man hat sich so sehr ein herz gefasst, dass es bei
aaaaaankunft kaum
vorhanden ist. die steile treppe bringt alles ans licht –
aaaaawas oben
zerspringt, diese bande, kann unmöglich einem selbst
aaaaaangehören.
„heinrich, das stethoskop!“ es gibt kein versteck. bei
aaaaaheimlichem
stillstand werden die ausbleibenden schläge gezählt.
aaaaaim schar-
ren der wartenden noch jedes rasen abgesondert. „hello“, ab die
gezundheit?“ in sechsunddreißig sprachen horcht man, durch die
kleider, auf den wunden punkt.
überführt Uljana Wolf einen Begriff aus der Sprachwissenschaft – „falsche freunde“ – in ein poetisches Programm. Im Spiel mit Worten, die sich in zwei Sprachen orthografisch oder phonetisch ähneln, aber unterschiedliche Bedeutungen haben, entwickelt die Autorin ein Plädoyer für die Irritationen des Übersetzens im globalen Jetzt, der Ära des „generalised dubbing“ (Nicolas Bourriaud). Ihr „DICHTionary“ inszeniert Begegnungen zwischen dem Deutschen und dem Englischen und lässt in der „summenden“ Anwesenheit aller Bedeutungen ein Drittes entstehen – das Gedicht selbst, ein Ort andauernder Transfervorgänge, immer in Bewegung und bereit, Festlegungen subversiv zu unterlaufen. Den Sprachverschiebungen in der Filmwelt geht das Kapitel „SUBSISTERS“ auf die Spur. Hier liegt jedes Gedicht in zwei Fassungen vor, als Originalversion und als Version mit Untertiteln, die das Original nachhaltig verändern und seine Akteurinnen – Hollywood-Schauspielerinnen der 40er und 50er Jahre wie Barbara Stanwyck und Gene Tierney – jenseits stereotyper Ikonografien von Stardom und Weiblichkeit verorten. „ALIENS“, die dritte Abteilung des Bandes, verfolgt das wortwörtliche Über-Setzen von Körpern beim Einwandern in einen anderen Staat anhand einer Checkliste von Krankheiten und Auffälligkeiten, die amerikanische Inspektoren um 1900 an Einwanderern auf Ellis Island abarbeiteten. Auf gegenwärtige Grenzkontrollen und Körper im biometrischen Raster reflektiert eine Serie von „Erasures“, die Regierungstexte und Anleitungen aus der Sicherheitstechnik durch Streichungen zugleich kritisch entlarven und in Dichtung überführen.
kookbooks, Klappentext, 2009
− Wie Grasen oder Lesen mit dem Magen: Uljana Wolfs neuer, neugieriger Gedichtband falsche freunde. –
Es ist kaum vorstellbar, dass irgendjemand an diesen Gedichten keine Freude haben könnte; Oskar Pastior auf jeden Fall hätte sie sicherlich überaus geschätzt: In Uljana Wolf nämlich hat er eine würdige Nachfolgerin gefunden, eine Dichterin, die wie keine andere Dichterin, kein anderer Dichter derzeit genauso tief in die eigene wie in fremde Sprachen taucht, um verborgene Verbindungen aufzudecken und um überraschende Beziehungen zwischen den Wörtern überhaupt erst herzustellen.
„DICHTionary“ heißt der erste Zyklus ihres soeben erschienenen, zweiten Gedichtbandes, im Untertitel: „ein deutsch-englisches wörterbuch für falsche freunde, verstreute cognates und andere verwandte“. Es geht also um Wörter, die im Deutschen und Englischen gleich klingen oder gleich geschrieben werden, aber doch eine andere Bedeutung besitzen (falsche Freunde), um Wörter, die das Gleiche bedeuten, aber doch auf unterschiedliche etymologische Wurzeln zurückgehen (cognates) sowie um weitere, noch entferntere Verwandtschaftsbeziehungen, um Interferenzen, Überlagerungen, Zusammenstöße, aus denen Wolf poetische Funken schlägt:
sei ein kind, lieber freund, und höre, was du hier nicht siehst: kau, genau, als wüchse über diese zeilen gras, eine art saftige güte, und grübeln wär erlaubt wie grasen oder lesen mit dem magen: ruminate, illuminate. Und wirst du müd, und wollen deine lippen anderes wissen, bau ich uns aus heu ein kissen. Am morgen liegt auf unserer grünen lektüre wieder tau, genauer: lauter lupen.
Lustig geht es dabei zu, ob Wolf nun „kau“ und „cow“, „kind“ und „Kind“ oder den englischen Kuss mit dem deutschen Kissen in Verbindung bringt. Dabei kommt gleichwohl nie der Eindruck auf, es handele sich um billige Spielerei, um bloßes Wortgeklingel. Im Gegenteil, hier wird Sprache wirklich ernst genommen, wird fest gepackt und angegangen. Sprachskepsis und der Glauben an die unendlichen Möglichkeiten von Sprache gehen dabei Hand in Hand. Es macht staunen, was Wolf zusammenführt und übereinander legt, aber es macht eben auch Spaß, diesen 26 Gedichte umfassenden, sich die Wörter in alphabetischer Reihenfolge vorknöpfenden Zyklus immer wieder und kreuz und quer zu lesen.
Dass man es hier mit Gedichten zu tun hat, mit Lyrik im ganz emphatischen Sinn, steht übrigens außer Frage, so intensiv und variationsreich wie Wolf mit Klängen und Rhythmen spielt. Gesetzt sind sie gleichwohl, wie auch die übrigen Gedichte des Bandes, nicht in Versen, sondern in Prosa. Auch darin erinnert dieser Band an Pastiors frühe „Gedichtgedichte“, seine Bücher Höricht und Fleischeslust. Weniger der große Vorgänger aber, eher die eigenen biographischen Umstände scheinen Wolf in diese sprachforscherischen Gefilde verschlagen zu haben (ihr Debüt schlug noch einen ganz anderen Ton an): Durch die Heirat mit dem amerikanischen Dichter Christian Hawkey ist sie auch physisch zu einer Pendlerin zwischen den Sprachwelten, zwischen Berlin und New York geworden. So thematisiert sie in den Zyklen „Alien 1“ und „Alien 2“ die Umstände von Einwanderung und Einreise. Dazu dient ihr in „Alien 1“ etwa eine Liste der Buchstabenkürzel, mit denen die Krankheiten bezeichnet wurden, auf die Ankömmlinge auf Ellis Island untersucht, mit denen sie gegebenenfalls markiert wurden. Zum Thema Tuberkulose heißt es da etwa:
tatsächlich, der durchleuchtete körper, er leuchtet. hell, heller, health certificate, duplicate. die flügel, die lappen, gefaltet ohne schatten, jahrzehnte später ein weiteres abbild: ,das röntgenbild der lungen ist zu kontrollen im handgepäck mitzuführen.‘ prüfblick, den wir durch die zeiten spüren (und flackert nicht).
Ein Thema ist da, ein Interesse, und auch die ungebrochene Lust am Sprachspiel, am Sprachbau; gegen den Geniestreich des „DICHTionary“ wirken diese Gedichte freilich ein wenig matt und konstruiert. Welche aber, ganz ehrlich, täten das nicht?
Tobias Lehmkuhl, Süddeutsche Zeitung, 7.11.2009
− Fein zusammengefaltete Fragen. Auch blutig-bissige Geschichten, viel unterdrückte Wut und Beharrlichkeit – das alles und noch mehr steckt in den Gedichten von Uljana Wolf. –
67 Seiten, 118 Gramm. Ganz leicht, lauter Nussschalen drin. So ein dünnes Buch mit so wenigen Seiten, die auch noch beinahe leer sind, da denkt man sich: Das kann ja nur durch alle Ritzen fallen. Hat aber bei Uljana Wolf doch ausgereicht für den ersten Ruhm. Als sie 26 Jahre alt war, bekam sie dafür den Peter-Huchel-Preis. Seither wird sie überall zitiert, und so wurde aus Uljana Wolf, wegen dieses dünnen Büchleins, sehr rasch eine berühmte deutsche Dichterin. Als sie dann 30 wurde, hatte sie das zweite Gedichtbuch fertig, es hat zehn Seiten und 18 Gramm mehr. Heutzutage geht das so. Heute schreibt ein Gedichtedichter höchstens drei oder vier Gedichte pro Jahr, wehe, sie reimen sich.
Das erste Mal las ich ein Gedicht von Uljana Wolf irgendwann nachts im Netz. Es kommt ein betrunkener Seemann darin vor, dem ein Auge ausgestochen wurde. Das andere Auge scheint dafür mindestens so hell wie der Mond. Es herrscht nämlich bis auf diese eine „weiße Perle“ stockfinstere Nacht in diesem Wolfsgedicht, in dem man am Meer herumliegt und das mit den Worten endet: „du schläfst mit dem Zyklopen“. Ein Liebesgedicht also. Sehr romantisch, sehr schwermütig und unbedingt opernschlagerfähig, diese Idee, gleich mit dem ganzen weiten Himmel schlafen zu wollen. Könnte von Bellini sein, von Donizetti oder von Puccini, dieser mondsüchtige Größenwahn. Und tatsächlich hatte eine Operndramaturgin mir zuerst von Uljana Wolfs Gedichten erzählt. Ich habe mir das Buch dann auch gleich gekauft und zu Hause auf die Küchenwaage gelegt.
Seither ist es öfters in Gebrauch. Dieses erste Gedichtbuch von Uljana Wolf spielt zur einen Hälfte in Polen, zur anderen in Deutschland, oder vielmehr, es ist im letzten Kapitel per Zug unterwegs, einmal Berlin-Krakau und zurück, durch ausrangierte, menschenarme Landschaften, in denen Gespenster unterwegs sind, Erinnerung an etwas, das früher mal hier war und lange nicht nicht mehr ist. Dieses letzte Kapitel heißt „Kochanie ich habe Brot gekauft“, was, komplett ins Deutsche gebracht (für alle, die kein polnisches Grundvokabular haben und es genauer wissen wollen), bedeutet: „Schatz, ich habe Brot gekauft“. Und wieder ist das titelgebende Gedicht ein Liebesgedicht. Übrigens sind Liebesgedichte eher die Ausnahme, viel häufiger kommt bei Uljana Wolf das lehrreiche, politische, historische Gedicht vor (etwa: „Aliens I und II“). Ja, ihre Poesie dichtet dem Leser eine Menge Arbeit an den Hals. Natürlich, ganz wie bei Donizetti oder Bellini, kann man die Herrlichkeiten des Wahnsinnigseins auch einfach so wegschlürfen und genießen. Wolfs Verse ohne Versmaß, ohne Form und Reim sind ja so eng verschraubt und dabei so hinterhältig gepanzert mit allerhand Sprachschönheit, dass es wohl das Einfachste ist, sie erst mal ganz toll zu finden und danach schnell wegzulegen, bevor man ihnen verfällt. Es steckt viel drin in diesen Nussschalen, beinahe zu viel. Fein zusammengefaltete Fragen. Auch unangenehme, blutig-bissige Geschichten, viel unterdrückte Wut und Beharrlichkeit. Fußnoten, Fingerzeige, denen man dringend mal nachgehen möchte, Widersprüche, die einen verfolgen können, tagelang.
Wieso rupft sie in ihrem Verszyklus „wald herr schaft“ die blutigen Mordmotive aus Shakespeares Titus Andronicus in Stücke und mischt daraus eine widerliche Wortkaskaden-Orgie, eine echte musikalische Stretta? Oder warum, zum Beispiel, taucht das literarisch längst fest verpachtete Wort „Flugasche“ auf im vierten Stück aus „Kochanie“, wo es doch hier gar nicht um Bitterfeld geht, das heute immer noch gut gefiltert weiterqualmt und -blüht, vielmehr um den stillgelegten niederschlesischen Kupferbergbau, und überhaupt, ein Motto von Wolfgang Koeppen drüber prangt, nur wenige Worte von Monika Maron entfernt. Was soll das? Ist das jetzt eher egal oder erlaubt? Auch über die Verwandlung von Vätern in Münder oder von Zimmern in Münder oder über die Mutationen von „gestickt“ zu „gespickt“ oder „Zäune“ zu „Zähnen“ haben wir länger nachdenken müssen. Der Mund, ob er nun gerade isst, gähnt, küsst oder nur einmal kurz himmelweit aufgerissen wird, spielt ja eine echte Primadonnenrolle in der Lyrik von Uljana Wolf.
Gesungen wird (fast) nie. Doch im Mund verwandeln sich Ideen in Begriffe, die, kaum sind sie auf den Begriff gebracht, sich schon wieder selbständig machen, etliche Buchstaben wegwerfen, sich einzeln neue Buchstaben anziehen und so ihrem eigenen Klangbild hinterherrennen. Bedeutungen wandeln sich, aber mit Dada oder Nonsense hat das gar nichts zu tun. Eher mit der entwickelnden Variation in der Musik, mit den enharmonischen Verwechslungen. Wenn sie an „Form“ denke, sagte Uljana Wolf einmal in einer Diskussion, dann lande sie unweigerlich bei „Farm“. Und wer will das schon? Gesät werden und geerntet, nach festem Plan? In den Mündern der Gedichte von Uljana Wolf wird wild gepantscht und herumgemixt wie in einem Reagenzglas, hier entwickelt sich Neues, finden die entscheidenden sprachchemischen Übersetzungsprozesse statt. Nur selten wird das explosiv. Uljana Wolf ist keine Revoluzzerin mehr, das war vor ihrer Generation, diese Tage sind vorbei. Sie ist Übersetzerin. Arbeitet, so nennt sie das einmal (in „Wie das Murmelchen ins Gedicht kam“) fleißig mit im „Grenzhandel an der Sprache“.
Über Uljana Wolfs offizielle Biographie gibt es nicht viel zu sagen. Nur das, was ihr Berliner Verlag Kookbooks, der so kostbare, mit Suchbildern auf Pergamentpapier eingebundene Bücher macht, so an Daten herausrückt. Die Dichterin habe Germanistik, Anglistik und Kulturwissenschaften studiert, heißt es da, in Berlin und Krakau. Habe dann eine Zeitlang halb in Berlin und halb in Brooklyn gelebt, und natürlich lebt sie, wie alle Dichter, keineswegs von dem, was ihre Gedichte so abwerfen, vielmehr von Stipendien, Preisen und vor allem von Nebenerwerbsarbeit wie dem Übersetzen.
Uljana Wolf hat Gedichte von Christian Hawkey übersetzt, von John Ashbery und vielen anderen mehr. Und da sie andererseits das Dichten auch nur für eine Form oder vielmehr: Farm von Übersetzung hält, hat sie in ihrem zweiten Gedichtband falsche freunde den Vorgang des Übersetzens selbst zur Grundlage des Dichtens erhoben. Das ist neu. Jetzt ist Schluss mit dem kleinen Grenzverkehr. Wenn aus „understand“ ohne weiteres ein Unterstand werden kann, dann wird scharf geschossen, dann gibt es keine Sicherheit mehr, nur noch die unendliche Melodie, zwischen allen Zeilen.
Eleonore Brüning, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 7.10.2012
− 2005 debütierte sie mit dem Gedichtband kochanie ich habe brot gekauft. Mit dieser ersten Veröffentlichung gewann sie 2006 als bisher jüngste Autorin den renommierten Peter-Huchel-Preis. Uljana Wolf, 1979 in Berlin geboren, lebt in ihrer Heimatstadt und in New York. Sie ist auch als Übersetzerin aus dem amerikanischen Englisch und als Herausgeberin tätig. −
Was, wenn der Reisende in der Fremde fremd bleibt und dem Heimkehrer auch und dem Heimkehrer auch die Heimat fremd geworden ist? Mit dem typischen Silberblick des Zurückgekehrten staunt er über die fremd vertraute Welt und horcht in sich hinein. Doch wer „doppelt sieht“, dem zeigt auch das Ich sich gespalten. Und wer in den Worten Halt sucht, wird dort auch nur „falsche freunde“ finden.
falsche freunde heißt der neue Gedichtband von Uljana Wolf. Die Autorin selbst dazu:
falsche freunde ist ein Begriff für Wortpaare in zwei verschiedenen Sprachen, die gleich aussehen oder gleich klingen, aber ganz unterschiedliche Bedeutung haben. Ich kannte das aus dem Englischunterricht noch. Also ein Beispiel, zum Beispiel Gift im Deutschen ist eben das Gift, im Englischen ist gift ein Geschenk. Sieht ganz genau so aus. Oder become und bekommen. diese Worte, die eben ähnlich sind und die man gerne verwechselt. Mich haben diese Worte damals schon vor Jahren im Englischunterricht interessiert. Nicht, weil ich sie als Fehlerquellen gesehen habe, sondern eigentlich als Quellen von ehrlichen Verwechslungen und Neuschöpfungen. Und dieses ganze Konzept sozusagen des Fehlers als poetische Quelle war für mich interessant.
Wer „doppelt sieht“, macht Fehler. Aber der Fehler entlarvt die Wahrheit als Möglichkeit. Dadurch öffnet sich der Blick auf die Welt, und das Missverstehen wird kreativ. Ein poetisches Potenzial, das Uljana Wolf in ihrem erstem Zyklus „DICHTionary“, ein deutsch-englisches Wörterbuch, zu Gedichten macht. Sie nimmt sprachliche Missverständnisse beim Wort und führt sich und den Leser vergnügt in die Irre. Ihr „DICHTionary“ ist ein lyrisches Wörterbuch der inszenierten Verwechslungen mit heiteren Pointen zum Staunen und Schmunzeln. Wie im folgenden Gedicht, von der Autorin selbst gelesen:
island – iceland – island – island – instance ~z – igel
bei aller liebe, auch auf reisen, führen wir uns zuweilen in die irre. for instance island: i say geysers, you say eyes; they’re watching us, you say, nay, i say, they’re blinded like a hedgehog in the fog. zuhause das gleiche spiel. ich will die igel auf dem feld gewinnen lassen, dich dagegen plagen hasen, die das nachsehen haben. in letzter instanz kommt ein eagle geflogen und stiehlt uns, irgendwie unverfroren, die show.
Die Wörter und ihre Bedeutung geraten in Schwingung, die Sprache wird federleicht. Die Fantasie übt sich am Alphabet und erfindet fantastische Kombinationen. So kann man in Wolfs Prosagedichten Enkel am elften Finger schaukeln und Pferde fliegen sehen. Der kleinste Buchstabe bekommt Post, und der Leser lernt, mit dem Magen zu lesen. Immer überraschend, oft ausgelassen und vergnügt, manchmal melancholisch, gelegentlich sanft wie die zärtliche Liebesklage einer Strandschnecke.
welle wink winkel
wär ich ein uferschneck, or more sophisticated: wentletrap, wühlte mich das meer vor deine füße, doch du suchtest, pulend, stur, dem namen nach in meinem haus die weißen treppen nur, und dunkle winkel. draußen gäb ich, ach vergeblich, mit fühleraugen winke, algenschminke an der wange, wissend, dies wird niemals gut, das heißt mit wellen enden. bloß ein rauschen bleibt zuletzt in deinem ohr.
Bedeutungsverschiebungen beim Übersetzen sind hier mehr als nur Anlass für vergnügte lyrische Sprachspiele. Beim Übersetzen wird deutlich, wie Sprache unser Bewusstsein und unsere Wahrnehmung formt. Beschäftigung mit dem Übersetzen ist Spracherweiterungsprogramm und Seelenerkundung in einem, so Uljana Wolf,
… weil Nachdenken über das Eigene und das Fremde einfach ne gute Möglichkeit ist, Identität als solche infrage zu stellen, Authentizität. Das ist ja auch der Punkt, warum Übersetzung so spannend ist, weil das irgendwann infrage stellen kann, was ist das Original, was ist die Übersetzung, woran binden wir eigentlich unsere Auffassung von eigen und fremd und so weiter.
Um reale Grenzüberschreitungen geht es im zweiten Teil des Gedichtbandes. „Alien I: Eine Insel“ heißt der erste Zyklus. Er handelt von „Ellis Island“. Die Insel vor New York war lange Zeit Sitz der Einreisebehörde und zentrale Sammelstelle für Immigranten in die USA. Zwischen 1892 und 1954 kamen etwa 12 Millionen Einwanderer hier an. Eine wenige Minuten dauernde medizinische Untersuchung entschied über ihr weiteres Schicksal. Schon das unsichere Treppensteigen über die 50 Stufen zum Registrierraum konnte darüber entscheiden, ob jemand gehen musste oder durch die Tür „Push to New York“ geschickt wurde. Kranke, Analphabeten oder Kriminelle etwa durften nicht einreisen.
Und dann bin ich darauf gestoßen, dass auch diese Inspektoren eben eine Art Alphabet hatten, das heißt, sie hatten nicht viel Zeit, sie mussten schnell entscheiden und sie mussten schnell ein Zeichen geben, sie konnten ja keine Akten ausfüllen. Und deshalb haben sie den Einwanderern einfach einen Buchstaben mit Kreide auf den Mantel gezeichnet, falls es etwas zu beanstanden gab. Das fing eben an mit x – suspected mental defect, vermutliche Geisteskrankheit, bis hin zu Füße, Schwangerschaft, Kropf, Gesicht, f face war auch einfach ein Begriff. Und so wurde der ganze Körper abgearbeitet. Und als ich dieses Alphabet sozusagen gefunden hatte, da war mir klar, okay, das ist das Gegenstück zu dem Alphabet, was ich gerade mit den falschen freunden gemacht habe.
Auch „auf Ellis Island hatte das Schicksal die Gestalt eines Alphabets“, zitiert die Autorin einen Bericht. Mithilfe des Alphabets wird kategorisiert, gekennzeichnet und aussortiert. „G“ steht hier nicht für Glück, sondern für „goiter“, Kropf. Uljana Wolf buchstabiert in ihren Gedichten über „Ellis Island“ das Alphabet der Tränen; durchdrungen von einem „prüfblick, den wir durch die Zeiten spüren“.
x suspected mental defect x marks the spot? und ob. wir, überführt allein durchs irre hiersein, auf der stelle, am kopf der steilen treppe, in sechs sekunden ist alles entdeckt: wir sind die stelle selbst. stinkende inseln. in tücher gehüllt, üble see im leib, imbecile, labil, im besten fall bloß durch den wind. ein flatternder zettel zwischen den zähnen, name, passage, die schatzkarte. selbst ausgegraben, selbst hergetragen. in der gepäckstation: ein blick auf die bündel, ich weiß alles. die knoten verraten den knüpfer, seine zitternde hand.
Die Grenzkontrollen unserer globalisierten Welt sind andere geworden. Die Arbeitsnomaden der Postmoderne führen ein Leben im Transit. Heimat ist überall, Heimat ist nirgendwo. Fremde ist kein Ort, sondern ein Zustand. Genau das beschreibt Uljana Wolf in ihren Gedichten im letzten Zyklus „Alien II – liquid life“. „liquid life“ zitiert einen zentralen Begriff des Philosophen Zygmunt Baumann. Seine These: Alle Strukturen der modernen Lebenswelt sind liquid, flüssig geworden.
Mir war dieser Begriff deshalb wichtig, weil, ja weil er sehr gut angebracht ist, auch um die Grenzerfahrung, die wir heute haben, beim Einwandern oder beim Überschreiten der Grenze zu beschreiben. Der Körper immer noch eine Grenze spielt, eine Rolle spielt, wenn wir die Grenze überschreiten, aber er ist flüssig geworden, er ist ein Datenpaket, dass uns sozusagen vorausreist und dann mit uns abgeglichen wird, wenn wir die Grenze überschreiten: Fingerabdruck, Iris-Scan und so weiter und so fort. Und das sozusagen als Beispiel für die prekäre oder ständige Unsicherheit, die Baumann beschreibt.
„There is no privacy“, heißt es bei Uljana Wolf. Mit zunehmender Freiheit steigt das Bedürfnis nach Sicherheit. Macht bewegt sich in der Postmoderne mit der Geschwindigkeit elektronischer Signale, so Baumann. Das Individuum wird als biometrisches Datenpaket gespeichert, das Leben zum elektronischen Fingerabdruck. Uljana Wolf macht biometrische Texte zum Ausgangspunkt ihres letzten Zyklus’. Die Gedichte sind Streichungen oder Auslöschungen dieser Dokumente. Dabei verlieren die Wörter an poetischer Gravitation. Sie sind, als seien sie explodiert, über die Seite zerstreut. Die Autorin selbst liest ein Gedicht aus „liquid life“:
Durch Piktogramme wird der Teilnehmer
gültig
frei und gleich
Im inneren
erzeugt
der lokale
Andere
manuelle Grenz
Spuren im Bereich B
des Teilnehmer s
„look on my card“ heißt es im letzten Gedicht von falsche freunde. Doch das Leben ist mehr als ein Datenpaket. Und kleine Fehler können große Rechensysteme lahmlegen. Kreative Fehler werden in falsche freunde zu Quellen sanfter poetischer Subversion. Uljana Wolfs Gedichte sind ein poetischer Widerspruch gegen das Leben im Scheckkartenformat und ein überzeugendes Plädoyer für kreatives Missverstehen – am stärksten im Zyklus „DICHTionary“ und „Alien I: eine Insel.“
Die Autorin und Übersetzerin weiß: Fehler gehören zum Leben wie Missverstehen zur Übersetzung. Übersetzen ist für Uljana Wolf keine Tätigkeit. Übersetzung wird in ihren Gedichten zu Poesie. Poesie, so ein Diktum von Novalis, ist Übersetzung. Uljana Wolf buchstabiert das Alphabet der Irrtümer auf der Suche nach dem Punkt, wo Verstehen und Missverstehen sich überschneiden wie zwei im Unendlichen sich kreuzende Parallelen – und findet tatsächlich immer wieder erstaunliche poetische Übersetzungen für das Unübersetzbare.
− Mit ihrem zweiten Gedichtband falsche freunde schreibt Uljana Wolf ein Wörterbuch der unkonventionellen Art: Aus deutschen und englischen Wörtern im orthographisch oder phonetisch gleichen Mantel entwickelt sie Prosagedichte, die sich im Dazwischen, im unbestimmten inbetween der Sprachen bewegen. −
„sei ein kind, lieber freund, und höre, was du hier nicht siehst.“ Diese Zeile aus einer von Uljana Wolfs neuesten Prosaminiaturen könnte als Leseanweisung über dem gesamten Gedichtband falsche freunde stehen. Neugierig wie ein Kind und verschmitzt wie das Lächeln ihrer Schöpferin auf dem Goldstich der legendären Bella Triste 17 kommen die Einträge dieses DICHTionary daher und formen ein lyrisches Wörterbuch für false friends, cognates und andere Verwandte. Mit Aberwitz spielt die 1979 in Berlin geborene und mittlerweile in New York lebende Autorin mit der doppelten Kodierung deutscher und englischer Wörter, unter deren orthographisch oder phonetisch gleichem Mantel sich ganz unterschiedliche Bedeutungen verbergen.
„elf“ und „enkel“ verschmelzen zu einem „knubbelfinger mit knarzenden knöcheln, so sähe das wort kobold aus, käme es als finger auf die erde, oder unter.“ Zwischen „gift“ und „glut“ scheint am Weihnachtsabend zarte Liebe auf: „verlegenheiten gab es, hülle und fülle, verbrennen konnte man sich, den weg einschlagen, der die schleife macht, das buch, das bild, kaum heiße ware, doch viel rauch.“ Die Bluesikone Bessie Smith sang „When I eat his donut, all I leave is a hole.“ Bei Uljana Wolf klingt das so: „du not go. or i’ll go nuts.“ Auch der berühmte rheinische Mythos der Lorelei wird hier in einen Popsong verkehrt, wenn die zu umschiffenden Riffe plötzlich nicht mehr aus Stein, sondern aus Rock erscheinen.
Das lyrische Ich dieser Prosagedichte ist ein unzuverlässiger Erzähler, der dem Leser den Kopf ver-rückt, seine Erwartungen in Stolperfallen lockt – doch geht man ihm äußerst vergnügt ins Netz, so leichtfüßig tänzeln die Gedichte zwischen den Sprachen und Signifikanten. Das ist „vielleicht nicht (immer) sinnig, aber ohne märchen wäre lange sense“. Vor allem ist es selten albern, sondern fast immer elegant und klug. In ihrer ebenfalls sehr klugen Poetik-Vorlesung über das Prosagedicht (Box Office. Münchner Reden zur Poesie, Stiftung Lyrik Kabinett, München, 2009) offenbart Uljana Wolf ihre Leidenschaft für sprachliche Uneindeutigkeiten: „Daran blieb ich hängen, an den Dickichten, die keine Pfade sind, wo Wald nicht Stamm an Stamm, Zeile für Zeile lesbar ist“, sagt sie über amerikanische Prosagedichte – derer sie einige gemeinsam mit Steffen Popp übersetzt hat (Christian Hawkey: Reisen in Ziegengeschwindigkeit). Das Prosagedicht als utopischer Nichtort, als Foucault’sche Heterotopie scheint ihr die adäquate Ausdrucksform für das brüchig gewordene Verhältnis von Repräsentation und Wirklichkeit. Dass sie diesen Balanceakt ebenso beherrscht wie ihre amerikanischen Dichterkollegen bewies sie schon mit ihrem ersten bei kookbooks erschienenen Band kochanie, ich habe brot gekauft, der ihr 2006 den Huchel Preis bescherte.
Ihre Gedichte sind shape shifters, immer in Bewegung, und noch bevor jemand sie greifen kann, sind sie um die nächste Ecke verschwunden, mit dem nächsten Zeilensprung ins Nichts entflohen. Doch vor allem in ihren neuen Werken zeigt sich, wie viel Freude Wolf am Dazwischen, am unbestimmten inbetween der Sprachen hat. Diese geraten zum Spielzeug einer Dichterin, deren Imagination sich im kurzen Prosagedicht dust bunnies, das den falschen freunden vorangestellt ist, offenbart: in den Staubflusen der Zimmerecken vermag sie kleine Tierchen zu entdecken, „wie sie ihre wollenen, mondgrauen namen tauschen“, die ihr derart real erscheinen, dass ihnen zuliebe der Staubsauger verbannt wird. Hier fragt sie: „wollten wir nicht weniger rauchen, weniger husten, weniger entweder oder sein“. Nein, wollen wir nicht: „oder ist mein freund, entweder auch, ein letzter hauch, dann rauschen, gute nacht.“
Das subversive Potential ihrer poetischen Ausweichmanöver offenbart sich auch in den anderen Zyklen des neuen Bandes. Werden mit den falschen freunden Sprachkonventionen unterlaufen, sind es in SUBSISTERS traditionelle Geschlechterrollen. Durch die Gegenüberstellung einer „Originalfassung“ und einer „Originalfassung mit Untertitel“ der Gedichte dieses zweiten Teils verwandelt Uljana Wolf mittels kleinster Verschiebungen stereotyp gehorsame Hollywoodfrauchen der 40er Jahre in wortgewandte, selbstbestimmte Heldinnen, die sich blitzschnell jeder Rollenfestlegung entziehen – als hätte man Cindy Shermans Untitled Film Stills eine Stimme gegeben. Ein ganz anderes Alphabet als das fröhliche DICHTionnary verbirgt sich hinter den ALIEN-Gedichten des dritten Teils – hier nimmt sich Wolf das wörtliche Über-Setzen von Flüchtlingen und Einwanderern nach Amerika vor, die um 1900 auf den „wassern dritter klasse“ einer vermeintlich besseren Zukunft entgegensegelten: „die toten lagen unvergraben unter uns. Wer lebte, legte nur in seinen träumen ab. wir waren bereits diese träneninsel. unsere augen, seither, bei jeder ankunft, rot und leer.“ Ellis Island heißt diese Träneninsel und die Prosaminiaturen dieses düsteren Kapitels arbeiten das perfide Alphabet der amerikanischen Inspektoren ab, mit dem sie Krankheiten und Auffälligkeiten der Einwanderer abkürzten und Ihnen auf die Körper schrieben.
In ALIEN II setzt Uljana Wolf das Spiel mit den Grenzkontrollen fort. Die mit Lücken durchsetzten Gedichte – vor den Eingriffen der Dichterhand noch Regierungstexte und Anleitungen aus der Sicherheitstechnik für Flughäfenkontrollen – repräsentieren unsere durchleuchtete Existenz im Zeitalter biometrischer Ausweise, „liquid life“ in neun Bildern: „Der eigene sensible Bereich kann ohne Hotels Gäste haben.“ Hier ist das böse Märchen vom gläsernen Menschen bitterzüngige Wahrheit geworden. Wie gern blättert man da zurück ins fröhliche erste Kapitel, wo Reise und Abschied noch so viel süßer klangen: „nie will ich fahren aus deiner haut, nie ziehen ab, aus, von dannen, zurück, oder, zum abschied, den hut.“
unterstand / understand
understand / unterstand
unterstand / understand
teure freundin! wie ich nach langer reise obdach fand, am bahnhof
eher ein unterstand, umgeben von summenden gleisen. wie mich
das lärmen der züge erlöst: kaum dass ich höre, was ich schreibe.
kann dich betören, wo ich bleibe? drüben auf dem abstellgleis
steht zwischen schwellen gras – im zweifel grün, ansonsten hard
to grasp. an der bahnsteigkante könnte man auch vorstehen üben.
melde zum beispiel jetzt, auf perron zwei, leichtes dämmern.
Hard to grasp ist diese Prosalyrik. Sie ist gerichtet auf das, was zwischen schwellen steht – und entsteht. Dabei klingt und scheint alles doch so leicht. Das poetische Bild ist konkret: ein Brief, ein Ich, ein Bahnhof, Durchreise. Oder ist es schon die Ankunft? Die Worte beschreiben vertraute Realien. Dann die letzte Zeile – und es wird klar, dass es uns wirklich nur leicht dämmert. Wem melden, wo ist perron zwei und warum überhaupt?
Die Themen sind benennbar: das Verständnis, die Gegenwart, das Unterwegssein. Aber hier geht es erst los. Es ist eben nicht einfach – sondern vielfach. Das Gesagte ist im Übergang angesiedelt, genauer im Über – an der Schwelle von Innen und Außen, von Hier und Drüben. Uljana Wolfs Gedichtband falsche freunde behandelt linguistische Interferenzen, Bezüge und Beziehungen zwischen dem Deutschen und dem Englischen und zwischen den Schwellen innerhalb dieser Sprachen selbst. Weiter gefasst, behandelt er Bezüge und Beziehungen in Sprache. Weiter gefasst, behandelt er Bezüge und Beziehungen.
Nach einer Standarddefinition ist Übersetzen „die Translation eines fixierten und demzufolge permanent dargebotenen bzw. beliebig oft wiederholbaren Textes der Ausgangssprache in einen jederzeit kontrollierbaren und wiederholt korrigierbaren Text in der Zielsprache.“ Aber das Gedicht kommt nie in einer Zielsprache an (und überhaupt, kann es eine solche geben?), es pendelt zwischen den Sprachen.
Wir wissen mittlerweile, dass Poesie eine Form von Übersetzen ist. Das innerlich Entstandene wird zu Kommunikationszwecken, zum Verständnis, in eine Zielsprache, in Poesie, in Codes und Chiffren umgewandelt. Bei Uljana Wolf wird nun das Übersetzen in Poesie übersetzt. Das vermeintlich abgeschlossene System wird in die Unendlichkeit ausgeweitet, das Übersetzte ist gleichzeitig das zu Übersetzende, Ausgang und Ziel heben sich gegenseitig auf. Translation bedeutet Versetzung. Hier wird alles versetzt: die Orte, die Züge, das lyrische Ich, wir innerhalb des Textes. Auf perron zwei, einem altmodischen Fremdwort für „Bahnsteig“, wird uns durch das ungewohnt Klingende ein Ortswechsel nachspürbar, die zeitliche oder räumliche Entfernung (falls es diesen Unterschied gibt).
Die Worte wirken auf mehreren Ebenen: ihrer Optik, ihrer Bildlichkeit, ihrem Gehalt, ihrem Zusammenhang, ihrem Klang. Jede einzelne sprachliche Sinneinheit, jede Silbe, jede Wurzel nimmt Bezug auf sich selbst und auf ihr Umfeld innerhalb der Verse, der Sätze, des ganzen Gedichts, gar des ganzen Zyklus (das vorhergehende Gedicht beginnt mit: „teurer freund!“). Dadurch entstehen unzählige Lesarten.
Wie Lichtwellen ist diese Sprache. Wobei das Spektrum nicht gebündelt, sondern aufgefächert wird. Gerade dem Vertrauten in unserem Sprechen, den Idiomen und bekannten Wendungen, werden mit den Mehrdeutigkeiten von Synonymen und gleichlautenden Wörtern immer wieder neue Möglichkeiten und Assoziationen eröffnet. Der idiomatische Ausdruck „Bahnhof verstehen“ klingt an: Der Schauplatz des Gedichts re-präsentiert sowohl Bewegung und Transfer, als auch Verstehen und Verständnis. Durch Variationen von understand entstehen semiotische Ketten (understand-unterstand-vorstehen), die graduell durch wörtliche Übersetzung zu obdach einerseits und zu grasp – Begreifen, zum dämmern andererseits führen und gleichzeitig Verbindungen herstellen. Aus summend wird to sum im Englischen, gras geht in grasp über und bleibt kaum zu greifen. kaum im Sinne von wenig und im Sinne von gerade als; dämmern als konkreter und idiomatischer Ausdruck einer Ahnung.
Diese Vielschichtigkeit macht uns im Lesen gegenwärtig. Wir selbst werden in der Lektüre re-präsentiert, weil es unsere Assoziationen sind, denen wir begegnen. kann dich betören, wo ich bleibe?, ist die Frage. Nehmen wir wahr und berührt uns das, was uns gegenwärtig, also vertraut ist – oder doch gerade das Andersartige, welches uns fern liegt? Ganz gleich, wie man herangeht – die Ansprache des Textes ist direkt. Das Gedicht, jedes Gedicht von Uljana Wolfs „DICHTionary“ geht eine offene Beziehung mit seinem Leser ein.
Explizite Aussagen sind lediglich individuelle Willkür. Eine Erlösung dafür – und davon – ist Raum – ein Obdach – für Deutung. Bezeichnungen mögen Dinge zwar sprachlich greifbar machen, jedoch nicht begreifbar, nicht zugänglich. Die Begriffe liegen innerhalb der Übertragung – auf der Reise, im lärmen der züge.
Und auch wenn ich etwas gründlich missverstanden habe und das Gedicht – diese an mich gerichtete Botschaft über Nähe und den Weg zur Erkenntnis – längst zu einem falschen Freund geworden ist, so ist es mir nicht minder teuer. Im Gegensatz zu freundlichen Fälschungen bleiben falsche Freunde nie ohne Bedeutung.
Die Einträge des „DICHTionary“ sind nicht Entsprechungen. Es sind Gleise, Schwellen, Leitungen; die Synapsen im Moment des Übersetzungsprozesses, von denen Erín Moure im Epigraphen zu falsche freunde spricht. Wie nahe sich unsere Sprachen kommen, entscheidet das Verständnis.
− Ausgangspunkt dieses Gedichtbands sind die „falschen Freunde“ aus der Sprachwissenschaft: Wörter, die im Deutschen und Englischen gleich klingen, aber eine andere Bedeutung besitzen. Hier wird also die Sprache ganz konkret als Material untersucht, am Beispiel deutsch-englischer Wortbeziehungen, fast könnte man das Buch als einen zweisprachigen Band bezeichnen, in dem die Lyrikerin hinterrücks, unvorhergesehen und unablässig von einer Sprache in die andere übersetzt, wobei die jeweilige Richtung des Übersetzens zunächst nicht ganz klar ist. −
Im ersten Zyklus legt Uljana Wolf eine alphabetische Sammlung „falscher Freunde“ an, das Englische und das Deutsche geraten in flirrende Zwischenzonen und ergeben etwas Drittes. In ihrem „DICHTionary“ weisen die Wörter durch offenkundige Doppelbedeutungen in immer wieder neue Richtungen, wobei sich die Doppelbedeutungen sofort in noch viel mehr Bedeutungsebenen verflüchtigen. Ausgangspunkte sind „kau“ und „cow“, „kind“ und „Kind“, „kiss“ für „Kuss“ und das dazugehörige Kissen auf dem Bett. Ein anderer Assoziationskomplex ist beispielsweise „instance – instanz – iceland – island“.
Der Zyklus „Subsisters“ spielt mit Filmen und Schauspielerinnen. Und so, wie das Sehen eines Films mit anderssprachlichen Untertiteln immer auf zwei Zeitschienen läuft, die sofort durcheinandergeraten, geht es auch hier. Es stehen zwei Parallelgedichte nebeneinander: die Version mit Untertiteln verändert und verfremdet das Original um ein irritierendes Bisschen. Und natürlich gerät Marlene Dietrich hier in ein ganz anderes Spannungsfeld als etwa Barbara Stanwyck, weil die Herkunft unterschiedlich ist und auch später auf neue Weise herausgelöst werden kann.
Die Zyklen „alien I“ und „alien II“ handeln von den Einwanderungsbedingungen damals und heute. Die autobiographische Grundlage dafür ist wohl, dass Uljana Wolf mittlerweile die Hälfte des Jahres im New Yorker Stadtteil Brooklyn lebt, wo ihr amerikanischer Ehemann und Dichter Christian Hawkey zuhause ist. Die Liste, mit der Einwanderer im neunzehnten Jahrhundert auf Krankheiten untersucht worden sind, strukturiert „alien I“. Die 17 Gedichte fangen die Atmosphäre auf Ellis Island ein, wo die Neubürger landen. „alien II“ ist dagegen in der unmittelbaren Gegenwart angesiedelt, die Gedichte nähren sich aus juristischer Fachsprache und Regierungsdekreten von heute. Sie entstehen zum Beispiel durch Streichung von Textpassagen aus einer Gebrauchsanweisung der Firma Bosch für ein Gerät zur biometriegestützten Grenzkontrolle.
Uljana Wolf bewegt sich mit ihrem neuen Gedichtband auf der Höhe der globalisierten Wirklichkeit und der globalisierten Lyrik-Diskussion. Dass sich die Sprach-Maschinerie manchmal verselbständigt, gehört zum Programm. Ihr Ansatz ist hochinteressant. Und manchmal blitzt sogar etwas auf, wovon man sich in Zukunft mehr wünschen würde: das Risiko des Ich abseits der vorhandenen Theorien.
Uljana Wolfs zweiter Gedichtband thematisiert die Tücken der Übersetzung. Zwischen Deutschland und Amerika als Heimats- oder Sehnsuchtsorten, Fern- und Heimweh präsentiert sich das schmale Bändchen als Kommentar zur identitätsstiftenden Funktion der Sprache. Englischkenntnisse werden beim Leser vorausgesetzt; wer über das Niveau „sänk ju for träwelling“ nicht hinauskommt, wird schwerlich viel Freude an diesem Bändchen haben – und damit den Beweis erbringen, daß Wolfs Konzept ein durchaus stimmiges, ihr Thema relevant und aussagekräftig bearbeitet ist.
Auf die herkömmliche graphische Markierung von Versen, den linksbündigen Zeilenstil, verzichtet Wolf zugunsten knapper Texte in Blocksatz; auf den schmalen Seiten bleibt so viel Raum für andere graphische Spielereien, Experimente mit unterschiedlichen Schriftgrößen und -arten, schematische Anordnungen und Diagramme. Bei einem Vortrag der Gedichte bleiben diese Elemente der Texte freilich auf der Strecke; in diesem Sinne ist falsche freunde eher ein unillustriertes Bilderbuch als eine Sammlung lyrischer Texte.
Gegliedert ist das Werk in drei Kapitel, denen ein knapper, aber aussagekräftiger Text voransteht, der durchaus alle Anforderungen einer Exposition erfüllt; den Schluß bildet eine einzelne, völlig unergiebige, durch kryptisch prätentiöse Eitelkeit verärgernde Seite mit Anmerkungen.
Der erste Teil, der den Löwenanteil des Büchleins für sich beansprucht, ist den falschen Freunden gewidmet, den vermeintlichen Verwandtschaftsbeziehungen zwischen ähnlich klingenden Wörtern unterschiedlicher Sprachen. Mit verblüffender semiotischer Findigkeit etabliert Wolf aberwitzige Beziehungen zwischen so unterschiedlichen Morphemen wie „kau“ und cow, die, einmal auf ihre phonetische Erscheinungsform (oder, genauer, ihre Erschallungsform) reduziert, nicht zu unterscheiden sind. Diese Reduktion von Sprache auf ihre Lautlichkeit – unterstützt durch den konsequenten Verzicht auf Satzzeichen oder Groß- und Kleinschreibung – gestattet lustvolles lautes Lesen und ermöglicht ein reizvolles Spiel mit den dadurch aufgeworfenen semantischen Ebenen, eignet sich aber nicht für ausgefeilte Bedeutungshuberei: Die den jeweiligen Texten vorangestellten Schemata, die eine Relation zwischen den verwendeten Homophonen implizieren sollen, sind schwerlich ernst zu nehmen; ebensowenig können die Texte selbst eine wirklich stringente Semantik offerieren. Ein kurzes Tändeln mit dem gefundenen Phänomen, wenns hochkommt eine – bisweilen urkomische – Pointe, Danke, weiterblättern. Hier sind nicht nur Englischkenntnisse, sondern auch eine passable englische Aussprache gefragt (wer weiß aus dem Stehgreif, was im Englischen qualm bedeutet, und wie man es ausspricht?) und darüber hinaus die Fähigkeit zu schnellem Registerwechsel auf akustischer und semantischer Ebene. Unkonzentrierten Lesern oder solchen auf der Suche nach zerstreuender Lektüre sei eine spärliche Dosierung dieses Kapitels bei wiederholter Einnahme ans Herz gelegt.
Das zweite Kapitel, subsisters, präsentiert sieben kurze Texte in jeweils zwei Versionen, einem „Original“ und einem „Original mit Untertiteln“. Durch pointierte Veränderungen einzelner Wörter oder syntaktischer Zuordnungen entstehen drastische Bedeutungsänderungen, alle angesiedelt auf einem Metaphernfeld von Hollywoods Traumfabrik aus Schwarzweiß-Zeiten. Wer auf diesem Gebiet bewandert ist, mag die Texte mit Gewinn lesen, allen Übrigen bleibt eine Auseinandersetzung mit dem weiten Feld von Bedeutungsnuancen, die schon in kleinsten Abweichungen einer Übersetzung vom Original Platz finden. Wem dieses nicht gerade originelle Thema bereits wohlvertraut ist, wird das kleine Kapitel schnell durchblättern.
Im letzten Teil des Bändchens vollzieht Wolf einen semantischen Schritt vom sprachlichen Übersetzen zum physikalischen Übersetzen, zum Überqueren eines Gewässers. Eine Liste körperlicher Symptome, mittels derer Sanitäter auf Ellis Island die Einwanderer auf Geisteskrankheit prüften, wird zum Inhaltsverzeichnis einer Reihe wiederum sehr kurzer Texte aus der Sicht der Immigranten zu ihren jeweiligen Körperteilen. Konsequent wird diese biologische Zergliederung im letzten Teil weitergeführt. Komplexe Schachtelsätze voll syntaktischer Ambiguitäten werden solcherart in einzelne Worte zerlegt und über die Seite verstreut, daß der verblüffende Eindruck entsteht, ein imaginärer und viel umfangreicherer Text sei durch Zensur und Ausradierung zu einer aleatorischen Aussage reduziert worden. Reduktion und Ausradierung als sinnstiftendes Element einer Rekonstruktion, einer Zerlegung nicht aufs Wesentliche, sondern auf das, was rentablerweise lesbar bleiben darf: Ein ergiebiger Umgang mit den Konventionen graphischer Verserzeugung, der sich darüber hinaus zu der Abwicklung der „Aliens“ auf treffliche Weise fügt, allerdings auf Kosten des Textumfangs. Neun Sätze auf ebenso vielen Seiten zu verteilen, kann von kritischen Konsumenten auch als Seitenschinderei mißverstanden werden. Bei aller Prägnanz und Aussagefähigkeit der graphischen Eigenarten, mit denen das Bändchen prangt, muß erwähnt werden, daß die Zeichenmenge insgesamt ein wenig zu kurz kommt. Sicherlich kein geeignetes Kriterium, die Güte des Inhalts zu bewerten – dennoch: Es dürfte ein wenig mehr sein. Knapp 20 Euro für deutlich weniger als hundert unterm Strich spärlich bedruckte Seiten ist ein reichlich stolzer Preis.
Walter Fabian Schmidt: Bilinguale Kippfiguren
poetenladen.de, 7.11.2009
Andreas Hutt: Fremde Freunde
literaturkritik.de, November 2009
Das zweite Buch – Daniel Falb und Uljana Wolf in Lesung und Gespräch am 4.11.2009 im Literarischen Colloquium Berlin
Moderation: Hans Jürgen Balmes
Ein Ort, ein Wort: Uljana Wolf liest am 17.11.2006 Gedichte aus kochanie ich habe brot gekauft und falsche freunde im Literaturarchiv Marbach.
Stefan Hölscher im Gespräch mit Uljana Wolf am 6.7.2021 bei TEN-4-POETRTY
Uljana Wolf liest drei bögen: böbrach und andere Gedichte.
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