SEHR GEEHRTE DAMEN UND HERREN,
mit der rasch und frühzeitig erfundenen Überschrift dieser Rede ist angezeigt, was Sie erwartet: nichts Neues. Dafür Älteres und Altes mit einer gewissen Zielstrebigkeit. Der Jahrmarkt der Innovationen findet sicher gleichzeitig nebenan statt. Die folgende Einlassung machte Paul Valéry 1937, sie will Voraussetzung dessen sein, was ich zu sagen habe:
Den Bürger werden Sie (…) daran leicht erkennen (wenn man annimmt, daß es ihn noch gibt, was gar nicht gesagt ist), daß ein solcher Mann (oder eine solche Frau) zwar sehr gebildet sein kann, von feinem Geschmack, und sehr wohl fähig, die Werke zu bewundern, die man bewundern muß, aber dennoch kein Wesensbedürfnis nach Poesie oder Kunst hat… Im Notfall könnte er sie entbehren; er kann ohne so etwas leben. Sein Leben ist vollkommen geordnet, ohne dieses seltsame Bedürfnis einzuschließen. Sein Geist genießt die Kunst: er lebt nicht davon. Er braucht nicht als wesentliche und unmittelbare Nahrung jene besondere Nahrung, welche die Poesie ist.
Diese Richtigstellung und Abgrenzung gilt heute nicht anders als vor achtzig Jahren. Und sie bezieht sich nicht nur auf den Konsumenten, den Rezipienten, auf den kultivierten Empfänger, die Empfängerin von dem, was hier Poesie genannt wird, nämlich das Gemachte, das wesentlich Sprechende, das Gedicht. Sie gilt ohne weiteres auch für die akademisch orientierten Hersteller von deutschsprachigen Gebilden, welche en gros und en détail üblicherweise Gedichte genannt und in vielen recht ansehnlichen Büchern verbreitet werden. Da ist wohl ein Bedürfnis – um von Anfang an zu zeigen, dass ich notwendig und absichtlich ungeschützt spreche –, aber da ist kein Dämon. Da sind zwar die Fähigkeit, die Gewitztheit, der beliebige Zugriff auf das Material und oft insbesondere der konzeptionelle Gedanke ab ovo, alternativ zum Grund des Schreibens. Da liegt ganz sicher kontrolliert gewachsenes Handwerk vor. Doch die schreibende Hand fühlt statt des menschlichen nur zu oft den Puls der globalisierten Information. Und von demselben Interesse ist das dann auch. Nichts da mit „der gesprochenen Dichtung“, die „einen lebendigen Leib“ fordert, wie Federico García Lorca sagt, nichts davon in sieben Achteln des Lyrikregals.
Reichliche einhundert Jahre vor Paul Valéry, 1829, im Aufbruchsalter von vierzehn Jahren, schrieb der russische Dichter Michail Jurjewitsch Lermontow die erste Version seines Poems „Der Dämon“ nieder. Er siedelte die Handlung zunächst in der Zeit des babylonischen Exils an, später, heißt es, auch einmal in Spanien. Sein Dämon geht in den gedruckten Fassungen des Poems im Kaukasus nieder, unweit des heiligen Bergs Kasbeg. In der unendlichen Liebessehnsucht eines ewig im Jenseits darbenden Wesens zerstört er das Glück und das Leben einer georgischen Schönen. Er ist nicht identisch mit dem, der hier vorrangig seinen Auftritt haben soll. Allerdings ist er der populäre Dämon schlechthin, ein Verwandter, wenn nicht ein Abbild des erst rebellischen, dann leidenden, skrupulösen und immer selbstbewusster zum Satan mutierenden Engels, der in John Miltons Paradise Lost begeistert. Dazu passt auch seine Rhetorik. Sie entstammt derselben Schule wie jene des Mephisto aus Goethes Faust. Hören Sie in einer Übersetzung des späteren 19. Jahrhunderts, wie der Dämon sich selbst erklärt vor der irdischen Schönen Tamara, die der Unsterbliche sterblich begehrt:
O wär zu fassen Dir’s gegeben,
Wie bitter jene Qual und groß:
Ein ewig Dasein theilnahmslos
In Leid und Freude zu durchleben,
Für Böses Lob nicht zu erstreben,
Noch Lohn für eine Gutthat; blos
Für sich zu leben, abgeschieden;
In diesem Streite, stets erneut,
Ohne Triumph und sonder Frieden,
Zu wünschen – nicht zu wünschen heut,
Zu wissen Alles, zu erspähn,
Zu fühlen Alles und zu fassen,
Und Alles willenlos zu hassen
Und unbarmherzig zu verschmähn!
(…)
geht Uwe Kolbe aufs Ganze. Er stellt die uralte Frage nach den Kräften, aus denen große Dichtung hervorgeht, und fasst sie als „Dämon“ und „Muse“ – zwei Prinzipien, die einander gegenüber stehen wie Feuer und Wasser und sich doch ähnlich sind. Denn: „Mächtig, gewalttätig, überwältigend und die Schreibhand fordernd können beide sein.“ Für Kolbe aber ist der wahre Kampf der gegen den Dämon – „um die Gunst der Göttin der Nacht“.
Lyrik Kabinett München Klappentext, 2017
Walter Fabian Schmidt: Zu Uwe Kolbes Poesierede
poetenladen.de, 28.2.2017
Kristian Kühn: Konsequente Verschreibung
signaturen-magazin.de
Uwe Kolbe und Max Czollek sprechen über Gedichte, die sie in einer bestimmten Zeit besonders geprägt haben.
Die Zeitschrift Belletristik fragt Uwe Kolbe
Uwe Kolbe liest auf dem XX. International Poetry Festival von Medellín 2010.
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