CHARTA. EIN SONETT
Ich fordere die Abschaffung der automatischen
aaaaaFahrkartenkontrolle in den U-Bahnen und die
aaaaaAufrechterhaltung der Kontrolle von Hand bis
aaaaaans Ende
aaaaader Welt;
ich fordere die gemeinsame Wahl des amerikanischen
aaaaaPräsidenten durch die gesamte Menschheit;
ich fordere die Verschärfung der Geburtenregelung,
aaaaadie Förderung gleichgeschlechtlicher Ehen und
aaaaadie Verhängung einer Geldstrafe für andersgeschlechtliche
aaaaaEhen;
ich fordere die Änderung der Verfassung und die
aaaaaAbschaffung sämtlicher darin befindlicher Semikola und Kommata;
ich fordere das Verbot von Ma-Jongg und Karaoke-Bars, die Inhaftierung aller Hundehalter, die
aaaaaum fünf Uhr morgens ihren Hund spazieren führen, und die regelmäßige Durchführung
aaaaavon Lyriklesungen auf allen Polizeirevieren;
ich fordere die Abschaffung der Kunst und die Veränderung des Lebens;
ich fordere, dass Salz in die Wunden gestreut wird und Gift in den Schnaps und dass die kalte
aaaaaSchulter fremde Wärme sucht;
ich fordere, dass in der Ferne zwei Lautsprecher gebaut werden groß wie Häuser und dass
aaaaainmitten einer Postkartenidylle Lärmkonzerte veranstaltet werden ohne Zuhörer;
ich fordere, dass du und ich auf ewig zusammenbleiben;
ich fordere, dass die schwarzen Blumen erinnert werden und die überm Fahrrad funkelnden
aaaaaSterne und ihre Verwandlung in ein paar jugendliche Gesichter;
ich fordere die Befreiung der eingesperrten Wörter;
ich fordere die Forderung, das Verbot des Verbots, die Abschaffung der Abschaffung, die
aaaaaVerspottung des Spotts und dass jeder, der einem andern ungefragt sein Herz
aaaaaausschüttet, gefesselt und geknebelt wird;
ich fordere, dass am Eingang zur Hölle lauthals gesungen wird und in den Bussen geschlafen;
ich fordere, dass das Schweigen gebrochen und die Stille bewahrt wird…
Yan Jun
übersetzt von Marc Hermann
− Anmerkungen aus Übersetzer- und Sinologensicht. −
Im Westen assoziieren wir die zeitgenössische chinesische Lyrik immer noch weitgehend mit der so genannten hermetischen Lyrik, für die Namen wie Bei Dao (geb. 1949), Yang Lian (geb. 1955) oder Duoduo (geb. 1951) stehen. In China ist diese Lyrik aber längst ein alter Hut. Mit anderen Worten: wir hinken mit unserer Wahrnehmung der chinesischen Lyrik um Jahrzehnte hinterher. Xi Chuan ermöglicht uns, diesen Rückstand aufzuholen, er eröffnet uns einen repräsentativen Querschnitt durch die zeitgenössische chinesische Lyrik der letzten rund zweieinhalb Jahrzehnte – bis heute.
Den Beginn der zeitgenössischen chinesischen Literatur setzt man normalerweise mit der politischen Öffnung Ende der 70er Jahre an. In den Jahrzehnten vorher (1949–1976), unter Mao Zedong, war alle Literatur politisch funktionaIisiert. In der „KuIturrevolution“ (1966–1976), die tatsächlich eine kulturelle Wüste, ein Erliegen des kulturellen Lebens bedeutete, fand diese Entwicklung ihren traurigen Höhepunkt. Trotzdem nahm die zeitgenössische Lyrik ihren Ausgang in der Kulturrevolution, und das in einem doppelten Sinne: einem konkreten zeitlichen und einem geistigen. Wichtige Lyriker der ersten Stunde wie Bei Dao oder Shu Ting (geb. 1952) begannen schon in der Kulturrevolution zu schreiben – aber heimlich, im stillen Kämmerlein. Und in ihren Gedichten, die sie seit dem Pekinger Frühling (1978–1980) auch veröffentlichen konnten, versuchten sie die Verheerungen der Kulturrevolution zu bewältigen. Wie in der Prosa die „Narben-“ oder „Wundenliteratur“ (shanghen wenxue), so hatte diese Lyrik auch eine therapeutische Funktion – auch wenn sie ästhetisch von Anfang an wesentlich ambitionierter auftrat: Sie suchte Anschluss an die westliche Moderne. Von traditionellen Kritikern wurde die neue „modernistische“ Richtung als „obskur“ und „hermetisch“ (menglong) verurteilt – ein Begriff, der sich schließlich, von den Angegriffenen ins Positive gewendet, als Name der ganzen „Schule“ durchsetzte. Zur Galionsfigur dieser neuen „hermetischen Schule“ (menglong shipai) wurde Bei Dao. Von Anfang an trieb ihn das Bemühen an, aus den alten maoistischen Sprach- und Denkschablonen auszubrechen. Die gesamte hermetische Lyrik steht im Zeichen dieses „Anti“.
Aber wie das bei einem „Anti“ so der Fall zu sein pflegt, hat man sich von dem, wogegen man ist, noch nicht wirklich befreit. In mehrfacher Hinsicht schwingt in der hermetischen Lyrik noch immer die „maoistische Schreibe“ (Mao ti) mit. Erstens: im Anspruch auf Repräsentativität. Gegen das Wir des Kollektivs setzt diese Lyrik ein Ich, das sich seine eigene Sprache sucht – aber dieses Ich ist zugleich immer noch Repräsentant einer ganzen Generation – nämlich der „verlorenen Generation“ der nach 1949 Geborenen. Zweitens: im Dichterkult (v.a. bei Yang Lian), der den Kult um den „Großen Vorsitzenden“ Mao ersetzt. Drittens: im Pathos, im hohen Ton. Viertens: im utopisch-idealistischen Horizont. Bei Daos berühmter Vers „Ich glaube nicht!“ kommt als negatives Glaubensbekenntnis daher – aber es bleibt ein Glaubensbekenntnis, das den Glauben an eine bessere Zukunft nicht aufgeben will.
Schon ab der ersten Hälfte der 80er, spätestens aber seit Mitte der 80er Jahre verschafft sich die einflussreichste Gegenbewegung zur hermetischen Lyrik Gehör: die sogenannte „umgangsprachliche“ Richtung, repräsentiert durch Han Dong (geb. 1961) und Yu Jian (geb. 1954). Die „posthermetische“ Lyrik im weitesten Sinne beginnt. lhre „umgangssprachlichen“ Vertreter wollen den pathetischen, hohen Ton der Hermetiker herunterfahren, die Lyrik wieder erden, die alltägliche Wirklichkeit mit einer alltäglichen Sprache erfassen. Dahinter steckt wesentlich ein sprach- und ideologiekritischer Impetus, der an die hermetische Lyrik durchaus anknüpft.
Natürlich gibt es auch eine Gegenrichtung: die „posthermetische“ Lyrik im engeren Sinne, die den intellektuellen, „dunklen“ Ton der Hermetiker, aber nicht ihr politisches Pathos fortführt, vertreten z.B. durch Zhai Yongming (geb. 1955), Ouyang Jianghe (geb. 1956), Xiao Kaiyu (geb. 1960) und Chen Dongdong (geb. 1961)
Als die wichtigste „intellektuelle“ Stimme der zeitgenössischen chinesischen Lyrik aber gilt heute Xi Chuan (geb. 1963) selbst. An seinen Texten – lyrischer Prosa oder Prosagedichten zumeist – wird der Abstand zur hermetischen Lyrik überdeutlich. Ein ausgeprägter Sinn für das Absurde, für das Tragikomisch-Paradoxe der menschlichen Existenz zeichnet Xi Chuans Lyrik aus. Dahinter scheint eine tiefere philosophische, fast metaphysische Sinnebene erahnbar, die sich aber stets aufs Neue dem Begreifen entzieht. Ein Literaturkritiker hat dafür einmal das folgende Bild gefunden: Der Leser glaubt immer wieder, von Xi Chuan einen Schlüssel zum Verständnis seiner Texte an die Hand zu bekommen – nur um im nächsten Moment das Schloss ausgetauscht zu finden. Die Hermetiker sind modern, Xi Chuan erweist sich – in der spielerischen Gebrochenheit seiner Sinnebenen – als postmodern.
Freilich sind diese sogenannten „Richtungen“, denen man alle hier versammelten Lyriker zuschlagen mag, derart heterogen, dass sie allenfalls eine erste grobe Annäherung erlauben. Der schwammige Begriff des „Posthermetischen“ ist schon in den 90er Jahren außer Mode geraten, als die Dominanz der hermetischen Schule längst gebrochen und die führenden Hermetiker fast alle als „Exildichter“ im Ausland waren. Die Zeit der „Schulen“ ist vorbei, die Zeit der Individualisierung angebrochen. Schon Dichter wie der emphatische, oft naiv anmutende Naturlyriker Haizi (1964–1989), der mit seinem Selbstmord zu einer Art Märtyrer der Poesie wurde, oder wie der Außenseiter Chang Yao (1936–2000), der mit seiner Bildsprache an die klassische chinesische Lyrik anknüpft, lassen sich schwerlich irgendeiner „Schule“ zuordnen.
Die 90er Jahre brachten nicht nur eine Individualisierung, sondern auch und vor allem eine Kommerzialisierung des gesamten Literatur- und Kulturbetriebs mit sich. Während die Lyrik in den 80er Jahren – im Zuge eines allgemeinen „Kulturfiebers“ (wenhua re) – noch im Blickpunkt des öffentlichen Interesses gestanden hatte, wurde sie nun an den Rand gedrängt, sie wurde marginalisiert. Aber diese vermeintliche Krise der Lyrik ist nichts anderes als ihre Rückkehr zur Normalität. Davon unberührt, ist die Lyrikszene in China – z.B. im Internet – äußerst vital.
Davon zeugen auch die beiden jungen Stimmen dieses Hörbuchs, Yan Jun und Yin Lichuan (beide geb. 1973). Beide sind in den neuen Medien zu Hause; Yin Lichuan, die sich zunehmend dem Film zugewandt hat, pflegt ihre betont umgangssprachlichen Texte zuerst im Internet zu veröffentlichen, Yan Jun seine Lyrik mit Soundcollagen und Musik zu begleiten. Ein Gedicht wie Yan Juns „Charta. Ein Sonett“ (Xianzhang shisihangshi), das das Hörbuch eröffnet, zeigt ein spielerisches Rebellentum auf der Höhe der Zeit, wie es Anfang der 80er Jahre undenkbar gewesen wäre. Die chinesische Lyrik kann durchaus witzig sein, sie hat längst die Fähigkeit zur (Selbst-)Ironie entwickelt – das ist eine der Entdeckungen, die uns, die wir nur mit der todernsten hermetischen Lyrik vertraut sind, Xi Chuans Auswahl ermöglicht.
Zu einem Großteil ist die Lyrik, der wir hier begegnen, auffällig umgangssprachlich, ,prosaisch‘, welthaltig. Das führt zu einer weiteren erstaunlichen Entdeckung: Diese Lyrik ist oft zugänglicher als unsere eigene Lyrik.
Für den Übersetzer – jedenfalls soweit es meine persönliche Erfahrung betrifft – hat das den angenehmen Nebeneffekt, dass diese Lyrik nicht substantiell schwieriger zu übersetzen ist als Prosa. Sie liest (und übersetzt) sich wie verdichtete, konzentrierte Prosa, ohne Reim und ohne Metrum. Natürlich ist der Übersetzer in seinem Gefühl für den Rhythmus besonders gefordert – aber der gute Übersetzer wird auch der Prosa einen Rhythmus einzuhauchen versuchen.
Freilich ist es nicht ausgeblieben, dass ich vor dem einen oder anderer Gedicht vollkommen verständnislos gestanden habe. Diese irritierende Erfahrung hat mich vor allem bei Chen Dongdong ereilt. Was um alles in der Welt ist mit der „Schulter des Türkisstaubblatts im Blut“ gemeint? Wundersamerweise habe ich aber hier wie in manch anderem Fall die Faustregel des Übersetzers – man kann nichts übersetzen, was man nicht versteht – außer Kraft gesetzt gefunden. Denn das Bild als solches – seine semantische Oberfläche sozusagen – ist eindeutig, und mehr braucht es nicht zum Übersetzen. Ich kann mein Unverständnis einfach an den Leser oder Hörer weitergeben. Viel wichtiger ist, dass ich für dieses wie für die anderen Bilder insgesamt einen stimmigen Ton finde.
Überflüssig zu sagen, dass ich dabei nicht streng philologisch übersetzt habe. Die Texte sollen nicht für das philologische Museum einbalsamiert werden, sondern als deutsche Gedichte lebensfähig bleiben. Dass all die großartigen Sprecher dieses Hörbuchs ihnen zusätzliche Lebenskraft verleihen, ist ein Geschenk, wie ich es mir schöner nicht wünschen könnte.
Marc Hermann, Vorwort
präsentiert erstmals einen Überblick über die moderne chinesische Lyrik der Gegenwart. Die Audio-CDs werden ergänzt durch ein Booklet mit einem Essay über den aktuellen Stand der chinesischen Lyrik, Hintergrundinformationen über alle Autoren, sowie deren Biographien.
literaturhaus.net, Ankündigung
Hörbuchredaktion: Wie haben Sie die Dichter ausgesucht, die auf Schmetterlinge auf der Windschutzscheibe vertreten sind?
Xi Chuan: Die Dichter leben alle in China, und es handelt sich um die Generation, die nach den obskuren Dichtern kam. Das Ausland weiß viel über die obskuren Dichter, die Ende der siebziger und Anfang der achtziger Jahre ihre große Zeit hatten. Seitdem hat sich die chinesische Poesie radikal verändert. Sie ist sehr weit vom traditionellen China und der traditionellen, manchmal elitären Literaturauffassung entfernt. Ich möchte, dass das Ausland über die Lyrik auch etwas über den Alltag in einem modernen China erfährt.
− In den 92 Prosagedichten, die das Hörbuch enthält, ist von poetischer Autonomie die Rede, vom Interesse an der Postmoderne des Westens. Expressionistische Töne werden in der Wahrnehmung moderner Großstadtexistenz angeschlagen. −
Yan Jun „Charta. Ein Sonett“:
Ich fordere die Abschaffung der Kunst und die Veränderung des Lebens. Ich fordere, dass Salz in die Wunden gestreut wird und Gift in den Schnaps und dass die kalte Schulter fremde Wärme sucht.
Dieses Hörbuch ist nichts für Mußestunden.
… ich fordere die Befreiung der eingesperrten Wörter, ich fordere die Forderung, das Verbot des Verbots, die Abschaffung der Abschaffung, die Verspottung des Spotts.
Es lässt dem Hörer keine Zeit, sich genussvoll in eine poetische Welt zu versenken, von der hierzulande wenig gesprochen wird. Beim ersten Ton spitzt man die Ohren.
Ich fordere, dass das Schweigen gebrochen und die Stille bewahrt wird.
Yan Jun, der den Querschnitt durch die zeitgenössische chinesische Lyrik der letzten zweieinhalb Jahrzehnte eröffnet, ist Jahrgang 1973. Er ist einer der Jüngsten, die Chinas Lyrikszene hat. Wie die gleichaltrige Yin Lichuan, die im Beat-Style textet, präsentiert er seine Texte mit Soundcollagen und Musik. Das Internet verstehen sie als eine zeitgemäße literarische Bühne. Selbstbewusst spricht Yin Lichuan vom Lebensgefühl junger Intellektueller in Peking und vom Konflikt mit der Elterngeneration.
Yin Lichuan „Familienbande am Wochenende“:
Papa beugt sich über den Zeitungsstapel ✷ und zieht einen Artikel heraus ✷ der geeignet ist, uns allen einen Schreck einzujagen ✷ Aus dem Fundus seiner Erinnerungen ✷ holt er die gesammelten Einschätzungen ✷ zur Weltlage dieser Woche hervor (…) ✷✷ Ich wende mich ab ✷ Papa, können wir denn nicht ✷ wie wirkliche Freunde über den Irak und das verdammte Wetter reden ✷ über die Zukunft Amerikas und Chinas.
Die 92 Prosagedichte enthalten klassische lyrische Themen wie Liebe und Tod sowie die Zyklen des Lebens und der Natur. Doch Dichten im klassischen Sinn erscheint den neun Lyrikern und zwei Lyrikerinnen obskur. Ein Begriff, der nach der Kulturrevolution jene Lyrik stigmatisieren sollte, die dem maoistischen Regelkanon und Einheitsplural widersprach.
Von poetischer Autonomie ist die Rede und vom Interesse an der Postmoderne des Westens. Expressionistische Töne werden in der Wahrnehmung moderner Großstadtexistenz angeschlagen. Chen Dongdong, Jahrgang 1961, im Gedicht „Tief in meiner Shanghaier Schlaflosigkeit“:
Das alte Jahrhundert. Neoklassizismus. Ein Donner zertritt ✷ unter seinen Hufen das Licht ✷ Millionen Gespenster wollen mich ausfüllen ✷ Ein Mädchen mit entblößter Taille ✷✷ Die ionischen Säulen werden von Tag zu Tag dünner ✷ Die Jahreszeit entzündet wie eine Fackel den Regen ✷ Blindwütig bespritzt er die goldenen Türen der Banken ✷ Die Vorsehung, die dahinter waltet ✷ offenbart sich jäh in einem Blitz.
Charismatische Stimmen wie die von Corinna Harfouch und Frank Arnold, Sophie Rois, Ulrich Noethen und Hanns Zischler versetzen die poetischen Klangkörper in temporeiche Sprachabläufe. Doch ob piano oder presto – stets ist von einem Ich die Rede, das sich genussvoll als Fremdes feiert.
Xi Chuan, Jahrgang 1963, hat als profunder Kenner der Lyrikszene eine aufregend-schöne Auswahl getroffen, die unter die Haut geht. Der Hörbuchtitel bezieht sich auf sein Gedicht Schmetterlinge auf der Windschutzscheibe. Humorvoll thematisiert er darin den Beginn der chinesischen Moderne. Die Literatur der sogenannten „Schmetterlinge und Mandarinenten“ stand einst abwertend für populäre Literatur und verschlissene Symbole im klassischen Stil.
Kaum auf die Autobahn gefahren, begehe ich ein Massaker an Schmetterlingen; oder diese stürzen sich, kaum sehen sie mich kommen, aus freien Stücken in den Tod. Sie zerschmettern an der Windschutzscheibe. Ausgerechnet an meiner Windschutzscheibe. Einer nach dem andern sterben sie, verwandeln sich in Tropfen, in gelbe Kleckse, die der Scheibenwischer nicht entfernt. Notgedrungen halte ich an, teils um ihnen mein Beileid zu bezeugen, teils um den Moment, an dem ich meine Schuld begleiche, hinauszuzögern. Aber sofort kommt die Polizei, kontrolliert meine Papiere, erteilt mir einen Strafzettel und befiehlt mir, unverzüglich meine Fahrt fortzusetzen, da das Anhalten auf der Autobahn verboten sei. Unverzüglich zerschmettern so noch mehr Schmetterlinge an meiner Windschutzscheibe.
Die akustische Virtuosität des Hörbuchs wird von einem Booklet begleitet, das alle Texte zweisprachig enthält. Damit wird nicht nur die Leistung der Übersetzer Marc Hermann und Raffael Keller gebührend gewürdigt. Die fremde Eleganz der Schriftzeichen lässt den Wunsch entstehen, die Gedichte nicht nur auf Deutsch, sondern auch im Original zu hören.
Das kleinformatige Büchlein hat mehr in sich, als es auf den ersten Blick vermuten lässt: den chinesischen Text (Mandarin, rote Farbe), die deutsche Nachdichtung (schwarze Lettern), 2 Audio-CDs mit der gesprochenen deutschen Lyrik.
Manche dieser Texte erinnern mich an gewohnte Inhalte wie Liebe, Trauer, Hoffnung, Sehnsucht usw., die in vielen Gedichten weltweit thematisiert werden. Dann wieder sind Zeilen enthalten, die auf Details verweisen, die mich als Europäer „stutzen“ lassen: koreanische Seifenopern beispielsweise gehören nicht zu dem Gewohnten, Beschreibungen chinesischer Dörfer oder Toiletten ebensowenig. Wen Ungewohntes neugierig macht, für den kann ich dieses Bändchen nur empfehlen. Was ich natürlich nicht beurteilen kann, ist, inwieweit dieser Band einen repräsentativen poetischen Querschnitt aus einem Land mit eineinhalb Milliarden Einwohnern darstellt.
Quaxl, amazon.de, 23.7.2011
Poesie in die Stadt 2009: Literaturhaus bringt chinesische Poesie in die Stadt
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