Ulrich Grasnick: Haltestelle

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von Ulrich Grasnick: Haltestelle

Grasnick/Büchner-Haltestelle

ABGESANG IM LEIERKASTEN
Johannes Bobrowski bei Kurt Mühlenhaupt im Leierkasten, 1963

I
Hier fühlte sich keiner allein,
hier war immer was los.
Niemanden sah ich hier gähnen.

Zwischen Fässern und blanken Hähnen
Maler und Dichter, der Trödler Verein.
Mühlenhaupts Berlin – als wär nichts gewesen –
Arme und Beine der Gäste noch dran
und ohne Spesen der mit der Drehorgel,
der immer ein Bier bekam.

Er stellte seine Musik hier unter
und bemerkte beim letzten Bier:
irgendwann, wenn ick sterbe,
gehört sie sowieso nach hier.

Und er hat dabei noch gelacht
und später sagte einer:
den Namen für die Kneipe,
den haste dir jut ausgedacht.

II
Holt noch einen Stuhl,
Johannes ist gekommen.

Pfeilschnell schwankte,
über alle Köpfe hinweg
ein Schultheißbier,
noch ehe er Platz genommen.

Gespräche immer in Rage.
Goldgelbe Versöhnung,
flüssige Seelenmassage.
Das war hier heilige Pflicht.
Alle hatten hier lange Haare,
nur der aus dem Osten,
der hatte sie nicht.

So war er leicht zu erkennen,
auch am sonoren Gesang,
bis Mitternacht noch immer dabei.
Zur Sperrstunde sangen dann alle
sich von der Mauer frei.

 

 

 

Gedichte

laden zum Innehalten und Innewerden ein. Sie öffnen bekannte und ganz neue Gedankenräume, in denen sich Erinnerungen und Zukunftsvisionen begegnen. Auf unnachahmlich sinnreiche wie sinnliche Weise erschließt der Dichter Ulrich Grasnick solche Räume. Im Gedicht „Neue Nachricht für Paris“ schildert er mit der Frage, ob „Chaos kultiviert zu empfinden“ sei, seine eigene Schreibsituation. Er findet in der Lyrik Halt, der mit Haltung im Leben untrennbar verbunden bleibt. Gestern wie heute.

Verlag der 9 Reiche, Klappentext, 2023

 

Beitrag zu diesem Buch:

 


 

REISELIED
für Ulrich Grasnick

Den Malerweg umgekehrt
Gehen gen Westen
Schmetternd durch Felsen
Tore den kühlen Keller
Uttewaldes hinter sich lassen
Ein paar Kilometer flussaufwärts
Gegen den Strom
Durch Elbarien gleiten
Sich verwandeln in ein Wasser
Mannsbild irgendwann
Auch an der Donau landen
Als Universalpoet
Dem Malerweg folgen
Grenzwegweiser umschiffen
Worte im Mund behalten
Zu einem Fuchs werden
Dem Malerweg folgen mit List
Unter der Kuppel der Opera
Auf kreisrunden Grund
Farben stranden
Ins Taumeln geraten
Sich den Engel gefallen lassen
In einen Flügel fassen
Eine Feder am Hut befestigen
Ihr ein Denkmal setzen
Treiben in unerlaubten Meeren
Viel später im Leben
Über die Straße schwimmen
Als ewiger Sänger mitternachts
In der Stadt Bachs
Jenseits des Malerwegs
Fahrräder anhalten

Franziska Beyer-Lallauret

 

MEINE SONNE
für Ulrich Grasnick

Dein ,O so!e mio‘
Frische Luft wirkt wie ein Fest
Strahlt von dir zu mir!

Mary Jo Fakitsa

 

 

Zum 80. Geburtstag des Autors:

Marko Ferst: Inspiriert von Chagall
neues deutschland, 4.6.2018

Fakten und Vermutungen zum Autor + Kalliope
Porträtgalerie: deutsche FOTOTHEK

 

Ulrich Grasnick und Steffen Marciniak lesen am 29.10.2020 beim 2. Wilmersdorfer Lesesalon im KunstRaum der Künstlerkolonie Berlin.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

0:00
0:00