L’ADORNO – DAS GERICHT DES NORDENS
wir anderen von andern sternen
nachtgleichenfremd europafern
wir krampen an tierkreidezeichen
und zünden schwäne an
hier aber schwalchen in den schären
ältester götter lakkolithe
es kragen schwärende abszesse
aus einer schweren mitte
– zur Überreichung der Ehrengabe der Deutschen Schillerstiftung am 11.11.1994 im Schillermuseum zu Weimar. –
Verschlacktes enterztes Land. Herbstschraffuren, ganzjährig: das Mansfeld, von spröder, beschädigter Anmut, von überwältigender Tristesse. Versickerungen in kavernösen Arealen, die umfriedeten Eingänge zu den Schächten sind zugeschüttet und von Warntafeln verstellt… Wir stoßen auf Jahresringe im aufgebrochenen Gestein und auf atmende Blöcke, deren Poren mit Flechtenkrusten besiedelt sind, auf das planetarische Blau ausgeschmolzener Schlacken inmitten tuffsteinigen Auswurfs, auf die feuchtkühlen Gerbhäute aus Gips, auf das Splitterkrokant von Marienglas und auf versteinerte Borken in Schwefelgelb und Siena. Da schlängelt sich ein korrodierter Kupferdraht durch den Schutt wie die Luftwurzel einer tropischen Pflanze.
Beschrieben wird eine Kupfererzlandschaft nach einem Systemexitus, in der Exodus angesagt ist und Bodenpreise gefragt sind. Anhaltinische Äcker unter kotgelbem Himmel, von Böhme gesehen und konzis eingedampft. Da ist einer ins Offne gekommen und hat mitgeschrieben. Ich weiß nicht, ob man gleich in der Manier des Bauchaufschlitzers Horizonte aufreißen muß mit der Lanze, die man für Leipzig, Hochweitzschen und das gestalkerte Mansfelder Land bricht. Ich weiß nur, Besseres, Kräftigeres, Festeres hat Böhme bislang nicht geschrieben. Wende könnte also auch heißen: Weiterkommen! Weitergekommen!
Angefangen hatte bei Thomas Böhme Schreiben und Dichten wohl ein wenig anders. Nicht eben konzis. In weit hinschwingenden Langzeilen, whitmanesk ausufernd, gab er wortreiche Stimmungsbilder seines kruden Leipziger Allerlei-Alltags, der sich, musikalisch unterlegt, verweltlichte. Seine Verweltlichung ließ leicht Verwestlichung assoziieren, so massiv, wie er auf die Amerikaner setzte: Ginsberg, Kerouac, Ferlinghetti, Bukowski hießen die Idole, die ihn Ende der siebziger Jahre in Literatur eintauchten und aus ihr auftauchen hießen. Ein Dezennium später, drei Gedichtbände liegen vor, muß er sich fragen lassen, Traditionswechsel von Ginsberg zu George? Böhme bekennt:
Hinwendung zu geschlossenen Formen, Zen-Gärten statt Autobahn, fünfhebiger Jambus statt freirhythmische Langzeile.
In George sieht er einen, der der modernen deutschen Poesie eine neue „strenge Kunstsprache“ gegeben hat. Daneben steht für ihn als zweite maßstabsetzende Autorität der späte Benn mit den Statischen Gedichten. „Der locker-schlenkernde Ton aus der offenen Manschette“, wie er von Fritz Rudolf Fries attestiert wurde, ließ das Lebensmaterial nur so schaufeln. Von den konsequenten Prosagedichten, wie sie Ulrich Berkes schrieb, muß eine übermächtige Faszination ausgegangen sein, zuzeiten. Was da zunächst freihand gelebt und gedichtet wurde, ist nun strengem Formbewußtsein gewichen. Wie er seinen Leipziger Lebensgrund maßgerecht formt, zeigen vor allem die Bände stoff der piloten und ich trinke dein. plasma november. Das Klare, Knappe der auf Korpus gearbeiteten Gedichte erweist sich als Ergebnis eines zielgerichteten Bändigungsprozesses. Der an Leipzig dingfest gemachte DDR-Alltag, in dem „die ratten bewimpeln das sinkende schiff“, kontrastiert in Lyrik, Prosa und Essay mit literarischer Offenheit: Lese-Erfahrung als Welt-Erfahrung mangels Reisepaß. Die Essays zu Hanns Henny Jahnn, Klabund, Walter Vogt, die Roman-Imitation Die Einübung der Innenspur zeigen, aus wie vielen Fäden sein Geflecht Literatur gewoben ist, auf wie vielen Feldern er geackert hat.
Wulf Kirsten, Ehrengaben 1994, Deutsche Schillerstiftung Weimar
Viktor Kalinke mit Thomas Böhme im Gespräch.
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