− Zu Erich Frieds Gedicht „Was es ist“ aus Erich Fried: Gesammelte Werke – Gedichte 2. −
ERICH FRIED
Was es ist
Es ist Unsinn
sagt die Vernunft
Es ist was es ist
sagt die Liebe
Es ist Unglück
sagt die Berechnung
Es ist nichts als Schmerz
sagt die Angst
Es ist aussichtslos
sagt die Einsicht
Es ist was es ist
sagt die Liebe
Es ist lächerlich
sagt der Stolz
Es ist leichtsinnig
sagt die Vorsicht
Es ist unmöglich
sagt die Erfahrung
Es ist was es ist
sagt die Liebe
Ob Auschwitz, Vietnam oder Israel, Studentenbewegung, Neonazismus, Naturzerstörung, Erich Fried wollte wissen, verstehen, erklären. Warnen und mahnen. Nicht nur seine Lyrik, seine ganze Person war auf den Kontakt, das Gespräch mit dem Leser aus. Man muß ihn erlebt haben, wie er, schon schwer erkrankt, die Hände über dem Knauf seines buckligen Stocks gefaltet, auf einer Bühne stand und die Zuhörer, meist junge Leute, in seinen Bann schlug, wenn er ihnen zu erklären suchte: Wo lernen wir? und Wohin?, so zwei seiner Gedichttitel. Erich Fried war der geborene Erklärer. Jedes seiner Gedichte ist ein immer neuer Anlauf, sich und anderen die Welt zu erklären. Wer erklären will, braucht Zuhörer, braucht Fragen. Das Fragezeichen ist das am häufigsten verwendete Satzzeichen in der Lyrik Erich Frieds.
Wer so auf den Dialog aus ist, bedient sich der Rhetorik. In der Tat lassen sich Frieds Gedichte wie ein Kompendium rhetorischer Figuren lesen. Fried geht davon aus, daß wir Wirklichkeit in der Sprache erfassen. Brechen wir Sprachmuster auf, gewinnen wir auch eine neue Sicht auf die Welt; ein Verfahren, das insbesondere den politischen Gedichten Frieds ihre Durchschlagskraft gibt.
Erich Frieds Name war ein Synonym für den politischen Dichter schlechthin geworden, als er seine Leser 1979 mit Liebesgedichten überraschte. „Ein Band Liebesgedichte“, so Fried im Nachwort, „bedarf keiner besonderen Erklärung“. Doch vom Erklären kann er nicht ablassen. „Was ist sie [die Liebe] eigentlich / und wie kann man sie definieren?“ fragt er in dem Gedicht mit dem bezeichnenden Titel „Fragen und Antworten“. Um sich nach mehreren Erklärungsversuchen eingestehen zu müssen, daß menschliche Sprache und Vernunft sich jeder Erklärung versagen: „Es heißt daß Gott gesagt hat / daß er sie ist.
„Erklär mir Liebe“ beginnt eines der schönsten Liebesgedichte von Ingeborg Bachmann, die darauf mit einer großartigen Bilderflut antwortet. Und Erich Fried? In immer neuen Umschreibungen, Bildern, Wortspielen sucht er zur Sprache zu bringen „Was es ist“, so der Titel seines schönsten Liebesgedichts. Und was ist es? Fried, dem großen Erklärer und Rhetoriker: hat es die Sprache verschlagen, nein, nicht die Sprache, aber das Dekorum, den ins Auge springenden Kunstgriff. Nicht einmal pro forma wird noch gefragt. So lautet denn auch der Titel des Gedichts nicht, wie man es bei Erich Fried erwarten dürfte: „Was ist es?“; vielmehr wird, ergeben in die Aussichtslosigkeit aller Erklärungsversuche, schon im vornherein lakonisch konstatiert: „Was es ist“.
Das Gedicht beginnt mit einem Vierzeiler. Zwei Aussagen nehmen jeweils zwei Zeilen ein, folgen aufeinander und treten in ein Spannungsverhältnis. Die erste Zeile enthält in drei Wörtern eine Aussage, die die nächste Zeile als wörtliche Rede kennzeichnet, als wörtliche Rede der personifizierten Vernunft. Die dritte Zeile hat dem nichts entgegenzusetzen. „Es ist was es ist“. Das ist tautologisch, erklärt nichts, ist Kapitulation. Wäre da nicht die nächste Zeile, die wiederum den Sprechenden benennt: „die Liebe“. Womit die Einfältigkeit der dritten Zeile ihre subversive Grandiosität erhält. In dieser Kapitulation vor jedem Erklärungsversuch liegt zugleich der höchste Triumph. „ICH bin der ICH bin.“ Sagt Gott. „Es ist, was es ist / sagt die Liebe“.
In den nächsten Strophen wird dieser Triumph schrittweise ausgekostet und gesteigert, wobei Fried das in der ersten Strophe ausgeführte formale Grundmuster beibehält, nur die Inhalte variiert. „Berechnung“, „Angst“, „Einsicht“ bringen ihre Einwände vor, schwere Geschütze, bis die Liebe wieder spricht, ohne Pathos, ohne Erhabenheit, leise wie nebenbei, aber unverzagt, zäh.
Während sich die Vasallen der Vernunft noch nicht geschlagen geben und in einer dritten Strophe die Oberhand zu gewinnen suchen, bis ihnen die Liebe wiederum Einhalt gebietet mit nichts als sich selbst. Sie preist sich nicht an, sie verlockt nicht, sucht keinen der Einwände zu entkräften. Täte sie das, wäre sie dann noch Liebe? Nein. Keine Antwort ist die einzig mögliche Antwort. „Die Liebe hört niemals auf, wo doch […] das Zungenreden aufhören wird und die Erkenntnis aufhören wird.“ Heißt es im 13. Kapitel des ersten Korintherbriefs. Nein, diese Liebe sucht weder zu überreden noch zu überzeugen. Wer wissen will, „was es ist“, muß sich ihr überantworten.
Nicht von ungefähr spricht im vorletzten Zweizeiler der letzten Strophe „die Erfahrung“: „Es ist unmöglich“, sagt sie. Doch auch ihr antwortet die Liebe, zum magischen dritten Mal: „es ist was es ist.“ Damit endet das Gedicht. Auf dem Papier.
Doch wünschte sich Erich Fried nicht den Leser, der weiterdenkt, der sich selbst seinen eigenen Vers macht, auf sich und die Welt? Hätte der Dichter wohl etwas dagegen einzuwenden, wenn der Leser, als sein gelehriger Schüler, eine kleine Vorsilbe striche? „Es ist möglich / sagt die Erfahrung“, heißt es dann. Und so verlockten diese scheinbar so beiläufig dahingesprochenen, unaufwendigen Verse am Ende zu eben dem, wovor sie drei Strophen lang warnen: zum Lieben. Nein, definieren läßt sich Liebe nicht. Nur erfahren. Nur erleben. Erklär mir Liebe! Liebe ist lieben.
Ulla Hahn aus: Ulla Hahn: Dichter in der Welt, Deutsche Verlags-Anstalt, 2006
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