STRICHMÄNNCHEN
Herein, Professor, in den Pub.
Hier leben wir also, hängen hier ab
mit diesem irgendwie künstlichen Ding.
Passen Sie auf, ich zeig es Ihnen.
Cool bleiben, bitte. Uns geht’s doch prima.
Sehen Sie, auch meinem Spezi da drüben
geht es ganz prima. Also, ihr Lieben,
ran an den Speck! meint der Knabe, ist immer
auf seinen Steuersachen rum am trommeln
wie auf einem Flicker-Flacker-Cyber-Buch
und lässt sich Einzelbilder durch den Schädel rollen.
Wie steht es? Sie haben doch nicht schon genug?
Strichmännchen rein in den PUB;
quatscht Strichbarmädchen voll;
säuft, bis er umkippt.
Denkt: Leben ist toll.
Strichmännchen rein in den SHOP,
kauft Handycam, macht dot dot dot,
filmt Strichmännchen-Nachbar
hinter Strichfrau her.
Und seine Alte, die steht an der Bar,
grinst sich eins und denkt was beim Trinken,
ziemlich entlegen sind deren Gedanken.
Komm, wir kucken ihr zu beim Denken:
Strichlady rein in den SHOP
samt Strichkindern drei;
Strichkinder alle am Strahlen dabei
in glänzend klobigen neuen Schuhen.
Strichlady rein in den SPÄTI,
dann nichts wie raus mit ächzendem Trolley,
bis oben hin mit Marlborough Lights
und natürlich mit Bölkstoff voll, ey.
War das zu ätzend, anzunehmen,
Sie dächten, wir denken auf diesem Niveau?
Oder sind Sie sich bisschen am schämen,
weil Sie denken ja wirklich so?
Tschuldigung, Prof, war nicht böse gemeint,
und Sie meinen’s nicht böse, versteht sich.
Denken Sie immer daran: Vernünftig
redet man nicht mit Leuten wie uns. Mach den Sittich.
Übersetzt von Norbert Hummel
geboren und aufgewachsen in North Yorkshire, arbeitete im Forstwesen und sang in diversen Punk-, Ska- und Industrialbands, bevor er sich der Dichtung zuwandte. Seit 1994 slamt, liest und performt er seine Gedichte, die in drei schmalen Büchern gesammelt erschienen sind. Turnbull macht keinen Unterschied zwischen Schreiben „for stage or page“. Für seine Auftritte ist er 2006 mit dem neu ausgelobten Arts Foundation’s Performance Poetry Fellowship ausgezeichnet worden. Erste deutsche Übersetzungen entstanden 2004 für „Poesie der Nachbarn“. Mit Es lebt! haben die deutschen Dichter Norbert Hummelt, Birgit Kempker, Norbert Lange, Ulf Stolterfoht, Hans Thill und Jan Wagner das gesamte Œuvre vonTim Turnbull übersetzt.
Roughbook, Ankündigung, 2009
Unbedingt hinzuweisen ist auf das Erscheinen des ersten Bandes in der von Urs Engeler herausgegebenen Taschenbuchreihe der roughbooks, in dem sich — ein angemessener Auftakt — Gedichte des englischen Lyrikers Tim Turnbull finden.
Das Buch hat ein bestechend schlichtes, typografisches Design, das seinen Inhalt in puristischer Souveränität präsentiert. Turnbull, so Biografie und Cover gleichermaßen emblematisch, „arbeitete im Forstwesen und sang in diversen Punk-, Ska- und Industrialbands, bevor er sich der Dichtung zuwandte“.
Drei Sammlungen mit Gedichten gibt es von ihm, die mit Es lebt! nun allesamt auch auf deutsch vorliegen. Erfrischend, dass neben dem kleinen Run auf junge US-amerikanische Lyrik nun endlich auch ein Soloalbum von neuer Dichtung aus dem nächstgelegenen Englischterritorium vorliegt.
Turnbull ist, wenn man so sagen will, Rock ’n’ Roll. Seine poetischen Kommentare zum nun mal nicht idealtypisch ablaufenden Alltag sind geistreich, abgefahren und immer wieder mit hausstaubtrockenem Humor angereichert. Was er treibt, ist von rauer Smartheit. In einer anti-elaborativen Sprache versucht er, anti-mainstreamische Gedichte zu schreiben. Gedichte, die spontan wirken, skizzenhaft und anscheinend oft deshalb so verquer sein müssen, um nicht zu kunstbeflissen oder in irgendeine Richtung pädagogisch zu erscheinen. Das Gedicht ist hier Roadpoetry, betrieben mit Schmutz im Getriebe. Ist laut. Laune und gute Laune. Ein Porträt des jungen Künstlers als urbaner Penner.
Viele Stücke sind noch immer Song-Hybriden. Halb balladesk, halb fragmentarisch, mit einem aufgrund der Melodik oft immensen Sog.
Der Guardian meint in britischer Nonchalance, dass man in Turnbull einen kommenden poet laureate sehe. Wenn es tatsächlich so käme, wäre das ganz fantastisch. Vielleicht würde er gerade dann noch ein wenig unziviler werden, wer weiß.
Seit den ersten Übersetzungen ins Deutsche für die Reihe „Poesie der Nachbarn“ (2004) ist der einstige Punksänger Tim Turnbull der Poetry-Slam-Szene ein Begriff. Wo sich sonst auf Performance-Bühnen jugendliche Befindlichkeit klischeehaft artikuliert, pflegt der aus der englischen Grafschaft North Yorkshire kommende Turnbull auf exzellente Weise balladeske Formen. Im Mittelpunkt seiner Texte stehen Menschen am sozialen Rand: pubertierende Gewalttäter, in Banden organisierte Diebe, Süchtige und sonst durch alle Raster des Bürgerlichen gefallene Typen. Komplette Lebensläufe werden im Zeitraffer abgespult; unerhörte Ereignisse mit verfremdenden Blick betrachtet. „Endstation Subatomarien“ beschreibt den Weg eines verarmten Intellektuellen zu Mittellosigkeit, Paranoia und Apathie. In „Der Radioaktiv Kid“ spricht die seltsame Mutation eines menschlichen Wesens, ausgestattet mit Siebtem Sinn, Sprechzwang und dem Wissen, dass niemand es hören will. Ironie und Selbstironie des Autors ziehen doppelte Böden ein. Die drastische, auf die wörtliche Alltagsrede bauende Darstellungsweise stellt verzweifelt leer laufende Verhaltensweisen bloß, schließt jedoch die Sympathie für absurde Lebensmodelle ein. Selbst Pornodarsteller und Bankräuber kommen zu Wort und – in grotesker Übertreibung – ein Mann, der zum Entsetzen der Restaurantbesucher ein lebendiges Pferd verspeist. Shocking! Das garantiert den Unterhaltungseffekt. Die groteske Übertreibung und der Szenejargon erinnern an Charles Bukowski.
Im roughblog können Sie weitere aktuelle Informationen zu dem Buch erfahren.
FISH AND CHIPS
für Tim Turnbull
Mein Freund aß Fish and Chips nicht weniger
als fünfmal pro Woche, also wußte er,
wo es gut war, und wirklich brachte er mich
an der Isle of Ola vorbei zum Yachthafen von
Anstruther mit dem winzigen, fotogenen
Leuchtturm, einem Rudel Snychronschwimmer-
Hunden sowie einem Fish-and-Chips-Laden,
ausgezeichnet mit Schottlands blauer Schleife –
oh, der in Backteig frittierte Schellfisch,
leichter als Mottenflügel und Oblaten,
und das ieck der Möwe auf ihrer Laterne,
als wir um die Boote herumspazierten,
uns vorstellten, wie wir das schönste stehlen,
zu den Shetlandinseln segeln und dort bleiben,
einen Radiosender für Vogelgedichte gründen,
auch Lobgesänge auf Schellfisch, Seehecht
und Heilbutt, auf den Dorsch, sogar die gemeine
Makrele, parallel dazu Vollkommenheit
im Frittieren all dieser Fische erreichen,
garniert mit Stücken der typischen Inselkartoffeln –
gerade rechtzeitig zum Eintreffen der Fähre
aus Aberdeen, der Testesser vom Amt.
Matthew Sweeney
Übersetzung Jan Wagner
Tim Turnbull – Poem Mysteries.
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