– Zu Ingeborg Bachmanns Gedicht „Römisches Nachtbild“ aus Ingeborg Bachmann: Gesammelte Werke. –
INGEBORG BACHMANN
Römisches Nachtbild
Wenn das Schaukelbrett die sieben Hügel
nach oben entführt, gleitet es auch,
von uns beschwert und umschlungen,
ins finstere Wasser,
taucht in den Flußschlamm, bis in unsrem Schoß
die Fische sich sammeln.
Ist die Reihe an uns,
stoßen wir ab.
Es sinken die Hügel,
wir steigen und teilen
jeden Fisch mit der Nacht.
Keiner springt ab.
So gewiß ist’s, daß nur die Liebe
und einer den andern erhöht.
Gelöster als in diesem Gedicht hat Ingeborg Bachmann nie wieder von der Liebe geschrieben. Leidenschaftlicher ja, pathetischer gewiß, mit kühneren Metaphern, grelleren Bildern und Tönen, doch nie wieder hat sie das „Unsägliche“, und dazu gehört nicht zuletzt die Einheit von Liebe und Glück, mit einer derartigen Gelassenheit zur Sprache gebracht, als sei diese Glücksgewißheit so selbstverständlich und alltäglich wie ein Gang zum Bäcker.
Dieser Selbstverständlichkeit entspricht das Bild. Zwei winzige Menschen umschlingen ein „Schaukelbrett“, so riesig, daß die sieben Hügel Roms auffliegen, wenn das Paar im „Flußschlamm“ des Tiber versinkt. Das Bild ist kühn, die Sprache kühl, es ist der Tonfall des Berichterstatters, der ungerührt rapportiert. Der weit ausholende, dennoch klar gegliederte Satz, der sich über sechs Zeilen und die beiden ersten Strophen des Sonetts schwingt, formt im Auf und Ab der Betonungen die Schaukelbewegungen nach. Ein schwindelerregendes Bild, von Metrum und Rhythmus souverän gebändigt. Die Sprecherin weiß, daß, mit der Gesetzmäßigkeit von Naturereignissen, sie gemeinsam aufsteigen werden, „ist die Reihe an uns“.
Woher diese Sicherheit? Schaukeln kann nur, wer sein „Schaukelbrett“ fest verankert hat. Worin besteht dieser Dreh- und Angelpunkt? Was garantiert die Balance? Es ist das „Wir“, das hält und in Bewegung hält, in tollkühner Bewegung mitunter, und gleichwohl vor Absturz und Versinken bewahrt. Anders als üblich in Ingeborg Bachmanns Lyrik ist in diesem Gedicht der Gegensatz von Ich und Du überwunden, das „Wir“ erobert. Jetzt wird es gelebt und erprobt, und siehe da: Es erweist sich als tragfähig im wahrsten Sinn des Wortes. Vergessen das heillose Entweder-Oder, das immer wieder in der Liebeslyrik, und vor allem später in der Prosa, den für die Bachmann typischen unlösbaren Widerspruch zwischen Liebe und Selbstbewahrung evoziert, da Liebe entweder als Selbstaufgabe oder als Zwang zur Unterwerfung erfahren wird.
Das Gegenteil hier. Dieses Bild des Schaukelns setzt den freien Entschluß und den Mut zweier selbständiger Menschen zu einem unbegrenzten, bedingungslosen Vertrauen in ein gemeinsames „Wir“ voraus:
Keiner springt ab.
Denn der Absprung eines wäre beides: Selbstmord und Mord. So aber bildet sich das „Wir“ im Prozeß des Schaukelns, des Miteinanderlebens, immer verläßlicher heraus und festigt sich gerade in der Gefahr. Nur dann sammeln sich die Fische im Schoß, fällt, was das „Wir“ zum Leben braucht, ihm buchstäblich in den Schoß. Wer so eins ist, wer so selbst und doppelt ist, der kann teilen, mitteilen, denn er lebt aus der Fülle und aus dem Vertrauen, daß sie ihm nie versiege.
Die Sonettform legt sentenzhafte Überhöhungen der vorangegangenen Bilder in den letzten Zeilen nahe. Ingeborg Bachmann formuliert ihr Fazit mit geradezu luzider Klarsicht:
So gewiß ist’s, daß nur die Liebe
und einer den andern erhöht.
Das ist ein Satz wie Lackmuspapier, ein Eichmaß für jeden, der behauptet zu lieben. Hier hat sie erfaßt, was Liebe unterscheidet von selbstzerstörerischer Leidenschaft und demütigender Hörigkeit. Erklär mir Liebe! Dieses Gedicht tut es.
Ulla Hahn, aus Marcel Reich-Ranicki (Hrsg.): Frankfurter Anthologie. Sechzehnter Band, Insel Verlag, 1993
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