– Nach Georg Trakls Gedicht „An Johanna“. –
GEORG TRAKL
An Johanna
Oft hör’ ich deine Schritte
Durch die Gasse läuten.
Im braunen Gärtchen
Die Bläue deines Schattens.
In der dämmernden Laube
Saß ich schweigend beim Wein.
Ein Tropfen Blutes
Sank von deiner Schläfe
In das singende Glas
Stunde unendlicher Schwermut.
Es weht von Gestirnen
Ein schneeiger Wind durch das Laub.
Jeglichen Tod erleidet,
Die Nacht der bleiche Mensch.
Dein purpurner Mund
Wohnt eine Wunde in mir.
Als käm’ ich von den grünen
Tannenhügeln und Sagen
Unserer Heimat,
Die wir lange vergaßen –
Wer sind wir? Blaue Klage
Eines moosigen Waldquells,
Wo die Veilchen
Heimlich im Frühling duften.
Ein friedliches Dorf im Sommer
Beschirmte die Kindheit einst
Unsres Geschlechts,
Hinsterbend nun am Abend-
Hügel die weißen Enkel
Träumen wir die Schrecken
Unseres nächtigen Blutes
Schatten in steinerner Stadt.
Johanna Anna Sonja Aura
wie namenlos wie atemlos
oder wer in der Laube sitzt
sich nächtlich erinnert
an das Wundmal des Mundes
an taghell gemeißelte Gegenwart
in der diplomatischen Umschrift
des Geschlechts und deckte es zu
wer sprach zu den Ranken am Gitter
den Spalieren (Beichtstühlen?)
Beeren männlicher Schwermut
klarsichtige Verdüsterung
in dem Blutfluß der Schwester
getränkt – drängende Sorge
was hängt noch an Ästen
(am Leben?) schüttelt im Auge
was von den Bäumen fällt
ist angestochen fault
im feuchten Laub
wer tritt darauf schuldlos
in Hecken schlafen Vögel
Obstbrand und Blutbuchenzauber
Räume mit Milch getüncht
Verblassen – Jasagerin wer sprach
der gurgelnde Fluß glänzt
machtlos ist jetzt die Zeit
gekommen ist sie nicht
kommt wieder wieder nicht
mundloser Mund der stillgeschrien
nach dem Diktat verwirrt
verzweifelt abgereist wohin
so begann die Wanderschaft
Ursula Krechel, aus Mirko Bonné und Tom Schulz (Hrsg.): TRAKL und wir. Fünfzig Blicke in einen Opal, Stiftung Lyrik Kabinett, 2014
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