der 109th Street an meine blaue Schreibmaschine und schrieb frei, und beim Schreiben erinnerte ich mich an Vergessenes. Ich erinnerte das gelbe Papier, das mein Vater seinen Mädchen gab, wenn er uns mitnahm in die Historical Association, wo er an seinem Schreibtisch arbeitete, während wir auf dem Fußboden malten. Familiengeschichten fielen mir wieder ein – Bruchstücke meines Lebens, das ich hinter mir gelassen hatte. Ich entdeckte Muster, Wiederholungen – eine Form tauchte auf, die ich vorher nie hätte erfinden können. Etwas war in mir aufgebrochen und ich schrieb wie eine Besessene. Als ich schlafen ging waren dreißig Seiten aus mir herausgeflossen. Drei Monate lang schrieb ich diese Seiten immer wieder um in ein Prosagedicht. Es war das Beste, was ich je gemacht hatte. Danach schrieb ich nie wieder Lyrik.
Witzigerweise übersetzte ich Hustvedts Gedichte zum Vorlesen für ein Hörbuch, das 2009 im Hoffmann und Campe Verlag herauskam. Ich suchte den „Sound“, denn zum Vorlesen muss es ja klingen. Die verflixte Amibiguität der Poesie machte mir Kopfzerbrechen. Bei der Tonaufnahme im Studio hörte ich sie schließlich selbst ihre Gedichte vorlesen. „Ist es nicht zu monoton?“ fragte sie. Nein, gar nicht monoton, aber traumwandlerisch. Und wie im Traum bricht der Schrecken ins vermeintliche Idyll, das ihr ebenso suspekt ist wie es Jane Austen war.
Brigitte Landes, Gutleut Verlag, Klappentext, 2012
ist primär als Romanautorin und Essayistin bekannt. Und nun dieser Gedichtband. Rückblende: Am 16. Juni 1982 heiratet Siri Hustvedt den zu jener Zeit noch recht unbekannten und ausschließlich durch Publikation eigener oder übersetzter Gedichte in Erscheinung getretenen Schriftsteller Paul Auster. Im gleichen Jahr veröffentlicht dieser sein Memoir The Invention of Solitude (dtsch. Die Erfindung der Einsamkeit, 1993). 1983 veröffentlicht Siri Hustvedt den Gedichtband Reading to you. Danach übersetzt sie in Teilen eine Monographie über Dostojewski aus dem Norwegischen, ist an einem dreibändigen Werk mit dem Titel Fragments for a History of the Human Body beteiligt, und schreibt ihre Dissertation „Figures of Dust: A Reading of ,Our Mutual Friend‘.
Nach den ersten drei Romanen Die unsichtbare Frau (1993, im Original The Blindfold, 1992), Die Verzauberung der Lily Dahl (1997, i.O. The Enchantment of Lily Dahl, 1996) und Was ich liebte (2003, i.O. What I loved, 2003) erlosch mein Interesse an den literarischen Abstrichen der Autorin Siri Hustvedt. Und jetzt dies.
Eine bilinguale Ausgabe, denn die Originale finden sich auf der Innenseite des Umschlags nebst Bio- und Bibliografien der Autorin und der Übersetzerin. Dich lesend, „ … die Tochter eines bestimmten Mannes mit derselben Nase, Schrift und Nerven.“ Dir vorlesend, „aber ich erinnere mich an ihre Finger, leicht wie ein Insekt auf meinem Rücken, bevor wir einschliefen.“ Es sind seltsam einfache Zeichen und Zeilen, stimmig in sich und durchgearbeitet: „Mach das Licht aus, damit ich dein Gesicht nicht sehen kann.“ Und man weiss nicht, was ist Zitat, was zutiefst gebunden, was zu dick (aufgetragen), aber dann schon wieder so eine Einzelzeile: „Seltsam, sich vorzustellen, dass Unendlichkeit sechs Seiten hat.“ Dieses schmale Werk ist 30 Jahre alt. Superb ins Deutsche gehoben von Brigitte Landes, und dem Gutleut Verlag sei Dank.
Saskia Trebing: Die Verzauberung der S. H.
monopol, 19.2.2020
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