ANTWORT
Was mich betrifft: Ich weiß es besser
(und weiß doch auch nicht ein und aus).
Ich weiß: Die Dummheit liefert uns ans Messer
und setzt uns einen roten Hahn aufs Haus.
Du klagst, als wären es Naturgewalten,
was uns da brüllend in die Messer treibt,
als gäbs nicht Herrn, die Finsternis verwalten,
damit es dunkel in den Köpfen bleibt.
Wir sind mit Dummheit bitterbös in Fühlung
(und kaufen schließlich, wenn wir leisetreten,
die Sintflut ein als komfortable Wasserspülung).
Es nützt dir nicht, die Dummheit zu verachten.
Statt ihm die Läuse aus dem Pelz zu jäten,
lad ich dich ein, den Leviathan zu schlachten!
Unverhohlen aggressiv oder mit einer scheinbaren, aber gefährlichen Harmlosigkeit: die Gedichte Volker von Törnes aus Westberlin ziehen gegen menschliche Verhaltensmuster zu Felde, um den Blick frei zu machen auf eine Gesellschaft alten Stils, die dieses Verhalten zu ihrer eigenen Konservierung programmiert hat. Vergangenheit und Gegenwart werden angerufen, damit die Zukunft doch noch stattfinden kann: eine Möglichkeit des Überlebens ohne Gefallenenmeldungen, ohne die große Manipulation im Sinn der berühmten wenigen Familien, ohne den Verlust an Optimismus, daß die Welt für uns gemacht ist, für Friedenszeiten und nicht für Kriegsberichte.
Aus Pablo Neruda: Poesiealbum 53, Verlag Neues Leben, Klappentext, 1971
sind Übungen zur Grammatik des Widerspruchs: ich widerspreche. All dem, was über die Köpfe hinweg zustande kommt, den Nachrichten, den bleibenden Werten, der Sprachlehre, wird widersprochen. Die Sammlungen der Volksmärchen werden durch Beispiele aus der Gegenwart vermehrt, durch Lieder vom braven Mann. Beschwichtigungen jeder Art enthüllen sich nun als gezinkte Wahrheit, die es zu denunzieren gilt:
Die Suppe ist eingebrockt: wir werden nicht hungern.
Die Übung kann als abgeschlossen gelten, wenn auch die Betroffenen diese Grammatik beherrschen: du widersprichst, wir widersprechen.
Bernd Jentzsch, Verlag Neues Leben, Klappentext, 1972
Josef-Hermann Sauter: Sie gehören jener Generation an, Herr von Törne, die unmittelbar nach der faschistischen Machtübernahme geboren wurde. Man fühlt sich versucht zu sagen, Sie lernten den Faschismus mehr durch die Elemente aus eigener Erfahrung kennen, die nach seiner Niederschlagung weiterwirkten. Kann man sagen, daß Ihr kleines Gedicht „Frage“ sowohl biographischen Aufschluß gibt wie auch die Momente andeutet, die für Sie zur lyrischen Auseinandersetzung mit der Sie umgebenden Wirklichkeit führten, wenn es heißt:
Mein Großvater starb
an der Westfront;
mein Vater starb
an der Ostfront: an was
sterbe ich?
Volker von Törne: Nun, ich bin zwar noch ein Kind gewesen, als der Faschismus in Deutschland seine Blütezeit hatte. Aber ich habe doch noch eine ganze Menge unvergeßlicher Eindrücke mitbekommen: Fackelzüge, Führerreden, brennende Synagogen, Siegheilgebrüll, Feind-hört-mit, Tieffliegerangriffe, Herzklopfen, Angst, Bunkernächte und am Ende brennende Städte, Trümmer, Angst und wieder Angst.
Es hat lange gedauert, bis ich mit all dem fertig geworden bin. Über zehn Jahre habe ich gebraucht, ehe ich begriff, wo die Ursachen für diesen Wahnsinn lagen. Einfache Wahrheiten sind oft schwer zu begreifen. Und leider wird nicht in allen Schulen gelehrt, daß Kriege keine Naturkatastrophen sind, die irgendwelche unbekannten Schicksalsmächte über uns verhängen, sondern daß Kriege von Menschen geplant und von Menschen geführt werden. Leider gibt es noch immer eine ganze Menge Leute, die das nicht begreifen können oder nicht begreifen wollen. Für diese Menschen habe ich das kleine Gedicht, das Sie eben zitiert haben, geschrieben. Vielleicht regt es den einen oder den anderen doch zum Nachdenken an. Vielleicht gibt es unter fünfhundert Lesern einen, der anfängt zu begreifen, daß Kriege Krankheiten – meist mit tödlichem Ausgang – sind.
Krankheiten aber kann man bekämpfen, wenn man den Krankheitserreger kennt.
Sauter: Auffällig an Ihren Gedichten, Herr von Törne, ist ihre Einfachheit und Schlichtheit, man möchte sagen, die gezielte Bedachtheit, durch faßbare Plastizität die Wirkungsmöglichkeit zu verbreitern, um traditionelle Momente der deutschen politischen Lyrik fruchtbar zu machen.
Törne: Irgendein deutscher Schriftsteller – ich glaube, es war Heine – hat einmal gesagt, das Volk verlange von seinen Schriftstellern, bewegt zu werden. Wenn das aber so ist – und ich denke, das ist richtig –, dann ist es sinnlos, eine exklusive Literatur für einige hundert Literaten und einige feinsinnige Kunstkenner machen zu wollen. Man hat doch den Analphabetismus nicht deshalb bekämpft, damit der Mann, der mir am Morgen in der U-Bahn gegenübersitzt, nur die Bild-Zeitung lesen und einen Fragebogen ausfüllen kann. Warum sollen denn die einen bis in alle Ewigkeit Thomas Mann oder Rilke lesen können, die anderen aber Dreigroschenhefte? Das will mir nicht in den Kopf. Und deshalb versuche ich, möglichst einfach und klar, vielen zugänglich zu schreiben.
Sauter: Man spürt bei Ihnen Einflüsse von Heine und Brecht. In welchem Maße glauben Sie, zeigen sich Beeinflussungen durch Ihre vorübergehende Tätigkeit als Steinhauer, Hoch- und Tiefbauarbeiter, die Sie ausübten, als Sie Ihr Studium der Sozialwissenschaften beendet hatten und Ihre Tätigkeit als Redakteur einer Wilhelmshavener Studentenzeitung durch Verbot beenden mußten?
Johannes Bobrowski: Darf ich zunächst richtigstellen: Ich habe mein Studium nicht beendet, sondern abbrechen müssen.
Und nun zu Ihrer Frage: Das Verbot unserer Zeitung – sie war ziemlich harmlos – war für mich ein heilsamer, ein ernüchternder Schock. Ich habe damals gelernt, daß ich mit lautstarkem O-Mensch-Pathos nichts ausrichten kann. Es gibt Wände, an denen man sich den Kopf einrennt, wenn man nicht aufpaßt. Diese Ernüchterung hat sich dann während meiner dreieinhalbjährigen Tätigkeit auf dem Bau weiter verfestigt. Zum ersten Mal in meinem Leben war ich da mit einer Welt konfrontiert, die ich bis dahin nur aus der Hörsaalperspektive kannte: Dreck- und Knochenarbeit, Akkordschinderei, Überstunden, Buckeln vorm Chef, Leisetreten für ein paar Pfennige mehr Lohn in der Stunde.
Während dieser dreieinhalb Jahre habe ich vor allem eins gelernt: Ich habe gelernt, daß vor Menschen, die ihr Leben lang in Unsicherheit gelebt haben, die durch Inflation, Kriege, Wirtschaftskrisen, Arbeitslosigkeit hindurchgegangen sind, daß vor diesen Menschen all die akademischen Fragen und feinsinnigen Problemchen, mit denen ich mich bis dahin abgequält hatte, null und nichtig waren. Ich habe von ihnen gelernt, daß es eine Wirklichkeit gibt, in der sich die Dinge, aber auch die Menschen hart aneinander stoßen.
Sauter: Der bürgerliche Literaturwissenschaftler Hugo Friedrich schreibt in seiner 1960 erschienenen Struktur der modernen Lyrik:
Sie spricht in Rätseln und Dunkelheiten… Ihre Dunkelheit fasziniert… in gleichem Maße, wie sie verwirrt. Ihr Wortzauber und ihre Geheimnishaftigkeit wirken zwingend, obwohl das Verstehen desorientiert wird.
In Erweiterung dieser Bemerkung glaube ich nicht, Herr von Törne, daß Sie zu jenen Lyrikern gehören, die die Ansicht von Baudelaire teilen möchten, daß sein gewisser Ruhm: darin liege, „nicht verstanden zu werden“?
Törne: Ich habe das Buch von Hugo Friedrich gelesen, und ich habe daraus auch einiges Nützliches über den Bau von Metaphern gelernt. Was er da aber über Rätsel und Dunkelheiten schreibt, das ist, glaube ich, selbst die reinste Verdunklung.
Wissen Sie, es gibt bei uns eine ganze Menge massiver Bestrebungen, die Literatur zu einer Art Geheimwissenschaft zu machen. Da werden dann zum Beispiel im Namen einer garantiert wertfreien Wissenschaftlichkeit Worte, Wortfetzen, oder auch nur Buchstaben willkürlich übers Papier verteilt. Solche Texte nennt man dann ,Experimente‘, um den Anspruch von Modernität und Wissenschaftlichkeit zu begründen. Der Sinn derartiger Experimente bleibt aber rätselhaft. Jedenfalls, mit Wirklichkeit und Wissenschaft hat das alles nichts zu tun. Es sind beliebige Zufallsspielereien. Das alles wäre nicht so schlimm, wenn es nicht einem in fast allen Bereichen des Lebens zu beobachtenden Trend entgegenkäme, die Wirklichkeit mit all ihren Gegensätzen und Widersprüchen dem Blickfeld der Allgemeinheit zu entrücken.
Ich glaube, es ist eine der wichtigsten Aufgaben des Schriftstellers, diesem Trend entgegenzuwirken und dort, wo man den Menschen Dunkelheit verschreibt, ein wenig Licht in diese Dunkelheit zu bringen.
Sauter: Ich bin der Auffassung, daß die Wirkung von Dichtung immer aus ihrem Verhaftetsein mit der Wirklichkeit entspringt, im Sinne Heines, wenn er vom Riesen Antäus spricht, der „unbezwingbar stark blieb, wenn er mit dem Fuß die Mutter Erde berührte, und seine Kraft verlor, sobald ihn Herkules in die Höhe hob“. Und Heine meint weiter:
So ist auch der Dichter stark und gewaltig, solange er den Boden der Wirklichkeit nicht verläßt, und er wird ohnmächtig, sobald er schwärmerisch in der blauen Luft umherschwebt.
Wie stehen Sie zu den Gedanken, Herr von Törne, daß nur eine der Realität verpflichtete Stimme echte Wirkung auszulösen vermag?
Törne: Mit den Wirkungen, die ein Schriftsteller auslösen kann – das ist eine schwierige Sache. Ob er sich dabei der Realität verpflichtet weiß oder nicht.
Nehmen Sie zum Beispiel einen Schriftsteller wie Gottfried Benn. Der hat die Welt, in der er lebte, grundsätzlich in Frage gestellt und schließlich sogar negiert. Hat er damit keine Wirkung gehabt? Ich glaube, doch! Er hat für die nötige Verwirrung in den Köpfen vieler sonst intelligenter Leute gesorgt, eine Verwirrung, die Leuten wie Hitler und Goebbels ausgezeichnet in den Kram paßte. Nehmen wir doch ein anderes Beispiel: Ernst Jünger. Der hat zuerst die Realität auf den Kopf gestellt, dann hat er die Schönheiten der Materialschlachten des ersten Weltkrieges gepriesen, und schließlich hat er den totalen Krieg proklamiert. Der bis 1945 absehbare Teil der Wirkungen ist ja bekannt.
Andere Schriftsteller, die wahrhaftig der Realität verpflichtet waren – ich denke an Schriftsteller wie Heinrich und Thomas Mann, Tucholsky, Brecht und viele andere –, mußten ins Exil. Das waren auch Wirkungen, wenn auch traurige.
Es ist also mit den Wirkungsmöglichkeiten des Schriftstellers schlecht bestellt, wenn er, angesichts einer brutalen Gewalt schutzlos bleibt. Der Schriftsteller allein kann die Welt nicht verändern. Da kann er der Realität noch so sehr verpflichtet sein.
Sauter: Im Jahre 1823 formulierte Goethe gegenüber Eckermann:
Die Gegenwart will ihre Rechte; was sich täglich im Dichter an Gedanken und Empfindungen aufdrängt, das will und soll ausgesprochen sein.
Sie gehören ohne Zweifel nicht zu jenen jungen Poeten, von denen Goethe dann weiter sagt, daß sie „im Objektiven den Stoff nicht zu finden wissen“. Aber welche Schwierigkeiten ergeben sich dabei für Sie beim Schreiben der Wahrheit, Herr von Törne?
Törne: Nun, da gibt es eine ganze Reihe von Schwierigkeiten. Im Grunde genommen sind es immer noch die gleichen, die Brecht – besser als ich das kann – 1934 beschrieben hat.
Zuerst einmal muß man die Wahrheit kennen. An die heranzukommen ist nicht immer ganz einfach. Sie ist ja kein Lehrsatz, der ein für allemal feststeht. Sie ist, wie Brecht einmal sagte, konkret. Das heißt aber: Sie muß immer wieder neu gefunden werden. Wo aber soll man suchen? In unseren Lehrbüchern ist sie kaum zu finden. Man muß sie zwischen den Zeilen der Leitartikel, zwischen den Zahlen der Bilanzen aufspüren. Man darf sich keinen blauen Dunst vormachen lassen. Und man darf sich vor allem nicht von jedem Sonntagsredner einreden lassen:
Das da sind deine Feinde, diese Leute, die da in jener Himmelsrichtung wohnen, wahre Teufel, denen nichts heilig ist.
Dem muß man widerstehen können, wenn man die Wahrheit schreiben will. Außerdem muß man bedenken, daß es Wahrheiten gibt, die einigen Leuten unbequem sind. Wieder andere Menschen wollen diese Wahrheiten nicht hören, weil sie sich davor fürchten, aus ihrer tödlichen Trägheit aufgeschreckt zu werden. Sie geben sich zufrieden mit dem unfriedlichen Status quo, bebauen ihren Kleingarten und glauben, alles, was darüber hinausgeht, ist von Übel. Diesen Menschen ist nur mit List beizukommen. Deshalb muß man seine Wahrheiten oft in Spiegelschrift schreiben. Dann werden sie vielleicht gedruckt und auch gelesen. Oder der Schriftsteller muß Eulenspiegeltechniken lernen und anwenden. Den Leisetretern muß er sagen: Leute, was seid ihr tapfer, was macht ihr für einen Lärm. Den großen Dieb muß er loben für seine Geschicklichkeit. Und dem Bestohlenen muß er nachrufen: Haltet den Dieb! Er muß sich auf den Kopf stellen, damit die Leute sehen: die Welt steht auf dem Kopf.
Sauter: Herr von Törne, Sie sind aber dafür, sich zu engagieren, den gegenwärtigen Zustand der Welt dichterisch zu präzisieren in dem Sinne, Veränderungen zum Besseren hin herbeiführen zu helfen?
Törne: Ich gebe mir Mühe, klar und eindeutig Stellung zu nehmen. Und selbstverständlich möchte ich die Welt, soweit ich das kann, zum Besseren hin verändern. Sicherlich wäre es angenehmer und auch einträglicher, Gedichte über den Frühling, den Weltschmerz im allgemeinen oder über blühende Bäume zu schreiben. Das aber ist mir in einer Welt, in der es immer noch Massenmord und Totschlag gibt, unmöglich. An den Bäumen, die jetzt da draußen irgendwo blühen, sind vor zwanzig Jahren Menschen, die nicht mehr Krieg führen wollten, die dem Wahnsinn entfliehen und leben wollten, jämmerlich erhängt worden.
In einer Zeit aber, in der sich so etwas täglich, stündlich ereignet, kann sich der Schriftsteller nicht in irgendein Idyll zurückziehen. Er muß sich engagieren.
Sauter: In Ihren ersten Gedichten spürt man ständig Ihre Besorgnis über die Entwicklung im westlichen Teil Nachkriegsdeutschlands und die Gefahr eines drohenden Krieges, wenngleich Ihre lyrischen Arbeiten relativ ausweglos erscheinen im Gegensatz zu Ihren aggressiv-radikalen letzten Gedichten, wo Sie die Dinge stärker beim Namen nennen. Ibsen war es, der davon sprach, daß das Fragen das Amt des Dichters sei. Sollte der Dichter aber mitunter nicht auch antworten?
Törne: Warum nicht! Wenn er die Antwort weiß und wenn er es für sinnvoll hält, sie geradeheraus auszusprechen. Es kann aber manchmal nützlicher sein, durch geschickte Fragen vernünftige Antworten zu provozieren. Oft ist das didaktisch einfach klüger. Antworten, die ein Leser selbst gefunden zu haben glaubt, wird er wahrscheinlich weniger leicht vergessen. Die Methode, mit dem Holzhammer zu argumentieren, führt nicht immer zum Ziel. Man muß nicht immer den Vordereingang benutzen wollen: auch durch die Hintertür kann man ins Haus kommen.
Trotzdem haben Sie mit Ihrem Einwand meinen ersten Gedichten gegenüber grundsätzlich recht. Einige von ihnen sind in der Tat manchmal recht ungenau und oft zu vieldeutig. Das liegt nur zum Teil an mangelhafter Einsicht. Oft fehlt es mir an Mut, radikaler zu formulieren. Manchmal hat es auch nur mit meinen handwerklichen Fertigkeiten gehapert. Es ist eben nicht einfach, brauchbare Gedichte zu schreiben.
Aufgenommen am 15.3.1965, aus Josef-Hermann Sauter: Interviews mit Schriftstellern. Texte und Selbstaussagen, Gustav Kiepenheuer Verlag, 1986
VOLKER VON TÖRNE
PEINLICHE SELBSTBEFRAGUNG
Ich habe manch Wald von Blättern leergefegt
Hab all die wilden Blumen gepflegt und gehegt
Hab an manchen Versstamm arg rumgesägt
Mich mit den dümmsten Kuckucken angelegt
Dann packte es mich am ganzen Leib
Bin Kind nicht Mann nicht noch mal Weib
Frage mich wohl oft, warum ich hier nicht bleib
Wort an Satz zu Zeilen setze und andre Verse schreib
Peter Wawerzinek
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