– Zu Paula Ludwigs Gedicht „Nicht mehr mit Blumen“ aus Paula Ludwig: Gedichte. –
PAULA LUDWIG
Nicht mehr mit Blumen
Nicht mehr mit Blumen schmückt sich meine Rede
zu hold ist ihr Tod
denn auch die Sterbenden haben verschiedenes Schicksal –
Darum zürnet mir nicht
wenn ich euch nicht antworte.
Aber ich habe meinen Mund verschlossen
daß in meiner Kehle der Schrei nicht ausbreche.
Ich habe mein Inneres zugedeckt
wie man einen Brunnen zudeckt
vor den spielenden Kindern –
Denn ließe ich euch in seine Tiefe schauen:
das Wort des Trostes fiele in seinen Abgrund
und der heitere Tag sänke von euern Schultern
wie ein fahl gewordenes Kleid,
ihr würdet nackt sein
bar aller Hilfe und schaudern.
Und war doch vordem
wie ein Wasser zwischen zwei Hügeln
und wie eine Weide zwischen den Sternen
und jedem der vorüber ging
lieh ich einen lieblichen Spiegel.
Aber ein Gott kam und tauchte sein Antlitz in meins
und machte mich dunkel wie sein Auge.
Sein Name färbt mir die Lippen rot
sein Brandmal leuchtet von meiner Stirn
sein Siegel sitzt auf meiner Todesstunde.
Eine Leibeigene bin ich
die der Herr nicht zählt,
ein Eigentum
das man den Feinden zurück läßt,
ein Brachfeld bin ich geworden
allen Jahreszeiten der gleiche Anblick.
Vergangener Tage Gärtnerin
sind meine Hände
aufbindend die zitternden Ranken.
Der Sonne Wärme die Kühle des Regens
sie gehen in mich ein ohne Wohltat.
Ich habe keine Blume um ihnen zu danken
die gierige Nessel allein gedeiht
in der Asche meines Herzens.
Mit der giftigen Herablassung, die Gattinen im Eifersuchtsfall auszeichnen kann, bescheinigte Claire Goll der Rivalin die „Unbefangenheit der Dilettanten“. Für minder Voreingenommene war Paula Ludwig hingegen eine Dichterin von Rang, Else Lasker-Schülers kleine Schwester. Daß sie trotzdem bis heute zu den Halbvergessenen zählt, geht nicht zuletzt auf das Konto erbarmungsloser Geschichte. Ein Kurzlebenslauf von eigner Hand sagt dazu das Wesentliche:
Aus Berlin emigriert 1933! aus Tirol geflohen 1938! aus Paris geflohen 1940! 13 Jahre Brasilien; 1953 ,Heimkehr‘ – fatal!
Paula Ludwig, mit dem Jahrhundert in Vorarlberg geboren war durch ihren Vater Auslandsdeutsche, nie besaß sie einen Paß ihrer österreichischen Heimat. Weder „rassisch“ noch politisch verfolgt, wählte sie bei Anbruch des Dritten Reichs aus Gewissensgründen das Exil. Die große Liebe ihres Lebens erlebte die Mutter eines unehelichen Sohnes mit dem lothringischen Schriftsteller Yvan Goll. Ihn hat sie anno 1931 in Berlin kennengelernt. Indes war der Geliebte verheiratet und dachte nicht daran, sich von seiner angetrauten Claire zu trennen. Bis zur Emigration des Ehepaars Goll in die Vereinigten Staaten fanden wiederholt intime Begegnungen statt. Als freilich Paula Ludwig Ende 1940 Europa Richtung Südamerika verließ, erlosch auch die Korrespondenz.
Der 1931 entstandene Zyklus „Dem dunklen Gott“ war die Frucht ihrer Beziehung, das gemeinsame literarische Kind. Stück für Stück sandte die Dichterin dem Dichter ihre frisch geschriebenen Texte. Paulas Leidenschaft bestrickte und verstörte Yvan Goll zugleich. Er hielt sich seine Anbeterin mittels bewährter männlicher Techniken vom Leibe. Sie sollte bleiben, wo sie sei, am besten fleißig arbeiten: „Und eine große Einsamkeit, die immer Schmerz bedeutet, frommt der Kunst“, lautete eine der brieflichen Anweisungen zur Sublimation. Naturgemäß klingt das nach abgestandenem Rilke, ist jedoch bloß die verlogen erhabene Wortwahl eines verängstigten, wenig göttlichen Mannes. Das lyrische Ich der liebenden Frau spricht in seiner unmetaphorischen Qual eine aufrichtigere Sprache. Fern scheint sie vom Verzicht, fern von jeglichem Aufbegehren.
Stolze Resignation beherrscht die freien Rhythmen, eine Trauer, die das gefährdete, das verlorene Glück nie verrät. Natur wird hier zum Abbild der Seele, das Wechselspiel von einst und jetzt durchzieht die Verse. Das eine spiegelt sich im anderen und zeigt vor allem Verfall und Leiden. Durchaus episch mutet der Ton an, er erinnert an poetische Prosa. Gleichsam als Achse, um die sich die übrigen zehn Strophen drehen, dient der Zweizeiler im Zentrum. Er unterbricht den Fluß der Erzählung und faßt sie zusammen:
Aber ein Gott kam und tauchte sein Antlitz in meins
und machte mich dunkel wie sein Auge.
Wir hören die Verschmelzung, hören die Verdüsterung: Zauber der Laute, akustisch-erotische Buchstabenmalerei. Doch ohne Zweifel steckt sogar in der Klage und Anklage eine Liebeserklärung.
Die aus einfachen Verhältnissen stammende Paula Ludwig war gewiß keine besonders gebildete Autorin – Schiller und Hölderlin sind ihre Lehrmeister gewesen. Allein, sie kennt nicht die geringste Scheu vor Erniedrigung, Gefühle drückt sie ungehemmt aus. Der ihren Körper „besaß“, hat sein Eigentum verstoßen. Durch Liebesentzug sinkt das Selbstwertgefühl, der ans Kreuz seiner Passion geschlagene Mensch wird zum Sklaven, zum weggeworfenen Objekt. Das verbrannte Herz auf der Zunge, bleibt der Verlassenen nichts als melancholische Pflege der Erinnerung. „Vergangener Tage Gärtnerin“ zu sein ist ihr einziger Trost. Und das Gedicht ein leiser Triumph der Poesie über die Verzweiflung.
Ulrich Weinzierl, aus Marcel Reich-Ranicki (Hrsg.): Frankfurter Anthologie. Einundzwanzigster Band, Insel Verlag, 1998
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