… es war judas ischariot den ihr gekreuzigt habt an einem stein aber mich euren gott aus arabien hänget ihr an einem ölbaum. Ich habe die ölbäume heiliggesprochen. sie sind meine galgen. das öl ihrer früchte ist all mein vergossenes blut. ich kam feuer zu bringen und schwert auf daß die erde palästina werde. nehmt nun die erde und eßt. ich will den bund mit euch erneuern. ihr gequälten ihr verrotteten in eurem elend ihr deren namen in den ziffern stehen auf dem geld: ihr bauern ohne land, ihr handwerker ohne mühlen, ihr fischer in der chemischen pest vor den küsten meiner metropole bidonville… ich führe euch jetzt durch die tore der elektronischen irrgärten auf den zentralplatz zurück. er ist abgebrannt. alles ist blinder zerstörung zum opfer gefallen woran ihr euch einmal erinnern müßt. dies ist mein letztes geschenk: das geschenk der so schwer zu etragenden nähe. ihr habt keine wahl. die barnherzigkeit war eine losbude die ein bankrottes kartell über land trieb. ich habe sie gestern geschlossen…
Ulrich Zieger: schwarzland
Ulrich Zieger und Stellest sprechen über ihre Zusammenarbeit an dem Buch Grosse beruhigte Körper und dann über schwarzland.
(Weitere Informationen und Videos befanden sich auf der sphärischen Homepage von Stellest, wurden aber bei dem Relaunch der Webseite im November 2024 nicht mehr aufgenommen. Sein Blog wurde archiviert.)
der Rufer in der Wüste kann nicht kommen; das nie erblickte Kunstwerk in der Höhle kann nicht kommen. Aber ein Dichter, der die Rolle des Rufers in der Wüste spielte, kann kommen und die Höhle besetzen und dort zu Ehren des Schwebenden ein Faß aufmachen. Die nie erblickte Kunstwerk kommt dann auch zu seinem Recht und zum Schluß verlassen insgesamt vier bis dahin als höchst unsicher geltende Elemente die Welt des Unmöglichen.
So sei es, und zwar im Fall von Schwarzland, einem langen Poem von gewittriger Beschaffenheit des Ausdrucks und der Absicht. Wie ein Nahtoderlebnis der visionären Traditionen läuft ein „Soundtrack“ des Lebensfilms ganzer märchenhafter Epochen und verdrängter Völker. Eine Wolke, eine mit düsteren Erleuchtungen hybridisierte Wolke, tritt vor das Mikrofon und entlädt ihren Suspense, ihr Spannendes, ihr Schwebendes in einer wahren, hierzulande nicht mehr feierlichen Orgie aus apokryphen Erinnerungen und vagabundierenden Vergessenheiten, eine art apokalyptischen Notsegens austeilend über die Zeit, die, man hört es an jedem Satz und bekommt es auch wörtlich gesagt, außerkraft gesetzt worden ist. Hinzugefügt sei: wenigstens für die Dauer dieses Gedichts. Bert Wredes Gitarenkunst unterstützt es bei der Entfaltung, setzt passende Aufbruchsimpulse, synkopischen Lokgeräuschen ähnlich, gegen Rastmomente dieser „Negativlandnahme“, Rauchzeichen gleichsam über perkussiv bestrittene Unsicherheiten im Gelände. Förmlich meint man zuweilen die Stimme und die Stimmen (Wolfgang Hilbig hat die seine einigen Passagen geliehen) ihre regionalen Akzente mit denen der Gitarrensprache vertauscht zu hören. Die Musik treibt oder schweift und improvisiert in ihrer Begleitfunktion einer Differenz zwischen Tier und Maschine und stammt somit von einer gratwandernden Gitarre, die sich ihres Doppelwesens bewußt ist. Schwarzland ist mit einem Wort eine merkwürdige Wolke, die sich in einem messianischen Aggregatzustand befindet. Und ich möchte, mit einem Griff in das angelsächsische Songgedächtnis, abschließend fragen: „How does ist feel to be reached cloud nine, like a whispering lithning, a blistering shrine?“
H. Gurwizz, Druckhaus Galrev, Programmkatalog, Frühjahr 1995
Einen Kasten alkoholfreies Bier bereitstellen. Die lauwarm gekühlten Flaschen auf Ex trinken. Den Text dazu in einem Zug lesen. Bestenfalls bei grisseligem Wetter. Vorzugsweise an einem Sonntagnachmittag. Die untenstehend zitierte Passage der lyrischen Prosa von Ulrich Zieger ist Ausgang und Thema der Passage SCHWARZLAND. Der Text. Eine offene Wunde. Überhitzte poetische Bilder hängen bleischwer wabern die Sätze in dräuenden Deutsch. Stetig unterbrochen von diversen Anspielungen auf Pop-Kultur, namentlich der Popszene, aber auch anderen Ikonen wird demutsvoll eine Referenz erwiesen. SCHWARZLAND, ein hypnotischer Text in der Diktion etwa von Brochs Tod des Vergil, schnaubend, gurgelnd und oft sich selbst verschluckend. SCHWARZLAND, ein Auszug aus dem Roman Der Kasten, der in diesem Jahr bei Galrev angekündigt ist. Hier erschienen als Vorabauskopplung in der Edition qwert zui opü in einer schlichten, dafür aber umso wirkungsvolleren typografischen Gestaltung von Birgit Thiel, garniert mit Zeichnungen von Patrice Stellest Stoffel. Ein beiläufig bibliophiles Meisterwerkchen, ideal zum Verschenken!
gebt mir das schwarzland zurück. All
die atemgeschwärzten zweige
der weiden in langen novembern in
wasser hinabhängend. wasser die
schwarz sind vom grund her und
schwarz ihre bilder im mittag der
windstillen zeit.
A.J. Weigoni, Das Gedicht, 3/1995
Ich habe Ulrich Zieger ungefähr Mitte der Achtzigerjahre bei einem Treffen der Ostberliner Literaten für den schaden kennengelernt.
1988 habe ich ihn dann gefragt ob er nicht Lust hat, auf eine Zusammenarbeit – Literatur + Musik.
Er schlug The Cantos von Ezra Pound als Text vor.
Wir hatten genau eine Liveshow damit, dann blieb Uli plötzlich verschwunden. Er war nach einer Gastspielreise mit Zinnober nicht mehr zurückgekehrt.
Nach dem Mauerfall hab ich ihn dann mehrfach in Montpellier besucht.
Irgendwann später (etwa 1992) hat er dann für fast zwei Jahre mit mir in meiner Wohnung in der Stargarder Straße gewohnt.
Es war eine sehr intensive Zeit. Ich habe Ulis Freunde, z.B. Patrice Stellest, Roderick Iverson, Wolfgang Maier aus Tramin, Werner Hennrich und die Schauspieler von Zinnober kennen gelernt.
Die Tage waren kurz. Die Nächte waren lang. Wir haben viel geredet. Über alles. Der Torpedokäfer war um die Ecke. Er hatte begonnen an In weiter Ferne, so nah! zu arbeiten.
Dann gab es die Gelegenheit, im Werkraum des gerade schließenden Schillertheaters eine Theaterproduktion mit Ulrichs Text Über die Mandelbrotmenge zu machen. Ulrich hat inszeniert und am Ende selbst gespielt. Ich habe bei dem Stück Musik gemacht. Später sind dann auch die drei Hörstücke entstanden.: Die Hügel vor den Städten (1994) / Schwarzland (1995) / Über den Fortgang des Matriarchats (2000).
Irgendwann Anfang der Neunzigerjahre, die A9 wurde gerade ausgebaut, fuhr ich mit Ulrich in einem gemieteten Transporter einen Umzug von der Berliner Torstraße nach Montpellier.
Wir fuhren auf der A9 in den Sonnenuntergang an einem wunderbaren und traumhaft lauen Spätsommertag. Ulrich saß auf dem Beifahrersitz, hatte auf seinem Schoß sein Manuskriptbuch und baute sich einen riesigen Joint. Genussvoll zündete er den Joint an, nahm einen tiefen Zug und atmete aus. Dann kurbelte er das Fenster herunter und hielt das Manuskriptbuch aus dem Fenster, um Tabakreste und Haschischkrümel zu entfernen. Das Buch flatterte geräuschvoll und flog ihm aus der Hand.
Ich musste noch etwas weiter fahren, um in dem Dauerbaustellenbereich der A9 irgendwo halten zu können. Wir sind dann in dem märkischen Sand des noch nicht betonierten Fahrstreifens zwischen Kiefern und Autobahn, über eine Stunde lang bis zum Einbruch der Dunkelheit herumgekrochen und haben versucht, das Buch zu finden. Leider vergebens. So mussten wir nun voll Trauer, ohne Manuskriptbuch, das nun für immer unter dem Fahrstreifen der A9 Richtung Süden einbetoniert ist, nach Montpellier fahren.
Bert Wrede, Abwärts, Nummer 22. September 2017
Wenn das Gras den Stein sprengt, wird Ulrich Ziegers auf der A9 verwehtes und versiegeltes Manuskript seine Leser finden. Das kann dauern, aber die Zusammenarbeiten von Zieger und Bert Wrede kann man jetzt schon hören.
(…)
Weniger elegisch, zum Furor vielmehr geriet schwarzland (Druckhaus Galrev), im Untertitel „A futuristic popsong“, aufgenommen im Oktober 1994 und Juni 1995, nachdem Zieger (Text und Stimme) Wrede (Gitarren und Effekte) mit dem Gitarristen Michael Döhnert bekannt gemacht hatte. Wolfgang Hilbig und Jonas Riemenschneider (zusätzliche Stimmen) und Georg Morawietz (Toningenieur) stießen hinzu. Das Prosagedicht „schwarzland“ ist Teil von Ziegers Roman Der Kasten, Peter Böthig nennt es „einen Haßgesang in den Dimensionen von Lautréamonts Gesänge des Maldoror“; man muss ihm, hat man sich dem Text ausgesetzt, Recht geben und danach erst einmal Atem holen. Die CD entstand während einer Liveperformance im Studio für elektroakustische Musik an der zum Aufnahmezeitpunkt bereits nicht mehr existierenden Akademie der Künste der DDR, deren Architektonik jedoch unmittelbar zu der durchweg improvisierten Musik beitrug: Das industrielle Geräusch an ihrem Anfang ist das Hochfahren der massiven Metallkonstruktion des Gebäudedachs. Garantiert kein Easy Listening. Das sollte es auch nicht sein, erinnert sich Wrede.
Robert Mießner, Abwärts, Nummer 22. September 2017
ZIEGER, BÖHMER, ANDERS, CARTARESCU,
Salamun, O’Hara, Ferlinghetti,
Lieber Latzina als Eminescu,
Nordbrandt, Bobe, Carver, Ungaretti.
Bachmann, Zagajewski, Char, Artaud,
Benn, Vallejo, Müller, Vlavianos,
Aleixandre, Nezval, Haavikko,
Brinkmann, Iuga, Carpenter und Ritsos.
Christensen und Coles, Achmatowa,
Schiller, Plath, Pavese, Born und Brasch,
Williams, Krolow, Faverey und Mistral.
Cummings, Sexton, Hilbig, Naum, Gongora,
Ashbery, Bukowski, Huchel, Juhasz,
Tranströmer, Pavese, Cardenal.
Thomas Kunst
fedor eine zeile
ulrich eine zeile
ich eine zeile
(gedicht zum welttag der poesie von den drei musketieren)
Thomas Kunst
WENN ICH MAL TOT BIN, LASST MICH BITTE RAUS,
Aus den Gesprächen über Poesie,
So gut wie Ulrich Zieger war ich nie,
Mein Überleben reichte für Applaus.
Das muss doch alles mal ein Ende haben.
Bin ich berauscht vom Glück, sterben Gedichte.
Der Alkohol auf Feldern ist Geschichte.
Die Lichtpunkte sind Rehe oder Raben.
Das Sterben auf den Höfen, Blutergüsse
Vom Zerren an den Bäumen, Brettern, Blumen
Distanz zu wahren, ja, das ist es wohl –
Die Explosionen in der Nacht sind Schüsse.
Die Drinks im Weltall haben mehr Volumen.
Die Sterne sind in ihren Wangen hohl.
Thomas Kunst
Gert Neumann spricht über Ulrich Zieger.
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