BIBLIOTHEK
Stockwerk für Stockwerk fällt der Blick
durch die Bodengitter der Bibliothek
hält sich an gebeugten Rücken fest
schaut Lesenden über die Schulter
Wo das Licht angeknipst
leuchten schmale Reihen
labyrinthisch
Stapeln vor Fenstern
Wenn ein Spalt frei bleibt
schweift er aus zu Schornsteinen
in Reih und Glied rauchen sie
der Atem der Bücher
Bleiben die Zeichen aus
wende ich die Seite
alles ist da
erkunden die Schnittstelle zwischen der bedrohten Natur und unserer Zivilisation. An diesem Ort leben Einsame, Sehnsüchtige, Vergessene, aber es sind auch Momente des Glücks möglich, wenn die Natur sich für einmal durchsetzt.
Wolfbach Verlag, Klappentext, 2017
Svenja Herrmanns neuer Gedichtband Die Ankunft der Bäume enthält filigrane Texte, die den Zeitgeist über Bilder einfangen.
Wenn ich hier stehe
das Gesicht erleuchtet im Dunkeln
wenn ich mir erscheine
im digitalen Quadrat
wo stehe ich.
Dieses Kurzgedicht ist dem Band als Motto vorangestellt und deutet zugleich die Summe der Themen an. Dieses Wo-stehe-ich wird vielfältig hinterfragt. Wo stehe ich in Anbetracht der ihre Spezifik mehr und mehr verlierenden Städte und des wachsenden Straßenverkehrs, der mit seinem Abgasausstoß den Lebensraum zunehmend beeinträchtigt?
Die Großstadt wächst vor meinen Fenstern…
wo eine neue Stadt sich aufbläht
über eine.andere Stadt
stehe ich
Im Gedicht „Flugschneise“ heißt es:
… wenn die Airlines den scharfen Ton
wie einen Scheitel über den Kopf ziehen
spazieren Menschen
gleichgültig
im Takt.
Wo stehe ich in Anbetracht des Elends dieser Welt, das uns Europäern immer näherkommt und auch beim Gang durch die eigene Stadt nicht mehr übersehen werden kann?
dein Blick wandert und es scheint, dass du lange schon
die schlechten Töne aus der Welt sortierst.
Im Gedicht „Asyl“ wird das Kirchenasyl thematisiert:
auf den Bänken
ist ein Wellengang im Kirchschiff
wo das Auf und Ab der Wolldecken
den Rhythmus vorgibt…
Als falteten sich die aufgereihten Schuhe
zum Gebet
Einige der von den Bildern und der Metaphorik her betrachtet gelungensten Gedichte berichten von Reisen – nach New York, nach London, ins Donaudelta. In dem New York zugeschriebenen Gedicht „Little Odessa“ heißt es:
Durch die
Trasse der Hochbahn fällt Licht
überzieht die Avenue mit einem Schachbrett
wo die Könige und Bauern keinen Platz finden
the every day smile nie angekommen ist.
Mitunter ist der Ton der Gedichte resignativ, weil Fragen unbeantwortet im Raum stehen bleiben müssen:
Hier sein
Nicht ansetzen können
beim Regen auf der Haut
Kann nicht ansetzen
bei der Betonwand
die den Lärm dämmt
Kann nicht ansetzen
bei den Bildern
Kann nur hier sein und
warten.
„An anderer Stelle heißt es:
Die Schatten löse ich heraus
Streifen für Streifen
hänge sie in den Hof
zum Bleichen.
Svenja Herrmann hat in Zürich das Projekt „Schreibstrom“ ins Leben gerufen, welches sich an Kinder und Jugendliche richtet (www.schreibstrom.ch). Für ihre Gedichtbände wurde sie mehrfach ausgezeichnet, zuletzt 2015 mit dem Werkbeitrag des Kantons Zürich.
Axel Helbig, Ostragehege, Heft 85, 10.9.2017
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