Dit is det Lied für de Brüda un’ Schwestern vonne
aaaaaEspe,
dit is det Lied von Weißkräje,
dit is det Ruffholn ausn allseits bekanntn Bibertal
aaaaaaaaaaaaaaaaaaun’ ausn abjenagtn Memotal.
Heut an’ 28. Dach von’ 10ten Monat,
kippt der Erdschattten sein’ Abjlanz übern Mond,
un’ frißt, frißt von’ Mond;
der Erdschattn frißt sein’ einzjn Mond.
Et rechnet Silba uff de Äste,
der Neumond hat wat ßu sagn,
et is still in’ Morjenboom.
Ick bin weiß vonne Traua,
schwarz vonne Wahrheit.
Das „gorrlauste“ bzw. „gorrlausige“ Machwerk Kvitekråkas song/Weißkräje sein Lied/Wittkreihs Leed ist ein Buch für niemand so richtig – es wurde extern auf den Sinn hin, intern auf den Effekt hin, übertragen. Der Berliner – und auch der aus Südwest Zugezogene – wird die platten Lingualquerulanten nicht verstehen können, und die Dœsbaddels selber werden den Bulettenjargon ja wohl kaum schlucken. Auch der Rezensent macht sich zum Obst. Im Ernst: Die Übertragung ins Berliner Platt ist konsequenter als der norwegische Urtext. Terje Dragseth setzt die von ihm verwendeten alt- und südnorwegischen Dialekte frei – aber poetisch genau assoziierend und interpunktionslos – ein, die deutsche Übertragung ist so kategorisch, wie der Vorpommer von Haus aus. Die deutsche Interpunktion ist durch Terje Dragseth autorisiert bzw. durch Tone Avenstroup sanktioniert.
Weißkräje fabuliert im Wesentlichen Berlinisch, wenn auch in verschiedenen Graden, einige Texte sogar mit leicht österarmenischem Akzent. Plattdeutsche Einsprengsel dienen der Akzentsetzung. Weißkräje schnackt platt, wenn sich Wesentliches, allzu Wesentliches, aufdrängt. Wenn es ihm allerdings in der Rage das Idiom verschlägt, spricht Weißkräje Hochdeutsch. Noch dazu spricht Weißkräje in verschiedenen Zuständen und Zungen – mehr oder weniger im Idiom, hin und wieder gemäß dem Idiotikon.
Nachvollziehbare schriftsprachliche Quellen sind die Verwendete Literatur. Berlinische Fehlschreibungen betonen den hermeneutischen Aspekt. Der Rest ist Poesie, Anarchie und Willkür. Messing schlägt Meißen. Die Apostrophierung ist relativ frei. Vergangenheit und Gegenwart machen kaum einen Unterschied, auf die Zukunft kommt es an.
Bert Papenfuß, Nachwort
Liest heute eigentlich noch wer Gedichte? (SMSs zählen nicht dazu!) Na gut, die Frage wird seit Jahrzehnten immer wieder gestellt, und trotzdem gibt es sie. Zum Glück. Verbindet man die Poesie mit klangvollen Namen, dann kommen diese eher aus England, Frankreich, Deutschland (Österreicher im Exil nicht zu vergessen) oder auch den USA, aber Gedichte und Lieder aus Norwegen klingt schon recht exotisch. Macht aber nichts.
Terje Dragseth, Jahrgang 1955, norwegerischer Poet, Musiker und Regisseur von Kurzfilmen, ist zumindest in seinem Heimatland längst kein Unbekannter mehr. Er publizierte bisher an die 15 Bücher mit Gedichten, Kurzgeschichten etc., seine Musik wird heute per „You Tube“ in die Weltgeschichte gestreut und nicht nur von Exil-Norwegern zwecks Bekämpfung von Heimweh angeklickt.
Das in Grautönen gehaltene Bändchen lässt einen Hauch von norwegischer Winterlandschaft spüren, wo Dragseth seine Poesie als „Weisskrähe“ zwischen Stadtindianer-Romatik und nordischer Mythologie ansiedelt – fein, ruhig und kritisch. Der andere Clou an diesem Buch ist nun die Übersetzung: „Jeschriem in Alt-, Neu- un’ Südnorwejisch, von Tone Avenstroup int Halbdeutsche übasetzt, von Terje Dradgseth selba aklärt un’ von Bert Papenfuß int Berlina Platt übatragn“ – so heißt es eingangs des Buches um zu erklären, wie dieses „deutsch“ zu stande kam, was eher ein Konglomerat aus unterschiedlichen Dialekten mit berlinerischer Dominanz ist. Auf alle Fälle alles möglich nur kein Hochdeutsch, wenngleich man schon erschrecken tut, wenn plötzlich ein ganzer 6zeiliger Vers auf Hochdeutsch daherkommt. Da ich nicht des Norwegischen mächtig bin, kann ich dazu auch wenig sagen, aber die Übersetzung ist gewöhnungsbedürftig, wenngleich ich als Berliner recht schnell da rein komme, was ich allerdings bei anderen Dialek-tikern bezweifeln möchte. Aber je mehr ich in dem Buch lese desto lieber wird es mir. Die Sprache nicht nur als Vermittlung, sondern als „Gesang“, als eigenständiges Textgemälde. Der Papenfuß kann es eben nicht lassen, und das ist gut so: „Mit jeborjte Paradiesvogelfedern | mach ick mir ßun Sängawettstreit ßurecht…“ Also schon recht mutig von einem Verlag, der sein Sitz in Hessen und Sachsen hat, ein Buch zu machen, welches vermutlich nur die Hauptstädter und die Umgebenen verstehen können. Apropos Verlag: Hier ist durchaus ein Lob fällig. Schöngemachte Bücher mit feinem Layout, sowie dem beidseitig bedrucktem Textplakat, welches Kunstvoll gefaltet als Umschlag dient. Super. „Ick, Weißkräje, | streck den Hals bis in’ Jipfel vonne Espe, | schwanke inne pechfinstre Nacht, | | ick bin so müde von’ müde werdn, | ick bin so dot von’ Sterm.“ Sprache kann durchaus abenteuerlich sein. Darauf gilt es sich einlassen zu wollen. Und es gehört dazu Texte langsam und intensiv zu lesen. Warum eigentlich nicht. Sprache ist doch mehr als nur die obligatorische Kurzmitteilung. Lassen wir uns also ein auf den Norweger – hier im Bulettenjargon – wie Bert Papenfuß in seiner kurzen Erklärung am Ende des Buches zur Übersetzung schreibt, und: „Der Rest ist Poesie, Anarchie und Willkür.“ Mir hats gefallen. (P.S. wie ich die Notiz „Der sprachphilosophische Maggiwürfel“ jetzt noch in diesem Text unterbringen soll, weiß ich ehrlich gesagt nicht, aber zum Wegwerfen wäre er zu schade, oder?)
Terje Dragseth und der Gitarrist John Nikolaisen beim Poetry-Fest in Theaterkellern 1.9.2012 mit einen Auszug aus „Bella Blu“.
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