– Nach Georg Trakls Gedicht „Winternacht“. –
GEORG TRAKL
Winternacht
Es ist Schnee gefallen. Nach Mitternacht verläßt du betrunken von pur-
purnem Wein den dunklen Bezirk der Menschen, die rote Flamme
ihres Herdes. O die Finsternis!
Schwarzer Frost. Die Erde ist hart, nach Bitterem schmeckt die Luft.
Deine Sterne schließen sich zu bösen Zeichen.
Mit versteinerten Schritten stampfst du am Bahndamm hin, mit runden
Augen, wie ein Soldat, der eine schwarze Schanze stürmt. Avanti!
Bitterer Schnee und Mond!
Ein roter Wolf, den ein Engel würgt. Deine Beine klirren schreitend wie
blaues Eis und ein Lächeln voll Trauer und Hochmut hat dein Antlitz
versteinert und die Stirne erbleicht vor der Wollust des Frostes;
oder sie neigt sich schweigend über den Schlaf eines Wächters, der in
seiner hölzernen Hütte hinsank.
Frost und Rauch. Ein weißes Sternenhemd verbrennt die tragenden
Schultern und Gottes Geier zerfleischen dein metallenes Herz.
O der steinerne Hügel. Stille schmilzt und vergessen der kühle Leib im
silbernen Schnee hin.
Schwarz ist der Schlaf. Das Ohr folgt lange den Pfaden der Sterne im Eis.
Beim Erwachen klangen die Glocken im Dorf. Aus dem östlichen Tor
trat silbern der rosige Tag.
Bevor der Winter kommt, sitzt ein Angler
auf der untersten Stufe am Ufer.
Bald gibt es Schnee.
Man kann es schon riechen, fast sehn.
Er trinkt mit der abgeknickten
Angelschnur Stille aus dem See.
Das Wasser ist ein helles Fenster,
an dem seit Stunden eine Motte klebt:
Der letzte Surfer, ein grauer Flügel,
in seiner Schlangenhaut aus Neopren.
Weiter hinten, auf dem Parkplatz,
wo sich jeden Abend Paare treffen,
hält jetzt ein Geländewagen, bleibt,
der Motor läuft, minutenlang so stehn.
Der Angler geht. Der Surfer kippt und schmilzt
wie eine Flocke. Der Kofferraum springt auf,
ein Schatten huscht durchs Xenonlicht:
Eine Dogge, die ein Knäuel Gras erbricht.
Ulrich Koch, aus Mirko Bonné und Tom Schulz (Hrsg.): TRAKL und wir. Fünfzig Blicke in einen Opal, Stiftung Lyrik Kabinett, 2014
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