– Zu Theodor Kramers Gedicht „Requiem für einen Faschisten“ aus dem Band Theodor Kramer: Gesammelte Gedichte 1. –
THEODOR KRAMER
Requiem für einen Faschisten
Du warst in allem einer ihrer Besten,
erschrocken fühl ich heut mich dir verwandt;
du schwelgtest gerne bei den gleichen Festen
und zogst wie ich oft wochenlang durchs Land.
Es füllte dich wie mich der gleiche Ekel
vor dem Geklügel ohne innern Drang,
vor jedem Wortgekletzel und Gehäkel;
nichts galt dir als der schöne Überschwang.
So zog es dich zu ihnen die marschierten;
wer weiß da, wann du auf dem Weg ins Nichts
gewahr der Zeichen wurdest, die sie zierten?
Du liegst gefällt am Tage des Gerichts.
Ich hätte dich mit eigner Hand erschlagen;
denn unser keiner hatte die Geduld,
in deiner Sprache dir den Weg zu sagen:
dein Tod ist unsre, ist auch meine Schuld.
Ich setz für dich am Abend diese Zeilen,
da schrill die Grille ihre Beine reibt
wie du es liebtest, und der Seim im geilen
Faulbaum im Kreis die schwarzen Käfer treibt.
Daß wir des Tods und Ursprungs nicht vergessen,
wann jeder Brot hat und zum Brot auch Wein,
vom Überschwang zu singen wie besessen,
soll um dich, Bruder, meine Klage sein.
Theodor Kramer liest sein Gedicht „Requiem für einen Faschisten“.
Schmucklose Reime, kompakte Strophen: Der Gehalt, den sie fassen, ist ungeheuer. Als ich das Gedicht vor ungefähr dreißig Jahren zum ersten Mal las, kannte ich weder den Verfasser noch die Umstände, die ihn zu diesem Gedicht veranlaßt hatten. Klar war, hier sprach einer, den die Nazis zu vernichten versucht hatten, zu einem, der vernichtet, „gefällt“ war, obwohl er zu den Vernichtern gezählt hatte. Er nennt ihn „Bruder“ und beklagt seinen Tod. Das war unerhört, brachte die Zweiteilung der Welt in gut und böse ins Wanken. Aufgestört forschte ich dem Namen des Verfassers nach, nicht viel war damals über Theodor Kramer zu erfahren, ein österreichischer Jude, der zwei schmale Gedichtbände veröffentlicht hatte, ehe er nach dem „Anschluß“ ins Exil nach England floh, 1957 nach Wien zurückkehrte und dort kurz darauf starb. Dies zu wissen verlieh dem Gedicht in meinen Augen eine geradezu mythische Wucht. Der Vertriebene, das Opfer, nimmt Mitschuld auf sich am Tod eines Menschen, dem dessen Vertreibung, sein Tod Programm gewesen war. Hier erkennt jemand im Todfeind seinen Nächsten, und die Klage über dessen Verstrickung wird zu einer Klage über eigenes Versagen, über die Verweigerung des bewahrenden, überzeugenden Worts – „denn unser keiner hatte die Geduld / in deiner Sprache dir den Weg zu sagen“. Und so ist die Trauer um den anderen auch eine Trauer um sich selbst. Eine Konfession, die ans Religiöse rührt. Allerdings: Erst nach dem Tod dieses „Faschisten“ ist das Eingeständnis möglich. Wer noch ist schuld an seinem Tod? Wie kam er um? Das verschweigt das Gedicht. Wichtig ist nur: Der Tod bringt den „Faschisten“ in die Gemeinschaft der Menschen zurück, bringt ihn von dem „Weg ins Nichts“ an den gemeinsamen Tisch zu „Brot und Wein“.
Einmal, das sagt die erste Strophe, waren sie einander ja auch nah gewesen, Brüder im Geiste der Ablehnung einer kalten, gerechneten Welt setzten sie der als spießig erachteten Zivilisation ihre schwärmerische Vorliebe für die Sphäre des Instinktiven und Irrationalen entgegen – bis der Natinalsozialismus ihre Wege trennte, den jüdischen Dichter und den „Faschisten“ zu Todfeinden machte. Mit „eigner Hand erschlagen“ hätte er den Gefährten von einst, doch „die Geduld“, ihn von seinem Irrweg zu überzeugen, brachte „unser keiner“ auf. Das Urteil: mitschuldig an dessen Tod.
Bei den Vorarbeiten zu dieser Interpretation fand ich dann heraus, daß es sich bei dem „Faschisten“ um Josef Weinheber handelt, österreichischer Dichter wie Kramer. Nach dem „Anschluß“ schlug er sich auf die Seite der Nazis und schrieb elende Gedichte zu deren, besonders zu Hitlers, Ruhm. Zu spät erkannte er: „wie ich gut gewollt / und wie ich bös getan habe“ und sprach sich sein Urteil: Im April 1945 nahm er sich das Leben. Einen Monat später schrieb Kramer, noch im englischen Exil, das „Requiem für einen Faschisten“.
Zunächst gefiel mir diese Entdeckung nicht. Aus einem Faschisten, aus dem „Bruder“ mit tausend Gesichtern, wurde ein einziger, aus dem Symbol eine bestimmte Person. Aus der großen, versöhnenden Geste die private Klage.
Doch dann schlug meine Enttäuschung in Bewunderung um. Kramers erste Gedichte hatte Samuel Fischer 1926 ablehnt, da es ihm nicht möglich sei, „den Gedichten eine Tragweite abzufühlen, die sie über den Anschauungs- und Reflexionsbezirk ihres Eigenpersönlichen hinaus in jene lyrische Verantwortungssphäre emporhübe, in der (sie) … dem Antlitz einer reinen Leidenschaft des Mitmenschlichen zu entstammen wie auch zu entsprechen vermöchte.“
Mit diesem Gedicht hat Theodor Kramer genau das erreicht, was Fischer vermißt hatte. Aus seinen großen Schmerzen mache er seine kleinen Lieder, schrieb Heinrich Heine. Theodor Kramer hat ein großes Gedicht daraus gemacht.
Noch ist in den Strophen der Druck der Todesgefahr zu spüren, bis hinein in die Naturbilder, die auch als Referenz an Weinheber und dessen klangmagische Strophen gelesen werden können; doch weder großartig noch anheimelnd, vielmehr unheimlich, ja widerlich sind die Bilder, die der Dichter wählt, ein Leben blinder, wimmelnder, triebhafter Fruchtbarkeit – auch eine metaphorische Absage an die antiaufklärerische, die Instinkte appellierende Ästhetik der Nazis.
In den folgenden Zeilen dann die Vision eines Festes, eines gemeinsamen Festmahls mit Brot, Wein, Gesang, wieder taucht das Wort „Überschwang“ auf, und das „wir“ meint jetzt nicht mehr nur die Gemeinschaft der Opfer; „jeder“ schließt auch den „Faschisten“ ein, der in der letzten Zeile mit dem Donnerwort „Bruder“ umarmt wird. Noch ist das Bild vom „schönen Überfluß“ für alle Utopie. Das „Bruder“wort ein Vorschuß, der eingelöst werden muß durch Miteinanderleben. Miteinanderreden. Die rechten Worte finden: „die Geduld“.
Ulla Hahn, 2004, aus Ulla Hahn: Dichter in der Welt, Deutsche Verlags-Anstalt, 2006
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