Ulf Stolterfoht und der Lyrikkurs des Literaturinstituts Leipzig: Cowboylyrik

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von Ulf Stolterfoht und der Lyrikkurs des Literaturinstituts Leipzig: Cowboylyrik

Ulf Stolterfoht und der Lyrikkurs des Literaturinstituts Leipzig-Cowboylyrik

KLEINSTADTINDIANER

Sie reiten nicht. Aber
sie bewachen
den Mond, wenn sie sich
nachts sammeln unten
auf dem Parkplatz wo
die Lieferwagen stehen:
sie werden ausgespäht
von Nachbarsaugen
hinter Gardinen.

Und einer ruft in den Wind hinaus
ein anderer zeigt Kunststücke
auf dem Rücken seines Skateboards.
Oh, sie trauen nicht der Ruhe
haben kein Nachtlager aufgeschlagen
und immer wieder
das zusammenstecken der Köpfe
das Austauschen von Küssen
mit blassen Mädchen
gegenüber auf dem Bahndamm
wachsen Kabel aus dem Gras
kein Zug schlägt hier mehr Funken.

Dann plötzlich der Aufbruch.
Sie ziehen nach Hause oder
in eine Kneipe
wo es kein Bier mehr gibt: unterwegs
werden die Risse im Asphalt
zu kleinen Nattern.

Mirko Wenig

 

 

 

Also, das war so:

nach den Leipziger Lyrikseminaren sassen wir freitags immer in der Gaststätte Protzendorf, und irgendwann habe ich erzählt, dass es die Krönung meiner lyrischen Laufbahn bedeutete, wenn ich einmal beim grossen Festival der Cowboy-Lyrik in Elko/Nevada auftreten dürfte, mit Jeansjacke, Schnauzbart und Kotletten. Die Studierenden empfanden ähnlich, und so wurde gemeinschaftlich beschlossen, im Wintersemester 2008/09 ein Seminar ausschliesslich der Cowboy-Dichtung zu widmen. Nun stellte sich schnell heraus, dass uns die entsprechenden Gedichte zwar einigermassen leicht von der Hand gingen, die übrigen Bewerbungsanforderungen für Elko unsere Möglichkeiten aber weit überstiegen: Wir hätten die Gedichte übersetzen und auf CD brennen lassen müssen, darüber hinaus wäre es erforderlich gewesen, auf einem separaten Blatt unsere besondere Beziehung zum Ranching und Cowboying offenzulegen. Statt nun jedoch zu kapitulieren, reifte der Plan einer umfassenden Dokumentation unserer Bemühungen in Buchform – und zack, hier ist er schon: ein kugelsicherer Leseknaller mit rund drei Dutzend Lyrik-Volltreffern von Konstantin Ames, Tobias Amslinger, Julia Dathe, Diana Feuerbach, Claudia Gülzow, Gregor Guth, Sascha Kokot, Christian Kreis, Sascha Macht, Kerstin Preiwuß, Bertram Reinecke, Gerald Ridder, Eva Roman, Michael Spyra, Katharina Stooß, Mirko Wenig und Choleda Jasdany.

Roughbooks, Klappentext, 2008

 

Als Kind wollte ich immer Indianer sein,

niemals Cowboy. Anders die Teilnehmer des Lyrikkurses, den Ulf Stoltherfoht unlängst am Deutschen Literaturinstitut Leipzig leitete. Aus einer im Protzendorf, einer wenig saloonmäßigen Lokalität im Leipziger Musikerviertel, geborenen Schnapsidee entstand eine Anthologie, die sich mit eben diesem Thema auseinander setzt: Dem Cowboy an sich.
Dass sich nun gerade der in Leipzig studierende Lyriker nach dem Cowboydasein sehnt, mag allein schon in der Geografie begründet sein. Denn immerhin ist mittlerweile der Wilde Osten sprichwörtlich geworden und hat den alteingesessenen Wilden Westen abgelöst. Den echten Cowboy stört das wohl wenig. Umso weniger, wenn er sich beim „Elko Cowboy Poetry Festival“ einfinden darf, das alljährlich im namensgebenden Elko, Nevada stattfindet.
Zwar haben es die Nachwuchslyriker nicht bis über den großen Teich geschafft mit ihren Gedichten, immerhin aber bis in den vorliegenden Sammelband, der bei Urs Engeler Editor erscheint. Dies wiederum ist keine Selbstverständlichkeit. Zwar ist mit Ulf Stolterfoht der Patron dieser Anthologie selber ein Engeler-Autor; doch hörte man seit Monaten, dass der Verlag in Nöten und womöglich sogar am Ende sei. Dies ist nun nicht der Fall. In frischer Optik und unter neuen, zum Teil noch Verwirrung stiftenden Labels (roughbooks, roughradio … die gute alte Punkästhetik hält hier Einzug, wohin sich das entwickelt, wird man sehen), macht der Verleger weiter, nicht ohne verlauten zu lassen, er wolle künftig ein reduziertes Programm fahren.
Schön, dass der Platz für die Leipziger Cowboys (und selbstredend auch -girls) dennoch bereitgestellt werden konnte. Denn auch wer mit Kuhtreibern und Planwagenfahrern nichts am Hut hat und als Kind immer Indianer sein wollte, kann den ein oder anderen gelungenen lyrischen Entwurf hierin entdecken. In Kerstin Preiwuß’ gar nicht bescheiden angelegtem Tableau-Gedicht sind wir in die „Indian Week der ostdeutschen Indianerfreunde“ hineingeworfen und gleichsam in eine kalt brodelnde Melange aus unbewältigter Geschichte und Ressentiment. Christian Kreis spielt hingegen in seiner „Cowboyelegie“ geschickt mit allerlei medialen Dopplungseffekten und einer allgegenwärtigen realen Schizophrenie. Weitere Namen zu erwähnen, wäre müßig, liegt es doch in der Natur der Anthologie, dass sie nicht jeden Geschmack und Verstand gleichermaßen befriedigen kann. Einiges fällt ab, anderes sticht qualitativ heraus. Auf alle Fälle aber wird viel Abwechslung bereitgestellt. John-Wayne- und Clint-Eastwood-Fans sollten gleichermaßen auf ihre Kosten kommen.

Lars Reyer, roughbooks.ch, 22.4.2009

 

Dichtung & Cowboy

Die Cowboys aus Leipzig

Vor wenigen Wochen nun ist im Verlag Urs Engeler, in der Reihe roughbook eine erste deutschsprachige Lyrikanthologie zum Thema erschienen. Unter dem Titel Cowboylyrik: Ulf Stolterfoht und der Lyrikkurs des Literaturinstituts Leipzig präsentieren Cowboylyrik hat der Lyrik-Knappe Stolterfoht (mit Tabakstummel und Koteletten) rund drei Dutzend Gedichte von 17 Studenten versammelt. Frisch aus den Reservaten und Backwaters sind sie nach Leipzig gekommen, in eine der wenigen, wenn nicht die deutsche Schule für Cowboys & Girls und nehmen hier in ihren ersten Stiefeln schon einmal Platz. Wie der üppige Titel schon andeutet, das roughbook ist eine Art Revue (inklusive Rausschmeisser). Das macht auch der Blick ins Inhaltsverzeichnis deutlich: Nacheinander treten die Cowboys & Girls auf mit Balladen, Cowboy-Selbstbildnissen, Anleitungen und Geschichten aus dem Wilden Westen. Einige der „kugelsicheren Leseknaller“ (Stolterfoht) erzählen vom Wunsch Cowboy zu sein. Möglicherweise ist damit etwas anderes gemeint und die verschiedenen Antworten auf die Frage, was einen Cowboy ausmacht, lassen sich poetologisch verstehen. Mir fällt auf (und ich vermute), dass vielen der Dichterinnen und Dichter des Lyrikkurses das Thema fremd gewesen sein muss. Freilich scheint dadurch die Beschäftigung in ein freieres Spiel mit den formalen Mitteln und Möglichkeiten gemündet zu sein. Verblüffend, wie lebendig die meisten dieser Gedichte wirken, wie spielend leicht der Wilde Westen hier geschildert wird. Einigen der besten Gedichte im Buch gelingt es darüber hinaus, über den thematischen Einschnitt eine Tür in das heutige Deutschland zu öffnen, was zu politischen Gedichten führt.
Denn Cowboy-Sein, so scheint es, erfordert eine bestimmte Haltung und Sprache, die sich mehr oder weniger schädlich auf das Subjekt des Satzes auswirken kann. Die mit dem Cowboy-Sein oder dem Wunsch danach verbundenen Nebenwirkungen treten beispielsweise in Gedichten von Michael Spyra und Tobias Amslinger deutlich hervor. So versucht in Spyras Gedicht ein „immigrant cowboy“ einen Job zu bekommen, indem er sich Vorstellungen anpasst, die in etwa dem entsprechen, was ein turbokapitalistischer Rancher von seinem Arbeitnehmer verlangen würde:

me quiet as you please_not only money need_me realy
like that work with cow_like hat and chucks and boots_like
cowboyshirt_all fine please give me job_i do all good.

Hier wird Cowboy-Sein zum Zwang sich einer Ideologie zu unterwerfen und zum holpernden Versuch sich ihrer Sprache anzupassen. In der Fremdsprache wird aus dem Satz-Subjekt eine demolierte Identität, die sich einem fremden Idiom unterwerfen muss, um dabei ihren Wortschatz zu verlieren.
Viele haben keine Sprache. Und auch in Tobias Amslingers „cowboy sein“ lassen sich Symptome einer Mangelatmosphäre entdecken, der sich heutzutage nicht wenige jobbende oder arbeitslose oder studierende Cowboys ausgesetzt sehen. In einer Art Anti-Idylle ist der Cowboy hier schon zu den Gegenständen und Handlungen seines Alltags geworden. „cowboy sein hut und / auf der langen weiten bundesstrasse…“ herrschen Gras und Rind, ist der Hut zum Namensteil eines Pizza-Lieferservices heruntergekommen. Zeigte sich bei dem „immigrant cowboy“ die Deformation eines Bewusstseins, das einer fremden Sprache ausgesetzt wird, sind bei Amslinger schon den einheimischen Cowboys die Zungen verkümmert. Die Engführung „hut sein“ lässt darauf schliessen, dass von einem Subjekt bereits nicht mehr gesprochen werden kann, eher schon von einem Satzglied, das zu einem Teil seiner materiellen Umstände geworden ist, letzthin zu einem Rindvieh: „wir wurden nicht satt. wir / waren cowboys. so kauten wir hin.“
Ein drittes ins Thema fallendes Gedicht von Bertram Reinecke führt auf einen anderen Pfad. Reineckes auf den ersten Blick unpolitische Montage „Wunsch, Cowboy zu werden“ ist irritierend und kann den Leser im Dunkeln tappen lassen. Wie eine Suchmaschine ordnet der Text Stellen aus der Literaturgeschichte nach einem unbekannten Plan an. Reinecke legt Wert darauf, dass nicht vergessen wird, es handele sich hier um geordnetes Material. Die an beide Texte von „Wunsch, Cowboy zu werden“ angeschlossenen Auflistungen der zitierten Autoren lassen denn auch jede Art der Interpretation fragwürdig wirken. Möglicherweise handelt es sich hier um ein Schreiben mit Kulissen, das deren Austauschbarkeit und Unverlässlichkeit demonstrieren soll. Ähnlich arbeiten die beiden Selbstbildnisse von Claudia Gülzow im Anschluss an Reineckes Text durch die Veränderung von Wortgruppen, die mal einen anorientalisierten mal einen Western-Hintergrund evozieren. So verstanden würde das Gedicht zu einer Art Duchamp-Objekt, das letztlich jeden am Text angesetzen Diskurs desavouiert. Das wäre eine Poetik der Hintertreibung lyrischer Illusion, die vielleicht nicht neu ist, durch Reinecke aber stark zur Geltung kommt und angesichts der dauernden Hochkonjunktur linearer Dichtung notwendig erscheint. Irgendwo zwischen Cowboy und Indianer liegt Reineckes „…erklährt Zeno“, das alte ethnologische Quellen sprudeln lässt. Hier wird vom Fremden, „dem Mohr“ und Indianer erzählt, wie europäische Blicke ihn irrwitzig beäugten. Reinecke dreht den Spiess um, indem er den Quelltext zum Gegenstand einer anthropologischen Poetik macht. So wird die Quelle, die den Wilden mit dem Blick des 17. Jahrhunderts betrachtet, plötzlich selbst, mit all ihren Vorurteilen und Skurrlitäten zu einem Dokument, das wiederum wir mit unseren Augen betrachten; etwas Fremdes, eine verschlüsselte Botschaft, die in unser Sprach und Bezugssystem rückübersetzt werden muss.
Etwas Vergleichbares hat in den 90ern die Dichterin Rosmarie Waldrop in ihrem Buch A Key Into the Languages Of Amerika gemacht – auf Deutsch 2004 bei Engeler als Ein Schlüssel zur Sprache Amerikas. Darin werden ganze Textpassagen aus einer Art Anleitung zum Verständnis der amerikanischen Ureinwohner zitiert, dem Buch selben Namens des Predigers und Koloniengründers Roger Williams. Die Kapitel in Waldrops Buch durchlaufen drei Stadien, in deren Folge das Material mehr und mehr verändert wird, um schliesslich zur assoziativen Bestandsaufnahme des Amerikas Stand 90er-Jahre zu werden und zu einer Anleitung dafür.
Möglicherweise erinnert sie oder er sich indessen an eine Zeit, da Indianer die Prärie der neuen Bundesländer durchstreiften und der Westen hinter einem Vorhang verborgen lag. Es ist auffällig, dass die Dichterinnen und Dichter mit DDR-Herkunft sich diesem anderen Cowboy mehr widmen, als ihre aus Westdeutschland stammenden Kollegen. „You Are On Indian Land“ heisst eine sehr schöne Gedichtsequenz der in Mecklenburg geborenen Kerstin Preiwuß. Dort wird die jüngere deutsche Geschichte alternativ als Ahnengalerie verschiedener Indianer-Vereine beschrieben: der Kulturgruppe Indianistik „Old Manitou“, des Jugendclubs für antiimperialistische Solidarität Indianer, der Rising Sun aus Gera und vielen anderen. Während Preiwuß Gedicht die Genealogie dieser Indianerstämme entwickelt und prominente Häuptlingsgestalten vorüberziehen lässt, wird zunehmend deutlich, dass der Indianer von „You Are On Indian Land“ sich in die Larve ostdeutscher Befindlichkeiten verwandelt hat. Dabei nutzt dieser Bericht zur Lage der „Native Nations“ eine Methode, der viele im Buch versammelte Gedichte ihre Stärke verdanken. Indem Preiwuß Häuptlinge wie Powderface, Siksikà aus Dresden oder Hartmut in einer Art Geschichtsklitterung auftreten lässt – möglicherweise mit ihren Wünschen Cowboy zu sein – zeigt sie den ostdeutschen Indianer als Opfer einer Kolonisation, die Steakhäuser und Saloons und Reservate aus dem Boden stampft, während Industriegelände zu Brachen werden, auf denen Bisons weiden. Hier wie überall wo das Buch mit dem Hutträger Folkore und Kitsch neu in den Blick rückt, gewinnt es an Fahrt. Dabei lässt sich in den besten Fällen eine Struktur ausmachen, die zeigt, was Folklore und Kitsch an Geschichte speichern, letztlich sogar wie Menschen sich und anderen ihre Geschichte erzählen, sie verklären oder verknappen. Freilich kann der Begriff des Mythos auch überstrapaziert werden, sind doch Cowboy und Indianer bereits Muster an Klischee. Beide Typen laden jedoch dazu ein, sich über die heurigen Geschichtsverdrehungen Gedanken zu machen. Wo sie nämlich in Filmen, Groschenromanen, Comics oder wie hier in Gedichten auftauchen, erweist sich, dass Tradition keine fixe Grösse ist; sie multipliziert sich um jeden zusätzlichen Eintrag.
Geschichtsklitterungen erster Güte liefert Konstantin Ames in seinen drei Gedichten, die den Cowboy in die Jahre um die Machtergreifung der Nationalsozialisten versetzen. „eckklecks am saallong“ oder „Jesuscowboy” verwandeln den Westen auf den ersten Blick in einen Resonanzraum konservativer, kapitalistischer und brutaler Ideen. Doch wäre damit zuwenig gesagt. Ames Gedichte breiten eine Vielzahl an Zusammenhängen aus, was die Lektüre erschwert, aber umso gewinnbringender macht. Das hat Methode und will sich einer simplen Kategorisierbarkeit und Handbarmachung entziehen. Nützlichkeit ist das Letzte, was diese Gedichte anstreben. Über den Weg der Metonymie scheint sich da ein wütender Schwall Bahn zu brechen, voll Hybris, der alles mitreisst, was sich an Resten aus Archiven und Suchmaschinen zusammensetzen lässt, Seme und Morpheme inklusive. Ames mischt eine Vielzahl von Subtexten, ohne dass deren Kontexte argumentativ aufeinanderprallen würden. Das verhindert Moralisierungen, wie man sie üblicherweise dieses historische Umfeld betreffend vorfinden mag. Und das erzeugt eine schwindelerregende Referenzdichte.

der einzige&sein eigentum gegenseitige hilfe
das fucktor der beladenen und „ballastexistenzen“ geschimpft.
wer war ’34 gegenpapst in rom? in schweden, in der schweiz
bist’ als roma schomma’ sterilisiert worden noch
33 jahre nach ’32.
vom calvinismus, man halte davon was man will, muss man
doch sagen, dass er scheiße ist. erfolgreich beten
Malthus, der gedanke tröste mich, Darwin und Thus Spoke
hast DU high noon erwischt DU bist der tod und gut
ist das, denn wer mag schon ewig mögen?!ch
Will wills nicht

Wenn Moral, dann im Ton dieser hitzigen Gedichte. „Jesuscowboy“ beispielsweise ist eine Brandrede, die das „fucktor der beladenen und ballastexistenzen geschimpft“ in die Welt ruft, jedoch das Schicksal jener sogenannten Ballastexistenzen (d.h. unter dem Stichwort „Vernichtung durch Arbeit“ im Nazi-Jargon: Juden, Roma, Asoziale) mit Resten der Biographie des brasilianischen Filmemachers Alberto Cavalcanti koppelt. Dessen Film Thus Spoke dokumentiert die Geschichte und den Weg zum noch jungen Staat Israel. Das Gedicht, in dem es auch um eine menschenverachtende Rassenideologie geht, schneidet also die Geschichte einer Besiedlung oder Landnahme ehemaliger Opfer hinein. Auch schieben sich Anspielungen an andere Besiedlungen und Territorialkonflikte dazwischen, etwa über die Erwähnung des spanischen Nationalepos „Der Cid“ oder den Verweis auf Glaubenskämpfe und religiös motivierte Fluchten. Man würde vielleicht einwenden, dass der thematische Bezug zur Nazi-Zeit, wie ihn bereits Dichter wie Thomas Kling oder Marcel Beyer bemüht haben, plakativ geworden ist. Und möglicherweise fühlt man sich auch an Thomas Brasch erinnert – der hatte in einem Fernsehinterview einmal dreist behauptet, die bundesdeutsche Entsprechung des Westerns sei der Film über das Dritte Reich. Ames Gedichte bleiben dem gegenüber resistent. So wütend sie auch wirken – denn ihnen ist doch eine Ethik eingeschrieben – so wenig lassen sie sich auf eine Hierarchie ein, an der sich ein Diskurs hochschaukeln könnte. Und so lässt sich die Frage aus „eckklecks am saallong“, die bereits rethorisch gestellt worden ist, mit ja beantworten: „wie ist’s mit auf ochsen errittenen gedanken haben die auch wert, superhomo“. Sie lässt sich gleichzeitig für das gesamte Buch beantworten.

Abspann

Wenn es die Pferde sind, auf denen der Cowboy reitet oder die Rinder, die die Wägen ziehen, auf denen der Cowboy von einem verschlafenen Ort zum anderen gelangt und der Cowboy Lyriker ist, muss das Gedicht Pferd oder ein Rind sein. Und die Pferde und Rinder stehen im Buch, das eine Koppel ist. Die Koppel ist offen und die Pferde und Rinder ziehen davon und mit ihnen, auf ihren Rücken und auf den Kutschböcken die Leipziger Dichter. So long, möchte man ihnen in den Sonnenuntergang nachrufen. „Yippie-Yah-Yeah-Yippie-Yah-Yoh!“

Norbert Lange, poetenladen.de, 11.12.2009

Wilder Textnordenwestensüdenosten

− Das Leben des Cowboylyrikschreibers ist ein einziges langsames Vernarben, ein stetes Provisorium, ein ständiger Kampf mit den Klischees. LÉONCE W. LUPETTE über eine gut gemachte Vorreiterin unter den Anthologien. −

Freunde von Anthologien zeitgenössischer Lyrik, die über die nichtssagenden Labels „junge Literatur“ oder „Aktualität“ hinausgehen, dürfen sich glücklich schätzen. In der neuen Reihe roughbooks aus dem ehrenwerten Hause Urs Engeler Editor ist nun eine von Huchelpreisträger Ulf Stolterfoht herausgegebene Blütenlese zur Cowboylyrik erschienen. Die Behandlung dieses Subgenres lässt den Leser zunächst stutzen: Was hat deutschsprachige Lyrik aus dem dritten Jahrtausend mit einer ganzen Tradition und Kultur US-amerikanischer Rancher zu tun?
Das Vorwort, das auf den sehr ansprechend gestalteten roughbooks bereits auf dem Umschlag beginnt, verrät mehr: In Elko, Nevada, gibt es ein jährliches Cowboy-Poetry-Gathering (das in diesen Tagen zum 26. Mal stattfindet, es gibt noch Tickets!), und Stolterfoht hat sich vorgenommen, mit seinem Lyrikseminar des Deutschen Literaturinstituts Leipzig (DLL) daran teilzunehmen. Letztlich, so die Anekdote, scheiterte die Bewerbung unter anderem an der Anforderung, die „besondere Beziehung zum Ranching und Cowboying offenzulegen.“
Was also sind das für Texte, die hier versammelt sind? Das Internet verrät Einiges über die Wurzeln und Traditionen dieser hierzulande ein Schattendasein fristenden Spezialform von Lyrik. Die Gedichte der Anthologie zeigen deutlich die intensive Auseinandersetzung mit den traditionellen Texten in Gestus, Vokabular, Bezügen und Anleihen – zumal sich Cowboylyrik häufig mit Themen wie Arbeit, Reflexion einer bestimmten Lebensweise oder der Vergänglichkeit auseinandersetzt.
Dabei sind hier ganz eigenständige Formen des Genres entstanden, falls sich angesichts der Diversität der Texte von Genre überhaupt noch sprechen lässt. Die Frage, was ein Cowboy ist und was Cowboysein ausmacht, wird neu gestellt. Erst einmal fragt sich aber der Leser ganz allgemein, welches europäische Klischee von der Lebensweise und dem Mythos dieses amerikanischen Phänomens übriggeblieben ist, das traditionell, politisch, ökonomisch und identitätsstiftend nicht nur in Nordamerika eine immense Rolle spielt: Old Shatterhand oder eher der Großstadtcowboy?

Dekonstruktion von Mythen

Der Leser aber merkt schneller als sein Schatten, dass die hier versammelten Gedichte auf Hochtouren an der Auseinandernahme derartiger Mythen arbeiten und diese vom Pferd stoßen. Der Cowboy und die mit ihm verknüpfte Umgebung stehen paradigmatisch für den Mythos schlechthin; Cowboy und Cowboysein sind zur Metonymie geworden, nicht zuletzt auch durch das Kino, dessen Sprache in einigen Gedichten eine herausragende Stellung bekommt. Die fantastische Maysche Wildwestwelt der Kindheit wird freilich nicht fortgesetzt und affirmiert, und es bleibt nur der lesende Blick hinter die Kulissen:

lieber pierre brice,
e vous aime
brice!
üschi gas
champagne

heißt es etwa, oder in „Old Shatterhands Kanu wird sein wie der Mund eines alten Weibes“:

(…) Adorf lässt sich im Off
Brillantine ins Haar schmieren, Kinski probiert die Pelzkappe,
(…) Hier verstand ich,
dass Dramaturgie und Budget genau dieses Ende verlangten.

Dem Cowboysein wohnt immer ein tragisches Moment, ein Scheitern inne, was bereits der Italowestern zeigte, aber auch neuere Cowboyfilme wie Brokeback Mountain oder No Country for old Men, auf den sich ein Text bezieht.
Das Cowboyleben – wobei der Begriff hier über die Geschlechtergrenzen hinweg zu denken ist – ist ein einziges langsames Vernarben, stetes Provisorium und Improvisieren zwischen der Einsamkeit und dem Anspruch der Klischees, die an Cowmenschen herangetragen werden. Trostlosigkeit, Krankheiten (und seien es die der Tiere), Aphasien, Verschleppungen. Vor allem auch das sprachliche Sein steht an vielen Stellen auf der Kippe, sucht sich, verheddert sich aber im Lasso des eigenen Sprechens oder der Sprache der Alltagsumgebung:

wir blattrippen filtern auktionen bei jeder santa fe,
rauchern zurück zu aromen perique.
befreit werden liefern die gleiche, denn
feuchthaltemittel beuteln philosophie

Das Cowboygedicht als Ort kartografiert in vielen Fällen mit sprachlicher Fülle das Gegenteil eines „Land Of Plenty“ – so der Titel eines Gedichts –, nämlich (geschichtliche) Brüchigkeit (u.a. West/Ost, aber auch Altertum und Mittelalter werden textuell und thematisch zitiert und neu generiert), schütter und mürbe: „Land alles überrollt alt und leer.“
Der kartografische Aspekt wird dadurch verstärkt, dass die Texte lediglich im Inhaltsverzeichnis den Autorinnen und Autoren zugeordnet werden, selbst aber nicht mit diesem oft zu Vorurteilen verführenden Indikator versehen sind. Auf diese Weise entsteht ein wilder Textnordenwestensüdenosten, der wegen solcher Brüche insgesamt aber eine nur scheinbar zusammenführende Weite zum Ausdruck bringt, und es

werden die Risse im Asphalt
zu kleinen Nattern.

Wer mehr erfahren möchte, zum Beispiel zu den sehr komplexen Figurationen der sogenannten Indianer, zu den reichen politischen Implikationen, zu den Wandlungen sprachlich-literarischer Zeichen und Tropen, der schwinge sich geschwind in den Sattel und begebe sich auf die Jagd nach dieser dichten Sammlung, die im Übrigen das häufige Vorurteil, die Autorinnen und Autoren des DLL schrieben alle langweilig und gleich, endgültig als haltlosen Affekt entlarvt.

Léonce W. Lupette, titel-magazin.de, 25.1.2010

Sprachwitz in Versen

… Ein weiterer Gedichtband, für den Ulf Stolterfoht verantwortlich zeichnet, hat zu tun mit seiner Tätigkeit als Dozent am Literaturinstitut Leipzig. Die Vorgabe an die Studierenden seines Seminars war, „Cowboygedichte“ zu schreiben, und entstanden ist eine bunte Sammlung von Texten, die alle um die mythische Figur aus dem mythisierten Wilden Westen kreisen. Die Vielfalt der Aneignung ist erstaunlich. Der Cowboy ist bald arbeitslos, bald Gegenstand einer nachgestellten ethnografischen Darstellung in der Manier des 17. Jahrhunderts, dann wieder ist er eine Figur mit Bezug auf den Nationalsozialismus. Oder er ist zu Hause in einer ostdeutschen Umgebung und bedroht von Kolonisation. Der Cowboy als lyrischer Wechselbalg und historisches Leitfossil löst sehr unterschiedliche, stets lesenswerte Gedichte aus, die alle von mehr handeln als nur vom einsamen Kuhhirten.

Martin Zingg, Neue Zürcher Zeitung, 6.2.2010

Im roughblog können Sie weitere aktuelle Informationen zu dem Buch erfahren.

 

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Porträtgalerie: Galerie Foto Gezett + Dirk Skiba Autorenporträts +
Brigitte Friedrich AutorenfotosAutorenarchiv Isolde Ohlbaum
shi 詩 yan 言 kou 口

 

Ulf Stolterfoht liest 2009 im Aufnahmestudio von lyrikline.org.

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