T.S. Eliot: In meinem Anfang ist mein Ende

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von T.S. Eliot: In meinem Anfang ist mein Ende

Eliot/Zander-In meinem Anfang ist mein Ende

DER CHEFREDAKTEUR

Wehe, unselige Themse,
Die zu nah am Spectator rinnt.
Der  Chefredakteur
Von Rechts-Couleur
Des Spektatöhr
Verpestet den Wind.
Reaktionäre
Aktionäre
Des Spektatöhr
Von Rechts-Couleur
Schieben
Arm in Arm
Einher.
Aus der Gosse
Bestaunt
Plattnasig
Ein kleines Gör
In Lumpen
Den Chefreakteur
Des Spektatöhr
Von Rechts-Couleur
Ihren Schwarm.

Übersetzt von Hedda Soellner

 

 

 

Nachwort

Thomas Stearns Eliots Lebenslauf könnte unter den Begriff der Remigration gestellt werden: Rückzug auf geistige Positionen vergangener Gesellschaftsepochen – Rück-Zug übrigens auch in einem geographischen Verständnis, der ihn aus seiner Heimat Amerika ins Land seiner Ahnen, England, führte – bestimmt ihn, nicht jedoch sentimentaler Rück-Trieb. Selten hat ein Dichter so sehr nach Plan sein Leben einzurichten versucht, und mit ihm seine dichterische Produktion, die in seinem Begriff alles andere war als Selbstentäußerung, vielmehr Beleg für die These, daß es nötig sei, trotz des jeweiligen Zeitgeists in der Literatur zu dem Absoluten zu finden, das er mit „Klassik“ umschrieb und als dessen exponierte Vertreter er vor anderen Dante benannte, dann aber auch Persönlichkeiten wie den französischen Dramatiker Racine oder John Donne, den englischen Dichter aus nachreformatorischer Zeit, in dessen Werk sich Phantasie und Orthodoxie, schweifendes Gefühl und scharfes Denken vereinten. Wenn diese Rück-Orientierung zu verschiedenen Zeiten mit unterschiedlicher Intensität betrieben wurde, ohne allerdings je gänzlich zum Erliegen zu kommen, so weist das auf Faktoren, die nicht in Eliots Biographie allein begründet sind, sie läßt vor allem die Konsequenz durchscheinen, mit der spätbürgerliche Entwicklung vonstatten ging. Er hat diese Entwicklung in sein System einbezogen, bewußt, reflektiv, kritisch und jederzeit bereit, öffentlich die eigene Anschauung zu akzentuieren. Ein Vorwurf trifft ihn gewiß nicht, bei aller elitärer Attitüde, die er schon früh angestrebt und dann bis zur Perfektion ausgebaut hat: der von unterschiedlichen weltanschaulichen Positionen erhobene Vorwurf, ein Poet im Elfenbeinturm gewesen zu sein, sozusagen vor sich hin gefiedelt zu haben, während Rom brannte. In dem Bild vom Leben einer Generation zwischen zwei Kriegen hat er tiefe Spuren hinterlassen: in erster Linie durch seine Gedichte, jedoch auch durch seine Aufsätze literarischen, biographischen, theologischen Inhalts und durch politische Betrachtungen vor allem in der von ihm gegründeten und siebzehn Jahre geleiteten Londoner Zeitschrift The Criterion. Seine Dramatik, besonders die nach dem zweiten Weltkrieg entstandenen Stücke, erscheint demgegenüber von leichterem Gewicht, mehr zur Unterhaltung einer Elite bestimmt als zu deren Erziehung. Diese Spuren sind es, die es uns verbieten sollten, Eliot zu ignorieren oder ihn mit Rubrizierungen wie „Reaktionär“, „Metaphysiker“, „Sprecher für eine Elite“ abzutun; genausowenig ist es jedoch damit getan, Gräben zuzuschütten, die er selbst zwischen sich und der Idee des gesellschaftlichen Fortschritts der Menschheit gezogen hat. Es gilt also, eine wichtige Erscheinung im weltliterarischen Erbe auszuloten, einzuordnen und zur Rezeption zu bereiten, ein Lebenswerk, das zur geistig-literarischen Tradition in genauso gespannter Beziehung steht wie zur sozialen Entwicklung, zum Umgang mit der Sprache und der durch sie ausgedrückten Inhalte wie zum Leser, und das unter anderem auch von dem bekannten sowjetischen Kritiker J. Sasurskij eingehend kritisch gewürdigt wurde.
Zumal die Lyrik – von ihren kultischen Anfängen bis in die Ausläufer der europäischen Romantik hinein eher konservative Gattung und darauf gerichtet, Persönliches wie allgemein Wissenswertes und beides in seiner Korrelation in einem äußerst vielfältigen, aber doch Überschaubaren und durchschaubaren Formenkanon zu vermitteln – gerät um die Mitte des 19. Jahrhunderts in eine tiefe, alle tradierten Werte in Frage stellende Krise, aus der der scheinbar autonome Poet hervorgeht, der souverän über Sprache und Wirklichkeiten verfügt. Dichtung wird schwer- oder unverständlich, verliert ihre Eindeutigkeit, orientiert sich nicht mehr daran, dem Leser (wenn auch durch Phantasie möglicherweise verstellte) Abbilder der Umwelt zu vermitteln, sondern sieht ihr Ziel darin, eine neue literarische Wirklichkeit bekanntzugeben, die „Un-WeIt“ ist, wie es Pinthus mit Bezug auf die deutschen Expressionisten formuliert hat. „Keiner schriebe Verse, wenn das Problem der Dichtung darin bestünde, sich verständlich zu machen“ – dieser Satz des italienischen Lyrikers und Eliot-Nachdichters Montale rückt den Vers in die Nähe des Orakels, aus dem jeder sich nehmen kann, was er braucht, das heißt, was er herauszuhören glaubt. Diese Äußerung freilich kommentiert bereits den Endpunkt einer jahrzehntelangen Entwicklung, an dem mit dichterischer Vollmacht verkleidet wird, was sich in den Anfängen „moderner Dichtung“ noch klar als die Triebfeder einer Abkehr von der Wirklichkeit erkennen läßt: der Ekel, die Ratlosigkeit, die Verzweiflung angesichts einer Gesellschaft, die in der Verabsolutierung des Strebens nach dem Maximalprofit den Schriftsteller immer mehr an den Rand des sozialen Lebens drängt und seine Überlebenschance darauf einengt, entweder als Panegyriker des Zustands zu fungieren oder das Los des skandalisierten oder beklatschten Exzentrikers auf sich zu nehmen. Das Bewußtsein, als Außenseiter zu existieren in einer Gesellschaft, die vom „Bösen“ – den unerkannten oder nur zum Teil begriffenen Zwängen kapitalistischer Ausbeutungspraxis und ihres ideologischen Überbaus dirigiert wird, die das „Schöne“ verbannt hat zugunsten des Zweckmäßigen, die die „Hoffnung“ auf ein sinnvolles Morgen gar nicht erst aufkommen läßt, dieses Bewußtsein drückt sich um die Mitte des 19. Jahrhunderts bei Baudelaire, dem Vater der modernen Dichtung, noch direkt auf die subjektive Existenz bezogen und durch kein ästhetisches Programm verschleiert aus: „Zerfallen mit allen und zerfallen mit mir, möchte ich mich loskaufen, ein wenig Stolz wiederfinden im Schweigen und in der Einsamkeit der Nacht. Ihr Seelen, die ich geliebt, ihr Seelen, die ich besungen habe – steht mir bei! Gebt mir Kraft, nehmt die Lüge von mir und den verderbenden Ruch der Welt! Und du, Herr mein Gott, laß mich einige schöne Verse schreiben! Sie mögen mir Zeugnis sein, daß ich nicht der Letzte bin unter den Menschen und nicht geringer noch als alle, die ich verachte!“ Dennoch liegt auch schon in Baudelaires Verlangen, „einige schöne Verse“ zu schreiben, nicht mehr die Gewißheit der Kommunikation und der Wunsch nach Konsens mit einer möglichst zahlreichen Leserschaft. Der Dichter, der schon einen „gewissen Ruhm“ darin findet, nicht verstanden zu werden, beschränkt sich auf sein kreatives Ich, ist allein mit seiner arbeitenden Phantasie, von der er schreibt:

Die Phantasie zerlegt die ganze Schöpfung nach Gesetzen, die im tiefsten Seeleninnern entspringen, sammelt und gliedert die Teile und erzeugt daraus eine neue Welt.

Baudelaire, dessen Werk Eliot später „das größte Beispiel moderner Dichtung in irgendeiner Sprache“ nannte, und seine Nachfolger in der Methode, Welt im Wort ganz anders und aus anderen Gesetzen wiedererstehen zu lassen – vor allem Rimbaud, Mallarmé, Verlaine −, bestimmen fortan den Trend der ernst zu nehmenden lyrischen Dichtung im westlichen Europa. Als Eliot in den Jahren 1910/11 sich zum erstenmal in Paris aufhält, ist die Szene von der zweiten und dritten Generation der Dichter beherrscht, die die Unabhängigkeit des dichterischen Werks von Zeit und Umstand mit desto größerer Verve behaupten, als ihre (wie die aller kleinbürgerlicher Intellektueller) Ohnmacht vor den bourgeoisen imperialistischen Interessen offenkundig geworden ist.
Man darf sich den knapp zweiundzwanzigjährigen jungen Mann, der zu Studien in die Hauptstadt der lyrischen Welt gekommen ist, beileibe nicht als amerikanischen Hinterwäldler vorstellen. Der am 26. September 1888 in St. Louis, Missouri, geborene Sohn des Unternehmers Henry Ware Eliot hatte von 1906 bis 1910 an der berühmten Harvard Universität alte Sprachen, Philosophie, französische und englische Literatur und die Literatur des Mittelalters studiert und mit dem Grad eines Master of Arts seine Studien vorläufig abgeschlossen. Dabei hatte er sich vor allem die Ideen seines Lehrers Irving Babbitt, Professor für französische Literatur, zu eigen gemacht, eines Kulturkritikers, der, beunruhigt durch den rapiden Verlust an Substanz und Formkraft des Denkens und Dichtens, von der Notwendigkeit überzeugt war, daß der Weg in die vor-rousseausche Zeit zurückgefunden werden müsse, um dem unaufhaltsamen Verfall des Menschen als geistiges und soziales Wesen zu begegnen. Rousseau, der für Babbitt im Sinn des Vorgehens gegen festgefügte Ordnungen „the aboriginal and archetypal criminal“ („der ursprüngliche und vorbildliche Verbrecher“) war, habe eine verstiegene, weil nicht den Tatsachen des Lebens entsprechende Geisteshaltung freigesetzt, die in der Ungebundenheit des Individuums gegenüber überkommenen Gemeinschaften und einem hemmungslosen Fortschrittsglauben gipfelten. Babbitt nennt diese Geisteshaltung „romantisch“. Dieser anarchischen, alle Bindungen zersetzenden Ideologie müsse das „klassische“ Ideal von der Selbstbeschränkung des Menschen in geistigen und staatlichen Ordnungen, sein „ethischer Wille“, Dasein in unwandelbaren Werten zu vollziehen, wie er sich vor allem in der Antike und im christlichen Mittelalter gezeigt hätte, entgegengestellt und verifiziert werden. Solch eine Lehre mußte auf den Studenten Eliot um so tiefer wirken, als sie auch ihm scheinbar schlüssige Antworten auf ihn bewegende Fragen geben konnte. Von der Ödnis einer ganz auf eine florierende Wirtschaft abgestimmten, durch puritanische Prüderie und die kalvinistische Lehre vom gottgewollten Erfolg abgesicherten, dabei zum Formalismus heruntergekommenen liberalen und demokratischen Daseinsweise abgestoßen, schien sich ihm hier eine Lösung zu bieten, die den Weg zu einer Existenz in wesentlichen Werten und Bezügen eröffnete. Die Wirkung der Thesen Babbitts war um so nachhaltiger, als sich für Eliot der „American way of life“ nicht als akademisches Problem stellte. Seine Familie väterlicherseits, seit dem 17. Jahrhundert in Amerika ansässig und in all ihren Lebensäußerungen begeistert „amerikanisch“ (gleich ob in staatlichen oder geistlichen Ämtern oder als Unternehmer), bot ihm direkte Anschauung für einen oberflächlichen Konformismus, der die Parole von „Gottes eigenem Land“ mit faden Argumenten untermauerte.
In Paris nun, dem europäischen Sammelbecken für all die Ideen, die auf eine Modifikation des „modernen Kapitalismus“ oder auf dessen Abschaffung zielten, wurde Eliots Weltanschauung entscheidend und nachhaltig beeinflußt. Durch Herkommen und bereits verfestigte geistige Haltung nicht in der Lage, in der marxistischen Arbeiterbewegung (die allerdings durch den Revisionismus schon weitgehend in die Bahnen der Erhaltung des herrschenden politisch-ökonomischen Systems geraten war und nur noch dessen Reform forderte) die einzig reale Kraft im Prozeß der Überführung von materiell wie ideel unerträglichen Verhältnissen in eine humane Ordnung zu sehen, mußte er sich desto mehr beeindruckt fühlen von der Theorie Charles Maurras’, die – hierin der Lehre Babbitts adäquat eine anti-liberale und allen Fortschritt als „romantische“ Verwirrung verurteilende Position vertrat. Charles Maurras, Literaturhistoriker, Kritiker, Belletrist, hatte im Jahr 1905 eine Essay-Sammlung unter dem Titel L’Avenir de l’Intelligence erscheinen lassen, in der er – in Parallele zu seinen politischen Aktivitäten in der „Action Française“ – „Romantik“ verwarf und Rückkehr zur „Klassik“ propagierte. „Rückkehr zur Klassik“ aber hieß nichts anderes als Rückkehr zu den Konditionen einer absoluten Monarchie, in der, unter staatlicher und staatskirchlicher Disziplin stehend, der Intellektuelle den ihm gemäßen Platz als geistige Stütze einer dauernden und ethisch legitimierten Ordnung einnehmen könne, während er in einer Gesellschaft wie der bestehenden, die vorn „romantischen“ Fortschrittsglauben dirigiert sei, stete Gefahr laufe, vom Bündnis zwischen Hochfinanz und einer Arbeiteraristokratie entweder in Schlepp genommen oder zu einer Proletarier-Existenz verurteilt zu werden. Ähnlich beeindruckend wie Maurras’ Heilslehre war für den jungen Eliot Georges Sorels Werk Réflexions sur la Violence (1908 als Buch erschienen). Wenn auch Sorels Linksradikalismus, der von Lenin später als „Wirrköpfigkeit“ eingeschätzt worden ist, in anderen Traditionen wurzelt als Maurras’ Royalismus (nämlich in einem mißverstandenen Marxismus, aus dem nur das ins Anarchische verzerrte Prinzip der Gewaltanwendung zu revolutionärer Umgestaltung der Gesellschaft genommen und zum Mythos stilisiert wurde), so ist doch beiden die absolute Feindschaft gegenüber der bürgerlichen Demokratie in ihrer liberalistischen Form gemein, die Feindschaft auch gegen jeden Intellektualismus, der sich vom Mythos fernhält und die Überzeugung vom materiellen und geistigen Fortschritt der Menschheit vertritt.
1911 schloß sich dem Pariser Aufenthalt eine Deutschlandreise an, ehe Eliot zum Philosophiestudium nach Amerika zurückkehrte. Er arbeitete an seiner Dissertation über den englischen Erkenntnistheoretiker Francis Herbert Bradley, in dessen Hauptwerk Appearance and Reality (1893) eine radikale Negation der Erkennbarkeit der Welt in ihrem Wesen vorgenommen, alle Denkarbeit als in sich falsch hingestellt und einzig in einer jenseits allen fehlerhaften Denkens vollzogenen Erkenntnis eines „Absoluten“ Wahrheitscharakters zugestanden wird. Man geht wohl nicht fehl, wenn man der intensiven Beschäftigung Eliots mit dem Superagnostizismus zumindest eine Vertiefung seiner Unsicherheit der Welt gegenüber beimißt. Wahrscheinlich aber ist Eliots lebenslange Beschäftigung mit einem Absoluten jenseits menschlicher Existenz, das diese gleichwohl aber mit Sinn erfüllt, von Bradley stark beeinflußt, auch wenn in späteren Jahren diese Fragestellung von ihm nicht mehr durch philosophische, sondern durch eindeutig theologische Aussagen beantwortet werden. Die Arbeit an der Dissertation führte Eliot 1914 nach Marburg, doch zwang der Ausbruch des ersten Weltkrieges ihn, Deutschland wieder zu verlassen. Er reiste nach England, wo er zuerst in Oxford, dann in London als Lehrer und später als Bankangestellter arbeitete.
In London hatte sein drei Jahre älterer Landsmann Ezra Pound sein Domizil aufgeschlagen, auch er enttäuscht und angeekelt von der seichten Mittelmäßigkeit des amerikanischen Lebens und von der Anbetung des Erfolgs. Wie Eliot war auch Pound, motiviert von einer Ablehnung der Gegenwart, auf die Reise in die Vergangenheit gegangen, ausgerüstet mit einer stupenden Bildung, vor allem die asiatischen Kulturen und das europäische Mittelalter betreffend, um aus ihren Werten Bausteine für eine neue, nichtbourgeoise Kultur zu gewinnen. Er wurde für die nächsten Jahre zum Mentor Eliots, indem er ihn mit alter Dichtung und neuen ästhetischen Vorstellungen konfrontierte, seine Verse begutachtete und, wenn es ihm – wie im Fall des Wüsten Landes – nötig schien, sogar redigierte und zum Druck empfahl.
Der erste Gedichtband, Prufrock und weitere Wahrnehmungen (1917), läßt in den Grundzügen bereits den ganzen Lyriker Eliot erkennen, der schon seinen Stil gefunden hatte, ehe er mit Pound in Berührung kam: seine schon früh ausgeprägte Sensibilität, die es ihm ermöglichte, im Wort Stimmung und Gehalt in eins fließen zu lassen; die Technik, mit einem Bewußtseinsstrom, in dem Schilderung, Reflexion, Anspielung mitgeführt werden, einen Vorgang zuzudecken, der dann vom Leser wieder freigelegt werden muß; die Manier, Zitate oder Anlehnungen an literarisch schon Fixiertes in die Verse einströmen zu lassen (da sie nach Eliots Meinung zu dem neuen Text gehören, sind sie nicht kenntlich gemacht und müssen vom Leser nicht unbedingt als Zitate erkannt werden); die freie, stark rhythmisierende Behandlung der Verse, für die er Vorbilder in der modernen französischen Lyrik hatte (hier sind vor allem Baudelaire und Laforgue zu nennen); der Wechsel von dichterischer Sprache zur Alltagssprache; die Klarheit der sprachlichen Bilder, die er später bei Dante so sehr zu rühmen gewußt hat; nicht zuletzt auch der Einbau mythischen Materials in die banale Gegenwartswelt als thematischen und formalen Kontrapunkt und als Erweis der Kontinuität der Kultur und der These, daß im Mythos, dem antiken wie dem christlichen, alle denkbaren menschlichen Grundsituationen und Probleme aufgehoben sind. Prufrock, ein alternder, unbedeutender Mann, der sich auf dem Weg zu einer Teegesellschaft vorstellt, wie ihn die Damen abschätzig beurteilen werden, und der über der Vorstellung allen Mut verliert, die Schwelle zum Salon zu überschreiten, repräsentiert mit seinem Zaudern und seinen Vorbehalten eher einen heruntergekommenen, von kleinlichen Minderwertigkeitsgefühlen geplagten Hamlet denn den Zweifler, der die Welt falsch eingerichtet findet und nach der Kraft sucht, sie geradezurücken. Stärker als in diesem Gedicht manifestiert sich der Ekel vor dem gewöhnlichen, sich ganz in der Bedeutungslosigkeit erschöpfenden Leben in den „Präludien“. So ist auch thematisch in Prufrock und weitere Wahrnehmungen schon der Weg des Dichters Eliot bis hin zur Veröffentlichung der „Hohlen Männer“ (1925) vorgezeichnet: die bewegte, durch keine Hoffnung auf Erlösung gebrochene Elegie auf den Menschen, der sich in einer unbewohnbar gewordenen Welt sinnlos bewegt. Diese Lyrik bleibt Zustandsschilderung, Diagnose einer Zeit, deren Siechtum unheilbar scheint, heilbar auch nicht durch ultrakonservative Theoreme à la Maurras oder durch anarchisch-abenteuerliche wie die von Sorel oder durch Ideen, die Eliot selbst in seinen Aufsätzen verkündete. Einzig die Trauer, die Angst, der Ekel beherrschen das Feld, das der Lyriker Eliot ausmißt, und die Hilflosigkeit vor einer Gegenwart, die sich durch einen mörderischen, von Eliot seit seinen Anfängen als widersinnig und unwürdig empfundenen Krieg noch tiefer in das Labyrinth von Schuld begeben hat.
Durch Pound wurden Eliot Theorien, das Leben wie die Literatur betreffend, nahegebracht, die ihm die Richtigkeit des einmal von ihm eingeschlagenen Weges zu bestätigen schienen. Daß dem Dichter bei der Überwindung der Plattheit der bürgerlichen Gesellschaft eine entscheidende Rolle zufalle, indem der durch verantwortungsvollen, fast religiösen Umgang mit der Sprache Denken und Fühlen erneuere, war ausgemacht. Pounds „Imagismus“, die Lehre und Praxis einer Dichtung, die „harte, klare Konturen“ gegen romantische Verschwommenheit setzte und mit der Kanonisierung des „mot juste“ die erfahrbare Wirklichkeit ins Unerhebliche drängte, und der „Vortizismus“, der die Sprachmagie so weit trieb, dem poetischen Bild, das wie ein Strudel (= vortex) Ideen beständig in sich hineinreißt, quasi die Schöpfung einer neuen, ganz anderen Welt zuzuschreiben – solche Lehren waren Eliots Denken und seiner Dichtung nicht fremd und konnten ohne Schwierigkeit in das eigene System eingebaut werden. Theoretiker der Bewegung, die sich um Ezra Pound gebildet hatte, war T.E. Hulme. Er forderte in seinen 1924 postum unter dem Titel Speculations erschienen Essays die „neue Klassik“, die gegen den Dichter, wie er sich im Lauf der europäischen Geschichte seit dem Humanismus herausgebildet hatte, und sein angeblich auf die Vergottung des Individuums zielendes Werk die Forderung nach einer „akkuraten“ und „endgültigen“ Dichtung setzte, deren Schöpfer sich seiner „Imperfektibilität“ bewußt und darum als in ständigem Kampf gegen die eigene Unvollkommenheit begriffen werden müsse; nur auf „Tradition“ und „Organisation“ habe er sich zu orientieren. Eliot nahm diese Anschauung in seinem ersten bedeutenden und für sein Werk grundlegend gebliebenen Aufsatz, „Tradition und individuelle Begabung“ (1919), auf und führte sie in der Richtung weiter, daß Dichtung nicht Persönlichkeit auszudrücken habe, daß sie für den Dichter vielmehr ein Mittel sei, der Persönlichkeit zu entgehen. Ziel der Dichtung sei Wahrheit, die durch keine persönliche Emotion getrübt sein dürfe, und der Dichter gebe, indem er sich der „Tradition“ bewußt zu werden versuche, immer mehr von seiner Persönlichkeit auf, reinige sich sozusagen von ihr – „Dichten heißt nicht seiner Gefühlswelt freien Lauf lassen, wohl aber: sich von seinen Gefühlen befreien; Dichtung ist nicht Ausdruck der Persönlichkeit, sondern eine Art Befreiung von der Persönlichkeit.“ Dementsprechend müsse das vollendete Werk ganz aus sich und aus der Tradition, in der es steht, verstanden werden, ohne Interpretationshilfen auch durch den Autor. Viel später, bei der Premiere seines Stücks Der Privatsekretär (1954), antwortete Eliot einem Interviewer auf die Frage nach der Bedeutung dieses Dramas: „Es bedeutet, was es aussagt.“
Eine weitere Komponente seines theoretischen Verständnisses von Kunst legte er 1921 in dem Essay „Die metaphysischen Dichter“ dar. In der Periode christlicher Kunst seien im Werk der Besten Geist und Gefühl in der Weise vereint gewesen, daß Geist fühlbar und Gefühl denkbar gewesen wären und daß „die Zersetzung des Empfindungsvermögens“, die seit dem Ausgang des 17. Jahrhunderts in der europäischen Geisteswelt mehr und mehr um sich gegriffen habe, in einer neuen „Klassik“ wieder in die „Vereinigung des Empfindungsvermögens“ übergeführt werden müsse, damit Geist und Gefühl wieder zwei Aspekte einer Sache, ausgedrückt in einer sauberen Bildsyntax, wie sie schon Pound und Hulme in den Mittelpunkt gestellt hatten, sein könnten. Sein Begriff von der Tradition ist nicht starr und nicht von vornherein und vor allen Dingen nicht in der Poesie auf Wiederherstellung eines idealen Status, gerichtet, durch den ein für allemal ein Kanon von Formen und Inhalten gegeben wäre. Tradition und „historischer Sinn“ ist für ihn „eine Art Ansporn, nicht nur aus dem innersten Lebensgefühl der jeweils eigenen Generation heraus zu schreiben, sondern auch aus dem Empfinden dafür, daß die Gesamtheit der nachhomerischen Literatur Europas… sich in einem überzeitlichen Sinne gleichzeitig ausbreitet und eine gleichartige Ebene der Rangordnung darstellt“ („Tradition und individuelle Begabung“). Kein Künstler, so fährt er fort, sei für sich allein zu erfassen, kein Kunstwerk dementsprechend auch, und mit jeder neuen Schöpfung von Bedeutung verschiebe sich das Wertgefüge des Überlieferten, entstünden, wenn auch kaum merklich, andere Entsprechungen zwischen dem Alten und dem Neuen. Dieser dialektische Gedankengang von der Einheit der Weltkultur über Länder und Zeiten hinweg ist gegen die nun wirklich „romantische“ These von der Einmaligkeit und Souveränität des Künstlers und seines Produkts gerichtet und darf nicht mehr einem Angriff auf das schöpferische Subjekt gleichgesetzt werden, auch dann nicht, wenn Eliot im selben Aufsatz die Konsequenz so weit treibt, die Entwicklung des Künstlers sei ein ständiges Auslöschen der eigenen Persönlichkeit, sei „Entpersönlichung“, darauf gerichtet, allein das Werk zu Wort kommen zu lassen. Immer wieder und gegen Ende seiner lyrischen Produktion in steigendem Maß tritt der Dichter Eliot auch als Persönlichkeit vor uns hin, als ein unverwechselbares, seine biographischen Bezüge und seine Weltanschauung bewußt ausstellendes lyrisches Ich.
Daß von diesen Theorien manches in Eliots poetische Praxis eingeflossen ist, daß die poetische Praxis seit ihren Anfängen mit Prufrock durch sie bestätigt und untermauert werden kann, ist unbezweifelbar. Doch der Inhalt seiner Dichtungen läßt nicht den Schluß zu, daß die reaktionären Zielvorstellungen, die die Klassik-Spekulationen der Babbitt, Maurras und Hulme bestimmen und die sich Eliot zum Teil und auch stark modifiziert zu eigen gemacht hat, seine Lyrik beherrschen.
Das wüste Land, zum erstenmal abgedruckt in The Criterion (Oktober 1922), das große dunkle Gedicht, das – weit über die Klagen und Wirrungen einer „verlorenen Generation“ hinaus – die Sinnlosigkeit der Existenz, die Verlorenheit des Menschen und die Richtungslosigkeit seines Suchens unter den Fragmenten des Lebens wortmächtig ausstellt, ist alles andere als Weisung in eine unbürgerliche, durch „klassische“ Haltung gefestigte Zukunft. Es ist der verzweifelte Versuch, inmitten barbarischer Sprachlosigkeit angesichts des unfruchtbar, „wüst“ gewordenen Daseins ohne Hoffnung auf neue Fruchtbarkeit Bestandsaufnahme einer in Scherben liegenden Welt zu machen. Dantes Höllenvisionen erleben hier ihre Auferstehung, in den Toten, die keine Ruhe finden, in den unwirklichen und in ihrer Austauschbarkeit gesichtslosen Städten, die von stumpfen, oberflächlichen Menschen bevölkert sind, in den vergeblichen Ansätzen zur Liebe. Eliot weist in den Erläuterungen, die er der Buchausgabe dieser Dichtung hinzugefügt hat (übrigens weniger, um dem Leser einen Ariadnefaden durch das Labyrinth von Zitaten und Anspielungen in die Hand zu geben, als um sich vor einem Vorwurf zu rechtfertigen, er mache unterderhand Anleihen quer durch die Weltliteratur) unter anderem auf den Untertext des Gedichts hin: auf die Legende vom Gral, die in ihrem vorchristlichen Ursprung in einem Fruchtbarkeitsmythos gegründet ist. Der Mythos hat jedoch im Wüsten Land seine Kraft verloren, kann die steinige, wasserlose Wüste – immer wieder beschworener Hintergrund, vor dem das schwer faßbare, komplizierte und vieldeutige Geschehen abläuft – nicht mehr zum Blühen bringen.
Der Mythos aber ist, wie Eliot in einer Besprechung des Ulysses von James Joyce (1922) anmerkt, „eine Methode, mit der man die Zeitgeschichte – jenes ungeheure Panorama der Nichtigkeit und Anarchie bewältigt, ordnet, gestaltet und mit Sinn erfüllt“. Und das „ungeheure Panorama der Nichtigkeit und Anarchie“ wird noch einmal eindringlich in dem fünfteiligen Gedicht „Die hohlen Männer“ (1925) beschworen: „Dies ist das tote Land / Dies ist das Kaktusland“, bevölkert von „Ausgestopften“. Doch finden sich hier schon Anzeichen dafür, daß Eliot den Versuch macht, die Unerträglichkeit des Lebens in einer sinnlos gewordenen Welt aufzuheben, indem er den Tod transzendiert und Sinngebung und Erfüllung von Hoffnung und Sehnsucht in sein Reich jenseits der scheinbar Lebenden verlagert. Allein die „hohlen Männer“ sind ohne Kraft, die Grenze zum „anderen Reich des Todes“ zu überschreiten, und so beherrscht noch einmal und eindringlich die Klage über die Verlorenheit den Schluß des Gedichts im dreimal wiederholten „Auf diese Art geht die Welt zugrund“.
Eliots Leben, bisher ohnehin nicht von bemerkenswerten äußeren Ereignissen bestimmt, verlief in der Folgezeit vollends in sehr ruhigen Bahnen, Übrigens im Gegensatz zu dem Ezra Pounds, der sich immer tiefer in die Praxis „konservativer Revolution“ einließ und folgerichtig zum Apologeten des faschistischen Mussolini-Staats wurde. Seit 1925 war er Direktor beim Verlag Faber & Gwyer (später Faber & Faber), der fast alle seine Werke veröffentlichte; bis 1939 gab er The Criterion heraus, die Zeitschrift, die sich immer mehr zum Sammelbecken konservativer Kultur- und Gesellschaftskritik entwickelte, die jedoch auch hin und wieder progressiven Ansichten ihre Spalten zur Verfügung stellte (unter anderem schrieb der englische Marxist A.L. Morton zehn Jahre lang Beiträge für The Criterion, und Hugh McDiarmids „Zweite Hymne an Lenin“ wurde abgedruckt). 1927 erwarb er die englische Staatsangehörigkeit und vollzog so auch formal die Abkehr von seinem amerikanischen Geburtsland, das er schon früh als den Inbegriff des veräußerlichten, des „hohlen“ Lebens abgelehnt hatte (ohne jedoch in dem Maß, wie er glauben machen wollte, Konsens mit der spätbürgerlichen britischen Gesellschaft zu finden). In die gleiche Zeit fällt er seine Konversion zum Anglo-Katholizismus, der konservativen Gruppe innerhalb der Church of England, die dem rechten Flügel der römisch-katholischen Kirche in der Theologie wie in der Gesellschaftspolitik nahestand. So konnte er ein Jahr später in der Einleitung zu der Essay-Sammlung Für Lancelot Andrewes von sich schreiben, er sei „ein Anglokatholik in der Religion, ein Klassizist in der Literatur, ein Royalist in der Politik“. Es ist von bürgerlichen Literaturwissenschaftlern im Zusammenhang mit Eliots Konversion wie überhaupt mit seiner Tendenz zu autoritativer Ordnung darauf hingewiesen worden, daß möglicherweise oder gar wahrscheinlich unterbewußte Haltungen im Spiel gewesen seien. Ob solches Vorgehen zur Erklärung seines Werks, das neben den Schwierigkeiten im Formalen auf eine komplizierte, schwer zu ergründende und in manchem kaum begreifbare Persönlichkeitsstruktur schließen läßt, erlaubt oder auch nur empfehlenswert ist, muß bezweifelt werden, zumal Selbstzeugnisse wie Briefe und Tagebücher vorerst ausschließlich für Forschungszwecke zugänglich sind. Was dem Betrachter des Eliotschen Werks bleibt, ist die soziale und politische Situation der bürgerlichen Gesellschaft seiner Zeit und seine durch Dichtung und Essay vielfach belegte Stellung zu ihr. Beides reicht aus, um den Autor, der in seiner Konterstellung gegen einen verrotteten, den nackten Egoismus und den rapiden Verlust an tragfähigen Ideen nur mühsam kaschierenden Liberalismus den Anschluß an fortschrittliche Kräfte nicht fand und zum Kritiker von rechts wurde, als konservativen Dichter zu erkennen. Zwar hat er sich nie für den Faschismus, am allerwenigsten für den deutscher Prägung, erklärt (wenn auch gegen Ende der zwanziger Jahre und in den beginnenden dreißiger Jahren manchmal ein Wort des Verstehens für Mussolini und den britischen Faschistenführer Mosley in die Artikel im Criterion eingeflossen ist), wie er sich überhaupt selten und definitiv mit der Tagespolitik auseinandergesetzt hat. Doch war seine Haltung auf literaturkritischem und kunsttheoretischem Gebiet eindeutig – und sie blieb es auch nach der Zerschlagung des deutschen Faschismus – auf den elitären Charakter von Kultur und ein Modell von der Gesellschaft, gerichtet. in dem die Religion und der Staat geistige wie materielle Ordnung im Verein garantieren. Den Begriff der Elite aber wollte er nicht so verstanden wissen, daß Kultur ein Privileg weniger abgesonderter Künstler und Intellektueller zu sein habe; die Elite sei vielmehr aus allen Volksschichten zusammengesetzt. Und wieder ist es Eliots poetisches Werk, das seine eher mühsame Theorie in ausdrucksstarken Versen in dem Sinn humanisiert, daß in ihnen die Not deutlich wird, die die Überwindung der banalen Welt mit sich bringt, und die Hoffnung, sich eins fühlen zu können mit einem Sinn, der dem Leben wie dem Tod innewohnt. In „Aschermittwoch“, dem Poem von 1930, wird zum erstenmal die Verzweiflung überwunden, die „Das wüste Land“ und „Die hohlen Männer“ durchzieht, wenn auch um den Preis einer totalen Metaphysierung des Lebens. Eliot sieht keine andere Kraft, den Un-Sinn des Daseins aufzuheben, die Wüstenwanderung des Menschen zu beenden, als die Hinwendung zum christlichen Dogma: Zu tief hat er die Verzweiflung an seiner Zeit erfahren, zu sehr ihre Verlogenheit, ihre Negation des Geistes, ihre stete Bereitschaft zum Rückfall in die Barbarei, als daß er zu der paulinischen Lehre von der Erlösbarkeit der Welt durch Brüderlichkeit hätte finden können. Das lyrische Ich, eingegrenzt von der Klage „Weil ich nicht hoffen darf auf Kehr und Dauer“ und dem Trost „Wiewohl ich nimmer hoff auf Kehr und Dauer“, bleibt allein auf seinem Weg aus der Verlorenheit an die Wüste; sein bürgerlicher Individualismus, vorgeprägt seit Jugendtagen und seitdem in Überlegungen zu elitärem Dasein immer wieder gefördert, kennt selbst die urchristliche „Gemeinschaft der Sünder“ nicht. So wird der Aschermittwoch – im katholischen Verständnis der Tag der Umkehr zu einem sinnvollen, sündenfreien Leben und der Versöhnung mit Gott und den Menschen, aber auch der Tag des memento mori – nur zum Symbol für Tod, Wandlung und Wiederkehr. Entsprechend ist dieses sprachgewaltige Gedicht mit Formeln aus dem Meßbuch, mit Reminiszenzen an evangelische Worte, mit Gebeten zu Maria und Hinweisen auf Riten des Gottesdienstes ausgestattet. Wie in dem 1935 uraufgeführten Drama Mord im Dom, in dem das Problem der Sündhaftigkeit einer Sehnsucht nach dem Märtyrertod abgehandelt wird, tritt Theologisches unverhüllt vor den Leser. Auch die „Adel-Gedichte“, in den Jahren 1927 bis 1931 entstanden, stehen deutlich unter dem Zeichen der Konversion zu einem konservativen Christentum, doch stellen sie nicht mit der Emphase wie „Aschermittwoch“ die Schwere des Ringens um ein neues Verständnis der Welt aus. Die Todes-Thematik unter dem Aspekt, im Sterben nicht mehr verloren, sondern aufgehoben zu sein, herrscht in ihnen vor, so wie es in „Die Veredelung von Weihnachtsbäumen“ ausgedrückt ist: „Weil jeder Anfang uns ans Lebensende denken lassen soll, / Das Erste Kommen an das Zweite.“
Kreativer Umgang mit der Lyrik wurde – trotz zeitweiliger Hinwendung zum Drama und einer kontinuierlichen Auseinandersetzung mit den Ideen der Zeit in Essays und Vorträgen – die eigentliche und wesentliche Form der literarischen Existenz Eliots. In die Gedichte hat er die Traditionen eingehen lassen, denen er sich verpflichtet wußte; in den Gedichten ist seine Anschauung von Welt sinnlich faßbar geworden, wenn auch in einem schwer zu entschlüsselnden Code; mit den Gedichten hat er Maßstäbe gesetzt, die für den ehrlichen Umgang mit dem Wort, mit der Trope, mit dem Metrum gelten können. Und es ist ein Zyklus von Gedichten, mit dem er die Summe seines Lebens zog, bezeichnenderweise früh: zwischen 1935 und 1942. Dreiundzwanzig Jahre vor seinem Tod (1965) war sein lyrisches Vermächtnis, für das er 1948 mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wurde, abgeschlossen, lag vor, was er als seinen Beitrag zur Dichtung ansah. Das Werk erschien 1944 unter dem Titel Vier Quartette, und die Überschriften zu den vier Gedichten verweisen auf Örtlichkeiten, die für Eliot eine Bedeutung hatten: Burnt Norton ist ein Landsitz in Gloucestershire wo er sich im Sommer 1934 aufhielt; East Coker ist ein Dorf in Somersetshire, von wo aus im 17. Jahrhundert sein Vorfahr nach Amerika aufbrach; Dry Salvages ist eine Felsengruppe an der Küste von Massachusetts, wo die Familie Eliot ein Sommerhaus besaß; Little Gidding ist eine von Eliot besuchte Ortschaft, in der es im 17. Jahrhundert eine karlistische anglikanische Gemeinde gab, deren Kapelle von den Puritanern niedergebrannt wurde. Eliot läßt die Erfahrung seines Lebens und die Essenz seines Denkens in rund neunhundert Verse einströmen, die sich nach musikalischen Prinzipien ordnen lassen. Mit deutlichem Bezug auf die Vier Quartette führte er 1942 in einem Vortrag „Musik im Vers“ aus:

Es ist möglich, daß ein Dichter zu sehr in Analogie zur Musik arbeitet: das würde die Wirkung der Künstlichkeit zur Folge haben; aber ich weiß, daß ein Gedicht, oder der Abschnitt eines Gedichts, danach streben kann, sich zunächst als ein bestimmter Rhythmus zu verwirklichen, bevor es den Ausdruck im Wort erreicht, und daß dieser Rhythmus Idee und Bild aus sich gebären kann… Die Verwendung wiederkehrender Themen ist der Dichtung ebenso natürlich wie der Musik. Der Vers hat Möglichkeiten, die in gewisser Weise der Entwicklung eines Themas durch verschiedene Gruppen von Instrumenten entsprechen; in einem Gedicht gibt es Möglichkeiten des Übergangs, die sich mit den verschiedenen Sätzen einer Symphonie oder eines Quartetts vergleichen lassen; und es gibt Möglichkeiten für die kontrapunktische Anordnung des dichterischen Gegenstandes.

Nicht – nach romantischer oder symbolistischer Zielstellung – vollständige Überführung des Gedichts in Musik und also Verzicht auf literarischen Sinngehalt war das Ziel, nur Ordnung und Komposition des dichterischen Gegenstands nach musikalischen Prinzipien. Deutlich heben sich philosophische und theologische Themen aus der Fülle der Bilder, die sich dem Leser selten mit Eindeutigkeit erschließen, aber dennoch Sprachbewußtheit und Phantasie aktivieren. Diese Themen ziehen sich leitmotivisch durch den Text, lösen Meditationen aus, werden mit Allusionen und Allegorien umspielt, haben deutlich auf das eigene Leben bezogene Passagen zur Folge. Indische Weisheiten und Sätze der christlichen Dogmatik wechseln mit immer wieder angesetzten Reflexionen über die Sprache und über den Umgang mit ihr, so wie pathetische und lyrische Diktion vom nüchternen Begriffsapparat der Philosophie und dann wieder von saloppem Alltags-Idiom abgelöst wird. Daß Zeit im Sein aufgehoben und daß darum Gegenwart der Ewigkeit gleich ist, einer Ewigkeit, die auch die vierte Dimension der Zeit, die Möglichkeit, einschließt, ist das zentrale Thema, unter dem diese Zusammenschau von Leben steht, und es wird wieder und wieder variiert. Aus ihm erwächst auch der für Eliot typische Eingangsvers „In meinem Anfang ist mein Ende“ („East Coker“), das in seiner dialektischen Spannung sowohl das christliche Paradoxon des Lebens auf den Tod zu neuem Leben hin mit sich führt als auch die Einsicht in die antithetische Natur allen Daseins. Daß dieser Vers auch Bezug zur eigenen Biographie hat – nicht von ungefähr steht er am Beginn des Gedichts, dessen Titel auf die Herkunft seiner Ahnen verweist – und darüber hinaus, in der Umkehr, einen Ausspruch Maria Stuarts verarbeitet, mag einen Eindruck von der Verschränkung der Eliotschen Gedankengänge geben. Der Vers sollte aber auch als Bilanz des Dichters Eliot begriffen werden, der mehr als zwanzig Jahre zuvor aufgebrochen war, Welt im Gedicht neu erstehen zu lassen, und der nun am Ende seines Wegs durch die Mühsal der Bewältigung von Sprache zu der kritischen Einsicht kommt, daß, wie am Anfang, die Unvollkommenheit sein Teil ist:

Hier bin ich nun auf dem halben Weg, nachdem ich zwanzig Jahre −
Zwanzig meist vergeudete Jahre, die Jahre
entre deux guerres
Bestrebt war, den Umgang mit Worten zu lernen, und jeder Versuch
Ist ein ganz neues Beginnen, eine Art von Mißlingen,
Weil man erst lernt, die Worte zu meistern
Für Dinge, die man nicht mehr sagen will, oder für Formen,
In denen man sie nicht mehr sagen möchte. Darum ist jeder Versuch
Ein neuer Anfang, ein Vorstoß in das Sprachlose,
Mit schlechter Ausrüstung, die sich weiter abnützt
Im Durcheinander unbestimmter Gefühle,
Ungezügelter Truppen des Herzens.

Karl Heinz Berger, Nachwort, Oktober 1976

 

T.S. Eliot

Der Name des im amerikanischen Mittelwesten geborenen englischen Lyrikers, Essayisten und Dramatikers Thomas Stearns Eliot ist nicht zu trennen von der Rebellion junger bürgerlicher Intellektueller gegen die etablierte Literatur und die imperialistische Wirklichkeit in der Epoche des ersten Weltkrieges. „Auf diese Art geht die Welt zugrunde / Nicht mit einem Knall: mit Gewimmer.“ So lautet Eliots Diagnose über eine Realität, die er als Chaos begriff und in seinen Gedichten, am konsequentesten in den frühen, atomisierte und puzzleartig so zusammenlegte, daß zwischen den einzelnen Teilen noch Raum blieb: Zertrümmerung ohne anschließende Synthese, Nebeneinander von Fragmenten, Fetzen, Bruchstücken, Splittern. Banalitäten des bourgeoisen Alltags werden zu wirksamen Bildern, die Synkopen des Jazz ersetzen den herkömmlichen Vers, die schnoddrige Umgangssprache verdrängt die gestelzte Rede der zeitgenössischen Dichtung – der Traditionalist Eliot wird zum Wegbereiter einer neuen Lyrik. Sein bedeutendes Werk liegt hier in einer repräsentativen Auswahl vor, die seiner geistigen Entwicklung folgt: über die Ernüchterung, Verzweiflung und Resignation bis zur völligen Hinwendung zu Gott in dem Zyklus Vier Quartette, der die Landschaft zwischen den Sentenzen „In meinem Anfang ist mein Ende“ und „In meinem Ende ist mein Anfang“ dichterisch ausmißt.

Verlag Volk und Welt, Beilegzettel, 1977

 

In memoriam T.S. Eliot

Am 4. Januar starb in London im Alter von sechsundsiebzig Jahren Thomas Stearns Eliot, bekannter einfach als T.S. Eliot. Von den anglo-amerikanischen Dichterpersönlichkeiten, die den zwanziger Jahren Glanz und Größe gaben, lebt nun nur noch Ezra Pound, der geniale und umstrittene Vermittler, der auch Eliot entdeckt und berühmt gemacht hat.
Das Gefühl des Verlustes beim Tode von Eliot ist besonderer Art; denn anders als etwa James Joyce, D.H. Lawrence, W.B. Yeats, Hemingway und Faulkner blieb er nicht vorwiegend Außenseiter der Gesellschaft, sondern wandelte sich im Laufe seines Lebens so, daß er schließlich eine repräsentative Gestalt wurde, und es hätte wohl kaum überrascht, wenn er wie einst Wordsworth und Tennyson bei einer allfälligen Vakanz dieses Postens zum offiziellen englischen Poeta lauureatus erklärt worden wäre. T.S. Eliot war zwar wie die genannten Zeitgenossen einer der größten dichterischen Revolutionäre unseres Jahrhunderts, er war aber auch, anders als sie, ein Gentleman. Er war es vor allem in seiner vornehmen Selbstdisziplin, die ihn auch während eines jahrzehntelang quälenden Schicksals — der geistigen Umnachtung seiner ersten Frau — eine bewunderungswürdige Haltung bewahren ließ. In diesem Gegensatz von Revolutionär und Gentleman — so wenig originell er auch anmuten mag — läßt sich viel von T.S. Eliot erfassen, von seiner großen Leistung und von seiner Tragödie.
Nur ein Engländer kann selbstverständlich, ohne Anstrengung und Verkrampfung, Gentleman sein. T.S. Eliot aber stammte aus dem amerikanischen Mittelwesten, aus St. Louis, und kam erst über Harvard, wo er Philosophie studierte, nach Europa, bis er sich im Ersten Weltkrieg endgültig in London niederließ, zuerst als kleiner Bankangestellter, später als angesehener Verlagsdirektor. Er wählte so wie der andere große amerikanische Dichter vor ihm, der die britische Staatsangehörigkeit annahm, wie der Romancier Henry James, „das große graue Babylon“ zum Wohnsitz und zum Ort seiner Inspiration. Und wie sein Landsmann Henry James wurde T.S. Eliot schließlich englischer als die Engländer.
Am Anfang hatte er in scharfem Gegensatz zur herrschenden englischen Tradition gestanden. Die englische Dichtung war bis in den Ersten Weltkrieg hinein mehr und mehr insular, ja provinziell geworden. Sie zehrte von der Überlieferung der großen englischen Romantiker, und alle scheinbaren Erneuerungsbewegungen waren im Grunde immer nur wieder Neuauflagen der Romantik mit einem ganz besonders starken Akzent auf der idyllischen Naturverehrung, ja Naturschwelgerei, die auch noch den sogenannten Georgiern im Ersten Weltkrieg das Gepräge gab. Und verbunden damit war ein Anflug von oft etwas verträumtem und verschwommenem Schönheitsgefühl. Teilweise Ausnahmen wie Thomas Hardy und Rudyard Kipling, den Eliot sehr hoch schätzte, vermochten daran wenig zu ändern. Der englische Poet par excellence am Anfang unseres Jahrhunderts war A.E. Housman, und er ist es für viele Engländer heute noch.
In diese Welt brachen zuerst die vorwiegend amerikanischen Imagisten mit Ezra Pound ein, dann aber besonders T.S. Eliot, sowohl im Inhalt wie in der Form der Lyrik. Im Inhalt trat bei Eliot an Stelle der seit Jahrhunderten besungenen Landschaft die moderne Großstadtzivilisation. Die scharfe, unbarmherzige naturalistische Beobachtung, die auch vor den Sphären des Gemeinen und Schmutzigen nicht zurückschreckt, ist für diese Gedichte wesentlich, aber nicht allein ausschlaggebend. Mit ihr verschmolz bei Eliot eine unheimliche symbolische Vertiefung und Überhöhung, die die festen Konturen zum Teil wieder auflöst oder verzerrt und die Welt gespenstisch werden läßt. Formal entwickelte er an Stelle der wohlklingend gereimten regelmäßigen Verse eine der Prosa oft stark angenäherte feinere, freiere, subtil gebrochene Rhythmik. Subtil und hintergründig gebrochen ist auch der Blickwinkel der Wahrnehmung, in einer Folge von Bezügen auf Unausgesprochenes, in ironischen Spiegelungen und abrupt dissonantischen Stimmungs- und Standpunktsänderungen, die im extremen Fall durch Einmontierung von Zitaten aus verschiedenen Sprachen gekennzeichnet sind.
All dies war in England neu, umstürzend, bestürzend, und auch befreiend. Um dieses Neue historisch abzuleiten, hat man immer wieder auf den unleugbaren Einfluß verschiedener französischer Symbolisten hingewiesen, doch im Grunde war all das, was Eliot mit einer durchschlagenden Präzision schuf, tief in der amerikanischen Tradition angelegt: Naturalismus, Symbolismus, freiere Rhythmen mehr vordergründig, der ironische Standpunktwechsel eher latent, da diese Tendenz offenbar erst dann mit vehementer Wucht aus dem amerikanischen Geist hervorbricht, wenn er sich nach England verpflanzt, so wie bei dem meisterhaften, fast diabolischen Ironiker Henry James.
Insgesamt ergriff den Betrachter der frühen Gedichte Eliots das Gefühl der Wurzellosigkeit in einem kaleidoskopischen Reichtum von überraschend isolierten und ineinanderspielenden Facetten, einer Wurzellosigkeit, die zum Teil amerikanisches Erbteil sein mag, intensiviert durch die Verpflanzung in den fremden europäischen Bereich, der keinen Halt mehr zu geben vermochte. Seine große Eröffnungsvorstellung gab Eliot 1917 mit dem „Love Song of J. Alfred Prufrock“, dem Gedicht, das auch seine gesammelte Lyrik eröffnet. Es war von Ezra Pound auf den ersten Blick als eine außerordentliche Leistung erkannt worden. Hier erklingt zum erstenmal voll der unverkennbare Eliotsche Ton, der ihn kaum je ganz verläßt. Wir können ihn frustriert-elegisch nennen. Schon der Titel verrät das. Liebeslied: das klingt romantisch, aber es ist das Liebeslied von J. Alfred Prufrock. Der Name des Sängers, der gar nicht singt, sondern in einem inneren Monolog gefangen bleibt, wird uns wie auf einer amerikanischen Visitenkarte bei einem routinemäßigen gesellschaftlichen Besuch präsentiert. Er frustriert ironisch das romantische Element, aber die Sehnsucht bleibt in elegischer Resignation, aus der manchmal plötzlich atemberaubend fremdartige Bilder aufbrechen. Zugleich dokumentiert sich im komisch wirkenden Namen — der Dichter war ein Genie in der Namenfindung — Eliots Tendenz zum trockenen Humor, der ihn vor übergrossem Selbstmitleid bewahrt und seiner Dichtung oft etwas unvermutet Liebenswertes gibt, nicht nur in seiner Gedichtsammlung Old Possum’s Book of Practical Cats, in der er seinen so lebendigen, doch kritisch distanzierten Lieblingstieren ein Denkmal gesetzt hat.
In „Prufrock“ zeigt sich aber auch schon, daß Eliot auf dem Gebiet der „auditory imagination“ —  um eines der vielen fruchtbaren Schlagwörter zu verwenden, die Eliot mit lässiger Hand den Schulkritikern zuwarf — alle seine englischsprachigen Zeitgenossen übertraf (mit der Ausnahme vielleicht von Yeats), denn seine Klangmagie übt oft eine fast hypnotische Wirkung aus. Man denke nur an die einleitenden Zeilen mit ihren schneidend hellen Vokalen und hinterhältigen Zischlauten beim Gang durch die Großstadtstraßen, bis zu

Oh, do not ask, „What is it?“
Let us go and make our visit.

Und dann schlagartig die warme intime Innenwelt:

In the room the women come and go
Talking of Michelangelo.

Über seiner hochpotenzierten intellektuellen Leistung, die Anlaß zu ungezählten scharfsinnigen Dissertationen gibt, wird allzu oft vergessen, daß Eliot einer der ganz großen lyrischen Zauberer war, der mit scheinbar anstrengungsloser Bewegung dem Leser immer wieder Schauer, die nicht lautlich isoliert sind, sondern aus der größeren Imagination auf steigen, über die Haut zu jagen vermag.
In „Prufrock“ zeichnet sich aber auch inhaltlich die spezifisch Eliotsche Problematik ab. Prufrock ist der von der lebendig geliebten und beseelten Sinnenwelt abgeschnittene Gentleman, ein Gentleman nicht so sehr englischer Prägung, sondern eher amerikanischer Abart: der puritanisch verhemmte Gentleman, wie man ihn etwa in den Romanen von Henry James, vorab in den Gesandten findet. Im weiteren Sinne stehen Prufrock und seine Verwandten auch für den von den Grundquellen des Lebens abgetrennten Bürger, der sich seine Sehnsuchte nur heimlich halb einzugestehen wagt und ihrer oft gar nicht richtig bewußt ist. So konnte Eliot schon dank seiner Grundthematik weit über England hinaus wirken, in Deutschland allerdings erst richtig nach dem Zusammenbruch der scheinbürgerlichen Welt im Jahre 1945.
Eliot suchte den Ausweg aus der erstarrend-erstarrten Form des puritanischen Gentleman in einer Welt des Umbruchs in zwei Richtungen. Einmal suchte er den Zugang zu den von der Zivilisation verschütteten Lebensquellen, zum anderen wollte er sich in einer weit über den Augenblick einiger Jahrzehnte hinausreichenden historischen Tradition verankern. In beiden Richtungen wollte er den Weg zu den Wurzeln finden.
Die Suche nach den im untergründigen Dunkel verschütteten Quellen des Lebens läßt sich aber nur noch spurenweise erkennen. Zum Teil hat Eliot diese Gedichte, wie beispielsweise das lange vorbereitete „King Bolo and his Great Black Queen“ vernichtet, unterdrückt oder fragmentarisiert. Und als Eliot The Waste Land Ezra Pound zur Begutachtung vorlegte, schnitt Ezra Pound gerade die Stellen, die sich auf Joseph Conrads Heart of Darkness bezogen, heraus. Es blieb so schon 1922, als The Waste Land erschien — im gleichen Jahr wie Ulysses — für Eliot nur „the heart of light“, das Herz des Lichts, des überhellen Lichts. Die Worte, die in The Waste Land auf the heart of light folgen, sind ein Wagnerzitat, das die zerstörende Folge im ins Deutsche verfremdeten Titelstichwort enthält: Öd und leer das Meer.
Es ist wohl so, daß Eliot lange Jahre vor dem Waste Land nach dem Herzen der Dunkelheit als dem einen Lebenspol und Lebensquell suchte. In dieser Zeit war er auch eigentümlich vom Motiv der Schlange, und auch vom dunklen Fluß, fasziniert. Von dieser tiefen Neigung zu dunklen untergetauchten Lebenselementen, ohne die Eliot ja nie ein großer Dichter geworden wäre, bleibt in seinen gesammelten Gedichten offenkundig nur seine Liebeserklärung an das urschlammige Flußpferd im frühen „Hippopotamus“, einem einzigartigen Juwel von gelöster Menschlichkeit und göttlichem Humor. Eliot war wohl zu sehr durch eine Jahrhunderte alte, den dunkel-sinnlichen Lebenskräften feindliche christlichpuritanische Tradition geprägt, um den entscheidenden Zugang zum fruchtbaren Dunkel zu finden und eine gültige Verbindung im Zwischenbereich zwischen dem Herzen der Dunkelheit und dem Herzen des Lichts zu schaffen. In der unerträglichen Spannung zwischen den Extremen erlitt Eliot einen seelischen und nervlichen Zusammenbruch, woraus dann in der Rekonvaleszenz am Genfer See — By the waters of Leman I sat down and wept — das Waste Land hervorging, diese verzweifelte, vergebliche Suche nach dem belebenden Wasser in der vertrocknenden Ödnis der Seele, nachdem er im entscheidenden Moment nur ins Herz des Lichts geblickt und sich ihm verschrieben hat.
Was den Sprecher am Ende des Waste Land noch hält, sind eine Reihe von Zitaten aus Dichtungen vergangener Jahrhunderte. „These fragments I have shored against my ruins.“ Zitate halten ihn oder, wenn man einen positiveren Ausdruck Eliots übernehmen will, die Tradition, in deren Tiefe er Rettung suchend auf dem zweiten Wege vordringt.
Schon früh hatte sich Eliot der englischen Tradition angepaßt, was es ihm beispielsweise ermöglichte, genau im konventionellen Stil des Times Literary Supplement anonym zu schreiben. Bedeutender ist der wohl berühmteste seiner einflußreichen Essays: „Tradition and the Individual Talent“ aus dem Jahre 1919. Hier und anderswo zeigt sich seine eigentümlich unenglische, man kann wohl auch sagen uneuropäische Auffassung von Tradition. Tradition ist für Eliot im Grunde nicht so sehr ein vielfältiger Strom kontinuierlicher Überlieferung, aus der heraus man weiterwächst, sondern eher eine hochbewußte Struktur der wichtigsten, geschickt und sinnvoll ausgewählten Höhepunkte der Vergangenheit. Wenn man will, eher ein kunstvolles ästhetisches Arrangement vergangener schöner Momente; eher ein organisiertes Museum als lebendige Geschichte. Auch hier schnitt sich Eliot von den lebendigen Wurzeln ab.
Um so mehr betonte Eliot in der Theorie den lebendigen Zusammenhang zwischen Gefühl und Verstand und prägte das berühmte Wort von der „dissociation of sensibility“, der Zertrennung der Empfindungseinheit, die England, und nicht nur England, um die Mitte des siebzehnten Jahrhunderts befallen habe, also ungefähr mit der Gründung der Royal Society und dem Sieg des Empirismus. Durch Eliot vor allem wurden die Dichter und Dramatiker der ersten Hälfte des siebzehnten Jahrhunderts, denen er zahlreiche bahnbrechende Essays widmete, auf Kosten der Romantiker in den Vordergrund gerückt. Bezeichnend ist aber, daß sich Eliot mit dem größten dieser Zeit, mit Shakespeare, nie richtig befreunden konnte. Shakespeare war ihm bei aller Bewunderung zu ungeordnet, zu fluktuierend, mit einem Wort zu unberechenbar lebendig, Eliot hielt sich lieber an den scholastischeren Dante und stieg mit fast dantesker Systematik aus dem sehnsüchtig erahnten, aber erschreckenden Dunkel, das für ihn nun nicht mehr das fruchtbare, sondern das leere Dunkel ist, empor zum Licht, aber damit auch zum Ort der Verbrennung. Nach dem Schrei aus der die Wurzeln verdorrenden Trockenheit des Waste Land geht er entsagend weiter zur Umarmung der verglühenden Asche der späten Dichtung. Spiralenförmig der Aufstieg, wie in Dantes Purgatorio, in „Ash Wednesday“. Und dann am Ende seiner Lyrik, erstarrend, die vier Quartette in systematischer, ja quadratischer Anordnung, in durchsichtig fragil ausgebrannter Sprache, wobei sich in den vier Ortsnamentiteln „Burnt Norton, East Coker, Dry Salvages, Little Gidding“, wohl kaum bewußt, die Worte „verbrannt, Koks, trocken, klein“ ein trostloses Stelldichein geben, so daß von daher ein eigentümlich ironisches Licht auf die systematisch-programmatisch entwickelte späte tröstende Botschaft fällt. Schon etwas früher, am Ende der zwanziger Jahre, hatte sich Eliot weniger subtil programmatisch zu sichern gesucht, als er in seinem bekannten Ausspruch erklärte, in der Politik sei er ein Royalist, in der Literatur ein Klassizist, in der Religion ein Hochanglikaner – ein fast parodistisch anmutendes Credo eines englischen Gentleman. Es ist, als ob Eliot einen dogmatischen Panzer um seine sensible, von den Wurzeln abgeschnittene Seele legen wollte. Von dieser „Trockenen Errettung“ aus, um den Titel seines dritten Quartetts zu zitieren, schreitet Eliot fort zu einer mehr in die Breite wirkenden Tätigkeit, in programmatischen Schriften zur Kultur und in seinen Versdramen, die bewußt und gewissenhaft eine Art von Dienst des ehemaligen Esoterikers an der größeren Gemeinschaft sind.
Obwohl Eliot in dieser Zeit den Nobelpreis erhielt, ist wohl kaum daran zu zweifeln, daß seine größte Dichtung viel früher entstand, in der Krise der Jahre des allgemeinen Zusammenbruchs und Umbruchs nach 1918, die sich mit seinem eigenen seelisch-geistigen Zusammenbruch trafen. Das zeigt sich schon rein formal. The Waste Land gliedert sich wie zufällig gewachsen, in fünf Teile, wovon der vierte ganz kurz ist. Über diese Struktur ist Eliot in seinen späten Werken nicht mehr hinausgekommen. Alle vier Quartette der dreißiger und vierziger Jahre spiegeln sie haargenau wider, aber nun zum formalen, ja formalistischen System erhoben. Es gibt auch andere Symptome für diese negative Entwicklung der versiegenden Kräfte. Zum Beispiel das Wort „golden“. Es taucht um 1918 herum zum erstenmal in Eliots gesammelter Lyrik auf und erscheint am Ende der zwanziger Jahre zum letztenmal abschiednehmend in „Aschermittwoch“. Die goldene Dichtung T.S. Eliots deckt sich ziemlich genau mit dieser Zeitspanne; was nachher kommt, könnte man seine silberne Dichtung nennen. Dies ist in unserer lyrisch etwas dürftigen Zeit immer noch viel, sehr viel sogar, doch der goldene Glanz, in dem sich Eliots verzweifelter Seelenkampf dichterisch verwandelte, ist dahin. Es ist aber die Gnade der Dichtung, daß er uns trotzdem immer erhalten bleiben wird, und dafür sagen wir T.S. Eliot Dank.

Richard Gerber, Neue Rundschau, Heft 1, 1965

Kalenderblatt für T.S. Eliot

Niemand spricht von Thomas Stearns Eliot. Selten wird auf seinen amerikanischen Ursprung verwiesen. Eliot war der perfekteste Engländer amerikanischer Herkunft. Am 26. September 1888 in St. Louis/USA geboren, kehrte der 26jährige dem nordamerikanischen Kontinent den Rücken. Die europäischen Wurzeln seiner Familie ernährten Eliot. Heimat war für den Dichter der Ort, von dem ausgegangen wurde. Also nannte er Europa, die Religion, die Kreativität seine Ausgangsorte. England, die Kirche und die Poesie machte der ungläubige Amerikaner zu seinen Zufluchtsorten. Der schlanke, schmallippige Mann war extrem scheu, extrem höflich, extrem korrekt, extrem genau. Er galt als der bescheidenste aller Bankangestellten, der täglich von acht bis siebzehn Uhr seinen Dienst tat, bevor er abends in die Rolle des Dichters schlüpfte.
T.S. Eliot war eine Ausnahmeerscheinung unter den Dichtern des Jahrhunderts. Konventionell im Lebensstil, konservativ in den Lebensauffassungen, entfesselte er sich und seine Konflikte in der Lyrik. Die Seelenkrisen des Dichters, die sich nicht selten zu Lebenskrisen auswuchsen, wurden als unabänderliche Schicksalswege und -wanderungen gedeutet und entsprechend verständlich gemacht. Den Sinn jeder individuellen Weltwanderung sah Eliot in der Beteiligung am Welten- und Menschheitslauf. Die reale Gegenwart mit Imagination zu versehen, war für den Angloamerikaner die Voraussetzung, daß große Dichtung entsteht.
„In meinem Anfang ist mein Ende“, hat der Lyriker und Dramatiker vielfach variiert geäußert. Folgerichtig war so auch eine Sammlung seiner Dichtungen überschrieben, die der Verlag Volk und Welt vor einem Jahrzehnt vorlegte. In den Versen ist die Sprache eines Poeten zu vernehmen, der „bestrebt war, den Umgang mit den Worten zu lernen“. Das bedeutete, daß der Bestrebte die Stationen seines Unglaubens und Glaubens markierte. Die Dichtung des Nobelpreisträgers T.S. Eliot ist der fortgesetzte Versuch, Verständnis für die Bedingungen und die Bedeutung der eigenen Person zu bekommen. Da dieses Sichverstehen nicht nur seine Sache war, finden sich die Gedichte des T.S. Eliot auf dem gesamten Globus immer wieder Gesprächspartner.

Bernd Heimberger, Neue Zeit, 26.9.1988

 

Adolf Endler: Eine Reihe internationaler Lyrik, Sinn und Form, Heft 4, 1973

 

Ernst Robert Curtius: T.S. Eliot, Merkur, Heft 11, Januar 1949

Hans Egon Holthusen: Das Schöne und das Wahre in der Poesie. Zur Theorie des Dichterischen bei Eliot und Benn, Merkur, Heft 110, April 1957

Eva Hesse: T.S. Eliot Schwierigkeiten beim Leben. „Gerontion“ als Selbstinterpretation des Dichters, Merkur, Heft 203, Februar 1965

Eva Hesse: T.S. Eliot Schwierigkeiten beim Leben (II). „Gerontion“ als Selbstinterpretation des Dichters, Merkur, Heft 204, März 1965

Norbert Hummelt: Die verlorene Technik, Sinn und Form, Heft 6, November 2024

 

 

Fakten und Vermutungen zum Herausgeber

 

Fakten und  Vermutungen zum Autor + Instagram + IMDb +
Werkausgabe + Internet Archive 12 + MAPS 1, 2 & 3 +
Poets.org + Kalliope
Nobelpreis + Orden Pour le mérite
Nachrufe auf T.S. Eliot: Die Tat ✝︎ Tumba
Zum 120jährigen Geburtstag von T.S. Eliot: culturmag.de
Zum 125jährigen Geburtstag von T.S. Eliot: Deutschlandradio Kultur
Die TagespostLausitzer Rundschau
Zum 50jährigen Todestag von T.S. Eliot: der Standart, Die Tagespost

 

 

T.S. Eliot liest The Waste Land.

 

T.S. Eliot – Eine biographische Dokumentation, Teil 1/11.

 

T.S. Eliot – Eine biographische Dokumentation, Teil 2/11.

 

T.S. Eliot – Eine biographische Dokumentation, Teil 3/11.

 

T.S. Eliot – Eine biographische Dokumentation, Teil 4/11.

 

T.S. Eliot – Eine biographische Dokumentation, Teil 5/11.

 

T.S. Eliot – Eine biographische Dokumentation, Teil 6/11.

 

T.S. Eliot – Eine biographische Dokumentation, Teil 7/11.

 

T.S. Eliot – Eine biographische Dokumentation, Teil 8/11.

 

T.S. Eliot – Eine biographische Dokumentation, Teil 9/11.

 

T.S. Eliot – Eine biographische Dokumentation, Teil 10/11.

 

T.S. Eliot – Eine biographische Dokumentation, Teil 11/11.

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