DORNRÖSCHEN UND SCHWEINEFLEISCH
Wer geht wohin weg
Wer bleibt warum wo
Unter der festen Wolke ein Leck
Alexanderplatz und Bahnhof Zoo
Abschied von morgen Ankunft gestern
Das ist der deutsche Traum
Endlich verbrüdern sich die Schwestern
Zwei Hexen unterm Apfelbaum
Wer schreibt der bleibt
Hier oder weg oder wo
Wer schreibt der treibt
So oder so
Der Band enthält zum einen Gedichte, die Thomas Brasch zu Lebzeiten publiziert hat; sie erscheinen in der Druckfassung. Außerdem versammelt er Gedichte, die nach Braschs Tod herausgegeben worden sind; sie wurden mit den Typo- bzw. Manuskriptvorlagen verglichen und im Falle von Abweichungen gemäß der Fassung aus Braschs Nachlass abgedruckt, der sich im Berliner Akademie der Künste Archiv befindet. Drittens werden in diesem Band Gedichte aus Braschs Nachlass erstmals publiziert.
Viele Gedichte aus dem Nachlass existieren in mehreren Versionen, zeigen unterschiedliche Entstehungsstufen, sind fragmentarisch überliefert oder tragen starke Bearbeitungsspuren. Aus diesem Grund ist nicht immer zweifelsfrei eine „Fassung letzter Hand“ identifizierbar. In den wenigen Fällen, in denen solche Gedichte für den vorliegenden Band ausgewählt wurden (z.B. „Jetzt ist auch der Himmel aus Stein“, „Brunke will“, „Wie es euch gefällt…“ oder „Sein Stuhl ist leer“), musste der Herausgeber abwägen, welche Fassung am ehesten als eigener Text bestehen oder einen besonderen Blick in die dichterische Arbeit Thomas Braschs eröffnen kann. Bei Texten aus dem Nachlass, die keine oder unklare Titel tragen, wurde die Anfangszeile als Incipit in Majuskeln gesetzt. Die Gruppe der Brunke-Gedichte, die ohnehin mit diesem poetischen Mittel operiert, gehört etwa hierzu. Brasch vertrat dies aber auch als allgemeinen Standard: ein Gedicht müsse titellos mit dem ersten Vers beginnen können. Vereinheitlicht wurde außerdem die abweichende Klein- und Großschreibung der nachgelassenen Texte. Widmungen („Für Uwe Johnson“) wurden nur bei Gedichten, die Brasch zu Lebzeiten veröffentlichte, übernommen; (handschriftliche) Widmungen oder Titelzusätze („Lied der Sofie und der Sybille“) von Texten aus dem Nachlass wurden in [eckigen Klammern] dem Quellennachweis hinzugefügt. Ebenfalls eckig eingeklammert finden sich dort Hinweise auf die Überlieferungsgestalt einzelner Dokumente und Datierungen – Ausnahmen, die eine zeitliche Zuordnung zulassen, während Braschs lyrische Hinterlassenschaften fast alle undatiert sind.
Thomas Wild
Gedichte aus Liebe nannte Thomas Brasch seine Auswahl von Gedichten Heinrich Heines, die er 1992 im Insel Verlag herausgab. „Gedichte aus Liebe“ – das meint mehr als „Liebesgedichte“. „Das Lieben hat ihn krank gemacht / die Krankheit liebte ihn“, so Brasch in seinem lyrischen Vor Wort für Heine. Heines Liebe und Krankheit war nicht zuletzt das Land seiner Herkunft, politisch wie persönlich, künstlerisch wie sprachlich. Ein Vexierbild der bei den Dichternamen. Denn auch Braschs Schreiben steht im Neigungswinkel der politischen, der deutschen Geschichte seiner Zeit. Texte eines unstillbaren Fragens nach dem Woher und Wohin der eigenen künstlerischen Existenz. Ein Schreiben, das dem Wünschen ebenso unbedingt die Treue hält wie der Wirklichkeit. Jener alltäglichen Form von Leben und Liebe, Politik und Kunst, in der sich die Träume brechen. Die daraus entstehenden Widersprüche spitzt Brasch zu. Er hält sie offen und aus, mit und in seiner Arbeit. So bringen Braschs Gedichte eine Haltung zum Ausdruck: eine Haltung des Wünschens und des Fürchtens, des Hoffens und des Verzweifelns, des Schaffens und des Zerstörens, beides in Liebe und im Ringen um einen poetischen Begriff von Gegenwart – Gedichte aus Liebe.
Thomas Brasch ist am 3. November 2001 im Alter von 56 Jahren in Berlin gestorben. Zu Lebzeiten veröffentlichte er nur einen Bruchteil der Gedichte, die er geschrieben hatte. Die ersten erschienen 1975 im Poesiealbum 89, noch in der DDR, ein Jahr vor Braschs Weggang nach Westberlin. Fünf Jahre später, 1980, kam die schmale, strahlende Sammlung Der schöne 27- September heraus. „Zeugnisse eines unverwechselbaren Zeitgenossen, der von der Sprache besessen ist“, erkannte der Spiegel darin. Weitere, einzelne Gedichte wurden über die Jahre verstreut in unterschiedlichen Büchern, Programmheften oder Zeitungen abgedruckt. Anläufe zu einem neuen Gedichtband, den Brasch mehrfach geplant und angekündigt hatte, blieben Entwurf. Mehrere hundert nachgelassene Gedichte, Gedichtentwürfe und -fragmente aus über vierzig Schaffensjahren zeigen jedoch, wie rastlos er mit und an dieser Schreibform arbeitete.
Der begnadet neugierige und notorisch begabte Künstler Thomas Brasch probierte und reüssierte mit weiteren Formen. Sein erster Prosaband Vor den Vätern sterben die Söhne (1977) erfaßte die trauernde Wut zweier ungleich verlorener Generationen in Ost und West; der Titel ist zu einer stehenden Wendung geworden. Kargo (ebenfalls 1977) – eine Montage aus Prosa, Dialogen, Szenen, Gedichten und Fotografien – hat bis heute nichts von seiner Dichte und Sprengkraft verloren. Mit Stücken wie Rotter, Lovely Rita oder Mercedes eroberte Brasch im Jahrzehnt nach seinem Länderwechsel im Handstreich die großen Bühnen des Westens. Die Kinofilme Engel aus Eisen (1981), Domino (1982) und Der Passagier (1988), für die Brasch die Drehbücher schrieb und bei denen er Regie führte, wurden auf internationale Filmfestspiele eingeladen und mit Preisen ausgezeichnet. Seine Übertragungen und Bearbeitungen zahlreicher Stücke von Tschechow und Shakespeare haben den beiden Klassikern eine neue, widerborstige Stimme auf den Bühnen der Gegenwart verliehen. Das Prosawerk über den Mädchenmörder Brunke, dem Brasch sein letztes Lebensjahrzehnt widmete, wird man in seiner Bedeutung als Erzählung über das 1989 zu Ende gegangene Jahrhundert erst lesen können, wenn die tausenden Manuskriptseiten veröffentlicht sind, die in der 1999 publizierten Buchfassung keinen Platz gefunden haben.
Dass Brasch in unterschiedlichen Gattungen, Genres und Medien arbeitete, folgt keinem Selbstzweck. Es ist ein Gestus der Kritik. Brasch will sich nicht einrichten, will nicht einrasten in eine bestimmte Art der Wahrnehmung oder gängige Form der Darstellung. Sein Umhertreiben ist gezielt: eine getriebene Suche nach dem Unerhörten, Ungesehenen, Ungesagten. In künstlerischer und politischer Hinsicht. Aus Braschs Wunsch, Kunst und Leben miteinander zu verbinden, speist sich die Intensität seiner Texte. Historisch steht er damit in der Tradition der Romantik und der europäischen Avantgarden. Dieser Linie folgend, sucht er aus ihr herauszuspringen – mittels künstlerischer Formen, die das Spezifische seiner Zeit erfassen, „mittels des Vergessens von dem, was man kann“, wie er einmal sagte.
Welchen Ort hat nun die Dichtung und haben Gedichte aus Liebe in der Arbeit eines so vielseitig versierten Künstlers? Vom Poetischen seines Blicks erzählen auch die filmische Beschreibung einer Straße in Engel aus Eisen oder die unbeirrt irritierenden Fotografien in Kargo. Braschs musikalische Begabung, sein Gespür für Rhythmisierung und seine Vorliebe für Liedanklänge bringen die frühen Schallplattenprojekte (zum Beispiel Leon Segel, 1968) ebenso zum Ausdruck wie etwa jene Passage in Vor den Vätern sterben die Söhne, in der Fastnacht mit seiner Frau und Marxengels über die Liebe diskutiert. Wird hier nicht auch gedichtet – über und aus Liebe? Wer schließlich den strengen Umgang dieses Autors mit Versmaß und Reim kennenlernen möchte, greift am besten zu dessen Übertragungen und Bearbeitungen der Dramen von Shakespeare, wo mancherorts schon der Szenentitel ein Liebes-Gedicht anstimmt: „Ein Schlaf / Der traf / Jeden allein / Und alle / Nur zu zwein“ (LIEBE MACHT TOD oder das Spiel von Romeo und Julia, 1990).
Dieser Band versammelt dichterische Texte im engeren Sinne: gestaltet mit Mitteln wie Vers, Strophe, Rhythmisierung, Zeilenbruch, Reim. Dabei stehen Gedichte, die Brasch eigenständig und zu Lebzeiten publiziert hat, neben literarischen Hinterlassenschaften aus dem Nachlass. Texte aus frühen Jahren – wie etwa Anna, das einzige Gedicht, wie Brasch einmal erwähnte, das er während seiner Haftzeit 1968 geschrieben habe, als er 23-jährig wegen des Verteilens von Flugblättern gegen die militärische Niederschlagung des Prager Frühlings verurteilt worden war – sind ebenso vertreten wie Arbeiten aus jüngerer Zeit, etwa die Gruppe der Brunke-Gedichte, die in Zusammenhang mit Braschs großem Prosawerk der 1990er Jahre stehen.
Gedichte aus Liebe – das sind bei Brasch oft Momentaufnahmen, Augenblicksnotizen, Skizzen. Mit einem „jetzt“ oder „du“ oder „ach“ wendet sich die lyrische Stimme einem Gegenüber zu, es kann auch das andere Ich im Selbstgespräch sein. Schilderungen menschenleerer Landschaften sind bei Brasch nicht zu finden; Stimmungen, Situationen, Geschichten interessieren ihn erst, wenn sie durch eine Person hindurchgegangen sind. Das kann spontan passieren: eine Handvoll Jamben in Kreuz- oder Paarreim, um den Gestus des augenblicklichen Festhaltens zu disziplinieren, notiert auf ein Blatt, einen Umschlag, einen Kellnerblock. Schwungvolle Zeilen, die Bestand haben können. Oder, was weit häufiger der Fall ist, zum Ausgangspunkt strenger Bearbeitungen, Neufassungen, Umschriften werden.
Eine besondere Form der Umschrift entfaltet das Titelgedicht Was ich mir wünsche. Es geht schreibend um mit Bertolt Brechts Gedicht Orges Wunschliste, einem Widmungsgedicht an einen Jugendfreund, den Brecht an verschiedenen Stellen seines Werks, bis ins Todesjahr 1956, immer wieder versteckt auftreten lässt. Brasch setzt sich ins Verhältnis hierzu: spiegelnd und spielerisch, liebevoll, aber nicht liebedienerisch. Auf diese Weise mit wahlverwandten Kollegen ins Gespräch zu treten ist ein wesentliches künstlerisches Verfahren Thomas Braschs. Aus diesem Zusammenhang sind seine bekannten Gedichte an Uwe Johnson oder Heinrich Heine ebenso aufgenommen wie kaum bekannte an Isaac Babel, Wolfgang Neuss, Rolf Dieter Brinkmann oder Christa Wolf. Vielfältig schreiben diese Texte Orges Wunschliste fort: „Von den Ratschlägen, die unverwendlichen. (…) Von den Genüssen, die aussprechlichen.“
Braschs Arbeit am Text härtet die Oberflächen. Gleichzeitig werben seine Gedichte um Aufmerksamkeit – sei es einer realen, einer erfundenen oder der eigenen Person. Aufmerksamkeit ist das natürliche Gebet der Seele, sagt Walter Benjamin. Und Braschs Gedichte werben natürlich auch um Frauen. Der Fama nach gab es davon im Leben des Dichters eine sagenhafte Vielzahl, in seinem Schreiben fließen sie zu wenigen Namen zusammen: Lisa, Anna, Rita, Marie, Sophie. Mit zwei liebreizend schlichten Silben stehen sie als Frontfrauen fest auf Braschs literarischer Bühne. Doch „Anna“ hat es dem mystikaffizierten Sprachspieler auf besondere Weise angetan. Für Brasch ist dieser Name der Inbegriff des rätselhaft Schönen, Anziehenden, Unnahbaren. Denn Anna bleibt unbeeindruckt, unverrückbar sie selbst, gleichviel aus welcher (Lese-)Richtung man ihr begegnet. Dabei ist sie nicht nur Palindrom, sondern auch Anagramm. Anna und Nana, kindliches Verführspiel, das unversehens zur literarischen Anspielung wird, mit oder ohne Blume, von Dostojewski über Schwitters bis Zola. Und nicht zuletzt: Im Namen Anna lebt buchstäblich das „Tier mit den zwei Rücken“ (Shakespeare) – poetisches Bild für den Liebesakt, mit dem Brasch die „Nacht“-Gedichte seines Schönen 27. September überschrieb.
Häng dort, mein Vers, sag für mein Lieben aus,
und du, gekrönte Königin der Nacht,
sieh keusch herab aus deinem Himmelshaus
auf die, die mich erjagt mit ihrer Macht…
Lauf los, Orlando, in den Wald schnitz, wie
so schön, so keusch, so unfaßbar ist sie.
Sie, das ist Rosalind, die Angebetete Orlandos in William Shakespeares Komödie Wie es euch gefällt. Thomas Brasch hat das dramatische Liebes-, Versteck- und Verwirrspiel Anfang der 1990er Jahre übersetzt. „Von Ost- nach Western-Indien / nichts schön wie Rosalindien“, dichtete er seinem englischen Vorbild nach: „Und wär ich von Geburt an blind, / ich säh vor mir nur Rosalind.“
Für die Uraufführung der Übersetzung im Jahr 1993 am Berliner Schillertheater entwarf Brasch, gemeinsam mit dem Bühnenbildner Ezio Toffolutti und der Dramaturgin Franziska Kötz, ein ungewöhnliches Programmheft. Statt der üblichen Zusammenstellung von Begleittexten, historischen Dokumenten und Szenenfotos konnten die Theaterbesucher ein LiebesSpiel erwerben: 32 taschenbuchgroße, kartonierte Spieltafeln, eingelegt in eine Mappe, auf deren Innenseiten die Mitwirkenden der Inszenierung aufgeführt waren. Jeweils eine Seite der Spieltafeln trug kolorierte Figurenzeichnungen, die andere pointierte Verssprüche: „… passen zwei ineinander oder füreinander oder aufeinander oder wäre es besser wir verpassen einander eins und zwar kräftig vielleicht…“, „… rufst du auch manchmal Lieb mich wenn du Hilf mir meinst vielleicht lachst du auch manchmal über mich wenn ich dir glaube daß du weinst und…“ etc. Rhythmisierte, gereimte Texte, jedoch in Blocksatz gesetzt, jeweils ein- und ausgeleitet mit drei Punkten und nur lose verknüpft mit den Konjunktionen „und“, „aber“, „oder“, „vielleicht“. Ein offenes, unabschließbares Spiel ohne feste Regeln – Wie es euch gefällt. Das verdeutlichen auch die „4 Vorschläge zum Gebrauch“, die Brasch auf einer Sonderkarte formuliert hat. Das LiebesSpiel lebt von der beliebigen Kombinierbarkeit seiner 32 Texte und Bilder: Man kann es nach der Art eines Quartetts spielen, die Bildseiten zu einer Menschenlandschaft anordnen, sich oder einander einzelne Verse – als Fragen, als Antworten – vorlesen. Man kann es allein spielen oder mit anderen, im Restaurant oder auf dem Bahnhof, im Museum oder im Flur einer Behörde. Und was spräche dagegen, einzelne Karten an Bäume zu heften, um wie Orlando die lebenslang erhoffte Liebe zu finden – eine Rosalind?
LiebesSpiel erzählt viel über den Dichter Thomas Brasch: Über die Vorliebe zu einer Kunst, die gebraucht wird, die sinnlich und faßbar ist. Über den kräftigen, liebevollen, kreativen Umgang mit literarischen Vorbildern. Über die Lust am Komischen und den unkeuschen Flirt mit dem Kalauer. Über die Hingabe an den freien Lauf der Sprache, an die Buchstaben und Bilder, die mehr wissen als ihre Sprecher. Über die Verschränkung von Kunst und Leben im spielerischen Ernst des „als ob“. Über die verführerische Kraft der Phantasie. Über ihre lichten, munteren Facetten, wie sie auch in Gedichten von Wer A wird, kann nie mehr B sagen Über Liebeslied bis Und wenn wir nicht am Leben sind zum Ausdruck kommen.
Ein bisher unbekannter Entwurf, aus dem Brasch später sein LiebesSpiel entwickelte, ist in diesem Band zum ersten Mal veröffentlicht. Spielverderberspiel heißt der Untertitel jener frühen Skizze, ihre 32 Sätze sind – mit Blick auf die Zahl der Spieltafeln – noch durchnummeriert. Aber die Idee des Offenen und Unabschließbaren, das Prinzip der beliebigen Verknüpfbarkeit, die Lust an der Komik und am Sprachspiel – all das ist bereits in dem Entwurf unverkennbar enthalten und lässt ihn als eigenen Text bestehen.
Dieser hellen, heiteren Seite des Schreibens von Thomas Brasch stehen – in derselben sprachlichen Klarheit – nachtdunkle Texte gegenüber. Sie handeln von Einsamkeit, Schmerz, Angst, von Verzweiflung, Trauer, Bitternis, Wut. Weil ich das Eigene verloren habe, Schließ die Tür und begreife, Jetzt ist auch der Himmel aus Stein… – Gedichte aus Liebe über die Abwesenheit von Liebe. „Wenn ich aus dem Internat nach Hause kam“, schreibt der ehemalige Kadettenschüler Thomas Brasch in einem Brief, „und plötzlich nicht mehr um 6.00 Uhr aufstehen mußte, nicht mehr strammstehen, schießen, prügeln, Angst haben, sondern ruhig unter Menschen leben, die sagten, daß sie mich lieben, begann mein Kaltes Herz sich zu erwärmen. Aber ich wußte, daß ich in zwei Wochen zurückfahren würde in diese Kaserne, in der ich nicht weinen wollte. Also befahl ich meinem Herz, sich nicht zu erwärmen, auf daß es nicht blute, wenn ich nach dem Urlaub wieder im Schlafsaal liegen würde, zwischen den weinenden Jungen, die sich die Decken über die Köpfe zogen, damit keiner es sähe. In den Stunden vor der Abfahrt ins Internat legte ich eine Glasglocke um mein Herz und hörte die Sätze meiner Mutter und meines Bruders, die von Liebe sprachen, wie durch eine Wand. Ich wollte nicht, daß sie mich erreichen, weil sie mich zerstört hätten.“
Brasch hat seine Ängste nicht mundtot gemacht. Er hat sie nicht eingehegt. Er trieb sie ins Offene, in die Öffentlichkeit der Literatur. Eine Flucht nach vorn, um nicht mit den eigenen Ängsten allein zu sein. Und zugleich ein Angriff auf eine Umgebung, die ihre Unzulänglichkeiten privatisiert und versteckt. Ein unendlicher Kraftakt, der lebend bezeugen und schreibend aufschließen will, wie das Eigene mit den Anderen zusammenhängt – mit Gesellschaft, Geschichte, Politik. „Du kannst dich lebendig sterben“, heißt es in einer nachgelassenen Notiz über die Sprache. Und die publizierte Fassung des Mädchenmörders Brunke endet mit den Postskripta: „Über jede Liebe kommt das Gesetz“ und „Erzählen heißt atmen lernen“.
Diesem Projekt hat sich Brasch nach der Zeitenwende von 1989 verschrieben. Mädchenmörder Brunke oder Die Liebe und ihr Gegenteil, so der vollständige Titel, flieht vor dem tagesaktuellen Geplauder in eine andere Gegenwart, in einen anderen Umbruch, in eine fixe Idee: Karl Brunke soll Anfang des Jahrhunderts Pläne hinterlassen haben zum Bau einer Maschine, die es ermöglicht, unabhängig zu werden von der Liebe anderer Menschen, von der „Abwesenden Person“. Eine verschollene Erfindung, die dem späteren Doppelmörder einen historischen Platz neben Einstein und Freud hätte einräumen können. Die Liebe und ihr Gegenteil – so heißt auch das stets begonnene, nie vollendete, nicht schreibbare Stück Karl Brunkes. Von der sentimentalen Beschäftigung mit dem „Ort zwischen Verlust und Himmelreich“ geht er über zu dessen gnadenloser Erforschung mithilfe der Liebesmaschine. Ein Architekt, der die Pläne für diesen Apparat Anfang der 1990er Jahre rekonstruierte und sich auf diese Weise aus dem Leben schuf, wird vorgestellt als das „ergreifende Beispiel einer Zeit“, die das menschliche Bedürfnis, „in der Zweisamkeit die Einsamkeit zu überwinden, in ihr Gegenteil verkehrt hat“.
Braschs Brunke ist ein großer poetischer Lebensentwurf. Obwohl überwiegend in Prosa geschrieben, sind im Umfeld dieser Arbeit auch Gedichte entstanden. Sie sind hier, soweit auffindbar, zum ersten Mal vollständig versammelt. Gedichte aus Liebe über die Liebe und ihr Gegenteil – selbst wenn dieser Bezug manchmal erst auf den zweiten Blick ersichtlich ist. Auch das Frontispiz am Beginn dieses Bandes steht in Zusammenhang mit Brunke. Denn Thomas Brasch hatte jenes Bildnis einer jungen Dame – ein Werk des niederländischen Malers Petrus Christus aus dem 15. Jahrhundert als Reproduktion in seinen Arbeitsräumen angebracht, während er an dem Buch über Die Liebe und ihr Gegenteil schrieb. Das Gemälde mit dem auffordernd abweisenden Blick jener „Jungen-Dame“ wurde ihm zum Ausgangspunkt zahlreicher Szenen- und Figurenphantasien.
Beim letzten seiner nicht realisierten Entwürfe zu einem Gedichtband spielte Brasch, im Jahr vor seinem Tod, mit dem Gedanken, die Brunke-Gedichte als Leitfaden einer Sammlung von Texten aus über vierzig Jahren zu verwenden. Der zu einem vieldeutigen „B.“ reduzierte Brunke sollte – so die Vorstellung – die Leser wie durch ein leeres Theater führen, ihnen die Türen zu Logen, Foyers, Bühnen, Katakomben öffnen, hinter denen dann Gedichte auftreten, die die vielfältigen Denk- und Schreibräume Thomas Braschs vorstellen.
Den Auftakt – oder das Ende – sollte B.s alias Brunkes Lieblingsgedicht bilden, das von einer Frau handelt, die mit blutigen Händen auf dem Flur einer Schule steht, neben ihr der tote Brunke mit seinem Füllfederhalter in der Hand. „Über das Motiv / der Mörderin schweigt das Gedicht“, wird lapidar mitgeteilt. Aber „es“ – das Motiv? das Gedicht? – sei gereimt und klinge wie eine „geheime schöne Melodie“, sein Titel heißt: „Vergißmichnie.“
„Die ganze Welt ist eine Bühne“, stand am Eingang des Londoner Globe Theatre. Shakespeare, der den Spruch in Wie es euch gefällt aufnahm, ergänzte ihn um die Worte „und Fraun wie Männer nichts als Spieler“. Am Beginn seiner Führung durch die dichterischen Räume Thomas Braschs hätte Karl Brunke, der gescheiterte Autor des Stücks über Die Liebe und ihr Gegenteil, einen Zettel hervorholen und verlesen können, den er unter Braschs Papieren fand und auf dem in der Handschrift des nächtlichen Spielers und täglichen Kämpfers steht:
Drei Wünsche haben Kinder aber Sieben
Verwünschungen haben die Helden frei
wär lieber Held geworden oder
Kind geblieben
Thomas Wild, Nachwort
kann man / auf dreierlei Weise betonen. / Wie spricht man den Satz ohne Betonung?“ Liebe ist für Thomas Brasch (1945–2001) eine Haltung, die sich jeder Festlegung verweigert. Eine Haltung, die ihre Träume fürchtend und sehnend der Wirklichkeit aussetzt und das Mögliche stets in den Horizont des Unmöglichen stellt. Braschs dichterische Leidenschaft hofft und verzweifelt, vertraut und betrügt, preist und vernichtet. Und sie belehrt: Wann, wem und wie schreibt man ein erotisches Gedicht?
In dem Band stehen Gedichte, die Brasch eigenständig und zu Lebzeiten publiziert hat, neben literarischen Hinterlassenschaften. Texte aus den frühen Jahren („Anna, komm…“) sind ebenso vertreten wie Arbeiten aus jüngerer Zeit, etwa eine Gruppe mit Brunke-Gedichten, die in den 1990er Jahren entstanden sind.
Suhrkamp Verlag, Klappentext, 2007
− Eine Rück-Sicht auf Thomas Brasch. −
I
Mit den Toten nach Hause, antwortete ich,
am Nachmittag über die Warschauer Brücke.
Wenn neben der Sonne der schwarze Mond aufgeht
zeige ich ihnen in ihrer Republik die Lücke.
Mit meinen Toten nach Hause gehn in die Boxhagener 21
in meine Fenster legen sie ihre geschrumpften Herzen
Sie heben die Hemden: Carmen jetzt tanz ich.
Ich sehe sie tanzen im Licht der Kerzen.
Er ist nur wenige Monate nach dem Tod seines jüngeren Bruders, des Schriftstellers Peter Brasch, an einem Novemberwochenende 2001 gestorben. Begegnungen mit ihnen hatten etwas Irrwitziges, weil es keine Vereinbarung gab, die nicht sofort zerlöchert werden konnte. Unbändige Lust am Geschichtenerzählen, die Neigung, den Gesprächspartner zu irritieren und herauszufordern, hochfahrende Gesten und Momente zärtlichen Schweigens, große Spur des Pläneschmiedens und kaltscharfe Analytik, kam die Rede aufs künstlerische und politische Verhalten in der Welt – das war spannend, anstrengend, intensiv. Beider Exil ist das Niemandsland zwischen den Ideologien gewesen, und in den letzten Jahren immer mehr des Messers Schneide. Für beide war das Verröcheln der Hoffnungen auf eine Gesellschaft jenseits der Spielhöllen des Kapitalverkehrs eine tödliche Falle. Unfähig, jedwede Instrumentalisierung des Menschen im Namen leuchtender Zukünfte oder marktwirtschaftlicher Effizienz zu akzeptieren, konnte schließlich auch die Theaterarbeit die einsam machende Qual nicht lindern, dem Nichts als „letztem Gesellschafter“ (Heiner Müller) gegenüberzustehen. Wenn immer mehr Fenster zur Welt, die ihnen die Kunst offen hielt, vernagelt erschienen, musste bei ihrer Disposition das „Finster“ im eigenen Schädelhaus sich zur Unerträglichkeit steigern. Wenn Peters Tod als Menetekel für die Vierziger gelten kann, die im Osten Deutschlands überdurchschnittlich häufig unter die Räder der Nachwendevernichtungsmaschinen geraten sind, so ist das Sterben des 56-Jährigen Teil eines bösen Reigens, der binnen Jahresfrist bei den besten Köpfen einer Ost-Generation Tribut gefordert hat: Karl Mickel, Klaus Schlesinger, Adolf Dresen, Einar Schleef, und nun Thomas Brasch. Es sind die „ältesten Kinder der DDR“, die im Abarbeiten an diesem Staat und am immer weniger mit diesem verbundenen Entwurf einer anderen Gesellschaft ihr künstlerisches Profil gewannen. Sie waren nicht mehr erpressbar mit Schuldkomplexen von HJ- und Wehrmachtsjugend und entsprechend frei, den verkündeten emanzipatorischen Anspruch des Marxismus persönlich zu nehmen, nicht eschatologisch und schon gar nicht als oktroyierte Doktrin. Damit waren die Konflikte vorprogrammiert, und anders als die später Geborenen hatten sie diese in voller Härte auszukämpfen. Und alles das, ich lese es mit Erschrecken, steckt als böses Ahnen schon im frühen „Papiertiger“:
Welchen Namen hat dieses Loch,
in dem wir, einer nach dem andern, verschwinden.
Dieses Großgedicht, dessen bleibend gültige Situationszeichnung bei seinem Erscheinen elektrisierend wirkte, hebt mit den Sätzen an: „Ich kann nicht aus meiner Haut. Ich kann nicht in deine Haut. Gebt mir eine neue Haut.“ Es sind Sätze, die sich wörtlich und abgewandelt wie ein Erkennungszeichen in das Werk Thomas Braschs eingeschrieben finden. Mit der Hauptfigur in seinem Stück Lovely Rita (1974): „Du sagst: / Deine Haut ist dein Gefängnis.“ Der 1977 veröffentlichte Band mit Prosa und Stücken trägt den Titel Kargo. 32. Versuch auf einem untergehenden Schiff aus der eigenen Haut zu kommen. Und noch im Brunke-Torso 1999 liest man neben anderen Metaphern des Eingeschlossenseins in den Körper die Traumsequenz, in der der „Traumbrunke“ „sich mittels des Instruments sein Hautkleid vom Leib zu schneiden begonnen“ habe. Der lebenslange Wunsch, aus dem eigenen Gehäuse zu kommen, das Ich zu entgrenzen und zu einem Du zu finden, hat selbstredend viel mit der Mächtigkeit von Prägungen, aber auch Zuschreibungen zu tun. Denn Thomas Brasch muss sich immer wieder gegen die oberflächliche Aufbügelung politischer Folien wehren, die mit seiner Herkunft aus jüdisch-kommunistischem Exilanten-Elternhaus oder seiner Verflochtenheit in die DDR-Geschichte als einer Geschichte ihrer Ausschließungen gerechtfertigt wurden:
Zum politischen Fall bin ich lange genug gemacht worden, das reicht. Daß die Leute mir in die Augen gesehen haben und nicht mich angesehen haben, sondern das Problem, das sie im Augenblick ganz gern abhandeln wollen, das ist mir in der DDR oft genug passiert. Ich stehe für niemand anders als für mich
erklärt der Autor unmittelbar nach seinem Wohnortwechsel von Ost- nach Westberlin.
Thomas Brasch wird am 16. Februar 1945 als Sohn jüdischer Emigranten in Westow/Yorkshire geboren. Die Eltern sind als Mitglieder der KPD maßgeblich am Aufbau einer Jugendorganisation beteiligt und siedeln 1946 auf das Gebiet der Sowjetischen Besatzungszone über. 1956 wird Thomas Brasch zusammen mit 250 anderen Söhnen von Partei- und Staatsfunktionären für die in diesem Jahr gegründete Kadettenschule der NVA in Naumburg ausgewählt. Die für die Persönlichkeitsentfaltung so wichtigen Jahre des Abschieds von der Kindheit waren mithin durch Korsettierung, Entpersönlichung, militärischen Drill, Korpsgeist und Elitebewusstsein bestimmt. Die unmittelbare, körperliche Erfahrung eines Ordnungs-, Überwachungs- und Strafapparats kommt später in unzähligen Bildvarianten der den Wunschhorizont des Ich verstellenden Apparatur zum Ausdruck – von der Erzählung „Und über uns schließt sich ein Himmel aus Stahl“ bis zur „Liebesmaschine“ Brunkes. 1960 wechselt er an eine Erweiterte Oberschule nach Berlin, im Anschluss an das Abitur arbeitet er als Setzer, in der Melioration und als Schlosser. 1964 nimmt er ein Studium der Journalistik in Leipzig auf und spielt Schlagzeug in einer Beat-Gruppe. 1965 wird eine Zwangsexmatrikulation wegen „existenzialistischer Anschauungen“ ausgesprochen. Brasch schlägt sich mit Gelegenheitsjobs durch und inszeniert 1966 ein Vietnam-Programm unter dem Titel „Seht auf dieses Land“ im Theater im 3. Stock an der Volksbühne Berlin, das nach der Generalprobe verboten wird. Im gleichen Jahr beginnt er ein Dramaturgie-Studium an der Filmhochschule Potsdam-Babelsberg. 1968 wird die Jahresarbeit „Prozeß und Beule“ zu Brechts Filmprojekten mit der Begründung abgelehnt, sie weise den Autor zwar als begabt, jedoch als Polemiker aus. Es entsteht das „Schallplattenspiel“ Leon Segel, eine Paraphrase zu Büchners Leonce und Lena: Ein Versuch, aus der Enge der Zweierbeziehung in eine andere Art zu leben auszubrechen, eine, die die Trennung von Privatem und Öffentlichem tilgt:
Wo unsere Arbeit ist, dort wollen wir jetzt wohnen
Wie Huren, Dichter, Könige…
Nach dem Einmarsch der Warschauer-Pakt-Truppen in die ČSSR verbreiten Brasch und sechs Freunde Flugblätter mit dem Text:
Bürger – Genossen. Fremde Panzer in der ČSSR dienen nur dem Klassenfeind. Denkt an das Ansehen des Sozialismus in der Welt. Fordert endlich wahrheitsgetreue Informationen. Niemand ist zu dumm, selbst zu denken.
Sie werden angezeigt, Thomas Brasch exmatrikuliert und im Oktober wegen „staatsfeindlicher Hetze“ zu 27 Monaten Gefängnis verurteilt. 1969 wird Brasch auf „Bewährung“ entlassen und arbeitet als Fräser im Berliner Transformatorenwerk „Karl Liebknecht“. 1971 erhält Thomas Brasch über die Fürsprache von Helene Weigel eine Anstellung im Bertolt-Brecht-Archiv, offiziell beauftragt mit einer Arbeit zum Thema „Brecht und Kino“. Der Vertrag wird nach dem Tod der Weigel nicht verlängert, Brasch lebt nun von Stückbearbeitungen, Übersetzungen und Texten für Kinder als freier Schriftsteller. Die Erfahrung des Aufführungsverbotes nach der Uraufführung wiederholt sich 1972 mit dem Stück Galileo Galilei – Papst Urban VIII. Immerhin wird 1975 das Jazz-Oratorium Hahnenkopf (Musik: Ulrich Gumpert) mit der Gruppe Synopsis erfolgreich aufgeführt. Und es erscheint im gleichen Jahr die erste offizielle Publikation in der DDR, ein Heft mit dreißig Gedichten in der legendären Reihe Poesiealbum, darunter Teile von Hahnenkopf und des „Papiertiger“-Zyklus. Schon die Umschlagvignette von Einar Schleef lässt es an Deutlichkeit nicht fehlen: Sie zeigt einen gesichtslosen Mann in Jeans-Uniform her, die geöffnete Jacke gibt den Blick auf durchnummerierte innere Organe frei, umstellt ist die Figur von Verbots-, Hinweis- und Warnschildern aller Art. Vorwort-Autor Eckart Krumbholz deutet etwas geduckt-gönnerhaft das Unerhörte – so in der DDR noch nicht Gehörte – der Gedichte an:
Wenn sich Thomas Brasch der Gegenwart und Zukunft zuwendet, geht es ihm vor allem um die Lauterkeit vor der Revolution, empört ihn Egoismus, Spießertum, Selbstzufriedenheit, Kleinmut. Ein gewisser Hang zur Maßlosigkeit ist dabei nicht zu übersehen: Hier wird das Brot nicht mit dem Messer geschnitten, sondern mit dem Beil abgehauen.
Das Maßlose, sprich: das Unabdingbare einer Literatur, die nicht den Sumpf der Zwecke belaichen will, ist aber stets noch der Ort von Widerständigkeit gegen die Reduktion des Menschen auf partikulare Funktionen in einer versteinerten Ideologie- und Warenwelt. Darauf pochen die in harte Fügungen gesetzten Füglosigkeiten der „Papiertiger“-Texte. Was Brasch an Musils Mann ohne Eigenschaften bewundert, nämlich die „Stufe: zum kälteren Blick und zum entschiedeneren Bau“, bezeichnet den in diesen Jahren gewachsenen Anspruch, den Brasch an sich stellt. Und auch er hat sich, wie Musil, „weggewandt von einer Kunstform Literatur in eine Existenzform Schreiben“.
1976 werden die Proben einer Gruppe von Schauspielern am Berliner Ensemble zu Lovely Rita nach wenigen Wochen abgebrochen. Das Stück wird zwei Jahre später am Theatre for the New City in New York uraufgeführt werden. Wenn Brasch in einem Interview zur Hauptfigur Rita anmerkt, sie verallgemeinere „ihre Müdigkeit in die Müdigkeit eines Erdteils, der ihr als einer erscheint, der von seiner eigenen Geschichte erschöpft ist, von seinem eigenen Prinzip, nämlich dem der Leistung, der seine Potenzen zum Blühen gebracht hat und jetzt in der Perfektion abmattet“, dann ist damit eine der wesentlichen gedanklichen Linien seines Erzählungsbandes Vor den Vätern sterben die Söhne angedeutet.
1975 legt Thomas Brasch dem Rostocker Hinstorff-Verlag ein Manuskript mit Prosatexten vor, einem Verlag, der sich auch nach dem frühen Tod von Kurt Batt bemüht, künstlerisch erhebliche und politisch brisante Literatur herauszubringen. Hausautoren zu dieser Zeit sind u.a. Franz Fühmann, Bernd Jentzsch, Rainer Kirsch, Ulrich Plenzdorf. Im Verlag erkennt man das außerordentliche Talent des Autors und hegt die Absicht, den Band – der ursprünglich den Titel Eulenspiegel. Erzählungen und anderes trägt – im Jahre 1977 zu veröffentlichen. Die Erzählstücke sind nicht nur hinsichtlich ihrer Sujets und Genre-Zugehörigkeit disparat, sondern auch verschiedenen Schaffensphasen zuzuordnen. Thomas Brasch überarbeitet, strafft die Geschichten, die Diktion wird konziser und härter. Es schält sich eine strenge Komposition der Erzählstücke heraus, die zahlreiche Spiegelungseffekte zeitigt und je verschiedenartige Brechungen des Grundthemas. Gefragt wird nach den Bedingungen von und den Hindernissen für sinnstiftende Produktivität. Es sind „Geschichten über Arbeitsprozesse“. In der Marsyas-Parabel beispielsweise geht Brasch zurück zu den Ursprüngen der Leistungs- und Konkurrenzgesellschaften, hier schon wird, mit Hölderlin gesprochen, „das ganze elende Menschenwerk von Staat, Verfassung, Regierung, Gesetzgebung – bis auf die Haut entblößt“. Es spannt sich der Bogen zu jenen zeitnahen Figuren, die der Gesellschaftsriss durchzieht und zerreißt. Das Hautabziehende wird von Brasch mit humaner Unbarmherzigkeit in jede seiner verstörten, gehetzten, scheiternden und doch nach Leben gierenden Figuren gelegt. Denn es sind „Leute, auf deren Rücken Geschichte gemacht wird, die Geschichte zu erleiden haben und die daran kaputt gehen. Das sind zum großen Teil Leute, die dem Woyzeck näher sind als den Ideologen, als den Leuten, die die Macht haben.“
In einer Rezension zu Kargo vom 12. September 1977 stellt Heiner Müller heraus:
Die Generation der heute Dreißigjährigen in der DDR hat den Sozialismus nicht als Hoffnung auf das Andere erfahren, sondern als deformierte Realität. Nicht das Drama des Zweiten Weltkriegs, sondern die Farce der Stellvertreterkriege (gegen Jazz und Lyrik, Haare und Bärte, Jeans und Beat, Ringelsocken und Guevara-Poster, Brecht und Dialektik). Nicht die wirklichen Klassenkämpfe, sondern ihr Pathos, durch die Zwänge der Leistungsgesellschaft zunehmend ausgehöhlt. Nicht die große Literatur des Sozialismus, sondern die Grimasse seiner Kulturpolitik: den verzweifelten Rückgriff unqualifizierter Funktionäre auf das 19. Jahrhundert; als der Gegner noch ,gesund‘ war, die andere zählebige Kinderkrankheit der sozialistischen Frühgeburt. (Ein Staat, der sich als revolutionär versteht, muß zu seinem ersten Bedürfnis die Kritik der Bedürfnisse machen. Aber solange die Leitung vorwiegend von oben nach unten Strom führt, wird das Verdikt immer wieder gerade auf neue Bedürfnisse fallen.)
Die Wunde der offenen Grenze. Das Weiterbluten unter dem Notverband. Prag nicht als Trauma, sondern als das Ende eines Traumas. Ein Ende, mit dem der Beginn eines anderen gesetzt war, das nicht mehr im Bewußtsein angesiedelt ist, sondern in die Existenz greift.
Die für die deutschsprachige Literatur in diesem Jahrhundert wichtigen Schriftsteller, die aus dieser Generation hervorgegangen sind – Autoren wie etwa Stefan Schütz, Wolfgang Hilbig, Christoph Hein und eben Thomas Brasch −, haben die DDR vor allem als stillgestellte Geschichte und eine darüber gestülpte ideologische Simulationsmaschine im Namen von Fortschritt und Emanzipation erfahren. Während einen Moment lang von Paris bis Prag die Verhältnisse zum Tanzen gebracht schienen und die Utopie eines Lust und Sinnlichkeit vermittelnden Lebens kollektiver Produktivität aufschien, überwölbte „ein Himmel aus Stahl“ seit Mitte der sechziger Jahre die ummauerte Republik. Die Mutation sozialistischer Programmatik zu einem kleinbürgerlichen Angestellten- und Überwachungsstaat, begleitet von einem ideologischen Sperrfeuer, das die emanzipatorisch-revolutionären Ziele für verwirklicht ausgab, mußte gerade bei jungen Menschen, die dieses zivilisatorische Versprechen ernst zu nehmen bereit waren, einen Desillusionierungscrash auslösen. Die Erzählstücke und Parabeln in Vor den Vätern sterben die Söhne werden von dieser Situation eines „faulen Friedens“ grundiert, den Brasch auf der Berliner Begegnung zur Friedensförderung 1981, gegen umlaufenden Harmoniewillen, so charakterisiert:
Ich habe keinen Krieg erlebt. Ich habe einen Frieden erlebt, und dieser Frieden war schrecklich. Dieser Frieden war kein Zustand, in dem Leute in eine produktive Auseinandersetzung miteinander gekommen sind, in dem sie Produktivität und Kreativität, Kennzeichen der menschlichen Rasse, ausprobieren, die sozialen, psychologischen und politischen Widersprüche frei miteinander austragen konnten. Ich habe den Zustand einer Lähmung erlebt und diese Lähmung verdient für mich nicht die Bezeichnung ,Frieden‘. Ich bin aufgewachsen in einem – und das mache ich niemandem zur Schuld – dauernden Zustand des Kaninchens und der Schlange, in dem sich Talent nicht entwickeln kann, sondern verkümmert. In diesem Zustand der Windstille habe ich mich gerade in Deutschland gefühlt wie ein Wesen in den zwei Magdeburger Halbkugeln, die aufeinandergestülpt werden und in denen ein Unterdruck, eine Leere entsteht.
Der Verlag bekommt kalte Füsse. Die überarbeitete Fassung wird am 11. Juni 1976 abgelehnt, dem Autor werden 28 Änderungen angetragen, die erhebliche Eingriffe in das Originalmanuskript dargestellt haben würden. Als unüberwindlich erweisen sich die Konflikte dort, wo Brasch sich in unausgesprochene thematische Tabuzonen vorgewagt hat. So moniert der Verlag, dass „Robert von der Mauer und einem gesetzwidrigen Anrennen gegen sie nicht wegkommt“, und wendet sich gegen das „klitternde Zitieren von Marx und Engels“ in „Fastnacht“. Thomas Brasch ist zu diesem Zeitpunkt für Kompromisse nicht mehr zu haben:
Ich habe gesagt, dieses kann ich nicht machen; denn es ist wirklich das erste Buch, was ich mache, außer den 30 Gedichten, und das werde ich auch nicht tun, selbst wenn sie mit einigen Vorschlägen sogar recht hatten, die nicht ideologisch-politische waren, sondern formale, wo ich, in dem Bedürfnis, zuzuschlagen, einfach schlechte Prosa geschrieben habe. In dieser Situation war es so, daß ich sagte, ich bin jetzt 31 Jahre und habe keine Lust, immer als pubertierender Oppositioneller, der immer dem Papa die Zunge rausstreckt, in die Geschichte einzugehen; ich drucke dieses Buch jetzt. Und zwar nicht als Widerstandstat, sondern, um mich der Kritik der Öffentlichkeit auszusetzen.
Das Schreiben vom 8. September 1976 wird von beiden Seiten als endgültige Ablehnung des Manuskriptes angesehen, ohne dass damit ein definitiver Abbruch des Kontaktes zwischen Verlag und Autor verbunden sein soll.
Zu diesem Zeitpunkt existieren bereits Verbindungen zum Westberliner Rotbuch Verlag, nachdem Heiner Müller auf Thomas Brasch aufmerksam gemacht hatte. Eine Veröffentlichung des Manuskripts wird für das Frühjahr 1977 avisiert. Es herrscht im Verlag auch Einvernehmen darüber, das Buch selbst dann herauszubringen, wenn das Ostberliner Büro für Urheberrechte seine Zustimmung verweigern sollte. Genau dieser Fall tritt ein.
Während jener Wochen verschärft sich die innenpolitische Situation in der DDR beträchtlich. Am 16. November wird Wolf Biermann ausgebürgert, am 17. November protestieren zwölf Autoren „gegen seine Ausbürgerung und bitten darum, die beschlossene Maßnahme zu überdenken“. Zu den ersten Schriftstellern, die sich diesem Protest anschließen, gehört Thomas Brasch. An ihm wird prompt als einem der Ersten exemplifiziert, was fürderhin gängige Praxis der verunsicherten Staatsmacht werden sollte. Er wird vor die Alternativen gestellt, das an den Rotbuch Verlag gegebene Manuskript zurückzuziehen, andernfalls juristische Konsequenzen gewärtigen zu müssen, oder dorthin zu gehen, wo das Buch gedruckt wird.
Wieder einen Prozeß und wieder ins Gefängnis, dazu hatte ich keine Lust. Ich mache Erfahrungen nicht gerne zum zweitenmal, wenn ich sie verstanden habe.
II
Auf einer Atombombe über dem Bahnhof Frankfurt, antwortete ich,
wie still ist das hier im siebten Himmel.
Nur der Wind und der Gestank der Demokratie:
Lachend falle ich nieder auf das Gewimmel.
Auf einer Atombombe fallen in die Stadt Frankfurt am Main
zu Ehren der Bundestagswahl die Stimme abgeben,
einen Gruß überbringen den Volksparteien:
Das Parlament soll bis zum siebten Himmel hochleben.
Im Dezember 1976 wird Thomas Brasch und Katharina Thalbach die „einmalige Ausreise zwecks Übersiedlung aus der DDR“ gestattet. Die Publikation des Prosaerstlings gerät zum Abschied von der DDR. Der Rotbuch Verlag beschließt, die Veröffentlichung vorzuziehen; das Buch erscheint Anfang Januar 1977 in einer Start-Auflage von 10.000 Exemplaren und erfährt ein nachgerade enthusiastisches Echo. Dabei muß sich Thomas Brasch ihm nicht genehmer Vereinnahmungen erwehren. Denn vergleichbar Uwe Johnson lässt er sich für blindwütigen Antikommunismus nicht einspannen und beharrt gegenüber ideologischen Monosemien auf der Evidenz sozialer Erfahrungen:
Für mich war der Wechsel aus dem Leipziger Hörsaal in eine Berliner Werkhalle ein wesentlich schärferer Bruch als die Übersiedlung aus der intellektuellen Szene der einen Hälfte Berlins in die andere Hälfte der Stadt.
Die ersten Jahre im Westen werden für Brasch eine Zeit immenser Produktivität. Er schließt das Stück Rotter ab, das den Untertitel „Ein Märchen aus Deutschland“ trägt und noch 1977 am Würtembergischen Staatstheater uraufgeführt wird. Auch die Stücke Lieber Georg (entstanden 1979, uraufgeführt in der Regie von Karge/Langhoff am Schauspielhaus Bochum 1980), Mercedes (entstanden 1983, uraufgeführt 1983 in Zürich), Toter Mann – Höhe 304 (entstanden 1984, uraufgeführt in Brüssel 1985) und Frauen. Krieg – Lustspiel (entstanden 1984/87) festigen den Ruhm des Autors. Es entstehen mehrere Filme (Engel aus Eisen 1981, dem der Bayrische Filmpreis zugesprochen wurde, Domino 1982, Mercedes 1985, Der Passagier – Welcome to Germany 1988), Prosa, Gedichte, Hörspiele, Neuübertragungen von Platonow, Norberto Ávila, Tschechow, Gorki, Howard Brenton, David Hare und immer wieder Shakespeare. Anders als andere übergesiedelte DDR-Autoren stellt sich Brasch umgehend auf die neuen Verhältnisse ein. Das ist weder dem Zufall noch einem besonderen Gespür geschuldet. Zum einen wusste sich Brasch von Anfang an energisch projektiven Vereinnahmungen durch die Öffentlichkeit zu entziehen. Seine Verweigerung gegenüber aufklärerisch-didaktischen Literaturkonzepten von Seiten der Linken wie gegenüber dem Dissidentenstatus ist symptomatisch:
Ich kann weder mit dem Begriff des Exilschriftstellers für mich etwas anfangen, noch etwa mit denen eines Vertreters der Rock-Generation, des jüdischen Autors, des DDR-Schriftstellers, oder was immer es sonst noch gab. Für mich sind all diese Kategorien nicht mehr als hilflose Versuche, einen Schreiber leichter konsumierbar zu machen, indem man ihn auf einen Punkt reduziert.
Zum Zweiten galten ihm, dessen poetologischer Ansatz auf die Widersprüche moderner Gesellschaften insgesamt zielte, das pseudosozialistische wie das kapitalistische Deutschland als zwei Seiten einer Medaille. Mehr als die Spaltungsbilder auf beiden Seiten der Mauer interessierte ihn der darunter verborgene „gemeinsame Nenner in Ost und West (…): Der Mensch und die Maschine“. Und über den Stellenwert seiner Literatur in der deutschsprachigen Belletristik des 20. Jahrhunderts war er sich sehr früh schon im Klaren. So avanciert er, nicht zuletzt dank seines selbstbewussten, oft extravaganten Auftretens, seines scharfsinnigen Witzes, rasch zum Mittelpunkt der literarischen Szene, wie er zugleich Erwartungshaltungen mit einer Konsequenz unterläuft, die nicht moralisch oder politisch, sondern geschichtsphilosophisch grundiert ist. Anlässlich der Entgegennahme des Bayerischen Filmpreises 1981 kommt es zum Skandal, als Brasch nicht nur nicht vergisst, sich bei der Filmhochschule der DDR für seine Ausbildung zu bedanken, sondern die Preisverleihung zum Anlass nimmt, im Beisein von Franz-Josef Strauß über das Verhältnis von Kunst und Macht nachzudenken:
Unter den Widersprüchen, die unsere Zeit taumeln läßt zwischen Waffenstillstand und Krieg, zwischen dem Zerfall der Ordnung, die Staat heißt, und ihrem wütenden Überlebenskampf, zwischen dem Alten, das tot ist, aber mächtig, und dem Neuen, das lebensnotwendig ist, aber nicht in Aussicht, scheint der Widerspruch, in dem ich arbeite, ein geringer: gleichzeitig ein Denkmal zu setzen dem anarchischen Anspruch auf eigene Geschichte und dies zu tun mit dem Wohlwollen derer, die eben diesen Versuch unmöglich machen wollen und müssen, der Herrschenden nämlich. Obwohl, wie gesagt, nicht der wichtigste Widerspruch, ist er doch für den, der ihm ausgesetzt ist, der mit dem Geld des Staates arbeitet und den Staat angreift, der den subversiven Außenseiter zum Gegenstand seiner Arbeit macht und sich selbst zur gleichen Zeit zu einem Komplizen der Macht, ein entscheidender.
Braschs Motor ist die Zuspitzung dieser Widersprüche, um sie an seinen Figuren arbeiten zu lassen und für Verstörung zu sorgen. Hierin sieht er die einzigen Ansatzpunkte für Hoffnung, des Menschen nicht würdige Zustände zu verändern. Allerdings weist Brasch jede anthropologische, religiöse oder pseudoreligiös-ideologische Begründung entschieden ab, wie er 1983 mit Blick auf die von ihm verehrte Anna Seghers festhält:
Alles Beschwören einer Hoffnung auf bessere Zeiten läßt die Kluft nur tiefer und schmerzhafter werden zwischen Tag und Traum, zwischen der verbrauchten Sehnsucht der Menschen und ihrer heillosen Verfassung. Bei ihnen gab es nicht, was es bei ihr gab (vielleicht weil sie eine Frau war): das Vertrauen auf die Natur unserer Gattung, Widerstand zu leisten gegen offene oder versteckte Gewalt, die ihr angetan wird, gegen das Verschlingen der Kreatur durch den Mechanismus, den sie selbst in Gang gesetzt hat. Ich hielt den Traum der Seghers vom Aufstand der Gerechten, vom Beginn der großen Vernunft, vom endgültigen Ende des blutigen Spiels Oben-Unten, gespielt in den Parlamenten, Werkhallen, Theatern und Betten einer toten Gesellschaft, für einen trügerischen Traum.
Gegen den Schlaf einer zu Tode erschöpften Gesellschaft setzt Brasch seine poetischen und dramatischen Gegenbilder, und er setzt sie schroff, scharfkantig, rissig. Rotter, sein erstes Erfolgsstück auf westdeutschen Bühnen, ist aus groben Blöcken gebaut, Handlungsebenen, Verslängen, Gestus und Tempi wechseln ständig und erzeugen das Ineinander von Distanz und Hochspannung. Das Leben des Karl Rotter, der durch die Geschichte gehetzt wird, immer „vorn“, als antisemitischer Schläger, Stosstruppführer, nach 1945 als Aktivist auf diversen „Großbaustellen des Sozialismus“, wird von Brasch im sozialen wie im psychologischen Bedingungsgefüge ausgeleuchtet. Es ist mehr als die Biographie des ewigen Opportunisten; Rotter ist Täter und Opfer in einer Person, Kraftprotz und cleverer Maulheld, besessen von einem unstillbaren, infantilen Verlangen nach Liebe und Anerkennung, ein „verhinderter Woyzeck“. „Ein Held, wenn er gebraucht wird, (…) ohne hemmende Individualität im bürgerlichen Sinn“, der am Ende von den Clowns Kalin und Balin als Person demontiert wird, nachdem ihm seine Leere bewusst geworden ist:
Mein Leben ist ein dunkler Sack, in dem ich hock und zitter wie im Keller, wo die Ratten wohnen. (…) Wer bin ich. Bin ich einer oder träumt da was von mir. Bin ich die Ratte, die ins Kanalloch springt und singt: Mein Name ist Rotter, ich hab geträumt, ich bin ein Mensch.
So ist er am Ende ein „Nichts, das an sich selbst irre wird“. In der Sprache der neunziger Jahre also der soziale Typus des „flexiblen Menschen“ (Richard Sennett) und der psychologische Typus der narzisstisch gestörten Persönlichkeit. Genau diese Verschränkung gibt dem Stück im Übrigen seine Aktualität, weshalb der Einfall des Stuttgarter Regisseurs Christoph Nel, den Helden anlässlich der Auszeichnung als „Verdienter Held der Arbeit“ mit DDR- wie BRD-Fahne zu dekorieren, dieses „Märchen aus Deutschland“ bereits 1977 aus zeitpolitischer Beschränktheit herausgehoben hat.
Braschs dramatische Helden sind zumeist Versehrte, Desperados, Ausgestoßene, Parias, die in ihrem anarchischen Lebensdrang vom Räderwerk der Ordnung zerstört werden. Freilich findet er für ihren Anspruch auf eine „eigene Geschichte“, auf Phantasie und lebbare Lust eindringliche Bilder, oft genug Traumbilder, die Gegenbilder zum Normengefüge der jeweiligen Gesellschaft sind. Hier ist Brasch in seinen poetologischen Statements seinen Figuren nahe, so, wenn er die Protagonistin von Lovely Rita sagen lässt:
Arbeiten kann, wer keine Lust zu leben hat. Für Leute mit Verstand gibt’s nur zwei Möglichkeiten: Künstler oder Kriminelle.
Kein Wunder also, dass er in seiner Rede zur Verleihung des Bayerischen Filmpreises den „beiden Helden meines Films, den beiden toten Kriminellen Gladow und Völpel für ihr Beispiel“ seinen ausdrücklichen Dank abstattet. Die Herausstellung möglicher Gemeinsamkeiten von künstlerischem Begehren und krimineller Tat – Normverletzung und phantasievolle Ignoranz des Realitätsprinzips, Verachtung des Mittelmäßigen und fiktive Größenvorstellungen, Herabsetzung von Schamgrenzen, obsessive Rauschhaftigkeit, Grundangst in einer als feindlich begriffenen Welt – geht auf Traditionen seit Mitte des 19. Jahrhunderts zurück (Poe, Dostojewski, Flaubert, Baudelaire) und wird in der modernen Psychologie insbesondere in den Narzissmustheorien von Freud, Kohut oder Kernberg gestützt. Brasch wendet die psychologische Komponente – ohne sie zu unterschlagen – in eine von ihm bejahte soziale Verhaltensweise, die der Auflehnung – selbst wenn die Chancen für ein Gelingen extrem gering sind. Im Medium seiner Figuren kritisiert Brasch die protestantische Arbeitsethik, denunziert die Unterwerfung unter den Furor einer warenfixierten Ökonomie als ein wirkmächtiges Herrschaftsinstrument – exemplarisch in Mercedes, aber auch in Lovely Rita, Rotter sowie in den Filmen Domino und Engel aus Eisen. Der Arbeit in ihrer Gestalt als funktionaler Interaktion zwischen Mensch und Maschine, Signatur der ost-westlichen Leistungsgesellschaften, setzt Brasch, durchaus noch einmal an Brecht anknüpfend, seinen positiv (und weiblich) konnotierten Produktionsbegriff entgegen: als Produktion von Beziehungen, von Gegenbildern, von Utopie.
Eine wirkliche Entwicklung von Utopie fordert ja etwas, was dieses kapitalistische Leistungssystem einem abtrainiert, nämlich Phantasie, einen wirklich weiten Wurf. Ob der nun realistisch, realisierbar ist, ist erst einmal völlig uninteressant, er muß den völlig verrückten Stachel des Entwurfs eines völlig neuen Lebens haben. Dann erst wird für einen selber interessant, wohin man kommt.
Faktisch scheitern solche Versuche des Aufbegehrens. Und das Scheitern ist in symbolische Handlungssituationen eingebettet, die – wesentlich von Walter Benjamin entlehnte – Topoi stillgestellter Zeit evozieren: Oi und Sakko (Mercedes) schlagen die leere Zeit tot, die Karriere Gladows (Engel aus Eisen) bricht ab, als mit dem Ende der Berlin-Blockade die Normalität des Kalten Krieges Einzug hält im geteilten Berlin. Diese „krachende Stille“ ist zugleich ein schier endlos gedehntes Warten, das Brasch in Reflexionen, Interviews, Statements zur NATO-Nachrüstung, Gedichten und Figurenreden als einen „Vorkrieg“ charakterisiert hat. „Um in diesem endlosen Vorkrieg nicht zu ersticken“, antwortete Brasch auf die Frage „Warum spielen?“. Und im Vortext zu Lieber Georg, seinem Stück über den als Alter Ego wahrgenommenen Dichter Georg Heym, ist zu lesen:
Meine Hand mit der Kreide bewegt sich schnell über die Steine und ich weiß jetzt daß ich ein Theaterstück schreibe das von einem Dichter handelt mitten in einem betäubend stillen Vorkrieg zwischen den unsichtbaren Gesetzen der Ökonomie unter dem Gewicht einer alten Ästhetik.
Es kann kaum verwundern, wenn Brasch immer wieder Bilder grandioser Zerstörung und Selbstauslöschung als Erlösungsphantasmen imaginiert, wie es beispielsweise im zweiten Wunsch von Drei Wünsche, sagte der Golem geschieht: „Auf einer Atombombe über dem Bahnhof Frankfurt“. Orgiastische Vernichtungsphantasien waren seit den Tagen futuristischer Manifeste in der Literatur des 20. Jahrhunderts Legion, und noch in anarchistischen Traktaten der neunziger Jahre hallen schwach die Avantgarde-Ideome der Verschmelzung von Kunst und Leben nach, der Gewaltheiligung im Namen einer als Erlösungsakt beschworenen Emanzipation:
Poesie ist also wieder tot & selbst wenn ihre Mumie über einige heilende Eigenschaften verfügen sollte, gehört die Fähigkeit zur selbstinitiierten Auferstehung nicht dazu. Wenn Herrschende Gedichte nicht als kriminell ansehen möchten, muß irgendjemand kriminelle Taten begehen, die die Funktion von Poesie haben, oder Texte in die Welt setzen, aus denen der Terrorismus widerhallt. Koste es, was es wolle, stellt die Verbindung Poesie/Körper wieder her. Keine kriminellen Akte gegen den Körper, sondern gegen Vorstellungen (& Verdinglichungen), die tödlich & erstickend sind. Keine blöde Libertinage, sondern exemplarische oder ästhetische kriminelle Taten, Kriminalität für die Liebe.
Die Akzeptanz derart spätavantgardistischer Beschwörungen schwindet seit den achtziger Jahren. Nüchternheit ist sowohl im Zeichen postmoderner Kritik der Avantgarde-Ästhetiken eingekehrt wie im Lichte der geschichtlichen Umbrüche seit 1989 – um von dem Schock angesichts real einstürzender Neubauten nach Terroranschlägen ganz zu schweigen. In der Zeitstimmung nach dem Deutschen Herbst 1977 treffen die Gedichte von Thomas Brasch allerdings einen Ton, der auf breite Resonanz stößt und entscheidend dazu beiträgt, den Autor berühmt zu machen. Die Gedichte des Bandes Der schöne 27. September scheinen herrschenden Lyrikmoden prima vista durchaus verwandt zu sein. Freilich sind sie weniger geschwätzig und formlos als so manche Produkte der „Neuen Subjektivität“, auch weniger von Aufklärungspathos und scheindialektischen Eingängigkeiten erfüllt als etwa Erich-Fried-Texte. Brasch beherrscht ein breites Formrepertoire virtuos, vom Epigramm über Lied- und balladeske Formen bis zum chronikalischen Langgedicht. Sie vermögen Alltagswahrnehmung und intimste Gefühle, historischen Exkurs und sentenziöse Reflexion auf raffinierte Weise zusammenzuschließen. Sie bringen, wie es im Vierzeiler „Hamlet gegen Shakespeare“ heißt, „Das Unvereinbare in ein Gedicht: / Die Ordnung. Und den Riß, der sie zerbricht.“ Den umtreibenden Gefühlen von Heimatlosigkeit, ungerichteter Irritation (die z.B. in der Vorliebe für Gegensatzreihungen aufscheint) und Unheimlichkeit begegnet er des Öfteren mit Kraftgebärden, die auf Chok-Effekte setzen. Eine Gemengelage, die offenbar den Umschlag in eine Atmosphäre der Kälte nach den Desillusionierungen der siebziger Jahre trifft. Und auch hier wieder: „Vom schlimmsten Frieden gehetzt / Zwischen zwei Kriegen“, wie es im letzten Gedicht des Bandes heißt, ein „Schlaflied für K.“, das mit der Imagination einer Todeslandschaft endet:
In den Traum oder Tod oder Schlaf
Komm in den Steingarten
wo ich dich nie traf
will ich jetzt auf dich warten.
III
In einem zerstörten Haus wohnen, antwortete ich,
allein in einer verwüsteten Landschaft,
in zerbrochene Ziegel Briefe gekratzt
an meine tote Verwandtschaft.
Eine Dohle hockt abends auf dem Mast
die soll mich glücklich sehen,
denn alles, was du mir versprochen hast,
seh ich in Erfüllung gehen.
Als 1989/90 geschichtliche Eruptionen in Osteuropa die lähmenden achtziger Jahre beenden, verschlägt es zunächst auch Thomas Brasch die Sprache, der auf andere Ausgänge gesetzt hatte. So stellt er 1987 nach einer rüden Polemik Marcel Reich-Ranickis gegen Christa Wolf, die die Laudatio auf Thomas Brasch anlässlich der Verleihung des Kleist-Preises im Oktober 1987 in Frankfurt am Main hielt, klar:
Ich bin nach wie vor Bürger der DDR, und alle zurückliegenden Konflikte zwischen mir und verschiedenen Institutionen meines Landes waren immer Konflikte über das Wie des Sozialismus, nie über eine Alternative zu ihm. […] Daß ich in West-Berlin lebe, heißt nicht, daß ich mich zum Anhänger der Geldgesellschaft zurückpervertiert habe, sondern daß ich wie viele Schriftsteller aus vielen Ländern den Ort meiner Jugend für eine Zeit verlassen habe, um nicht zu stagnieren.
Nun bemüht man sich auch in der DDR wieder um den Autor. 1988 erscheint im Henschel-Verlag eine Stückauswahl, in Sinn und Form sein Stück Lieber Georg und bei Reclam eine von Gerhard Wolf getroffene Auswahl aus dem Gesamtwerk. Der Hinstorff-Verlag entschließt sich 1989, das 1976 abgelehnte Manuskript ohne Änderungen zu veröffentlichen. In einem Verlagsgutachten vom 25. April 1989 wird „letztlich der scharfblickende, rigorose Gesellschaftskritiker“ gelobt und der „längst anachronistische Riß zwischen Autor und Hinstorff-Verlag als ein lang bohrendes Ungenügen“ bezeichnet:
Dem Autor gegenüber scheint es uns legitim, den Neubeginn der Zusammenarbeit am Punkt jener schmerzlichen Trennung anzusetzen und mit der Wiederaufnahme des gescheiterten Projekts Richtungen einer zukünftigen Zusammenarbeit abzustecken.
Es gehört zu den makabren Pointen der (Editions-) Geschichte, dass Vor den Vätern sterben die Söhne 1990 kurz vor dem Harakiri des DDR-Staats endlich dort publiziert wird, wo der Band ursprünglich hatte veröffentlicht werden sollen – im Hinstorff-Verlag zu Rostock.
Zur Zeit des Mauerfalls arbeitet Thomas Brasch gerade an einem neuen Stück über Leben und Sterben des deutschen Vielschreibers August von Kotzebue. Er lässt es zehn Jahre in der Schublade, ehe Katharina Thalbach 1999 Stiefel muß sterben zusammen mit Kotzebues Lustspiel Die deutschen Kleinstädter am Theater Basel inszeniert. In den neunziger Jahren ist Thomas Brasch auf den deutschen Bühnen vor allem als Übersetzer von Tschechow, Platonow, Pound, Shakespeare präsent. Diese Adaptionen sind oft eher als Palimpseste zu bezeichnen, denn der hohe Respekt vor den Vorlagen schloss die Arbeit des Härtens, Aufrauens, Zuspitzens keineswegs aus – mit Erfolg, wie die Aufführungen von Richard II. am Berliner Ensemble unter Peymann 1999 oder 2000 Die Trachinierinnen des Sophokles am Deutschen Theater unter Langhoff belegen.
Vor allem aber wendet sich Brasch einem Prosaprojekt zu, dessen Hauptfigur durch Lieber Georg, Domino und etliche Gedichte irrlichterte. Es hatte ihn schon seit 1970 beschäftigt: die Geschichte des Bankangestellten Karl Brunke, der 1905 zwei Mädchen erschoß und sich wenige Tage nach seiner Einlieferung ins Zuchthaus erhängte. Der Text wächst sich in den neunziger Jahren – gleichsam als Parallelarbeit „auszulöschen, was ICH genannt wird“ mittels weicher und harter Drogen – zu einem Konvolut von schließlich mehreren tausend Manuskript-Seiten aus. Ein monströses Werk von Umfang und Gewicht, in seiner Maßlosigkeit ein gigantomanischer Wurf, der die Lebenssubstanz seines Schöpfers aufzehrt. Fritz J. Raddatz verglich in seinem Nachruf das Werk mit einem „unendlich faltenreichen Totenhemd“. Der Suhrkamp Verlag sieht sich zur Drucklegung außerstande, also bindet Brasch, der es gelernt hat, das Typoskript selbst und gewährt Besuchern Einsicht. Es ist sein Testament.
1999 erscheint eine neunzigseitige Fassung unter dem Titel Mädchenmörder Brunke, die in nuce die wesentlichen Grundmotive, Bauweisen, Obsessionen des Gesamtwerkes versammelt. Wie in allen größeren Texten wechselt Brasch mehrmals Erzählperspektiven und Handlungsebenen, sodass aus Spiegelungseffekten prismatische Brechungen hervorgehen, die die Grenzen zwischen den Erzählsubjekten wie „Maßnahmebehörde“, „Ich“, „Architekt D. H.“ und „Brunke“ verschwimmen lassen und umso mehr auf den Autor verweisen. Das bereits in den frühen Erzählungen angeschlagene Generalthema, aus der eigenen Haut zu kommen, den quälenden Widerspruch zwischen Ich-Gewinn und Erlösungssucht produktiv zu machen, erfährt in diesem mörderischen Spiel mit Identitäten seine Aufgipfelung. Das zweite Kapitel „Ich für meine Person“ hebt mit dem Satz an:
An dem hier beschriebenen Fall des Architekten D.H. aus Berlin, der Anfang der neunziger Jahre von einer wundersamen Besessenheit befallen wird, die ihn die Grenze zwischen Wünschen und Wissen, Heute und Damals, Lieben und Lassen und zwischen sich selbst und einem Fremden vollständig vergessen läßt, bis sie ihn in ein glückliches Sterben führt, soll kenntlich gemacht werden, wie nah die Gefahr bei der Lust wohnt, wenn sich einer auf der Suche nach dem Schönsten in das Schlimmste verläuft.
Denn fatal endet das Selbstexperiment des Architekten, der in einer Erektions- und Exekutionsmaschine zu Tode kommt, das aufgerichtete Glied bedeckt von Papieren, die die Nachforschungen in Sachen Brunke dokumentieren. Das Interesse von D.H. entzündete sich weniger am Mordfall Brunke, der die beiden Apothekerstöchter auf deren eigenen Wunsch hin erschoss. Ihn fesselt vielmehr Brunkes Versuch, eine universale „Liebesmaschine“ zu konstruieren, „die den Menschen ersparen soll den Schmerz der Liebe und der Trennung und ihn ganz erfahren lassen seine wirklichen Bedürfnisse, seine Gier und seine Schwächen, ohne sich ihrer zu schämen“. Sie sollte helfen, die Fuge (die Brunke als weiblichen Ort der Lust, als eigenen offenen Schädelriss, als musikalische Struktur des mehrstimmigen Satzes deutet) zu schließen und damit den schmerzlichen Verlust der Liebesfähigkeit zu kompensieren. Dass es diese Maschine nicht geben kann, diese Erkenntnis kommt so überraschend nicht und ist eher ein erzählerisches Vehikel: „Es gibt keine Liebesmaschine, außer man selbst ist eine und sucht sich eine andere, eine aus Fleisch, Lust und Hoffnung, wie man selbst eine ist.“ Viel wichtiger ist, dass Brasch eine Textmaschine vorführt, die nach dem Prinzip der Fuge arbeiten soll und aus den Fugen gerät, die das Erzählte ständig wieder in die Position des Erzählenden wirft und die doch in der kristallinen Sprache eine ungeheuerliche Bedrängnis als Epiphanie – nicht unverwandt jener Ovids oder Oscar Wildes – bereithält: sie verkündet Tödliches. Es ist zu vermuten, dass Brasch den Abschluss seines Monumentalwerkes auch deshalb immer wieder aufgeschoben hat. Das Buch beginnt post mortem mit dem Satz:
Ich war offensichtlich an den Folgen jenes Unglücks gestorben, das ich erwartet hatte, seit mir das Lieben abhanden und ich mir auf diese Weise vor Jahren vollständig abwesend geworden war.
Das Eingangskapitel imaginiert eine bedingte Rückkehr ins Leben unter der ultimativen Bedingung, „die Hast aus meinem Leben und meiner Arbeit abzutun“, und schließt in der Verschmelzung des erzählenden Ich mit der Brunke-Figur. Der Dichter Thomas Brasch ist im traurigen Monat November von Charon, der in seinem Buch die Uniform eines Kutschers trägt, in die Droschke gebeten worden. Er ist mit seinen Toten gegangen, mit Büchner, Kleist, Beckett, Kafka, mit seinen Brüdern Klaus und Peter, mit seiner Großmutter:
Die Rätsel sind gelöst:
ihr Hirn sprang über.
Sie wollte nicht Heimat sagen:
Sie hatte kein Dach darüber.
Er hat ein Werk hinterlassen, das in der bedeutenden deutschsprachigen Literatur des 20. Jahrhunderts einen Schlußstein gesetzt hat und in weiten Teilen erst entdeckt werden will. Eines der letzten Gedichte von Thomas Brasch trägt den Titel „Weil ich das Eigene verloren habe“ und fügt das späte Resignieren an die frühe Trennungserfahrung. Wie kaum ein anderer hat er den Lebensbogen als einen durch die Unheilsgeschichte dieser Zeit qualvoll überspannten in die Literatur geschrieben.
Weil ich das Eigene verloren habe
kann ich nichts mehr schreiben. Jeder
meiner Gedanken ist mir ganz fremd
und unnütz. Deshalb lasse ich ihn
gleich versinken, wenn er auftaucht.
Zuviel geredet.
Zu selten geschwiegen.
Und Angst immer. Vor allem und vor jedem.
Vor dem Verlassen und dem Verlassenwerden.
Vor der Gesellschaft und vor der Einsamkeit.
Vor meiner unnachgiebigen Verteidigung einer
unwürdigen Unabhängigkeit.
Und immer der Gedanke an Sterben.
Als meine Mutter meine Hand nahm im Auto
am Tag bevor ich ins Internat abfuhr und
ich wußte im gleichen Moment, daß ich
in einen Weg einbog, der mich wegtrieb und
wollte zurück aber da ging es nicht mehr.
Peter Geist, Neue Rundschau, Heft 1, 2002
– Gespräch mit Lothar Trolle über Thomas Brasch. –
Martina Hanf: Wie erlebten Thomas Brasch und Sie die DDR Anfang der siebziger Jahre, nach der Niederschlagung des Prager Frühlings?
Lothar Trolle: Die Zeit bis 1975, da waren wir Ende Zwanzig, ist mir in guter Erinnerung. Nina Hagen, Babu [Barbara Honigmann], Thomas, Einar Schleef: alles Hochbegabte. Wir gingen davon aus, daß aus uns nichts wird, das hatte man akzeptiert. Wir lebten mit Nachdenken, gegenseitiger Anregung und auch Langeweile irgendwie in den Tag hinein. Unsere Beziehungen waren angenehm, jenseits von Konkurrenz, und wir dachten, das genügt als Existenz. Dieses Abgestrappe anderer Künstler verachteten wir, die ganze DDR-Literatur hielten wir für unlesbar. Wir einigten uns darauf, daß das Wichtigste im Land die Zukunft ist. Das war eine Formulierung von Müller, die wir verinnerlicht hatten. An den Verhältnissen rumzukritteln war nicht mehr unsere Absicht, dazu waren wir schon viel zu sehr aus ihnen raus. Wir wollten nicht in die Verhältnisse verstrickt werden, wie andere Autoren, die ihre Kritik zwischen den Zeilen verpackten. Das fanden wir blöd, diese Sklavensprache. Was wir machten, war eher Proletentheater in der Birne.
Hanf: In den Tagebuchtexten Braschs aus den siebziger Jahren spielt die Selbstfindung eine zentrale Rolle. Sie begleiteten ihn ein Stück in diesem Prozeß. Wie sah der Weg für Sie beide als angehende Schriftsteller aus?
Trolle: Man schrieb vor sich hin, und Selbstfindung war vor allem Gespräche über Bücher. Wir standen manchmal Ewigkeiten vor irgendeinem Bücherregal und fragten:
Hast du das schon gelesen oder das?
Wenn wir ein Buch suchten, das man sonst nirgendwo bekam, gingen wir zu Norbert Randow. Er war Altslawist, hatte wegen angeblicher staatsfeindlicher Sachen im Knast gesessen und lebte von Übersetzungen. Randow war eine ganz abgehobene Figur, gebildet, höflich. Großzügig pumpte er uns Bücher, nach denen wir fragten. Thomas besaß einige Westbücher, beispielsweise von Robert Walser, den ich ihm erklärte, oder von Georg Heym, der im Osten kaum bekannt war, aber Thomas sehr beschäftigte. Darüber tauschten wir uns aus. Und es gab den Austausch mit der Generation vor uns. Wir hatten jeweils unsere Bezugspersonen. Thomas saß täglich bei Müller rum, der damals relativ einsam war.
Hanf: Welchen Einfluß hatte Heiner Müller auf Thomas Brasch und Sie?
Trolle: Auf Thomas war sein Einfluß stark, auf mich wirkte er nur mittelbar. Ich hing bei Karl Mickel, Horst Sagert oder B.K. Tragelehn rum. Müller und Mickel waren angenehm, völlig unprätentiös. Mickel, den ich alle zwei Wochen besuchte, als er noch in der Karl-Liebknecht-Straße wohnte, war ein bißchen schlitzohrig. Mit Müller wurde ich anfangs gar nicht warm. Er stand auf Leute, die schnell reagieren konnten, und das war ja Thomas’ Qualität. Als Thomas wegging – ich hatte vorher davon gewußt –, rief mich Müller an:
Komm mal rum.
Müller, der sehr an ihm hing, ging es damals ziemlich schlecht. Beide hatten ein enges, vertrauensvolles Verhältnis, und Thomas verwaltete dann im Westen auch Müllers Geld.
Hanf: Thomas Brasch spricht in einem Text von Heiner Müllers „Irreführung junger möglicher Konkurrenten“. Wissen Sie, was er damit meinte?
Trolle: Müller war nicht ganz ohne. Thomas hatte noch im Osten das Stück Lovely Rita geschrieben. Als es fertig war, hieß es, vielleicht wird das Stück am Berliner Ensemble inszeniert. Müller wollte das zunächst vermitteln. Irgendwann kam ich ins Theater, da saß Thomas in der Kantine und druckste rum. Müller redete oben mit Ruth Berghaus über Lovely Rita. Jedenfalls kam er nach einer Weile in die Kantine runter, besoffen und strahlend, und sagte:
Mensch, die machen meinen Gundling.
Gundling wurde dort schließlich auch nicht inszeniert. Aber so konnte Müller eben auch sein.
Hanf: Suchten Sie und Thomas Brasch in der DDR der siebziger Jahre überhaupt nach Möglichkeiten, sich öffentlich als Schriftsteller zu präsentieren?
Trolle: Das stand nicht mehr zur Diskussion. Dann hätten wir Sachen machen müssen, die wir ablehnten. Wir gingen damals in die Volksbühne und fanden Theater blöd. Diese Art von Theater hat uns nicht interessiert. Für uns war die Lage ohnehin ziemlich aussichtslos.
Hanf: Wovon lebten Sie beide damals?
Trolle: Wir hatten kleinere Aufträge, Brotarbeiten bekamen wir immer irgendwie. Manchmal kamen Angebote, die andere nicht annehmen wollten, und es gab Lektoren, die auf Leute wie uns aus waren. 3.000 Mark im Jahr reichten uns damals. Bücher konnte man klauen. Wir klauten wie die Raben. In die Universitätsbuchhandlung Unter den Linden sind wir mit leerem Koffer rein- und mit vollem wieder rausgegangen. Jeans zu klauen, als die im Osten auftauchten, war überhaupt kein Problem. Unsere Wohnungen waren zwar beschissen, aber billig, und wir fuhren Fahrrad. Mehr brauchte man nicht.
Hanf: Was waren das im einzelnen für Auftragsarbeiten?
Trolle: Thomas schrieb sein Stück Eulenspiegel, er stand bei Litera Schallplatte unter Vertrag, und ich schrieb Puppenspiele für das Puppentheater in Dresden. Thomas hatte einige Projekte mit Jazzmusikern wie Ulrich Gumpert. Ich bekam einen Auftrag vom Theater in Stralsund, der wurde dann aber gleich wieder abgeblockt. Beide schrieben wir Lieder, er für Sanda Weigl und ich für Nina Hagen. Mal wurde aus den Projekten etwas und mal nicht. Mit der „weichen Welle“ nach 1971, als Honecker verkündet hatte, es solle für Künstler keine Tabus geben, und Müller plötzlich gespielt wurde, erhielt Thomas mehr Angebote.
Hanf: Im Nachlaß Braschs dokumentieren Notizen und Manuskripte vom Herbst 1972 eine weitere gemeinsam mit Ihnen geplante Arbeit: das Filmprojekt Jürgen Fastnacht, das bereits vom Exposé bis zum Szenarium gereift war, aber letztlich nicht realisiert wurde. Woran lag das?
Trolle: An dieses Projekt kann ich mich überhaupt nicht erinnern. Wir sprachen zwar öfter davon, noch etwas gemeinsam zu produzieren, aber den Fastnacht hat er alleine gemacht.
Hanf: In seinen autobiographischen Aufzeichnungen beschäftigt sich Brasch mit den Formen des Schreibens, den ästhetischen Methoden. Spielten diese Fragen in Ihren Gesprächen eine Rolle?
Trolle: Wir haben nie über das Schreiben selbst, sondern über Literatur und über Leute gesprochen. Wir definierten uns ja auch nicht als Künstler. Thomas’ Aufzeichnungen sind für mich ganz überraschend, ich wußte nichts von dem, worüber er da theoretisiert, obwohl wir uns fast jeden Tag sahen. Gespräche über das Schreiben fanden zwischen uns nicht statt, das war ja gerade das Angenehme. Wir unterhielten uns über Bücher, hörten Platten oder saßen vor dem Fernseher und guckten Filme. Thomas besorgte stets die neuesten West-Platten, darin war er ein Könner. Mich wollte er von den Stones überzeugen, und ich brachte andere Sachen ein.
Hanf: An welcher Literatur schärften Sie Ihr Urteil, über welche Schriftsteller sprachen Sie mit Brasch, abgesehen von Robert Walser und Georg Heym?
Trolle: An Henry Miller kann ich mich erinnern, dann Joyce, Ezra Pound, bei mir Walser und auch T.S. Eliot. Na ja, und die Götter Heine, Georg Büchner…
Hanf: Unter den Tagebuchaufzeichnungen Braschs gibt es einen an sich selbst gerichteten Brief vom Januar 1972. Haben Sie ihn so erlebt, wie er sich in dem Brief beschreibt, eitel oder arrogant?
Trolle: Arrogant erschien er mir nie. Er hatte eine gewisse Distanz zu sich selbst, war unsicher gegenüber den eigenen Arbeiten. Wenn wir etwas zustande gebracht hatten, zeigten wir es uns zwar, aber ich fand ihn weder eitel noch ehrgeizig. Eitles Künstlergehabe lehnten wir beide ab.
Hanf: Wie würden Sie Brasch charakterisieren?
Trolle: Als unheimlich verletzbar. Wir alle wußten, daß er eine ganz dünne Haut hatte. Kein Wunder bei der Familie und seiner Biographie. Thomas konnte gut auf Leute eingehen, sich schnell auf andere einstellen, ihnen fast wie ein Beichtvater zuhören und sofort Tips geben. Er hatte etwas sehr Anziehendes.
Hanf: Sprach er mit Ihnen über seine Erlebnisse und Erfahrungen, beispielsweise über die Kadettenanstalt, über seine Haft?
Trolle: Gewiß unterhielten wir uns öfter darüber. Manchmal waren sein Bruder Klaus mit seiner Freundin Cathy Jelski oder andere Leute dabei. Und auch wenn da gelacht wurde, begriff man, woher Thomas’ Dünnhäutigkeit kam.
Hanf: Hatten Sie den Eindruck, daß er als Funktionärskind in den Genuß besonderer Privilegien kam?
Trolle: Die hatte er nicht, er hatte eher Nachteile davon. Er stand mehr unter Beobachtung, auch von seiten der Eltern, deren Verhältnis zu ihm von Unverständnis und Gemecker geprägt war. Als der Prozeß gegen Thomas endete, fanden seine Eltern das Urteil gerecht. Beide kamen aus der englischen Emigration, hatten aber in der DDR keinen Kontakt mehr zu Emigrantenkreisen. Auch Babus Eltern kamen aus der Emigration. Sie aber brachten diese andere Welt mit, vermittelten uns eine andere Weltsicht.
Hanf: Teilten Sie Braschs 1973 im Zusammenhang mit dem Artikel Wolfgang Harichs gegen Heiner Müller formulierte Auffassung, daß die Partei als Mitte den Künstlern nur kleine Freiheiten auf der „rechten Straßenseite“ zugestehen wollte, es aber darum ging, die „linke Straßenseite“ zu besetzen?
Trolle: Der Artikel in Sinn und Form war ein kleiner Skandal… Ob wir darüber diskutierten, weiß ich nicht mehr. Auf jeden Fall kapierten wir nicht, warum Harich mit seinen Erfahrungen diesen Quatsch geschrieben hatte. Und was heißt „linke Straßenseite“ oder „links“? Für mich heißt das höchstens, beim Schreiben den Blick von unten zu behalten und aus dieser Perspektive zu schreiben.
Hanf: Woran entzündeten sich in Ihrem Kreis politische Debatten?
Trolle: An allem, was gerade passierte, konkreten Ereignissen mit ihren Hintergründen. Bei Diskussionen war Thomas oft der Wortführer, weil er die Dinge am besten formulieren und artikulieren konnte.
Hanf: Brasch und Sie verbindet das Mißtrauen gegenüber politischem Engagement, was nicht Ihre literarische Arbeit meint, die sich durchaus als politisch versteht. Woher rührte Ihr Mißtrauen, auch späterhin?
Trolle: Man hatte gesehen und erlebt, wohin politisches Engagement führt. Im Osten tendierten die Möglichkeiten, sich zu engagieren, gegen Null. Übrigens wurden wir 1972/73 von Wolf Biermann agitiert, in die Partei einzutreten, um sie von innen zu ändern. Es gab ja viele Leute, die in der Partei waren, die wir schätzten, wie Helene Weigel, Adolf Dresen oder Wolfgang und Matthias Langhoff. Insofern war die Idee gar nicht so abwegig, wir dachten zumindest darüber nach. Andererseits kannte ich die Idioten, die in der Partei waren, vom Studium. Und jeden Montag mit denen Parteiversammlung, nee…
Hanf: Sie haben einmal geschrieben, ohne Utopie gäbe es keine Zukunft, und vorhin sagten Sie, daß Sie in den siebziger Jahren ihre Hoffnungen auf die Zukunft des Landes setzten. Welche Utopien hatten Sie und Brasch seinerzeit im Kopf?
Trolle: Im Osten war es relativ einfach. Uns war klar, daß in der DDR kein Sozialismus, sondern eine Klassengesellschaft. existierte. Wenn Leute behaupten, der Sozialismus in der DDR sei 1989 zusammengebrochen, irren sie. Es ging uns immer um die Aufhebung der Klassengesellschaft. Das war das Thema, und nicht etwa ein besseres Leben. Außerdem hatte man immer Lust auf Zoff. Zoff mit der Gesellschaft ist doch ganz schön.
Hanf: Blieb der persönliche Kontakt mit Brasch nach 1976 bestehen?
Trolle: Als ich 1988 oder 89 in West-Berlin war, besuchte ich ihn. Da war er nicht gut drauf, es ging ihm ziemlich schlecht. Thomas ist zwar aus der DDR weggegangen, aber im Westen nie angekommen. Der Westen war ja nicht das, was wir irgendwann mal wollten! Wenn man dorthin kam, hat man die Verhältnisse doch verachtet, den Dreck, die Oberflächlichkeit. Viel später traf ich ihn noch ein paar Mal im Ganymed. In den wenigen persönlichen Momenten schaute man so aus dem Fenster und sagte:
Sag mal, hättest du dir vorstellen können, daß wir so ’ne Scheiße da draußen mal sehen?
Zuletzt begegnete ich ihm bei der Beerdigung seines Bruders Peter.
Hanf: Haben Sie die Arbeit und den Werdegang Braschs nach seinem Wechsel in den Westen verfolgt?
Trolle: Soweit es eben möglich war. Besonders im ersten Jahr hatte er unheimlichen Erfolg, wurde hochgejubelt und war ständig in den Medien, seine Filme wurden in Cannes gezeigt. Wahrscheinlich ist rasanter Ruhm nicht gut.
Hanf: Nach dem Tod von Brasch, zuletzt anläßlich seines zehnten Todestages, erschienen Artikel, in denen er als vergessener Schriftsteller bezeichnet wurde. Sehen Sie das auch so?
Trolle: Thomas ist nicht vergessener als Stephan Hermlin oder Adolf Endler. Sie sind doch alle vergessen. Einige kennen Thomas noch, aber der Abriß ist gigantisch. Es gibt heute keinen Nachruhm mehr, selbst bei Heiner Müller bröselt’s. Wer kennt noch Peter Hacks?
Hanf: Womit hängt das zusammen?
Trolle: Man muß heute nichts mehr selber wissen, kann über das Internet am Vormittag alle Informationen abrufen und am Nachmittag sofort wieder vergessen. Bezüge zur älteren Generation, wie wir sie hatten, weil wir wußten, von denen kann man viel lernen, haben die Jüngeren heute kaum.
Hanf: Gibt es Arbeiten von Brasch, die Sie besonders schätzen?
Trolle: Am besten finde ich seine Arbeit über Heiner Müller, die bei Theater der Zeit erschienen ist. Den Text finde ich berührend, weil er Müller sehr genau und warmherzig beschreibt.
Hanf: Was fehlt Ihnen, wenn Sie an Thomas Brasch denken?
Trolle: Vor allem die Unbeschwertheit, das Sich-gegenseitig-Öffnen für die Schönheiten, vor allem der Literatur. Ach, einfach unsere Jugend…
Sinn und Form, Heft 1, Januar/Februar 2012
22. April. Hitlergeburtstag ist wieder gewesen, aber man hat nichts mitbekommen, nichts Erwähnenswertes. Gotscheffs Frau Almut hat mich für den 26. per SMS zu Mitkos 60. Geburtstag nach Hamburg eingeladen, das war alles – und was anderes. Das Wetter ist gewitterisch heute am See, aber es regnet wenig. Schon die 5. junge Frau schiebt ihren Kinderwagen auf den Dampfersteg! So schlimm kann es nicht stehen, mit der Arterhaltung der Deutschen, denn keine sah ausländisch aus, eher schon gutbürgerlich. Neben mir, vor seinem Fensterflügel, sitzt, mit meiner vorweggenommnen Totenmaske auf der Schulter, der hölzerne, von Achternbusch herausgeschnittne Buddha in seinem ausgeschwemmten Brett und schaut mich aus hineingebohrten Augen listig an,… ziemlich klein die Augen, und so nachhaltig, und irgendwie bekannt… und der Steintiger auf des Buddhas Kopf versteckt Bernried vor meinem Blick. Gleich gehe ich zum Augendoktor, weil das rechte Aug schon schwächer durch die Brille schaut als links das linke – und ob ich in vier Tagen dann zum Gotscheff gehe, weiß ich jetzt noch nicht. Ich würde schon gern. Aber wenn da wieder alle die Actiontheatertypen herumschleichen, die mir mit ihren durchtrainierten Körpern und der manierierten Sprache das Theater versauen, und die Liebe, dann eher lieber nicht. Dabei ist der Mitko selbst doch alles andere als ein Actiontyp. Auch aus seiner schweren, von jetzt sechzig Jahren Einsamkeit akzentdurchächzten Sprache war nie was Manieriertes rauszuhören. Also warum lädt er die dann ein? Ich weiß nicht! Muss ich bald einmal mit ihm darüber reden. – Was mir alles einfällt, wenn ich an den Thomas denken soll!!
Dass auch niemand mehr auf Hitler reagiert an einem solchen Tag, das macht schon ein wenig wirr. Wenn der Eichinger am Abend vorher nicht einen Hitler-Film angekündigt und dabei gewirkt hätte, als verkünde er der Nation eine kulturelle Sensation, dann hätte man schon beinahe den Eindruck haben können, als hätte man mit Hitler Adolf in Deutschland gar nichts mehr am Hut. Gut, dass wir den noch haben, den Eichinger, denn der macht große Themen. Und Hitler, Hitler flüstert da das kleine Männchen in des Geschäftsmanns offnes Ohr, Hitler ist ein großes Thema! Und der Bruno schenkt ihm seinen müden Blick, den traurigen, der Ganz, dem Eichinger und seinem Thema, und dem Hitler, über dem angeklebten Bart. „Was wäre denn an den Hitler-Tagebüchern interessant gewesen, wenn sie echt gewesen wären?“ hat der Achternbusch damals einfachheitshalber gefragt. Aber geantwortet hat ihm niemand. Sie wollten einfach Hitlertagebücher haben, egal welche. Denn noch immer wollen alle immer wieder mal ein Stückchen Hitler haben, zumindest als Ikone. Der Hitler Adolf ein Ikon! Ha! Ikonen heiligen Vergangenheit und dekorieren Gegenwart. Und in diesem Fall lädt die Ikone auch gleich noch alle Schuld auf sich. Und wenn er noch als echte Leich zu haben wär, der Hitler? Dann würde er gehäutet präpariert als Kunstwerk in der Ausstellung Körperwelten um die Erde reisen.
Unten ist jetzt gerade mein Bruder vorbeigefahren, in seinem blauen Golf, nachschauen, ob in seinem Haus alles in Ordnung ist. Immer kämpft er noch fast manisch um den Hinausschmiss der doch eigentlich eher leise tretenden Schreib-WG aus seinem Haus. Ich verstehe das ja nicht ganz, denn ich komme mit diesen Literaturmenschen eigentlich gut aus, gerade weil sie sich so unauffällig ins gesellschaftliche Leben einfügen. Keine Ahnung, was meinen erfolglos begabten Bruder da reitet, dass er diesen Leuten so hartnäckig das Leben am schönen Gestade vergällt, an das er sie doch vor Jahren selbst gelockt hat? Er war halt zu lange im Kloster, hat ein ehemaliger Postbote meines Bruders gesagt. Und vielleicht hatte er Recht: 10 Jahre Schüler im Kloster Ettal! – In Ettal töten tote Seelen Seelen! – Zwischen all den hohen Bergen, die es umgeben, rettet man sich in den einsamen Blick ins Firmament! – Und „wenn man lange in den Himmel schaut, weiß man nicht mehr wo man ist!“ – Ein guter Artist war auch ich nie.
Jetzt klingelt mein Telefon die Anfangstakte des Liedes von der Sehnsucht, dessen Text Peter Altenberg Hanns Eisler geliehen hat und dessen Melodie ich von Eisler geliehen habe. Am Display erkenne ich, dass der Anruf vom Theater am Schiffbauerdamm kommt. Eine Frau Heigl will nicht mich, sondern den Herrn Rauch. Der wohnt hier nicht, sage ich, und sie ist verwirrt, weil sie doch vor kurzem erst angerufen hätte, und da wäre Herr Rauch noch da gewesen. Sie sind vom Peymann, sage ich, und jetzt ist sie ganz durcheinander. Ich sage meinen Namen, und ihr dämmert, dass sie sich verwählt haben könnte. Dann hängen wir ein. Den Thomas immerhin haben sie von diesem Theater aus immer wieder angerufen in den letzten Jahren seines Lebens, ohne dass sie sich verwählt haben, das muss man ihnen lassen, dem Peymann & dem Beil. „Mein Leben ist unwichtig. Aber was davon für die anderen wichtig ist, ist wichtig“, hat Peter Altenberg geschrieben. So entspannt war Thomas nicht.
Wäre er es gewesen, wenn er, wie Altenberg, vor der Hitlerzeit gelebt und geschrieben hätte?
Ich lege den burgenländischen Trauermarsch auf, den ersten von vielen auf einer CD aus dem Trikont Verlag: Dead & Gone #1 – Thomas schob diese Platte vor ein paar Jahren um 4 Uhr in der Früh in seiner Wohnung am Schiffbauerdamm in den CD-Player, nachdem er mich zuvor wüst beschimpft hatte, wegen meiner Darstellung des Galilei im gleichnamigen Theater gleich nebenan. Aber erst, nachdem ich mich zum wiederholten Mal erklärt und er mich zum wiederholten Mal belehrt hatte, dass es „als“ hieße und nicht „wie“, habe ich angefangen, mich zu wehren. Egal in welchem meiner Sätze ich wo „wie“ gesagt habe und wann, immer wieder berichtigte er mich mit einem penetranten „als“, bis mir seine Schulmeisterei endlich voll auf den Keks ging. Wir hatten Wodka getrunken und Schnupftabak gegessen, und ich schrie ihn an, dass er mich dann gefälligst auch mit seinen Bayernsentimentalitäten in Frieden lassen soll, mit den Kloster-Ettal-Geschichten über seinen Großvater, der dort angeblich Schüler war, wenn er meine, vom bayrischen Dialekt herrührende Hochsprachsprechbehinderung, die vielleicht sein Sprachgefühl verletzen, aber nicht meine Sprachzugehörigkeit infrage stellen würde, wenn er die nicht aushielte: „Dann verzichte auch auf mich als deinen Geschichtenmüllsack.“ Ich hatte durchaus manchmal den Eindruck, er benütze mich, um redend das loszuwerden, was er des Schreibens nicht wert fand. Und vielleicht war es ja auch sein Vater, der in Ettal gesessen hat. Ganz sicher bin ich mir da jetzt nicht mehr, nach der langen Zeit. Aber ich dachte an meinen Bruder. Auch Thomas war von seinem Vater nach einem DDR-Ettal verschickt worden, auf eine Kadettenschule.
Auch hier wieder die gleiche Reaktion bei ihm, wie schon früher einige Male in ähnlicher Situation: Wenn ich genauso aggressiv wurde wie er, dann wurde er sofort wieder ruhig und sprach ohne Aggression weiter – wie ein älterer Bruder – und wir hörten Dead & Gone. Schließlich führte er mich in ein anderes Zimmer, sein Schlafzimmer vermutlich, und griff da einen blauen Müllsack, der in einer Ecke stand. Den hielt er mir hin: Der Sack war weit über die Hälfte voll mit losen, beschriebenen Blättern. Das ist mein Geschichtenmüllsack, sagte er leise, lauter unveröffentlichte Manuskripte. Ich missbrauche dich schon nicht. – Der betäubt sich nur noch, dachte ich. Da er nichts veröffentlicht, schreibt er doch umsonst. Warum tut einer das? – Zur Betäubung!
Aber dann fiel mir ein, dass Kunst nicht von Können kommt, sondern von Müssen.
Als ich um 6 Uhr in der Früh ging, nahm er 1.000 Seiten Maschinengeschriebenes aus dem Plastiksack und gab es mir. MÄDCHENMÖRDER BRUNKE. Bei der Veröffentlichung war es ein Büchlein und wog noch 97 Seiten.
Ein anderes Mal legte er eine neu erschienene CD mit und von Eisler auf. Alles Süddeutsch/Bayrisch/Österreichische, das für ihn einen Wert besaß, hielt er mir regelrecht unter die Nase, damit ich daran riechen und es begreifen möge und begreifen möge, wo eigentlich ich herkäme, denn davon überhaupt nur eine Ahnung zu haben, schien er an mir ernsthaft zu bezweifeln. Als ich ein Jahr später, oder zwei, wieder im Theater gleich nebenan, Eisler-Lieder sang, ging er da aber erst gar nicht hin. Er hatte Schiss, dass es ihm peinlich sein könnte. Ich kannte das und nahm es ihm nicht übel. Dafür habe ich dann aber seine Beerdigung auch nicht besucht. Vor den dort zu erwartenden Schmerzbekundungen hatte nämlich ich Schiss. Man muss sich nicht jeden Liebesdienst erweisen, um sich lieben zu können.
Dem Gotscheff habe ich jetzt abgesagt. Ich habe mich in der Nacht auf meinen eigenen Geburtstag, der auf denselben Kalendertag fällt, so eingelassen, dass eine Wiederholung zu Mitkos Ehren Selbstverstümmelung wäre. Ich bin jetzt nur noch ein Jahr jünger wie (als?) Thomas, als er starb. Ich kann auch nicht mehr so, wie ich will. Meine eigene Atemnot berührt als Erbteil des Vaters schon gelegentlich mein Herz, und wie die Väter sterben die Söhne, heißt es. Der meine konnte nicht mehr reden, als ich ihn das letzte Mal im Krankenhaus besuchte. Mit Zeichen gab er mir zu verstehen, dass er etwas aufschreiben möchte. Ich gab ihm Stift und Notizbuch. Da schrieb er hin: Wieviel Uhr? – Vier, schrieb ich zurück. Das war unser letzter Gedankenaustausch.
Den möchte ich für mich und meine Kinder noch ein wenig hinauszögern, denn auch ich bin nur ein Mensch: Tot wär’ ich gern, aber sterben mag ich nicht. Deshalb bin ich Gotscheffs Ruf diesmal nicht gefolgt. Als der für unsere gemeinsame Arbeit am KÖNIG LEAR von Brasch eine neue Übersetzung haben wollte, sagte der ihm die zu und ließ sich darauf vom Theater auch gleich eine Anzahlung auszahlen – aber die Übersetzung kam nie. Der Thomas trat zu dieser Zeit schon ganz alleine seinem eignen echten Tod entgegen und hatte für den künstlich fremden öffentlichen Tod auf dem Theater nicht mehr Zeit. Erscheint es da, mit Blick auf diesen stummen Totentanz LEAR gegen Brasch, nicht maßgerecht, dass subventionierte Theater ihren Autoren auch dafür Geld bereitstellen, und nicht nur für abgelieferte Texte? Also war es vielleicht nur ein bürokratisches Versehen, dass das Hamburger Schauspielhaus damals den ausbezahlten Vorschuss zurückhaben wollte.
Als ich ihn zum letzten Mal zum Trinken ins Van Gogh bat, war er aufgedunsen wie eine Rohrnudel; so aufgedunsen, dass ich mich nicht nach dem Grund zu fragen traute. Von sich aus klärte er mich auf, dass in seinem Gesicht das Cortison wirke, das er einnähme, um überhaupt noch atmen zu können. Und dass ich unbedingt zu Rauchen aufhören solle, sagte er noch, weil das viel schädlicher sei als z.B. Schnupftabak essen. Er trank einen Kaffee ohne Schnaps und war überhaupt gar nicht schlecht drauf. Ich war froh um seine Gesellschaft. Bei Thomas vergaß ich, dass ich eigentlich immer viel lieber mit einer Frau zusammensitzen würde, wenn ich mit einem Mann zusammensitze. Und dabei waren wir weder hinten noch vorne schwul.
Schon eigenartig, dass es vor allem Ostler sind, die mich intellektuell anziehen. Einige von ihnen wirken auf mich auf vorteilhafte Weise geistig disziplinierend. Geht das nur mir so? Vielleicht hat ja die ständige Gefahr eines staatlichen Zugriffs im Denken und im Wesen bei ihnen so tiefe Spuren hinterlassen, dass ihnen jetzt eine Art Aura anhaftet, die ihre Anwesenheit verklärt und belangloses Gerede in ihrer Gegenwart verbietet. Und einige von ihnen wirken nun auf uns wie Betablocker gegen die von uns schon längst verinnerlichte Spaßgesellschaft, und eine schon verloren gegebene geistige Sehnsucht regt sich wieder. Gefahrlos ist Denken nie. Das so genannte freie Denken muss sich selbst entgrenzen, das wirkt höchstens anstößig und ist mir, meiner westdeutschen Herkunft gemäß, geläufig. Verbotenes Denken dagegen ist ständig von außen bedroht und also eine potentielle Wunde. Vielleicht roch ich altes Blut, wenn ich bei Thomas war? Denn es war so: Sein oft strenger Ton hat mir immer eine Reaktionsstufe zu viel abgenötigt, entweder ein bisschen zu viel Achtung vor dem, was er sagte, oder aber ein klein wenig zu viel Unaufmerksamkeit, wenn ich glaubte, ihn wegen dieses strengen Tones nicht ganz ernst nehmen zu müssen. Banalste Belehrungen erduldete ich oft. Wenn ich dann irgendwann den Schüler nicht mehr gab, waren wir fähig zu streiten. Heftig. Ich verletzte ihn dann gelegentlich. Er mich nie. Dabei hatte ich manchmal das Gefühl, dass er genau diesen Widerstand wollte… und dann erst begann das Gespräch. Wegen dieser Gespräche habe ich immer wieder bei ihm geklingelt. Ich floh aus der BE-Kantine und klingelte bei Thomas. Bei den Gesprächen wusste ich, dass er mich durchschaute. Das war aber nie eine Verletzung der privaten Sphäre. Drum war ich bei ihm immer offen, deshalb hörte ich ihm gern zu – und weil er in diesem Moment selbst so persönlich durchschaubar war, während er mir das meine auf so allgemeine Art sagte, dass ich es ertragen konnte.
Wie ich schon sagte, hatte ich das Gefühl, er wollte bei mir an den Bayern oder den Süddeutschen heranrücken, um aus ihm irgendwas herauszukriegen. Es muss etwas gewesen sein, was mit seiner Herkunft zu tun hatte. Ich wollte an ihm den Ostler und den Juden kennen lernen, was das mit ihm und aus ihm gemacht hat. Seine Verletzbarkeit war enorm, und seine großen Augen wirkten oft wie aufgerissen und zeigten nicht nur Neugier, sondern – glaube ich – auch Angst. Aber wo die herkam, bekam ich aus ihm nicht mehr heraus. Letztlich blieb er mir eben doch fremd. Das macht aber nichts. Im Gegenteil: Es ist gut, ich bin noch nicht fertig mit ihm. Ich muss ihn weiter denken.
In der Überlebensgeschichte der Juden lebt jeder und jede Einzelne von ihnen gewollt oder ungewollt den Beweis, dass Überlieferung wirksam sein kann, dass es eine Entwicklung gibt und dass nichts umsonst ist. Dass es nach all den Verfolgungen und Vernichtungsversuchen noch Juden gibt, zeigt auch, dass es schon um Kultur geht, wenn es noch ums scheinbar reine Überleben geht – und umgekehrt.
Und wir schniegeln da und bügeln, in unsrer feinen Hochkultur, fast nur noch ein Gerede und Getue.
Josef Bierbichler, aus Martina Hanf und Kristin Schulz (Hrsg.): Das blanke Wesen Thomas Brasch, Theater der Zeit, 2004
HERZ OHNE VIER
Um nur die großen Namen
beiläufig unter Skatbrüdern zu nennen:
Das war, als es um Ensslin Schleyer Baader Raspe ging,
die kein Nachruf einholen konnte.
Mit flacher Hand,
mit der Handkante, der Faust
und deren Zweck: den Knöcheln
schlug Brasch, der von drüben gekommen,
drüben zwar weg, hier noch nicht da war,
auf den Tisch, der neuerworben ihm gehört
und skandinavisch sachlich ist,
immer wieder,
weil ihm die Wörter nicht laut oder leise,
nicht entsetzlich genug
und ums Wort gebracht wir
mit gefächertem Spiel ausgereizt saßen:
Herz ohne Vier.
Am nächsten Tag – denn alles ging weiter –
zeigte er seine Hand,
die geschwollen nun schwerer wog.
Gelernt sprachen wir deutsch
Und schonten den Tisch.
Günter Grass
(Um 1977 entstandenes Gedicht)
THOMAS BRASCH
Der Wolf ist ein Mercedes,
sein Schwanz eine Sternenschweif
übern Potsdamer Platz,
Niemandland wird Glasfassade
und im weitesten Sinne Maul,
das niemanden anspricht,
das unbefruchtete Ei,
Peter Wawerzinek
In dem von Martina Hanf und Kristin Schulz herausgegebenen Band Das blanke Wesen Thomas Brasch finden sich Erinnerungen an Thomas Brasch u.a. von Josef Bierbichler, Ulrich Zieger und Friedrich Christian Delius. Und weitere hier.
Christoph Rüter: Brasch – Das Wünschen und das Fürchten
Katharina Thalbach: Leben & Arbeit mit Thomas Brasch († 3.11.2001)
Bleiben will ich, wo ich nie gewesen bin – Ein Abend für Thomas Brasch im Literaturhaus Leipzig.
Florian Havemann liest Texte zu Thomas Brasch (Teil 2)
„Der schöne 27. September“ … zwischen 1968 & 2008 in den Tilsiter Lichtspielen Berlin-Friedrichshain am 26. September 2008. Eine Veranstaltung der Galerie auf Zeit – Thomas Günther.
Florian Havemann liest aus seinem tausendseitigen Prosawerk Havemann Passagen, die von seiner innigen und hochkomplexen Beziehung zu Thomas Brasch erzählen.
Annette Maennel erinnert sich an Thomas Brasch und veröffentlicht bei weibblick.com die Episoden Wie ich Thomas Brasch kidnappte und Wie Thomas Brasch um meine Hand anhielt.
Kristof Schreuf: Wer durch mein Leben will
Jens Uthoff: Die Suche nach dem Woanders
Peter Nowak: Liederabend mit Thomas Brasch
Hans-Dieter Schütt: Zu den Partisanen! Die es nicht gibt
neues deutschland, 19.2.2015
Katrin Wenzel: Thomas Brasch: Ein Störenfried in Ost und West
mdr KULTUR, 19.2.2020
Nikolai E. Bersarin: Thomas Brasch zum 75. Geburtstag – Die Utopie des Augenblicks
bersarin.wordpress.com, 19.2.2020
Kai Pohl: Nur lange Fragen
junge Welt, 3.11.2021
Erik Zielke: Dankbar für die Widersprüche
nd, 2.11.2021
Joachim Dicks: Thomas Brasch – ein Schriftsteller im Niemandsland
ndr.de, 3.11.2021
Johanna Adorján Interview mit Marion Brasch – „Eine Fantasie über einen Mann, der mein Bruder war“
Süddeutsche Zeitung, 11.11.2021
Carolin Würfel Interview mit Lena Brasch – „Er hat die DDR gehasst und geliebt“
Die Zeit, 10.11.2021
Trauerrede von Fritz J. Raddatz am 21.11.2001 auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof in Berlin.
Thomas Brasch in Interviews, Gesprächen und Szenen (u.a. mit Günter Grass, Tony Curtis und Katharina Thalbach).
Thomas Brasch ist gerade in Westberlin angekommen und Georg Stefan Troller begleitet ihn durch sein neues Leben.
Thomas Brasch’s Brandrede beim Erhalt des Bayerischen Filmpreises 1981.
Thomas Brasch-Interview 1988 Teil 1/5.
Thomas Brasch-Interview 1988 Teil 2/5.
Thomas Brasch-Interview 1988 Teil 3/5.
Thomas Brasch-Interview 1988 Teil 4/5.
Thomas Brasch-Interview 1988 Teil 5/5.
Schreibe einen Kommentar