– Zu Paul Flemings Gedicht „Er beklagt die Enderung und Furchtsamkeit itziger Deutschen.“ aus dem Band Ich bin ein schwaches Both ans große Schiff gehangen. –
PAUL FLEMING
Er beklagt die Enderung und Furchtsamkeit
itziger Deutschen.
Itzt fällt man ins Konfect / in unsre vollen Schalen /
wie man uns längst gedräut. Wo ist nun unser Muth?
der außgestfülte Sinn? das kriegerische Blut?
Es fällt kein Unger nicht von unserm eiteln pralen.
Kein Pusch / kein Schützen-Rock / kein buntes Fahnen=mahlen
schreckt den Krabaten ab. Das ansehn ist sehr gut /
das ansehn meyn’ ich nur / daß nichts zum schlagen thut.
Wir feigsten Krieger wir / die Föbus kan bestrahlen.
Was ängsten wir uns doch und legen Rüstung an /
die doch der weiche Leib nicht ümm sich leiden kan?
Deß großen Vatern Helm ist viel zu weit dem Sohne.
Der Degen schändet ihn. Wir Männer ohne Mann /
Wir starcken auff den Schein / so ists ümm uns gethan /
uns Nahmens=deutsche nur. Ich sags auch mir zum Hohne.
Itzt – so beginnt das Gedicht, ein gegenwärtiges Geschehn wird aufgerufen:
Itzt fällt man ins Konfect,
man nascht nicht, man langt roh hinein, ins Feinste, ins Eingemachte, würde man heute sagen, das Sächsische Konfect ist der sprichwörtliche Wohlstand im neutralen Churfürstentum, die vollen Schalen, die es durch den Großen Krieg zu retten hofft. Der Heerführer der katholischen Liga, Tilly, hat Johann Georg längst (im August 1631) drohend wissen lassen, er habe seine Rüstungen zu stoppen und die eben aufgestellten Regimenter dem kaiserlichen Kommando zu unterstellen; und Churf. Durchl. soll geantwortet haben: nu willmer ans sächssche Konfekt. Mit zwei Versen ist Ort und Zeit bestimmt und die Stimmung vor Ort ausgemacht: man ist mutlos in Leipzig, und der Dichter nimmt sich nicht aus:
Wo ist nun unser Mut?
und das kriegerische Blut taugt nur für einen dunklen Reim. Aber gerade war da noch ein eitles Prahlen, von Helmbüschen und Uniformen, das Malen ,der drey und zwanzig Fahnen geworbenen FußVolck‘, das Fleming mit vielen Vokalen nachmalt, er hat die Parade gesehen.
Das Ansehn ist sehr gut,
lästert er, während Tillys Haufen schon Merseburg nehmen und seine Reiter (Ungarn und Kroaten darunter) Leipzig einschließen und die Vorstädte anzünden. Die Stadt kapituliert am 5. September und tags drauf die Pleißenburg (: die Stadt übergibt sich, die soviel Konfekt gefressen), und verzichtet auf ihre Defensioner, deren Ansehn, mit ihrem ,LeibFähnlein‘, gelb und schwarz, dem fanmäßigen Äußeren,
nichts zum Schlagen thut
gegen die Liga (im Fußball tuts das noch). Aber der rasche feige ,Akkord‘ hat das reiche Leipzig womöglich davor bewahrt, wie das stolze Magdeburg unterzugehen. Der Stadtrat war nicht unterrichtet, daß sich Sachsen und Schweden am 1. September verbündet haben, sie werden den Feind am 7. auf dem ,breyten feld‘ vernichtend schlagen. Von all dem sagt auch Fleming nichts; vielleicht ist das Sonett vor der Schlacht entstanden; er bleibt bei den Furchtsamen, und wiederum unter ihnen, er sagt:
Wir feigsten Krieger wir, und höhnt:
Was ängsten wir uns doch und legen Rüstung an /
die doch der weiche Leib nicht ümm sich leiden kan?
Dieses dreimalige schneidende ei! und noch einmal sticht der Reimlaut zu, wenn auch noch der alte Helm zu weit ist, wem? dem Sohne (den er nun in Reserve hält); ätzender ist nur das ä, wenn den der Degen schändet. Die Schande trifft auch ihn:
Wir Männer ohne Mann / wir starcken auff den Schein
– er weiß noch nicht, daß 3.000 kaiserliche Söldner bei der Flucht durch den Harz von wütenden Bauern erschlagen werden; er gibts den untätigen Bürgern, er bleibt auf seine Weise am Mann und resümiert:
so ists ümm uns gethan,
und greift zum rohesten Reim, der bereitliegt:
Ich sags auch mir zum Hohne.
Das ist ein scharfer, politischer Text, im Druck unter die geistlichen Sachen gemischt, die unauffälligen Moralgedichte. Ein Text aus Fragen und blanken Argumenten, die ihn in Harnisch bringen. Das ist seine feste harte Form. Kein Raum für Ausflüchte; der Gedankengang wie außgestählt. Die Diktion, die sonst oft schön das Metrum umspielt, umtastet, ist vom Zorn gehämmert. Wo ist nun unser Mut? das ist der Vers, der haften bleibt und in jeder Jetztzeit wieder Antwort will. Er verbürgt die Wirkung jederzeit.
Doch eine Zeile fällt aus dem strikten Bau heraus. Wie! was ist da von dem Leib gesagt? der die Rüstung um sich nicht erträgt. Der weiche (verweichlichte) Leib – der schneidende Ton schneidet ihn glatt weg. Der empfindliche, verletzliche Körper hat keinen Platz in der Politik. Hier ist nicht der ,barocke Extremismus‘ (Mickel) am Werk, der den Gegensatz faßt; Fleming setzt schnell drüber weg. Morgen liegen die 15.000 Leiber totenweiß (und wochenlang) bei Breitenfeld. Aber der Widerhaken sitzt.
Das wirft andere Fragen, die eigentliche Frage auf: was das ganze Schlagen, Losschlagen, Totschlagen sei. Keine Red davon. Was seinen Leib betrifft, hat Fleming ihn vom Schlachtfeld geflüchtet. Er ist nicht zur Fahne gegangen sondern unter Segel, er hat sich, kaum er seine Examen gemacht, aus dem krieggeplagten Leipzig abgesetzt. Ein Schiff mit dem weichen Namen Friedrich trug ihn nach Astrachan und Isfahan hinunter. Das war ein anderer Mut, ein anderer Sinn, eine abenteuerliche Enderung.
,Ach, was ist das Leben doch / in dem nichts als sterben lebet‘, dichtet er 1633. Jener leise Bruch: daß da eine Zeile bloß und angreifbar liegt, arbeitet fort. Das Unausgekämpfte hat das Interesse dermahl eins. Denn so strenge, so moralisch sich das Gedicht gebärdet, so ungebrochen es agiert, giert es nach einem Gegentext. Er ist ihm eingeschrieben; wenn man nur ein wenig den friedenslüsternen Verfasser kennt und seine Sonette auf den Leib der Geliebten. Thu die Waffen ab und sprich: / hin, Schwerdt was beschwerst du mich. // Dieser Helm wird nütze seyn / daß die Schwalben nisten drein. Ein großes Werk birgt die Extreme in sich, und läßt sie kämpfen, wie sies im Leben getan, und wenn es nur einunddreißig Jahre währte. Auf der Heimfahrt aus Persien denkt er, im Februar 1638, furchtsam an sein Meißner Land:
das von der Kriegesglut zu Pulver wird verbrannt.
Ach hast du noch nicht satt vom Schaden deiner Feinde?
Was, Landsmann, schlägst du dich denn nun mit deinem Freunde?
Volker Braun, aus Ich bin ein schwaches Both ans große Schiff gehangen. Die Lebensreise des Paul Fleming in seinen schönsten Gedichten. Herausgegeben von Richard Pietraß unter Mitarbeit von Peter Gosse, Projekte-Verlag Cornelius, 2009
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