DICHTERLOS IN KAMTSCHATKA
Geduld, Poet, und nicht gemuckst!
So heißt die Pille, die du schluckst.
Entsagung, in der Ecke stehn,
Von jedem Laffen falsch gesehn.
Dein Volk, wenn dich Diät geplagt,
Hat dir, wie stets, das Brot versagt.
Verzweiflung, und noch obendrein
Verlacht, verhöhnt, verspottet sein.
„Das Publikum, das Publikum!“
Ja, hat sich was mit Publikum.
„Der Kritikus, der Kritikus!“
Na, das ist erst der Hochgenuß.
„Der Nachruhm bringt dir manchen Toast!“
Nun wahrlich, auch ein schöner Trost.
„Der Dichter ist ein König traun.“
Er ist im Vaterland der Clown.
Vielleicht nach hundert Jahren Schicht
Zieht ein Professor dich ans Licht.
Und hin und her wird dann geredt,
Und du wirst um und um gedreht
Viel Lärm, Bumbum, Radau, Juchhei:
Im Sarg ist alles einerlei.
Und ob die Welt dich dann zerreißt.
Ob die Nation als Gott dich preist:
Ganz gleich, der Wurm hat rund und rein
Dich längst poliert im schwarzen Schrein.
Wir fragen, wo dein Hügel steht;
Der ist versunken und verweht.
Was geht’s dich an, was soll der Quark,
Fehlt dir des Lebens Milch und Mark.
Das sind des Dichters ewige Qualen
Im großen Reich der Kamtschatkalen.
Detlev von Liliencron
I
Wer nur ein bißchen zu Verschwörungstheorien neigt, könnte leicht zu dem Schluß gelangen, gegen die komische Poesie deutscher Sprache sei seit geraumer Zeit ein finsteres Komplott im Gange. Wie anders wäre zu erklären, daß ausgerechnet die Sachwalter des lyrisch-literarischen Erbes das komische Gedicht wie ein Stiefkind der Poesie behandeln? Gemeint sind jene Herren (nur selten sind es Frauen), die es sich zur Aufgabe gemacht haben, die poetischen Bestände zu sichten und zu sieben: die Anthologisten. Wie es kommt, daß gerade sie, die doch eigentlich zu väterlicher Objektivität verpflichtet sind, das Heitere, Gewitzte, scharfsinnig Pointierte eifrig marginalisieren, ist ein scheinbar unlösbares Rätsel. Wenn dabei keine Verschwörung am Werk ist, dann zumindest Ignoranz in erstaunlichem Ausmaß und von geradezu erschütternder Hartnäckigkeit.
Vor mehr als hundertfünfzig Jahren gab der Publizist und Literarhistoriker Theodor Echtermeyer erstmals seine Auswahl deutscher Gedichte von den Anfängen bis zur Gegenwart heraus. Der Band war, wie der Untertitel vermerkt, „für den Gebrauch an höheren Schulen“ bestimmt. Genau dort wirkt „der Echtermeyer“ seitdem in hunderttausendfacher Verbreitung sowie in den Bearbeitungen diverser Neugestalter, die Echtermeyers Auswahl aktualisiert und dem jeweiligen Zeitgeschmack angepaßt haben. Die entnazifizierte Nachkriegsfassung erschien im Jahr 1955 unter Federführung Benno von Wieses und wird bis heute mit leichten Veränderungen nachgedruckt. Wie ist es dann um die komische Dichtung bestellt? Wählen wir probehalber drei Dichter, die der (absichtsvollen) Komik in hohem Maße unverdächtig sind, und stellen ihnen drei Kollegen gegenüber, die ebenso unumstritten als Klassiker der (beabsichtigten) komischen Poesie gelten können. Nehmen wir also Stefan George, Rainer Maria Rilke und Hugo von Hofmannsthal einerseits (Team A) sowie Wilhelm Busch, Christian Morgenstern und Joachim Ringelnatz andererseits (Team B). Das Ergebnis im Echtermeyer/von Wiese läßt an Klarheit nichts zu wünschen übrig: Während Team A mit dreiunddreißig teils seitenlangen Gedichten vertreten ist, kommt Team B in gerade mal sieben Gedichten zum Zug. Einzig Wilhelm Busch wird aus dem Trio der Komiker mehr als eine Druckseite eingeräumt – sechsmal weniger als Stefan George, der sieben angefangene Druckseiten zum Echtermeyer/von Wiese beisteuert und damit in Team A den dritten Platz hinter Hofmannsthal (neun Seiten) und Rilke (elf Seiten) belegt.
Da Anthologien ihrem Wesen nach durch Auswahl und Gewichtung wirken, könnte man schlußfolgern, daß laut Echtermeyer/von Wiese die ernste Dichtung den Deutschen etwa fünfmal wichtiger sei als ihr Bestand an komischer Poesie. So jedenfalls hat es der Band seit 1955 ungezählten Schülerinnen und Schülern höherer Schulen vermittelt. Richtig? Falsch, es kommt noch schlimmer. Denn zur Lyrik einer Sprache, eines Landes tragen ja nicht nur Leitfiguren wie die sechs Genannten bei. Auch weniger populäre (und weniger leicht einzuordnende) Dichter spielen mit.
Ein Blick in die zweite Liga erhärtet und verschärft den betrüblichen Befund. So sind Hans Carossa, Oskar Loerke und Theodor Däubler als vorwiegend im ernsten Fach arbeitende Kräfte samt und sonders mit kleineren Werkproben vertreten. Weniger schön ist, daß man ihre gern und regelmäßig im komischen Fach arbeitenden Kollegen Frank Wedekind, Otto Julius Bierbaum und Erich Mühsam im Echtermeyer/von Wiese völlig vergeblich sucht.
Und nicht nur dort. Als Karl Krolow im Jahr 1982 seine zweibändige Sammlung Deutsche Gedichte bei Insel herausbrachte, signalisierte schon der Titel den hochgemuten Anspruch auf die Nachfolge Echtermeyers. Doch was die Ignoranz gegenüber komischer Poesie angeht, konnte Krolow den Vorgänger sogar noch übertreffen. So hatte der Herausgeber kein einziges Gedicht des komischen Klassikers Joachim Ringelnatz aufgenommen. Während sich Rilke in Krolows Deutschen Gedichten über 17 Seiten erstreckte, war der gewichtige Wilhelm Busch auf gerade mal eine halbe Seite zusammengeschnurrt. In der zweiten Liga bot sich das gleiche klägliche Bild wie beim Vorgänger: Carossa, Loerke, Däubler: jajaja. Wedekind, Bierbaum, Mühsam: neinneinnein.
Gottlob ist auch von anderen Herausgebern zu berichten. Von Ludwig Reiner etwa, dessen im Jahr 1955 erschienenes Hausbuch Der ewige Brunnen ganz ohne falsch verstandenen volksbildenden Ehrgeiz auftritt. Folglich räumt Reiner dem komischen Klassiker Busch genausoviel Platz ein wie dem klassischen Ernstmacher Hofmannsthal. Dennoch kennt Der ewige Brunnen weder Mühsam noch Wedekind und traut sich (mit einem Kapiteltitel zu sprechen) gerade mal, „Ein wenig Spott“ zu verbreiten. Noch als Karl Otto Conradys Großes Deutsches Gedichtbuch im Jahr 1977 erstmals erschien, unterlag Team B. Immerhin waren hinsichtlich des Seitenumfanges mittlerweile deutliche Punktgewinne gegenüber Team A zu verzeichnen – 34:57; ein Ergebnis, das sich in späteren Neuausgaben des pluralistischen „Conrady“ noch verbessern sollte.
Dennoch bleibt festzuhalten: Die komischen Dichter deutscher Sprache hatten und haben es schwer, sich gegenüber ihren Kollegen von der ernsten Abteilung zu behaupten. Komische Klassiker unterliegen den Klassikern des Ernstes. Weniger bekannte Komiker werden völlig ignoriert. Nicht zuletzt wird die komische Seite als „ernst“ etikettierter Dichter verkannt. Im Fall Lessings oder Goethes ist den einschlägigen Anthologien oft kaum zu entnehmen, daß diese Schriftsteller die deutsche Dichtung um bemerkenswert ausgelassene Verse bereichert haben. Einer ähnlichen Einäugigkeit dürfte anzulasten sein, daß der Naturalist Arno Holz stets mit Proben aus seinem nur allzu ernst gemeinten Phantasus figuriert, jedoch fast nie mit den komischen Glanzstücken seiner sonstigen Produktion.
Das aber bringt uns zur Ursache der Misere: dem seltsamen Begriff, den sich deutsche Anthologisten, Volksbildner und Pädagogen vom Wesen der Komik machen. Typisch erscheint in dieser Hinsicht das Zitat eines früheren Heine-Editors. In seiner Einleitung zur zehnbändigen Heine-Ausgabe im Insel Verlag schreibt Oskar Walzel im Jahr 1911:
Die humoristische Form verdeckt oft den Gedankengehalt in Heines Äußerungen.
Das ist freundlich gemeint und in vermittelnder Absicht gesagt. Faktisch kommt es einem Totalverriß der Stilmittel Heines gleich. Folgt man Walzeis Argumentation, besteht die Aufgabe des geneigten Heine-Lesers darin, hinter den humoristischen Deckmantel zu schauen, den der Autor über sein Werk gebreitet hat. Erst dort werde er, laut Walzel, dessen ansichtig, was Heine eigentlich zu sagen beabsichtigte. Der Schriftsteller figuriert in diesem Porträt mit Deckmantel als rechter Tölpel. Er hat zwar etwas mitzuteilen, weiß aber nicht, wie.
Unnötig zu sagen, daß es sich so nicht verhält. Tatsächlich trifft genau das Gegenteil zu: Das, was hier unscharf als „humoristische Form“ bezeichnet wird, ist der passende Ausdruck dessen, was Walzel den „Gedankengehalt“ nennt. Komik steht ernstzunehmender Erkenntnis und deren Vermittlung ja nicht im Weg. Oft ist sie, im Gegenteil, deren schärfstes und treffendstes Ausdrucksmittel. Gelacht wird bekanntlich nicht nur über Harmlos-Heiteres. Weitaus schärfer lachen wir angesichts der pointierten Darstellung des verdeckt Widersprüchlichen, der schamlosen Benennung des verschämt Verschwiegenen, der hemmungslosen Aufdeckung des von interessierter Seite Vertuschten.
Die mit komischen Mitteln arbeitende Form wird dem Gegenstand eines Gedichtes also keineswegs übergestülpt. Sie entsteht vielmehr aus der klaren Benennung genau beobachteter Widersprüche. Sie „verdeckt“ nicht „den Gedankengehalt“, sie paßt sich ihm an wie ein gut gearbeiteter Handschuh. Und sie deckt die Kluft auf zwischen dem, was tatsächlich ist, und dem, was eigentlich oder angeblich sein sollte. „Humor“ und der von ihm abgeleitete „Humorismus“ sind dafür freilich nicht eben die glücklichsten Begriffe, wie ein Blick in Wahrigs Wörterbuch zeigt. Dort wird mit „Humor“ eine „heitere seelische Grundhaltung“ bezeichnet, ferner die „Fähigkeit, auch die Schattenseiten des Lebens mit heiterer Gelassenheit zu betrachten“.
Nichts gegen Gelassenheit. Zu beneiden sind all jene, die sich ihrer dauerhaft erfreuen dürfen. Heinrich Heine zählte bekanntlich nicht zu ihnen. Spöttische Polemik und beißende Ironie spielen in seinem Werk eine weitaus größere Rolle als die beruhigte Weltwahrnehmung des Humoristen. Letztlich widerspricht die schöne Idee von der humoristischen Abgeklärtheit einer grundlegenden Erfahrung mit der Produktion von Poesie: Wer mit sich und der Welt ganz im reinen ist, der schreibt schwerlich Gedichte (zumindest solche, die über die üblichen familiären Anlässe hinausgehen). So gesehen, hatte Heine nur wenig Humor. Heine hatte Witz.
„Witz“ zu haben, heißt, das Lächerliche im vorgeblich Bedeutsamen erkennen zu können. Als „Witz“ bezeichnen wir außerdem die Fähigkeit, schnell und geistesgegenwärtig zu antworten, ergänzt und sekundiert von der Gabe, von den eigenen Lebensumständen und Befindlichkeiten zu abstrahieren. „Witz“ im Sinne solch intellektueller Gewitztheit ist nichts Geringeres als die geistige Münze des aufgeklärten Weltbürgers. Diese aufklärerische Seite der Komik zeigt sich nicht zuletzt im Doppelsinn des Wortes, dessen Ausdrucksspanne keineswegs auf das Erzählen lustiger Begebenheiten in geselliger Runde beschränkt ist.
Das englische „wit“ erfaßt die doppelte Bedeutung noch genauer: Im Singular benennt es den uns vertrauten „Witz“ im Sinne der Schlagfertigkeit (der sich im Englischen praktischerweise nicht mit der lustigen Erzählung namens „joke“ verwechseln läßt); im Plural heißt es „Verstand“. Ähnlich verhielt es sich einst im Deutschen. „Seine Rede sprüht von Geist und Witz“ ist eine Wendung, die sich aus solch besseren Zeiten erhalten hat. Heute finden sich in Wahrigs Wörterbuch unter dem Eintrag „Witz“ zwar noch Bedeutungsvorschläge wie „Gescheitheit, Findigkeit, Schlauheit“; doch davor steht jenes Kreuz, das auf Friedhöfen wie im Diktionär nach altem Brauch die letzte Ruhestätte markiert. Anders als die Engländer haben wir Deutsche in unserem Sprachgebrauch offenbar jenen Witz zu Grabe getragen, der aus Gescheitheit, Findigkeit, Schlauheit erwächst. Der Verdacht, wir hätten es dabei mit einem Akt von beachtlicher Grausamkeit zu tun, wird durch die Tatsache erhärtet, daß die etymologische Ahne von „Witz“ genau das meint, was unserem heutigen Witz fehlt: Das Althochdeutsche „wizzi“ bedeutet laut Wahrig „Wissen, Verstand, Klugheit, Weisheit“.
In einem noch nicht völlig ausgestorbenen Wort wie „Gewitztheit“ hat der ungeliebte Geisteswitz einstweilen überlebt. Überlebt hat er zum Glück auch in einer Fülle komischer Gedichte. Es ist kein Zufall, daß komische Poesie den Bestrebungen der Pädagogen und Literaturapostel zum Trotz zu allen Zeiten geschrieben wurde und sich im Untergrund des kulturellen Bewußtseins hartnäckig am Leben erhalten hat. Denn keine andere literarische Gattung eignet sich so gut zur Vermittlung pointiert zugespitzter Erkenntnis wie das Gedicht: Es ist kurz, es verfügt über ein reichhaltiges Arsenal an sprachlichen Suggestivtechniken, und es besitzt im Reim ein Stilmittel, dem von Haus aus eine gewisse latente Komik anhaftet. Unter diesen Umständen grenzt es an ein Wunder, daß die Komik in der Lyrik nicht einen ähnlich hohen Stellenwert einnimmt wie etwa die Komödie in der Dramatik.
Wache Verstandesschärfe und analytischer Durchblick galten der Literaturwissenschaft jedoch spätestens seit der Romantik als unpoetisch. In den Gattungspoetiken figuriert das „Subjektive“ meist als das eigentlich Lyrische. Das „Objektive“ wird hingegen gern in den Zuständigkeitsbereich des Dramas verwiesen. Lyriktheorie als Aufforderung zum Abschalten des Verstandes beim Dichten? Gern wird in dieser Lesart übersehen, daß zwei namhafte Gattungspoetiker wie Goethe und August Wilhelm Schlegel die Vermischung der Gattungen durchaus befürwortet haben. Was doch wohl heißen dürfte, daß auch beim Dichten ein bißchen um Objektivität bemühtes Verstandeswalten erlaubt, zumindest aber subjektives Denken nicht verboten sei.
Die Literaturwissenschaft hat solche Einsichten gern ignoriert, und das mit einer Sturheit, die ihrerseits komische, wenn nicht gar lachhafte Züge trägt. Ausgerechnet das gewitzte Dichten wurde oft und gern in den Bereich der verminderten Zurechnungsfähigkeit verwiesen. Einer, der es wissen mußte, schrieb einmal an einen Redakteur:
Ich habe nur eine Bitte: Sollte (was ja immerhin möglich wäre) in Ihrem Aufsatz das Wort Blödsinn oder Stumpfsinn, wenn auch noch so glänzend epithetiert, Vorkommen, so ersetzen sie es meinethalben durch Wahnwitz oder Tollheit oder dergleichen; da Sie es wahrlich begreifen werden, daß es auf die Dauer nicht angeht, einen Humor, dessen vielleicht einziger Vorzug gerade in einer gewissen Art von Geistigkeit, von Helligkeit und Schnelligkeit besteht, mit diesen zwei üblen deutschen Philister- und Bierbankausdrücken, in denen sich, wie Sie hieraus erraten, die Mehrzahl meiner ,Kritik‘ gefällt, abzustempeln. (…) Es kann von Unsinn nirgends die Rede sein (…). Jedes Gedicht hat Hand und Fuß, man muß sich nur die Mühe nehmen, sich in die Grundsituation zu versetzen.
Christian Morgenstern war es, der im Jahr 1910 seinen Namenszug unter diese Zeilen setzte. Sie sind heute so wahr wie am Tag ihrer Niederschrift. Wie schwer es der Witz hat, der aus „einer gewissen Art von Geistigkeit“ entsteht, zeigt ein Blick in die mit schöner Regelmäßigkeit erscheinenden Sammlungen als „komisch“ deklarierter Gedichte. „Unsinnpoesie“, „Lyrische Scherzartikel“ und „Nonsensverse“ lauten die Titel beziehungsweise Untertitel einiger in den letzten Jahrzehnten erschienenen Anthologien. Sic zeigen Dichter am liebsten im Zustand weltentrückter Regression. Daneben blühen gleichermaßen schnell wie kenntnisarm zusammengestoppelte Abgreifprodukte des Literaturmarktes, deren Geleitworte um so blumiger tönen, je welker die Blütenlese des jeweiligen Pflückers ausgefallen ist.
Jüngst etwa behauptete der Herausgeber eines unfrischen Sträußleins lustiger Lyrik, der „epigrammatische ,Witz‘ klügelnder Galane des 17. und 18. Jahrhunderts“ und der schopenhauerisch geprägte Humor des 19. Jahrhunderts „erreichen uns nicht mehr“. Wenn herausragende Epigrammatiker wie Logau, Lessing, August Wilhelm Schlegel und Goethe en passant zu „klügelnden Galanen“ erklärt werden, wenn den an Schopenhauer geschulten Pointen eines Busch und Fontane beiläufig Lebewohl gewunken wird, dann ist in der Tat kein Platz für jenen Witz, der aus Geistesschärfe kommt. Dann bleibt wenig mehr als die infantile Häme, die sich an der angeblich unfreiwilligen Komik eines Barockgedichtes ergötzt und dabei doch nur – äußerst unfreiwillig – die Enge des eigenen Horizonts vorführt
Jedes gelungene komische Gedicht hat, mit Morgenstern zu sprechen, „Hand und Fuß“. Anders als sein Kollege vom ernsten Fach kann sich der mit komischen Mitteln arbeitende Lyriker nämlich keinen Rückzug ins „kaum Sagbare“ erlauben. Dort, wo er undeutlich spricht, verschwommen salbadert und dunkel raunt, verpufft sein Witz im Nichts. Komische Gedichte sind deshalb immer nachprüfbar. Das Lachen (wahlweise Lächeln, Grinsen oder Kichern) ihrer Leser und Hörer ist der Gradmesser ihres Gelingens. Kein kühner Exeget wird mit unscharfen Begriffen wie „luzide Dunkelheit“ oder „sprechender Hermetismus“ zur Ehrenrettung eines komisch gemeinten Gedichtes antreten, das niemandem ein Lächeln entlockt.
Doch komische Gedichte haben nicht nur „Hand und Fuß“. Nicht selten haben sie auch ein reiches Innenleben, das der Bildwelt dieses Rilkesonetts oder jener Hofmannsthal-Terzinen an subtiler Facettierung in nichts nachsteht – Morgenstern ist dafür ein ausgezeichnetes Beispiel. Ähnliches gilt für den bisweilen verstörenden Witz eines Joachim Ringelnatz, Paul Scheerbart, Erich Mühsam, Günter Bruno Fuchs oder Ror Wolf. Überhaupt fällt auf, daß viele der haltbarsten komischen Gedichte des zwanzigsten Jahrhunderts auf einem Untergrund aus Verzweiflung, Schrecken und Gewalt gedeihen. In seinem Gedicht „Der Komiker“ hat Joachim Ringelnatz aus dieser Erkenntnis den Ansatz zu einer irritierenden Poetik der Komik entwickelt.
Am stärksten wirkt das komische Gedicht also offenbar dort, wo es einen unglücklichen Anlaß in das freudige Ereignis eines Lachens verwandelt. Das hat auch etwas mit Taktgefühl zu tun. Wer andere nicht gern mit privatem Elend behelligt, tut gut daran, sein Gedicht von den Schlacken des Privaten zu befreien. Sowohl die Komik als auch das Gedicht ermöglichen es, das schwer zu Sagende, weil allzu Persönliche, sagbar zu machen. Allerdings nicht, indem dieses Persönliche im Sinn einer über den „Gedankengehalt“ gestülpten „humoristischen Form“ kaschiert wird, sondern indem sein überpersönlicher, uns alle betreffender Gehalt freigelegt wird. Deshalb wohl gehen komische Dichter mit ihren depressiven und egomanischen Anwandlungen sehr viel schärfer ins Gericht als ihre Kollegen vom ernsten Fach. Deshalb auch beziehen sie ungleich klarer Stellung zu den Irrläufen ihrer Zeit. Weil es sich in weit höherem Maß als das subjektiv „leidende“ Gedicht der Klarheit und Selbstklärung verpflichtet weiß, liefert das komische Gedicht im Idealfall die Mittel zur Überwindung der Misere, die es schildert.
II
Diese Anthologie versteht sich als umfassende Gegendarstellung zum lückenhaften Lyrik- und Komikbegriff landläufiger Anthologien. Ihr Schwerpunkt liegt auf der aufgeklärten Komik der überraschenden Erkenntnis, des gepfefferten Widerspruchs, der schwarzen Groteske, des beißenden Spottes, der lakonischen Einsicht, des weltläufigen Witzes. Erfrischende Drastik ist ihr im Zweifelsfall lieber als das umständliche Rumoren der Harmlosigkeit. Komischen Gedichten, die schnell und unmißverständlich zur Sache kommen, gibt sie den Vorzug vor breit ausgewalzten „lustigen Begebenheiten“. Ferner schätzt sie Gedichte, deren Handhabung der lyrischen Form der Komik des Einfalls ebenbürtig ist.
Ungefähr hunderttausend Seiten deutschsprachiger Lyrik wurden zu diesem Zweck gesichtet und auf komischen, heiteren oder gewitzten Gehalt überprüft. Das lyrische Werk von rund zweihundertfünfzig Dichterinnen und Dichtern wurde zumeist in Gänze, mindestens aber in repräsentativer Auswahl berücksichtigt. Zu suchen war auch an entlegener Stelle: in Werkausgaben des neunzehnten Jahrhunderts, in Faksimiles von Luxusbüchern des achtzehnten und siebzehnten Jahrhunderts, in Nachlaßeditionen. Übrig blieben rund 870 Gedichte von mehr als 200 Autoren.
Wie nicht anders zu erwarten, erwies sich die Polarität von Ernst und Scherz als eine Schimäre, ein vermutlich von chronischen Ernstlingen ausgestreutes Gerücht. Meist stehen sich diese diffusen Größen nicht als unversöhnliche Kontrahenten gegenüber, sondern gehen Hand in Hand wie ein altes Ehepaar, das seine Streitigkeiten längst begraben hat. Keinesfalls will jedes der hier abgedruckten Gedichte brüllendes Gelächter hervorrufen: Der Witz der Weitläufigkeit kommt oft mit einem Lächeln aus. Es sollte auch niemanden verwundern, daß auf diesen Seiten Gedichte zu finden sind, in denen Wörter wie „Tod“, „Angst“ oder „Krieg“ eine wichtige Rolle spielen. Dahinter steht die Auffassung, daß Komik als Mittel der Weltwahrnehmung keine Zuständigkeitsgrenzen kennt.
Entscheidend für die Aufnahme eines Gedichtes war, daß es sich komischer Stilmittel bewußt und in prägendem Ausmaß bedient. Unfreiwillige Komik blieb folglich unberücksichtigt. Weil sie sich nicht primär aus dem Gedicht selbst, sondern aus dessen literaturwissenschaftlicher Interpretation speist, haftet ihr der Ruch der Fachidiotie, des Insider-Jokus an. Wo Bäcker- und Klempnerwitze außen vor bleiben mußten, ist nicht einzusehen, daß Germanistenwitze eine Ausnahme bilden. Wer einen Sinn für verrutschte Größe hat, findet ohnehin Dutzende von Beispielen in den eingangs erwähnten Anthologien.
Aus ähnlichen Erwägungen verbot sich eine Anordnung der Gedichte nach Kategorien der literarischen Komik (Literaturparodien, Satiren, Fabeln und so fort). Zum einen widerspricht eine solche Anordnung der Rezeption von Komik: Wer lacht, der lacht nicht nach Kategorien. Zum anderen steht sie in Widerspruch zum Wesen komischer Gedichte: Es liegt in ihrer Natur, daß sic Gewißheiten in Frage stellen und der schönen Theorie die schnöde Lebenspraxis entgegenhalten. Die schwankenden Gewißheiten der Komiktheoretiker bilden da keine Ausnahme.
Ein vierhundert Jahre altes Gedicht kann uns heute so frisch ansehen, als ob es gestern geschrieben worden wäre. Umgekehrt kann der letzte Schrei von neulich heute nur noch als mattes Röcheln vernehmbar sein. Diese Sammlung enthält Gedichte, die unserer Meinung nach den Test der Zeit bestanden haben und einen zeitgenössischen Leser ohne größere Umwege erreichen – unabhängig vom Zeitpunkt ihrer Entstehung. Lachen als historisches Phänomen spielt in diesem Buch keine Rolle.
Die chronologische Anordnung scheidet damit als Strukturprinzip aus. Sie hat ihre unstrittigen Vorzüge dort, wo es um die historische Verortung von Literatur geht. Da steht nebeneinander, was zeitlich zusammengehört: Dichterschulen, Stilmerkmale verschiedener Epochen, auch die Entwicklungslinien im Werk einzelner Dichter lassen sich in diesem Schema gut darstellen. Oft steht aber auch bloß nebeneinander, was außer dem zeitlichen keinerlei weiteren Zusammenhang aufweist. Wir glauben, daß Gedichte Individualisten sind. Diejenigen, die sich bis heute frisch erhalten haben, gehen niemals ganz in Zeitbezügen auf.
Gewiß kommunizieren Gedichte untereinander. Sie tun dies jedoch nicht nach den Maßgaben literaturwissenschaftlicher Epochenrechnung, sondern über alle historischen und stilistischen Grenzen hinweg. Ähnliches gilt für ihre Kommunikation mit dem Leser. Wenn ein Gedicht über ein Thema handelt, das uns heute noch interessiert, und wenn es davon in einer Weise berichtet, die wir heute noch nachvollziehen können, dann kann es einen Bezug zu unserem Leben herstellen.
Ein thematisches Ordnungsprinzip ergab sich aus dieser Auffassung wie von selbst. Die Gedichte in diesem Band sind nach ihren Gegenständen angeordnet, und zwar so, daß die soziale Kompetenz der komischen Lyrik dabei voll zur Geltung kommt: Ein Gedicht kann dem vorangegangenen beipflichten, ihm widersprechen, ins Wort fallen, es ergänzen. Der Leser ist an eine Tafelrunde lebhaft disputierender Dichter eingeladen. Gleich ihnen ist er zu Widerspruch und Zuspruch aufgefordert. Die Etikette ist locker, politische Korrektheit spielt – wenn überhaupt – eine untergeordnete Rolle. Wenn die Tafelrunde bisweilen einem Gelage ähnelt – umso besser.
Wir hoffen, auf diese Weise ein Buch mit hohem Gebrauchswert vorzulegen. Zu fast jedem äußeren und inneren Anlaß finden sich auf diesen Seiten Gedichte von unterschiedlicher Gewichtung und Gesinnung. Wer saftige Beschimpfungen der Spezies „Rezensent“ sucht, wird in reichem Maß fündig. Wer ihren naturwüchsigen Kontrahenten, den Schriftsteller, geschmäht sehen möchte, geht ebenfalls nicht leer aus. Ähnliches gilt für den, der einem leidenden Freund mit scharfem Gegengift statt mit milden Worten aufhelfen möchte. Und wem ein Liebesgedicht der offenherzigen Art zupaß kommt, bleibt auch nicht allein.
Der unübersehbaren Fülle an Lebenserscheinungen korrespondiert eine Vielzahl an Einzelwahrnehmungen und Eigenstimmen in den Gedichten. Allein das Großthema Liebe zerfällt bei näherem Hinsehen in ungezählte Varianten: Werbung, Vereinigung, Überdruß, körperliche Vorzüge und Nachteile des geliebten Menschen, die Rollen von Mann und Frau, homoerotisches Verlangen, unerfülltes Begehren, platonische Liebe, verschmähte Liebe, Liebe aus der Distanz, Seitensprung, Eifersucht, Zärtlichkeit, Fühllosigkeit, Nötigung, erste Liebe, Liebe im Alter und so fort. Andere Themen wie Reisen, Sterben und Familie lassen sich ähnlich weit ausfächern.
Eines dürfte dabei klar werden: Die Themen der komischen Poesie unterscheiden sich kaum von denen der ernsten Lyrik. Fragen nach Liebe und Tod sind die Eckpfeiler auch ihres Interesses. Des Lebens rechte Führung, die Suche nach dem Sinn – alles Stoff ernster ebenso wie komischer Dichtung. Selbst vor poetologischen Fragestellungen scheut sie nicht zurück; an Gedichten über das Dichten herrscht in dieser Sammlung kein Mangel.
Auf dem handfesten Gebiet der politischen und sozialen Lebenspraxis hingegen zeigt sich die mit komischen Mitteln arbeitende Lyrik ungleich informierter und meinungsfreudiger als die ernste; nicht umsonst ist eine der ergiebigsten Abteilungen dieses Bandes „Geschichte und Gesellschaft“ betitelt. Fast möchte man sagen: Die komischen Deutschen, das sind auch die kritischen Deutschen, die sich von hohltönenden Phrasen nicht imponieren lassen und die bei jeder selbsternannten Größe erst einmal die komische Fallhöhe abschätzen. Gerade in Deutschland hätte man nach dem letzten Weltkrieg eine stärkere Neigung zu aufklärerischer Komik vermuten dürfen.
III
Zwar verzichtet diese Anthologie auf die umfassende Darstellung literaturgeschichtlicher Zusammenhänge, um statt dessen einen unmittelbaren Bezug zwischen den Gedichten und der Lebenswelt heutiger Leser herzustellen. Damit soll jedoch nicht angedeutet werden, daß komische Lyrik unabhängig von den Umständen ihrer Entstehung existiere. Im Gegenteil: Gerade weil komische Gedichte nicht nach der Ewigkeit schielen, sondern im Hier und Jetzt wirken wollen, sind sie in hohem Maß zeitabhängig.
Dies gilt freilich mehr für ihren faktischen Gehalt als für ihre Stilmittel. Es fällt auf, wie wenig beeindruckt sich die komische Poesie des zwanzigsten Jahrhunderts von den formalen Experimenten der Moderne zeigte. Man sollte sich nicht dazu verleiten lassen, von dieser Resistenz gegenüber ästhetischen Moden auf einen gesteigerten Wunsch nach Unvergänglichkeit zu schließen. Wiederum trifft eher das Gegenteil zu: Weil das komische Gedicht bei seinen Lesern und Hörern unmittelbar wirken will, bedient es sich vorzugsweise erprobter Mittel wie Reim, Metrum, klarer Strophik.
Es haben sich jedoch im Verlauf der Jahrhunderte einige komisch dominierte Genres herausgebildet. Nachfolgend sei der Versuch eines kurzen, notgedrungen lückenhaften, zwangsläufig parteiischen Querschnitts durch die Geschichte der komischen deutschsprachigen Lyrik unternommen, so wie sie in dieser Sammlung vertreten ist. Man erwarte also bitte keine Erörterung von „Leberreimen“, „Klapphornversen“ und anderen Perversitäten aus dem Fundus weltfremder Dichtung.
Wir beginnen unseren Streifzug mit dem Einzug des Neuhochdeutschen; mittelhochdeutsche Gedichte scheiden wegen der allgemein erschwerten Lesbarkeit für unsere Zwecke von vornherein aus. Doch auch die neuhochdeutsche Dichtung des sechzehnten Jahrhunderts macht es dem komikbewußten Leser nicht immer leicht. Die Gedichte eines Hans Sachs mögen zu ihrer Zeit die Massen bezaubert haben. Heute wirken sie langatmig, und die gesteigerte Mühe des Lesens wird nur durch eine karge komische Ausbeute belohnt.
Im Barock etablierten sich Sinngedichte, Epigramme und fiktive Grabinschriften als bevorzugte Formen komischer Dichtung, und mit ihnen die Erkenntnis, daß in der Kürze des Gesagten eine besondere Würze für Schreiber wie Leser liegen könne: Gedichte von zwei bis acht Zeilen Länge gaben den komischen Ton an und forderten die Dichter zu intellektuell-artistischen Hochleistungen heraus. Bevorzugtes Thema war das Allgemein-Menschliche in unterschiedlichen Personifikationen. Dem spöttischen Scharfblick barocker Epigrammatik leuchtet bereits der Vorschein der Aufklärung. Ein gewitzter Höfling wie der Schlesier Friedrich von Logau entledigt sich in seinem epigrammatischen Mammutwerk aller vorgestanzten Denkhülsen des Zeitalters und zeigt unverkennbar eigenes, individuelles Format,
Das gilt um so mehr für die Anakreontik des achtzehnten Jahrhunderts, also jene durch Friedrich von Hagedorn begründete Dichterschule, die sich wie ihr antiker griechischer Patron Anakreon zu Wein, Weib und Gesang hingezogen fühlte und ganz allgemein das Leben und Epikur hochleben ließ. In ihrer Sinnenlust läßt sich die Anakreontik auch als Gegenbewegung zur Aufklärung mißverstehen. Dagegen spricht, daß mit Lessing und Goethe einige ihre besten Vertreter aufgeklärte Köpfe par excellence waren. Eher schon kommen wir hier mit T.S. Eliots Formel von der „dissociation of sensibility“ weiter: Wie die von Eliot gemeinten englischen „metaphysical poets“ des siebzehnten Jahrhunderts sind die Anakreontiker fähig, das Denken als sinnlich zu empfinden und die Sinnlichkeit zu denken.
Manches ist barocker Epigrammatik und der Rokoko-Lyrik der Anakreontiker gemein. Mögen die Namen der im Gedicht Verspotteten auch auf antike Vorbilder verweisen (Phyllis, Daphnis, Rimificus), gemeint sind allemal Zeitgenossen. Gerade die Neigung zur Typisierung (der Geizige, die Spröde) – die eine weitere Unterart in der Berufkritik ausbildete (Auf einen Arzt, Einem Priester) – hat beide Richtungen bemerkenswert frisch erhalten. Weil sich die Spezies Mensch in drei Jahrhunderten offenbar nur wenig geändert hat, erkennen wir das Personal dieser Gedichte in unserer Lebenswelt problemlos wieder. Auch in ihrem Komikverständnis wirken barocke Epigrammatiker und Anakreontiker überraschend zeitgemäß. Wie die Comedians unserer Tage nehmen sie mit wenigen (hoffentlich) wohlgewählten Worten eine menschliche Schwäche oder einen Typus aufs Korn, um sie oder ihn (bestenfalls) treffsicher abzuschießen.
Neben den Menschen traten zunehmend Tiere in Hauptrollen auf. Im achtzehnten Jahrhundert erreichte die Fabel als komische Gattung mit lehrhaftem, teils politischem Hintergrund ihren Höhepunkt. Die lang und breit zusammengereimte Gleichnishaftigkeit samt nachgereichter „Moral“ macht das Genre jedoch aus heutiger Sicht zu einem schwerfälligen Komik Vertreter. Man fühlt sich an einen Bilanzbuchhalter erinnert, der langatmig einen lahmen Witz erzählt, die Pointe verschleppt und sie dann auch noch umständlich erklärt. In Die komischen Deutschen wurden Fabeln daher vorzugsweise in Form der Fabelparodie aufgenommen. Brockes, Claudius und Heine haben sich auf diesem Gebiet hervorgetan. Von Buschs sprödem Viehzeug über Morgensterns Phantasietiere hat sich die hartnäckige Untergattung der Fabelparodie bis in unsere Zeit erhalten.
Überhaupt scheinen Tiere in der komischen Dichtung unter umfassendem Artenschutz zu stehen. Nachdem sie mit dem Rückzug der Fabel ihrer Gleichnishaftigkeit verlustig ging, gilt anthropomorph dargestellte Fauna offenbar per se als komisch. Die Comics und Animationsfilme des zwanzigsten Jahrhunderts mögen das Ihre zu dieser Entwicklung beigetragen haben. Wo immer ein Schwein sich menschlich gebärdet, wann immer ein Bär das Seine tut, fungiert der Leser als wohlabgerichteter Pawlowscher Hund: Jetzt bitte lachen! Oft kommen die possierlichen Tierchen jedoch aus zweifelhaften Versuchslabors; ihre Komik wird bisweilen mehr behauptet als erzeugt. Diese Sammlung enthält Animalkomik nur dann, wenn deren Witz sich nicht in wohlfeilem Anthropomorphismus erschöpft.
Formulierten die gewitzten Epigrammatiker des siebzehnten Jahrhunderts ihre Attacken auf menschliche Schwächen oft noch in Richtung pseudonymer Schattenrisse, so hatte sich das spätestens im neunzehnten Jahrhundert nachhaltig geändert: Wenn Romantiker überhaupt einmal den Drang verspürten, komisch zu dichten, dann häufig aus Vergeltungslust; Parodien und Literatursatiren dominierten als komische Genres. Da werden Roß und Reiter gern und unmißverständlich beim Namen genannt: Brentano lästert über die Massenproduktion Freiligraths und August Wilhelm Schlegel tritt Schiller ans Schienbein, dieweil sein Bruder Friedrich sich über Volksliedtümelei in den eigenen Reihen lustig macht. Daß es eine Romantik jenseits, nein: diesseits der Blauen Blume gibt, auch das möchte dieser Band seinen Lesern nahebringen.
Nicht alles, was das neunzehnte Jahrhundert an Komik zu bieten hat, konnte sich so frisch erhalten wie die saftigen Beschimpfungen unter Dichtern. Die zu ihrer Zeit populären Trink-, Soldaten-, Studenten- und Burschenschaftslieder etwa eines Joseph Viktor von Scheffel oder Detlev von Liliencron können weder mit scharfzüngiger Komik noch mit unbefangener Spielfreude aufwarten, um so mehr aber mit jener zwanghaften Hauruck-Fröhlichkeit, deren allerletzte Hirnschwund-Stufe sich heute in den Fernsehdarbietungen sogenannter Volksmusik besichtigen läßt. Wir haben nicht mitgezählt, wie oft wir bei unserer Sichtung der Dichtungsbestände „funkelnde Becher“ und „fröhliche Zecher“ zusammenstoßen hörten. Klar war, daß solch klamme Lustbarkeiten zu den ärgsten Feinden guter Komik zählen und damit in dieser Sammlung nichts zu suchen haben. In Adelbert von Chamisso („Mäßigung und Mäßigkeit“) hat das unerfreuliche Subgenre freilich ganz unverdient einen überragenden Parodisten gefunden.
Bleibt festzuhalten, daß komische Lyrik seit ihrer frühen Blüte etwa im epigrammatischen Mammutwerk eines Friedrich von Logau und in der Anakreontik ein jahrhundertelanges Nischen- und Schattendasein nicht nur in der öffentlichen Wahrnehmung, sondern auch im Verständnis vieler Dichter fristete. Lessing, Goethe, Heine und A.W. Schlegel seien als herausragende Ausnahmen genannt; selten wollten sie Witze reißen, oft waren sie aus schierer Klugheit witzig. Erst mit dem zwanzigsten Jahrhundert gewann das Profil des von Berufs wegen komischen Dichters schärfere Konturen, wozu auch das aufkommende Kabarett seinen Beitrag leistete. Tucholsky, Kästner, Mehring und andere waren sich nicht zu schade, Auftragsarbeiten für die wachsende Zahl an Kleinkunstbühnen zu schreiben. Ringelnatz und Klabund feierten auch als Auftrittskünstler urbane Erfolge. Valentin trat den umgekehrten Weg an: vom Brettl in die Literaturgeschichte.
Diese Anthologie enthält nur solche Kabarettverse, die als Gedichte auch ohne mündlichen Vortrag und musikalische Begleitung standhalten. Eine umfassende oder auch nur ansatzweise repräsentative Darstellung würde einen eigenen Band füllen und war hier nicht zu leisten. Aus ähnlichen Erwägungen wurden Schlager der zwanziger und dreißiger Jahre des vergangenen Jahrhunderts gänzlich ausgenommen. Obwohl auch hier gelegentlich Gedichtähnliches entstanden ist, würde die Aufnahme einzelner Stücke unweigerlich den Hinweis auf andere, nicht minder gelungene nach sich ziehen. Gleiches gilt für die deutschsprachigen Chansonniers und Liedermacher der fünfziger bis achtziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts. Auch das wollen wir nicht vergessen: Nicht alles, was sich reimt und lachen macht, ist schon ein komisches Gedicht.
Womit unser kurzer Streifzug durch die Geschichte der komischen Dichtung an seinem Ende angelangt wäre. Wie so oft läßt sich auch hier die Lage um so schlechter überblicken, je näher das Getümmel rückt. Wir hoffen jedoch zuversichtlich, daß auch aus unserer Zeit diejenigen komischen Gedichte überleben werden, die sich mit Witz und Scharfsinn auf die Realien des Lebens beziehen. Unsere Absicht war es, eine reichhaltige, repräsentative Sammlung gewitzter Gedichte aus fünf Jahrhunderten deutschsprachiger Literatur vorzulegen. Wir glauben, manchen Geheimtip abgeben zu können und einige fast vergessene Glanzstücke wieder ans Licht befördert zu haben. Vor allem wünschen wir, daß aus all den Einzelstücken im Kopf des Lesers ein zitables, memorables, alltagstaugliches Ganzes erstehe. Nichts Geringeres als die Wiederentdeckung einer oft für ausgestorben erklärten Spezies ist hier zu annoncieren: „Die komischen Deutschen“.
Steffen Jacobs, Oktober 2003, Nachwort
1. Die meisten Gedichte folgen der Schreibweise ihres jeweiligen Autors. Wo Gedichte einer Ausgabe mit behutsam modernisierter Orthographie entstammen, wurde jedoch die Schreibweise der jeweiligen Quelle übernommen.
2. Die meisten Gedichte sind in sich abgeschlossene Werke. Wo eine Auswahl aus einem größeren Zusammenhang getroffen wurde, wird dies durch den Zusatz „Aus:“ vor dem Titel gekennzeichnet (etwa „Aus: Emma“). Hierbei handelt es sich um in sich abgeschlossene Teilstücke eines Werkes, die vom Autor als solche gekennzeichnet wurden und auch ohne Kenntnis des Werkganzen verstanden werden können. In einigen Fällen wurde vom Herausgeber mehrere (titellose) Gedichte einer Form und eines Autors zusammengestellt und mit entsprechenden Überschriften versehen (etwa „Drei Haiku“, „Vier Distichen“).
3. Dieser Band sollte ursprünglich 12 Gedichte von F.W. Bernstein und 14 Gedichte von Robert Gernhardt enthalten. Leider haben die Autoren einem Abdruck ihrer Werke nicht zugestimmt. Der Herausgeber und der Verlag von Die komischen Deutschen bedauern diese Entscheidung und empfehlen allen Lesern die Lektüre von Gedichten Gernhardts und Bernsteins.
4. Herausgeber und Verlag danken allen Autoren, Verlagen, Agenturen, Editoren und sonstigen Rechtsinhabern für die Erteilung der Rechte. Leider konnten nicht in allen Fällen die Rechtsinhaber ermittelt werden. Berechtigte Ansprüche wenden sich bitte an den Verlag Zweitausendeins, Postfach, D-60381 Frankfurt am Main.
sind sterbenslangweilig und die Deutschen ein todernstes Volk? Ganz falsch. Dieser wuchtige Sammelband beweist, daß deutsche Dichter und Denker nicht nur dunkel geraunt und kompliziert philosophiert haben, sondern daneben auch glanzvoll-komische Gedichte schrieben.
Zu entdecken ist eine weithin unbekannte Seite der deutschen Dichtung – die lustige. Das Freche, Drastische, Respektlose war (und ist) deutschen Literatur-Honoratioren und Hochkunst-Fetischisten ein Dorn im Auge. So stand die komische Dichtung lange Zeit im Abseits. Damit ist es nun vorbei: Die komischen Deutschen präsentiert die lyrischen Glanzstücke aus vierhundert Jahren.
Der Herausgeber hat den gesamten Bestand deutscher Gedichte seit dem Barock einer kritischen Sichtung unterzogen – bis hin zu den Großkomikern unserer Tage.
Rund 100.000 Seiten Lyrik wurden auf Herz, Nieren und Zwerchfell geprüft.
Alles Unlustige mußte draußen bleiben.
Alles langatmig Witzelnde auch.
Übriggeblieben ist die Crème de la crème der lustigen Lyrik: Weit über 800 Werke von über 200 Dichterinnen und Dichtern, die den gesamten Fundus komischer Stilmittel ausschöpfen.
Vielleicht ist Die komischen Deutschen das lustigste Gedichtbuch, das Sie jemals lesen werden. Mit Sicherheit ist es die heute umfangreichste und vielseitigste Sammlung komischer deutscher Gedichte.
11 Kapitel behandeln die großen Menschheitsthemen. Von „Lust und Liebe“ über „Essen und Trinken“ bis zu „Leben und Sterben“ wird der ganze Kreis menschlichen Erlebens ausgeschritten. Jedes Kapitel kann quasi als Buch im Buch gelesen werden.
So lädt diese Anthologie nicht nur zu einem gewaltigen Lesevergnügen ein, sondern auch zur lange fälligen Wiederentdeckung einer oft unterschätzten Spezies: der komischen Deutschen.
Gerd Haffmans bei Zweitausendeins, Klappentext, 2004
621 Seiten mit 555 komischen deutschen Gedichten aus fünf Jahrhunderten bringt die Sammlung Hell und Schnell von Robert Gernhardt und Klaus Cäsar Zehrer. 878 gewitzte Gedichte aus 400 Jahren auf 940 halb so großen Seiten stellt die von Steffen Jacobs herausgegebene Anthologie Die komischen Deutschen vor. Beide Werke sind mit Nachworten versehen, die über die Auswahlkriterien aufklären, und beide Anthologisten sind überrascht und ein wenig stolz auf die vielen komischen Gedichte, die sie bei ihrer Arbeit gefunden haben.
Es gibt eine Schnittmenge. Sie ist aber kleiner als man denkt. Natürlich wird, wer in den Bänden blättert und liest, bei dem einen oder anderen Gedicht denken: Was fanden die komisch daran? Aber es bleiben doch eine ganze Reihe von Texten, die die unterschiedlichsten humoristischen Gelüste befriedigen können. Allerdings wird, wer den Versuch unternimmt, einfach auf Seite eins anzufangen und so von Gedicht zu Gedicht weiter zu lesen, bald feststellen, dass es ihm schwer fällt. Das dauernde auf eine Pointe-hin-lesen ist anstrengend. Der Lachmuskel bekommt schnell einen Kater.
Die Sammlung Gernhardt-Zehrer nimmt es vielleicht auch deshalb nicht so genau mit der Komik. Heinrich Heines „Mein Herz, mein Herz ist traurig…“ ist großartig und schrecklich, ein Meisterwerk schwarzer Romantik. Selbst bei allergroßzügigster Auslegung gelingt es mir nicht, es in die Kategorie des komischen Gedichts zu legen. Allenfalls hat der Knalleffekt der letzten Zeile „Ich wollt, er schösse mich tot“ auch etwas Komisches. Aber es ist eine Komik des Vortrages, keine des Inhalts. Es ist klug, gleich zu Beginn der Sammlung einen solchen sperrigen Fremdkörper in eine durch ihr Thema sonst leicht ins Schnurrige, Possierliche abgleitende Anthologie zu mischen. Das schafft einen Grundton, der über vieles gar zu Verträgliche hinweg hilft. Ein paar Seiten später findet man auch Jakob van Hoddis „Weltende“.
Auch in Steffen Jacobs Anthologie heißt es:
Dem Bürger fliegt vom spitzen Kopf der Hut,
In allen Lüften hallt es wie Geschrei.
Dachdecker stürzen ab und gehn entzwei
Und an den Küsten – liest man – steigt die Flut.
Der Sturm ist da, die wilden Meere hupfen
An Land, um dicke Dämme zu zerdrücken.
Die meisten Menschen haben einen Schnupfen.
Die Eisenbahnen fallen von den Brücken.
Gedichte wie dieses hat man schülergenerationenlang in den Ernst hinein interpretiert, sodass ihre ursprüngliche Komik kaum noch zu sehen war unter all dem, was man über sie zu denken angehalten wurde. Ein Hauptreiz beider Anthologien liegt genau darin, dass sie nicht nur das Komische zeigen, sondern es auch da, wo wir es nicht ahnten, sichtbar machen.
Der in Frankfurt/Main lebende, Pardon geschulte Robert Gernhardt hat es sich nicht nehmen lassen, den ehemaligen Herausgeber und Chefredakteur der Frankfurter Rundschau, Karl Gerold, einen Meister der unfreiwilligen Komik, mit aufzunehmen in sein Hausbuch. Die Zeilen für Gustav Heinemann aus dem Jahre 1970 seien zitiert:
Unsere Zeit ist eine Brandung
mit gefährlich Fels und Riff,
Masse bringt uns die Versandung,
Leitung lenkt der Zukunft Schiff!
Heinz Erhardt und Wilhelm Busch tummeln sich in beiden Sammlungen. Aber Hölderlin aufzunehmen, hatte nur Gernhardt die Chuzpe. Hölderlin, der hohe Priester des noch höheren Tones, ist der natürliche Feind der Liebhaber der Komik. Er steht für das, wogegen sie Sturm laufen. Die Infamie, mit der Gernhardt Hölderlin aufnimmt, ist völlig frei von jeder Komik. Es handelt sich um nichts als eine feindliche Übernahme. Wir bewundern sie. Endlich lachen wir über den armen Gefangenen:
Auf falbem Laube ruhet
Die Traube, des Weines Hoffnung, also ruhet auf der Wange
Der Schatten von dem goldenen Schmuck, der hängt
Am Ohre der Jungfrau.
Und ledig soll ich bleiben
Leicht fanget aber sich
In der Kette, die
Es abgerissen, das Kälblein.
Fleißig
Nun, das ist ein Fragment und zum hohen Ton gehört, dass er seine eigene Parodie gleich mit liefert. Hier ist er so schön getroffen, als habe Gernhardt selbst nach ihm geschossen.
Steffen Jacobs hat auf die Aufnahme „unfreiwilliger Komik“ verzichtet:
Weil sie sich nicht primär aus dem Gedicht selbst, sondern aus dessen literaturwissenschaftlicher Interpretation speist, haftet ihr der Ruch der Fachidiotie, des Insider-Jokus an. Wo Bäcker- und Klempnerwitze außen vor bleiben mussten, ist nicht einzusehen, dass Germanistenwitze eine Ausnahme bilden.
Das ist nun selbst nicht ohne Komik. Nur in den seltensten Fällen wird die unfreiwillige Komik eines Gedichts ja durch die literaturwissenschaftliche Interpretation aufgedeckt. Viel öfter doch gerade durch den Verzicht auf sie. Die Wissenschaft ist schließlich selbst einer der fruchtbarsten Produzenten unfreiwilliger Komik. Zehrer sieht das Prekäre des Genres mehr darin, dass man sich nicht ganz so sicher sein soll, was den Grad an Unfreiwilligkeit angehe. Das Mischungsverhältnis von Ernst und Spaß ist bei jedem anders.
Beide Bände stellen sich die Frage, warum ausgerechnet die Deutschen so gerne komische Gedichte schreiben? Die Seiten, auf denen die Autoren das tun, sind zwar völlig versfrei, gehören aber nicht zu den unkomischsten der beiden Bände. Ich glaube, die Frage stellt sich nur dem, der sich in anderen Literaturen nicht umgesehen hat nach komischer Dichtung. Mit ein wenig Zeit und Geduld ließen sich aus der englischen und italienischen, ja sicher auch aus der spanischen und französischen Literatur ähnlich umfangreiche Anthologien herstellen. Wir Deutsche haben nicht weniger Sinn für Komik als die anderen Völker, und wir haben ihn auch nicht weniger in der Literatur ausgelebt, wir haben aber sicher auch nicht mehr, obwohl der Versuch unserer Anthologisten, uns zu Weltmeistern im Komischen Fach zu machen, dieser Illusion Nahrung geben könnte. Aber komischer Größenwahn ist auch keine deutsche Spezialität.
Vom Ernst, mit dem auch Freunde der Komik nicht nur ihr heimatliches Territorium, sondern auch ihre ganz privaten Claims verteidigen, zeugt eine Notiz in Steffen Jacobs Die komischen Deutschen:
Dieser Band sollte ursprünglich 12 Gedichte von F.W. Bernstein und 14 Gedichte von Robert Gernhardt enthalten. Leider haben die Autoren einem Abdruck ihrer Werke nicht zugestimmt.
Zum Abschluss sei noch Wolf Wondratschek zitiert, den es nur bei Steffen Jacobs gibt:
Einer schreit Hilfe,
doch niemand hört.
Ich sage, angenehm diese Wohnung,
wo einer schreien kann
und nicht stört.
Wer schon immer mal eine Art deutsches „New Oxford Book of Light Verse“ besitzen wollte, oder glaubt, daß jemand wie Goethe nur ernsthaftes von sich gab, sollte hier unbedingt zuschlagen. Kaum ein Gedicht, welches nicht mindestens zum Schmunzeln reizt. Steffen Jacobs hat hier wirklich eine Lücke gefüllt, die in der deutschen Literatur schon viel zu lange klaffte.
Diese Anthologie hat auf meiner persönlichen Favoritenliste definitiv das Zeug zum Buch des Jahres. Von frivol bis ironisch ist alles zu finden, und das meiste hat Gehalt. Zur Einstimmung mag Erich Kästner einen Vorgeschmack auf die Freuden geben, die das Buch zu bieten hat, auch wenn er nur eingeschränkt als Beispiel für die Art von Witz dienen kann, der darin zu finden ist:
Folgenschwere Verwechslung
Der Hinz und der Kunz
sind rechte Toren:
Lauschen offenen Munds,
statt mit offenen Ohren!
🙂
Der Versuch ist lobenswert und die Ausbeute ja auch beträchtlich. 250 Dichter auszuwählen und aus 100.000 Seiten Lyrik eine qualitativ hochwertige Auswahl zu treffen ist eine Aufgabe, die eine Menge Sitzfleisch und Sachverstand erfordert. Der Versuch aber, den letzten Jahrhunderten repräsentativ substantiellen Witz abzupressen, kann getrost als misslungen gelten. Das heißt zwar nicht, dass keine großartigen Gedichte enthalten wären, aber dass diese entweder nicht witzig sind oder im Meer der Belanglosigkeit untergehen.
Dass mit Bernstein und vor allem Gernhardt zwei der wichtigsten Vertreter der Moderne abgesagt haben – schade. Dass mit Hüsch und Loriot zwei der bedeutendsten Humoristen der letzten 50 Jahre fehlen – was soll das?. Dass die „Neue Frankfurter Schule“ – sicher die witzigste Periode in der deutschen Spaßgeschichte, fast völlig untergeht – kaum zu fassen.
Dass aber der Verlag behauptet, hier die Crème de la crème der lustigen Lyrik zu versammeln, ist entweder eine Unverschämtheit oder Zynismus derart, dass man hier eigentlich den Nachweis erbringen will, der auf dem Einband noch negiert wird: Gedichte sind sterbenslangweilig und die Deutschen ein todernstes Volk.
In der Tat sind vielleicht 5% der hier auf 900 Seiten versammelten Werke auch nur interessant – von lustig erst gar nicht zu sprechen. Die üblichen Verdächtigen sind vertreten mit mehr oder respektierlichen Werken, aber auch Peinlichkeiten (Tucholsky empfiehlt Hitler einen Spaziergang auf Pariser Boulevards): Ringelnatz, Tucho, Kästner, Heinz Erhardt und einige andere tragen mehr oder weniger Erheiterndes bei. Zum Lacher langts vielleicht alle 150 Seiten mal – vor allem natürlich dank „Dialektlyrik“ des großartigen Matthias Koeppel und eines genialen Zweizeilers von Henscheid, der hier aber nicht zitierwürdig ist.
Dazwischen aber ist es wüst und öd – Klassiker, welche eher zum Einschlafen als zum Lachen reizen – selbst der große Logau wirkt eher lendenlahm. Die Kopfgeburten Lessings wie auch die dürren Heine-Verse stehen symptomatisch für untergegangene Zeiten und Dichtertraditionen. Und wer kann schon über Goethe oder Fontane lachen? Manchmal reicht es für ein mattes Grinsen, aber dem Zweck dieser Sammlung wird das nicht gerecht. Auch Jandl und Enzensberger – beide stark vertreten –, zum Lachen auch sie kaum.
Kurz und gut: Als normale Gedichtsammlung hätte man diese Sammlung noch mal so durchgehen lassen können – wenn auch 500 Seiten kürzer, aber für eine kompetente Spaßlyrik reicht die Substanz hinten und vorne nicht, auch wenn das Buch sehr schön aufgemacht und mit Lesebändchen adäquat ausgestattet ist.
Von Robert Gernhardt gibt’s ne Konkurrenzausgabe, die im Vergleich vom Spiegel ein wenig mehr gelobt wurde und die ich nicht gelesen habe – etwas witziger als diese sollte sie aber schon sein.
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