DIE ZUKUNFT DES EMIGRANTEN
nach einem Bild von A.R. Penck
Sans phrase –
das wolltest du nicht mehr
zwischen zwei Zügen
nie mehr aufgeflogen sein
mit gesattelten Taschen
beschwert hasenherzige Aufbrüche
in alle Winde, die dann
schräg von rechts ins Gesicht
die dann blasen nie mehr
und Zugluftkatarrhe
als Stars der Saison.
(…)
Zur Lyrik Ulla Hahns, die oftmals den Weg des geringsten Widerstands geht und sich in einschlägige lyrische „Stimmungen“ treiben läßt, markiert die Poesie Ursula Krechels den denkbar schärfsten Gegensatz. Hatte sich Ursula Krechel in ihren lyrischen Anfängen noch als feministisch inspirierte Alltagslyrikerin profiliert, suchen ihre neuen Gedichte die weitestmögliche Entfernung von dem kommunikativen Zutraulichkeiten der „Neuen Subjektivität“. Nichts haßt sie so sehr wie den Gestus falscher Unmittelbarkeit oder vermeintlicher Gefühls-„Authentizität“. Wo die Wörter einst ohne große Sprachskrupel in Dienst genommen wurden, da wird ihnen heute erst nach strengen Kontroll- und Prüfungsverfahren ein Platz im Gedicht zugewiesen. Auch die Gedichte des Bandes Landläufiges Wunder folgen höchst eigensinnigen Regularien und komplizierten Sprachbewegungen, die den jeweiligen Text in einem eigenartigen, unbenennbaren Schwebezustand halten. Den poetischen Prozeß ihrer Gedichte hat Ursula Krechel in einem luziden Essay (nachzulesen in Heft 5 der Lyrik-Zeitschrift Zwischen den Zeilen) als „dauernden Scheidevorgang“ beschrieben, als tastendes Ausloten unendlich vieler sprachlicher Möglichkeiten, die sich an jedem Versende ins Unendliche verzweigen. Es sind meist bestimmte Wörtersignale, „Verbalfaszinationen“ (F. Mayröcker), wiedergefundene Notate und andere Sendboten aus „verblüffenden Sprachwelten“, die die Dichterin in jenen „aufgeregten, aufgelösten Zustand“ versetzen, der am Ausgangspunkt des Schreibprozesses steht und erst allmählich seine Zielgerichtetheit findet. In den fünf Kapiteln ihres Bandes erprobt Ursula Krechel ganz unterschiedliche Gedichttypen und Sprechweisen: von lyrischen Parabeln, kinderliedhaften Reimen und Sprachexerzitien bis hin zu Gedichten, die die Turbulenzen der jüngsten deutschen Geschichte heraufbeschwören. Nicht immer vermag der wortspielerische Ehrgeiz, der sich an Alliterationen entlanghangelt („Trottende Kameraden in einer Karawane / in Kamerun sahen sie Rauch aus den Kaminen / Kastanien aus dem Feuer geholt“ usw.) im jeweiligen Gedicht die gewünschte Dynamik zu entfachen. Aber in Zeitgedichten, wie „Rost in Rostock“, gelingt die poetische Ungefälligkeit, das Aufrauhen des Tons, die poetische Schönheit, die nicht mehr im harmonischen Wohlklang, sondern in der schroffen Dissonanz zu suchen ist. Im Monolog eines verzweifelten Ostdeutschen ziehen die flackernden Bilder deutscher Gegenwart vorbei:
Es brannten Türkenkinder wie am Spieß. Ich weiß nichts, Kind,
Mein Land ist über den Jordan, hat größere Flüsse gesehen
und kleinere Zwerge. Vaterland, Kind, Fastenzeit der Hirne, aus
gemergelte Herzen, Triumph des Ausverkaufs auf drei Etagen.
Kopfstillstand.
In den meisten rätsel- wie reizvollen Gedichten, die deutsche Zeitgeschichte oder, wie der Text „Strandläufer am westlichen Rand der Welt“, die epochale Ungleichzeitigkeit von westlicher und östlicher Welt thematisieren, wirken die einzelnen Gedicht-Teile irritierend disparat. Nichts wird stofflich mehr verflochten, die Motive werden nur fragmentarisch angeschlagen, die Verse schroff montiert.
Michael Braun, neue deutsche literatur, Heft 506, März/April 1996
Ein Gedicht und sein Autor: Ursula Krechel und Jan Wagner am 17.7.2013 im Literarischem Colloquium Berlin moderiert von Sabine Küchler.
Andreas Platthaus: Keine Magermilch, und bloß keine Kreide
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 4.12.2017
Landesart: Ursula Krechel zum 70.
SWR, 2.12.2017
Ursula Krechel – Neue Dichter Lieben, Komposition und Klavier: Moritz Eggert, Bariton: Yaron Windmüller, Expo 2000 Hannover.
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