– Zu Ulrike Draesner Gedicht „als wärs ich will und kennten…“. –
ULRIKE DRAESNER
als wärs ich will und kennten all die jahre uns trink mir zu als
wären diese linien ein südlicher park unverändert die karte
dieser jahre verrückt geliebt als wär dies die erste klippe von der
aus wir das meer umarmt und teuflisch dort die kleinen rochen
schienen devils in disguise doch leuchten so als wärens wörter
uns geworfen um die vögel anzulocken in ihrem klippgesang
als wäre es unser morgen und immer noch der rachen riesig
des himmels blau wie du und ich in der anemonen
in der animalenmulde dieses hügels cliff!
aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaarock!
wo noch immer dieser april und auf seiner ebereschenpfeife spielt
amor, damn it! den augenblick auf dem teppich des felsens
zerrt aber fällt nicht dass jemand sich auszog ich es war oder du
und die gedanken gehen so leicht stiebt’s in unsren kabeln noch
aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaa(und auch unterm meer)
rock!
was dich umwarf bis zum rand des bechers himmel und all die jahre
gemessen die wir uns nicht gesehen vergessen sich selbst in diesem
kuss gesammelt und außen die schimmernde glocke (auch
der schuh am strand, die decke, touristen) bis zum rand eines
bechers der himmel (hellblau) lass nur (himmel! in dieser tasse)
nah über und über also wieder dich dort zu sehen
aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaacliff!
aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaarock!
einzigartig nichts destotrotz über und über
fällt mir die zunge herunter in kleines tzzt tzzt und
sprachtricks der vögel das kratzende windrad
dieses schluckende DU SAGTEST „heb den rock“ wir
gemeinsam als ob es nicht das erste aber einzige mal wäre
dass zungengelenke eingescannt wurden zu direkt mit dem körper
verbundenen wörtern wie möwen über der see die silbrigen fische
und laternen im tiefsten wasser pulsenden herzens sehen
in diesen gelenken das stumme wildwerden
der welt ihren sturm fröhlich in
aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaihren zerschliffenen felsen
cliff!
lasen wir die winzigsten botschaften in handgroße maschinen
doch daraus wuchs eine riesige bis himmelsbecher wirklichkeit das
ticken einer konfuzianischen uhr nichts mehr zu verlangen
von zukunft vergangenheit ja gelassen zu sein im ersten und letzten
geräusch, im minimalen des auges, dem sehen. noch heute
aufgehängt an der klippe ein fliegendes schneidendes eck
aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaarock!
aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaacliff!
das sonnen reflektiert als (ob) dieses eine ragende zwischen
alles wäre und wir wie wellen hysterisch schreiender
blauweißer vögel in dieser himmelwärts stürzenden tasse zeit
liebten uns seit jahren
es gehört zu den verbreiteten vorurteilen über gedichte
daß sie der alltagssprache etwas hinzufügten.
poesie also entstehe durch eine art „magischer“ aufladung.
dazu brauche es den musenkuß. er transportiere etwas leicht „dubioses“ von „oben“.
im schlimmeren, aber üblicheren fall lade der dichter das gedicht mit
seiner eigenen befindlichkeit auf. pathos, gefühliges.
unglaubwürdiges sentiment.
die vorstellung ist so verbreitet wie falsch.
sie hat sich ausgebreitet, weil etwas vergessen wurde.
weil wir schlecht hören.
weil vergessen ist, daß sprache wissen speichert.
in lauten, wortverwandtschaften, auch: in unterschieden zwischen den sprachen.
wir sehen die welt nur durch das raster unserer sprache. sie ist nicht, wie sie ist.
sie ist, wie sie geworden ist.
doch: haben wir uns diese vorstellung
von der autonomie der „kunst“
nicht redlich erarbeitet?
oder wäre es an der zeit, sie,
nicht aufzugeben, sondern zu erweitern
daß sie ihr gegenteil einbegriffe
sich öffne
auf etwas wie nicht eine andere forderung
sondern die gemischte wahrheit
dieses sowohlalsauch
der autonomie und eigenen bedingtheit
simultan
beim sichten der gedichte also
und ihres materials
auf der suche nach transparenz
stoße ich auf ein geflecht.
dschungelartig,
erdig. etwas fädiges
aber nicht regelmäßig, sondern
waldig gewachsen.
also nur dies kann ein kommentar
bestenfalls
sein: spur von und anstoß zu
verwandlung. nicht metapher, sondern anlaß.
nicht schlüssel, sondern leiter.
du selbst legst sie an.
du selbst legst dir die richtung.
Am Anfang: das Ohr. Ein Ton, eine Melodie.
The Residents, Devils in Disquise.
Eine Liebesgeschichte, mehr als ein Verliebtsein. Ein abruptes Ende, eine Landschaft. Natürlich weiß ich mehr dazu, doch das hat hier nichts zu suchen, weil es nicht gefunden gehört. Gefunden aber, weil in das Gedicht als Landschaft eingegangen, greifbar, sichtbar:
Ahrenshoop, das Hohe Ufer.
Sandsteinfelsen. Ein schmaler Weg, Blick auf die Ostsee. Richtung Dänemark. Nördliches Licht. Möwenschreien. Es ist April. Ende des Monats erscheinen erste Knospen an den Hagebutten, den Sanddornsträuchern. Kleine lilienartige Blumen im Sand. Sand. Handyempfang möglich, aber unterbrochen. Und warum trägt sie ein Handy mit sich herum? … April 2000
Ein gutes Jahr später, in Berlin. Alles vorbei, wie man so sagt. Aber aber. Vier Dinge, soweit ich sehen kann, kommen zusammen: Devils in disguise. Oh ja, wer kommt mir wohl so vor?
„Die berühmte Liebe“. Der Andere. Oder: ich selbst.
Dazu: ein Gedicht, geschrieben von Louis MacNeice (1907–1963),
Engländer (also da irgendwo gleich hinter dem Ahrenshooper Horizont), befreundet mit W.-H. Auden, doch musikalischer und rhythmischer als der berühmtere Kollege.
Recht „traditionell“, oft reimend.
Von dem Gedicht weiß ich heute kaum mehr etwas.
Ich besitze es nicht in einem Buch und wollte es nie nachsehen. Ich las es als Mitglied der Jury eines Übersetzungswettbewerbes im Oktober 2000. Nur den Anfang schrieb ich mir auf:
as if i had known you for years drink to me only if
those frontiers had never changed on the mad maps of the years
and all our tears were earned…
als hätte ich dich seit jahren gekannt prost mir nur zu wenn
diese grenzen sich nie verschoben hätten auf den verrückten karten der jahre
und all unsere tränen verdient gewesen wären
Der Rest des Gedichtes blieb in Fragmenten im Kopf, die ich heute nicht mehr erkennen kann, weil sie sich, schon beim ersten Lesen, mit der Ahrenshooper Landschaft und den Ahrenshooper Gefühlen verbanden. Auch bei MacNeice gibt es eine Meerlandschaft, ein cliff, das erinnere ich.
Genauer: bei ihm traf ich eine Landschaft, die auf „mein Meer“, meine Ahrenshooper Gefühle beziehbar war.
Die Residents beziehen ihre Platte The King auf Elvis Presley. Seine Songs spielen sie nach. Sprechen übers Königsein. Der Bezug auf MacNeice paßte dazu. Auch sein Gedicht war in den 50ern entstanden.
Eine dritte Spur mischte sich ein, noch einmal Musik.
Der andere Aspekt, nicht devil, eher angel, doch wiederum in disguise.
Midsummer Night’s Dream hieß, woran ich dachte, komponiert von Felix Mendelssohn-Bartholdy, an Puck dachte ich, an Oberon, Titania, die Kombination von Stimme und Musik.
Wieder sollte hier eigentlich etwas zu hören sein.
Ich hörte: nicht einen Rückgang in der Zeit, sondern deren Auflösung. Hörte etwas von Liebesverwirrung, von König und Königin. Da tauchte endlich auch IHRE Stimme auf. Denn bislang hatte ich mich ganz in einer Männer- und Knabenwelt bewegt: Presley, The Residents, MacNeice, Oberon, Puck. In der Einspielung, die ich hörte, wurde aber auch Titania von einem Mann gesprochen. Wie auch zu Shakespeares Zeiten üblich.
Umstellt also, ihre Stimme –
durch all die Männer hindurch – ihre „Stücke“ – und in Bezug, liebenden Auges, auf einen von ihnen, begann das Gedicht.
Mit den Ahrenshooper Möwen im Ohr, dem Rauschen des Wassers. Und ein paar englischen Steinen, Wortresten, stehengelassen aus der Entstehungsgeschichte, etwas Unbehauenes, eine Spur. Der englisch-engelischen Sprache wegen. Angels in disguise, devils in disguise.
Beim Nachdenken über das Gedicht, Anfang 2003, fällt mir auf:
der (nicht direkt sichtbare) Rückgriff des Gedichtes in die Vergangenheit (Shakespeare, 50er Jahre) spiegelt sich in seinem eigenen Zeitumgang – seiner zeitlichen Utopie: es ist heute – und blickt in die Zukunft, jenes ungewisse Einst einer Wiederbegegnung. Zugleich spiegelt es durch seine Spuren vor, all diese Jahre wären schon vergangen. So schwankt es zwischen damals, heute und morgen. So kamen ihm seine Stimmen zu, sein ganz eigenes Stürzen und Steigen, eben diese Tasse Zeit. In der jemand umrührt, der ich nicht allein bin. Sondern auch das Meer
und derjenige, an den ich dachte
und all die Klänge und Sprachstücke, von denen ich sprach.
Aus Manfred Enzensperger (Hrsg.): Die Hölderlin Ameisen, DuMont, 2005
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