UNTITLED
Die beschriftete Welt: ein Zeichensystem vor der
Erfahrung, die angelegten Hände links und rechts.
aaaaaSoftdrinks
aus dem Automaten; wo eben noch die Sonne stand,
aaaaaist
jetzt schon Feierabend.
aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaDie ersten Streifzüge ins
aaaaaJenseits
der Bannmeile, die mit Sehnsucht voll geladenen Trucks
von außerhalb.
Wie reisen Dichter, wie Fotografen? Reisen Dichter? Wohin kehren sie zurück? An den Ort des Schreibens. Der Ort des Schreibens ist nur selten der Ort des Gedichts, der Ort des Gedichts kann überall sein, er kennt keine Einschränkung räumlicher, zeitlicher oder stofflicher Art. Doch trotz aller Freiheit: ohne Ort kein Gedicht, denn der Ort des Gedichts ist vor dem Gedicht. Es gibt ihn bereits für jedes Gedicht, er muss nur je erst gefunden werden. Deshalb muss der Dichter reisen – wenn nicht in ferne Länder, so doch in die Vergangenheit oder zwischen zwei Buchdeckel.
Auch der Fotograf muss reisen, er bewegt seinen Körper, der die Kamera bedient, hierhin und dorthin, von einem Ort zum nächsten, denn der Ort der Fotografie ist der Ort der Aufnahme. So war auch William Eggleston in den 1980er Jahren auf Reisen, um die Tausenden von Fotografien aufzunehmen, die sein Werk The Democratic Forest umfasst. Wer sie betrachtet, kann gelegentlich sogar noch die räumliche (und wohl auch zeitliche) Nähe zweier Aufnahmen rekonstruieren: Das Dach eines Hauses, das auf einer Fotografie das zentrale Bildmotiv stellt, ist auf einer anderen im Hintergrund zu erkennen. Unentwegt greift Eggleston unterwegs nach der Kamera, und es ist schnell ersichtlich, dass all dieses Reisen nur dem Zweck dient zu fotografieren. Der Fotograf, darin ähnlich einem Kartografen, ist immer auf der Durchreise. Und der Dichter? Kehrt zurück an den Ort des Schreibens.
In meinen Gedichten zu ausgewählten Fotografien aus The Democratic Forest versuche ich, in Eggleston einen reisenden Stellvertreter, oder besser: einen stellvertretenden Reisenden zu sehen. Ich mache die Orte seiner Fotografien zu Orten meiner Gedichte. Sie sind deshalb mehr als nur Material, sind immer auch schon situativ und atmosphärisch zu verorten. Und doch kann es auch sein, dass die Gedichte dann am Ort der Fotografie einen anderen Bildausschnitt wählen, auf ein anderes Licht warten oder selbst in das Geschehen eingreifen. Sie sind deshalb mehr als bloße Bildbeschreibungen: Ich durchreise den demokratischen Wald – den Eggleston für mich, für uns erschlossen hat – und kehre zurück an den Ort meines Schreibens.
Thorsten Krämer, Vorwort
Stefan Schmitzer: Demokratische Wälder
fixpoetry.com, 8.4.2016
Meinolf Reul: „Diese Ortlosigkeit des Backsteins“
signaturen-magazin.de
Mario Osterland: Ein Wald voller Fotos
signaturen-magazin.de
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