MIT MONDGESCHWINDIGKEIT
Die Stromleitungen
im Reich der Kälte gespannt,
nördlich von aller Musik.
*
Die Sonne steht tief jetzt.
Unsre Schatten sind Riesen.
Bald ist alles Schatten.
*
Die Orchideen.
Tankschiffe gleiten vorbei.
Es ist Vollmond.
*
Und die Nacht strömt
von Osten nach Westen
mit Mondgeschwindigkeit.
*
Ein Paar Libellen,
ineinander verhakt,
schwirrte vorbei.
*
Eichen und der Mond.
Licht und stumme Sternbilder.
Das kalte Meer.
Aus dem Schwedischen von Hanns Grössel
Die Gedichte des 1931 in Stockholm geborenen schwedischsten der schwedischen Dichter sind Fluchtburgen seiner Seelenpanik und zugleich Brückenköpfe im funkelnden Kosmos. Sie betrachten die heimische wie die bereiste Welt mit anhaltender Verwunderung und mitwachsenden Wunden. Der ob seiner verblüffenden Bilder Gerühmte widmete seine frühen Berufsjahre gestrauchelten Jugendlichen in ihren Zellen, ihrer Mutter aus Stein. Sich selbst in seinem Hotelzimmer sah er als zitternde Kompaßnadel, die der Orientierungsläufer durch den Wald trägt: glücklich wie ein an Land gezogener Kahn.
Aus Wilhelm Lehmann: Poesiealbum 297, MärkischerVerlag Wilhelmshorst, Klappentext, 2011
Eine poetische Welt, die ganz nah der Realität und doch nicht von dieser Welt ist, ein imaginärer Raum, aus dem ein kühles, aber intensives Licht auf die Gegenstände und Menschen fällt.
Harald Hartung
Der Hunger nach Licht, der fremde Blick, mit dem der soeben aus dem bleiernen Schlaf Erwachte um sich schaut, das Verschwinden der Dinge in ihrem Schatten, das sind die Motive, die uns in den Gedichten des Schweden Tomas Tranströmer immer wieder begegnen.
Hans Jürgen Balmes
Tranströmer versteht es, Gefühle zu denken und Gedanken zu fühlen, die äußere landschaftliche Natur miteinander ins Gespräch zu bringen.
Hans-Jürgen Heise
Er ist ein Weltbürger, doch fest verwurzelt in seinem schwedischen Boden. Er verschmolz Surrealismus und autobiografischen Realismus. Praktisch ohne gereimte Zeile ist seine Dichtung sehr musikalisch.
Jaan Kaplinski
Tranströmer hat eine diebstahlsichere Fähigkeit, unerwartete Räume zu schaffen – stille Explosionen aus Freude und Trauer, Nischen für Verwunderung und Zuversicht.
Aris Fioretos
Vielleicht ist keiner der bei Lebzeiten kanonischen europäischen Dichter dem zenbuddhistischen Ideal des Verschwindens aller Subjektivität, der lautlosen Hingabe so nahegekommen wie dieser schwedische Asket.
Heinrich Detering
Er ist ein Mystiker, ein Dichter, der die Null gesehen hat, den leeren Punkt im Zentrum, ohne den nichts ist.
Lars Gustafsson
MärkischerVerlag Wilhelmshorst, Klappentext, 2012
Die Gedichte des 1931 in Stockholm geborenen schwedischsten der schwedischen Dichter sind Fluchtburgen seiner Seelenpanik und zugleich Brückenköpfe im funkelnden Kosmos. Sie betrachten die heimische wie die bereiste Welt mit anhaltender Verwunderung und mitwachsenden Wunden. Der ob seiner verblüffenden Bilder Gerühmte widmete seine frühen Berufsjahre gestrauchelten Jugendlichen in ihren Zellen, ihrer Mutter aus Stein. Sich selbst in seinem Hotelzimmer sah er als zitternde Kompaßnadel, die der Orientierungsläufer durch den Wald trägt: glücklich wie ein an Land gezogener Kahn.
MärkischerVerlag Wilhelmshorst, Klappentext, 2012
sieht, wie das Erwachen sich in einen Fallschirmsprung aus dem Traum wandelt; wie ein Bussard innehält und zu einem Stern wird; wie der Sonnenuntergang einem Fuchs gleich über das Land streicht; wie die Armbanduhr mit dem gefangenen Insekt der Zeit schimmert; wie die Amsel sich kreuz und quer bewegt und dabei eine Kohlezeichnung entsteht; wie eine Brücke als großer, eiserner, am Tode vorbeisegelnder Vogel erscheint; wie einstmals gelesene Bücher als Segelschiffe vorüberziehen; wie ein Bus die Schnauze der Sonne zukehrt und brüllend aufwärtskriecht; wie ein Telefongespräch in die Nacht ausläuft und im Sand glitzert.
Tranströmers Gedichte können den Charakter von Zaubersprüchen annehmen. Sie sind voller Echos. Sie geraten nicht in Atemnot. Sie sind geschrieben von jemand, der sich nicht im Besitz von Sprache glaubt, sondern nach ihr sucht und sie findet. Sie zeigen Entdeckungen. Man versteht mit Tranströmer, daß Sternbilder in ihren Boxen stampfen; daß Gespenster einen Schluck nehmen; daß im Morgengrauen unzählige Menschen die Erde in Gang treten; daß Pflanzen Gedanken haben; daß noch weit zu gehen hat, wer angekommen ist. Gegenwärtig bleibt, was einmal als helles Staunen bezeichnet wird; oder als wütender Hunger nach Einfachheit. Man findet Frische, Unwillkürlichkeit, Bündigkeit, Scheu, Behutsamkeit, die Fähigkeit, sich verzaubern zu lassen. Vieles scheint wie im Flug erhascht. Unerhörte Bilder sind miteinander verständigt, rufen eine innere Schwingung aus Bangigkeit und Festlichkeit hervor. Worte können fühlbar machen, was sie verschweigen. Unruhe bleibt lebendig. Nichts verläuft im Sand. Die Stimme ist – auch als Vorklang, als Nachklang – eher bebend als fest; glaubwürdig, verhalten, zögernd, stellenweise auch emphatisch. Ein Ton entsteht, der die Klage selten zuläßt; der Erinnerung als Glück und Heimsuchung vernehmbar macht, der vieles mitenthält, was sich außerhalb des Gedichts zu fliehen scheint. Keins der in der Berührung mit der Welt begegnenden Rätsel wird gelöst. Sie werden – als Sprache – unausweichlich. Sie atmen.
Walter Helmut Fritz, aus Walter Helmut Fritz: Offene Augen, Hoffmann & Campe Verlag, 2007
UNTERM WASSERSPIEGEL
Die andere Welt ist auch diese Welt.
Tomas Tranströmer
In Stockholm Regen, er fällt auf die See vor der Haustür,
Rauht die Wellen im Strom auf, poliert das Pflaster
In den Gassen der Altstadt, salbt die Fähren am Kai.
In diesem Augenblick schweigt der Dichter. Er ist
Seit langem verstummt, spielt noch manchmal Klavier
Mit der Linken, sitzt lächelnd im Rollstuhl. Nun schweigt er.
Später kam dann die Ostsee in Sicht. War das im Traum?
Die schmalen Kelims zwischen den Schären, die breiten
Zwischen den Schiffen unterm Kreuz des Flugzeugflügels:
Es gab keinen Halt als diesen – hoch in der Luft.
Nicht viel wird gehoben mit Worten, nicht viel.
Der größere Teil eines Menschenlebens bleibt schattenhaft
Unterm Wasserspiegel, undeutbar für immer.
Durs Grünbein
Gespräch und Lesung zu Tomas Tranströmer. Mit Michael Krüger, seinem Verleger im deutschsprachigen Raum, Hanns Grössel, der das Werk Tranströmers vollständig ins Deutsche übertragen hat und dem schwedischen Lyriker Lars Gustafsson – im Rahmen der Autorentage zu Michael Krüger im Oktober 2011 in Schwalenberg.
Faust-Gespräch mit Hanns Grössel: „Phantastisch zu spüren, wie mein Gedicht wächst“
Richard Pietraß: „Flug in die Stille. Ein Besuch bei Tomas Tranströmer“
Keine Angst vor Gedichten! Eine lange Nacht über Tranströmer und die Poesie. Von Burkhard Reinartz, DLF 6.5.2023
Jan Wagner: Lob des Spreewals
Der Tagesspiegel, 11.6.2016
Stefan Sprenger: Dass der Mensch der Stil sein möge
Sprache im technischen Zeitalter, Heft 218, Juni 2016
Richard Pietraß liest am 4.5.2018 für planetlyrik.de die 3 Gedichte „Hundewiese“, „Klausur“ und „Amok“.
Volker Sielaff: Nach Regen duftendes Grün
volker-sielaff.de
Tomas Tranströmer spricht über den Beginn seines Schreibens und liest sein Gedicht Allegro.
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