– Zu Norbert Hummelts Gedicht „kreuzreim“ aus Norbert Hummelt: singtrieb. –
NORBERT HUMMELT
kreuzreim
extrem wie sich die blätter rasch verfärben
muß fegen gleich u. wind kommt u. so fort
so kann auch was sich reimt sehr rasch verderben
weswegen auch egal hier welches wort
der sinn liegt auf der straße, wird vermittelt
es schimmert violett aus manchem blick
so ähnlich ist mein kopf halbiert (gedrittelt?)
was aufgeschrieben wird kommt nicht zurück
der neigungswinkel zählt, so geht es allen
september ist ein stichwort unter vielen
der vers erhebt sich fünfmal um zu fallen
so sucht wohl auch der wind nach neuen zielen
nordwest/nordost u. wieder nichts zu reißen
thematisch läßt sich wenig daran ändern
die nähmaschine läuft: was soll das heißen?
der winter kommt, es schneit schon an den rändern
es ließe sich nach manchen dingen fragen
zum beispiel was die dunkelheit betrifft
die ampeln haben neues nicht zu sagen
am ende geht es nur noch um die schrift
u. weiter mit der schere: kann nicht lesen
die nerven machen langsam nicht mehr mit
ich glaube es ist hölderlin gewesen
statistisch jeder dritte hat die / schnitt
am morgen bleibt das licht der zigarette
das klingt sehr metaphorisch (ist es nicht)
im grunde nur ein glied in einer kette
der schatten deiner stimme hat gewicht
im fenster ist die stadt nicht mehr zu sehen
im text ist das ein schönes element
wahrscheinlich wird ein blatt vorüberwehen
semantisch ist da niemand so mich kennt
der winter wird das opfer einer blende
ich zähle schon die lampen (es sind acht)
vielleicht nun kommt die zeit der weißen wände
der dichter geht zur ruhe: gute nacht.
Bevor wir unwirsch werden und nach seiner Botschaft fragen könnten, hat uns Norbert Hummelts Gedicht mit seinem schönen, freien Schwung schon emporgehoben, hat uns davongetragen auf den Flügeln von Jambus und Kreuzreim, und der geschwinde Wechsel der Gedanken und Bilder hat denselben Effekt wie Rilkes „Jardin du Luxembourg“:
Und das geht hin und eilt sich, daß es endet
und kreist und dreht sich nur und hat kein Ziel.
So rauschen wir also ziemlich widerstandslos durch diese 36 Zeilen, bis der Dichter ebenso sanft wie entschlossen sein Karussell stoppt und uns mit einem Gutenachtgruß nach Hause schickt. Da reiben wir uns erstaunt die Augen: War da was? Oder war es nur Blendwerk? Ein hübsches, intelligentes Blendwerk. Denn Poesie ist Gegen- oder Neben-Wirklichkeit. Wir können hier beobachten, wie sie ihre eigene Welt entwirft und zugleich sich selber bei der Arbeit zuschaut.
Es beginnt einigermaßen traditionell mit dem Gestus des Herbstgedichts. Aber bevor sich das Bild entfalten kann, das Bild von den bunten Blättern und vom Herbstwind, wirft sich der Dichter nervös dazwischen. So ungeduldig ist er, daß er in Kurzschrift verfällt:
u. so fort.
Es ist, als hätte er schon zu viele Herbstgedichte gelesen, als wäre längst klar, wie es mit Hebbel/Rilke/Trakl und all den Heroen der Gattung gleich weitergehen müßte, so daß diesem Nachfahren gar nichts anderes bleibt, als die Blätter, die Verse zusammenzufegen und sorgenvoll vor sich hin zu murmeln:
so kann auch was sich reimt sehr rasch verderben.
Plötzlich kriegt der Titel „kreuzreim“ einen tückischen Klang: Es ist wahrlich ein Kreuz mit dem Reim! Der Kreuzreim (a-b-a-b) ist zwar nur eine winzige Spur anspruchsvoller als der kindliche Paarreim (a-a-b-b). Aber so simpel er klingt, so sehr zwingt er den Dichter ins Korsett, und dem werden zusätzlich Stäbe eingezogen, nämlich die des fünfhebigen Jambus, der hier abwechselnd betont und unbetont endet.
„der vers erhebt sich fünfmal um zu fallen / so sucht wohl auch der wind nach neuen zielen“ heißt es dann, und wieder setzt das Gedicht die Realität des Binnenraums gegen die Realität der Außenwelt – hier der Wind, der sich ein Opfer sucht, dort das Reim- und Rhythmusgebot, das Entsprechung erzwingt. Reim dich oder ich fress dich! Wer die großen Dichter überkritisch liest, wird bemerken, wie selbst dort die strenge Form nicht immer nur die großartigen Einfälle produziert, sondern hier und da auch banale Verlegenheiten (wobei, in Klammern gesagt, Schiller allein deshalb schon als Genie betrachtet werden muß, weil es ihm zumeist gelingt, die formale Verlegenheit derart zu steigern, bis daraus ein unendlicher Knaller wird). Mit derlei spielt Norbert Hummelt, und „derlei“ ist eine Mischung aus Ahnung und Gegenwart, aus Handwerk und Inspiration. Zuweilen ist er der Meister, dann wieder nur der Zauberlehrling, der die überlieferten Kunstgriffe mit wechselndem Glück imitiert. Dann hört er hinein in das, was er neu im alten Ton angerichtet hat. Dann lesen wir Zeilen wie „die ampeln haben neues nicht zu sagen“ oder „der winter kommt, es schneit schon an den rändern“, und es ist klar, daß diese poetisch erschaffne Welt vom Zufall bedroht ist („der sinn liegt auf der straße“) und auch vom Zerfall – so daß vielleicht am Ende gar nichts bleibt. „am ende geht es nur noch um die schrift“, heißt es. Dann ist von Hölderlin die Rede, und des Dichters Rede beginnt zu stocken:
die nerven machen langsam nicht mehr mit.
Aber allzu tragisch müssen wir das nicht nehmen, denn Norbert Hummelt (übrigens 1962 geboren) hat etwas was ich den dritten Ton nennen möchte: Weder ist er Parodie noch Pathos. Sein Gedicht lebt aus dem überlieferten Klang und trägt ihn weiter, hinein in unsere prosaischen Tage. Jetzt klingen sie.
Ulrich Greiner, aus Marcel Reich-Ranicki (Hrsg.): Frankfurter Anthologie. Einunddreißigster Band, Insel Verlag, 2007
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