DIE FARBE NIEMAND
wir hatten zwar der anemonen kühle gründe
betreten mit den ungelenken füßen
vielleicht mit stiefeln in der farbe noahs
und waren doch auch sicher daß die worte
nicht klang- und sanglos eingesickert waren
in kalter erde leere unbotmäßigkeiten.
du trugst die unform grau beschwerter mäntel
gedeckte farben bis in hals & stirne
von eingewachsnem tarnverhalten zeugend
von einzeltieren ohne flucht noch fährte.
was von der lippe strömte war schon angebittert
wenn es den mund verließ, und was nicht brannte
wölbe sich auf zu klumpen die verdarben
daß während sich gemüter fraglos stillten
sich vor der kälte kelch um kelch entfärbte –
Heimkehr setzt immer voraus, in so etwas wie Fremde gewesen zu sein. Heimkehr klingt immer nach Gepäck, nach Mitgebrachtem trockener, ein wenig riechender Kleidung. Die Erschöpfung sollte nach solch einer Reise dem Geruch dienen, wenn sie mit ausreichender Ferne in Kontakt war. Die Trägheit, die Müdigkeit, sich zu waschen, die Haut vor Vergröberungen zu bewahren, fällt mir dazu ein, wenn es darum geht, endlich heimkehren zu können. Aber Thomas Böhme denkt gar nicht daran, jeden Beliebigen heimkehren zu lassen, nicht etwa Soldaten, Arbeiter oder Liebhaber sind zurück nach Hause unterwegs. Bei Thomas Böhme kehren die Schwimmer heim, aber sie kommen nicht durch das Waser, wie man annehmen könnte, ihre Hemkehr ist wohl eher eine Reise zurück, zurück in eine Sehnsucht, die jedes, und nur das Wasser bedeutet, zurück in eine Aufgehobenheit, die nichts mit Nässe und Kälte gemein hat, eine Aufgehobenheit, die angesichts der „durchseuchten“ Ufer“ etwas Bodenloses, etwas Geduldiges in sich trägt. „Denn von den durchseuchten ufern brachen die schlehhäutigen Schwimmer auf / kehrten heim-“.
Als wäre das Schwimmermotiv immer wieder, auch in anderen Gedichten dieses Bandes, imaginär aufgegriffen worden, so klingen dann solche Sätze, die ein „Obenbleiben“, aber auch eine Spurenlosigkeit suggerieren, sofort vertraut: „hier ist mit nichts als mit atmung gearbeitet worden“ (die närrischen ufer) oder „auf inseln geraten die besseren tage“ (wir wuchsen, ferner in ausfluchten…). Roland Barthes hat einmal einen trefflichen Hinweis dafür geliefert, was es beim Schreiben zu bewahren, zu verteidigen gilt: „Der glücklichen Sexualität entsprach ganz natürlich das unausgesetzte, sich ergießende, jubilierende Glück des Schreibens: in dem, was er schreibt, verteidigt jeder seine Sexualität.“ Besonders in jenen Gedichten, in denen Thomas Böhme seinen Wörtern keine strengen, jambischen Muster in den Weg legt, kaum Namen an die Stellen zu setzen bereits ist, die von sich aus schon jeglichen Namen abschütteln würden – aus einer Art emotionaler Verharmlosungstaktik heraus, besonders in jenen Gedichten gelingt ihm ein Tempo, eine lyrische Intensität, die seinen Illusionen und Beeitschaften wohl am ehesten entspricht: „nachdem wir gelaufen waren, die jungen die gordon folgten, gelaufen und gordon gefolgt, der das schiff trug, das mit erde gefüllte, der das brennende, der das heillose schiff trug – und das mundstück erreichten, das mundstück des waldes – und gordon, das brennende schiff an die brust an die schulter geheftet, das den wäldern gewidmete schiff, gordon wandte sich nach uns um.“
Es gibt wunderbar schwerelose Momente in diesem Buch, die über eine filigrane Verzahnungstechnik verfügen, die das Zustandekommen einer seelischen Diskretion ermöglichen. „Da fügte sich auch der fluß in die geometrie des stillstands du lasest von seinem spiegel die zweige die blätter die adern der blätter…“ oder, an anderer Stelle: „von den brücken wähltest du immer nur solche die dich an niedergestreckte kräne gemahnten.“ (heisses holz) Für mich bleibt dieser Gedichtband ein Buch der Bändigungen, aber in einer so hohen Konzentration und mit solch feinem Handwerk gearbeitet, daß diese Art poetischer Bändigung auch zwangsläufig zu einer so noch nicht gehörten Sprache führen muß. Denn auch wo „Gemäßigtes, Ausdrucksloses, Gebändigtes angestrebt wird“, schreibt Adorno in der Ästhetischen Theorie, „muß es mit äußerster Energie durchgeführt werden, unentschiedene mittelmäßige Mitte ist so schlecht wie Harlekinade und Aufregung, die sich durch die Wahl unangemessener Mittel übertreibt.
Thomas Kunst, moosbrand, Heft 5/1997
– Wer seit 12 Jahren regelmäßig publiziert, sei – so sollte man meinen – längst ein etablierter Autor. Unbestritten, daß Verleger und eine kleine Schar von Lesern (und andere Autoren) seine Arbeit schätzen. Zudem ist er in den letzten Jahren produktiver denn je. Aber die Bühne der größeren Aufmerksamkeit hat er immer noch nicht betreten. Sein Name: Thomas Böhme, Jahrgang 1955, geboren in Leipzig, wo er bis heute lebt. In drei Kleinverlagen sind 1995 und 1996 vier neue Bücher erschienen, zwei Prosa- und zwei Lyrikbände. –
(…)
Thomas Böhmes neue Lyrik-Bände – manessischer ikarus (1995) und Heimkehr der Schwimmer (1996) sind eine eigene Betrachtung wert. Schon wegen ihrer sorgfältigen Aufmachung und der erstaunlichen Zeichnungen von Hannes Steinert (1995) und Horst Münch (1996). Nur soviel zu den Gedichten: Sie sind keine beiläufige Nebensache unter Böhmes Arbeiten. Die Sammlung von 66 Gedichten (1980 bis 95) im Ikarus zeigt: Sie waren anfangs von Patti Smiths Hock-Poesie oder von den rapsodischen Gesängen Allen Ginsbergs beeinflußt, aber Thomas Böhme findet schon bald einen eigenen Ton.
Die Beobachtungs- und Wortlust, die Neugierde den natürlichen Dingen und den menschlichen Körpern gegenüber, die besondere Erotik und ihre Helden, die vielfältigen literarischen Anspielungen, das alles ist von hohem sprachlichen Reiz, denn es geht eine Symbiose ein, es verschmilzt zu lyrischen Gebilden, die so elegant und so leicht klingen wie zum Beispiel „möbel auf zehenspitzen“:
die weiten weichen zimmer waren auch
von zugereisten schon verlassen worden
zurückgeblieben nur die braunen schlanken
die knabenhaften stühle oder beide – der sekretär und der fauteuil – mit sanften Pfoten schnitzwerk federn krallen…
Thomas Böhme ist zu wünschen, daß er das selbstgewählte Abseits verläßt, daß die dunkelfarbige Melancholie dieses Sprachartisten, seine Provokationen, seine Grenzüberschreitungen Gehör finden, das heißt Leser, die offen sind für die geheimen Chiffren der „latenten“ Liebe.
Hans Happel, die horen, Heft 183, 3. Quartal 1996
Viktor Kalinke mit Thomas Böhme im Gespräch.
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