– Zu Rolf Hochhuts Gedicht „Einstein“ aus Rolf Hochhuth: War hier Europa?. –
ROLF HOCHHUTH
Einstein
Einstein, den ein Mann
an einer Brücke hatte warten lassen,
gab, als der sich entschuldigte,
zur Antwort: „Keine Eile –
was ich zu tun habe, kann überall geschehen.“
Lyrik verfügt über mancherlei Möglichkeit zur Darstellung großer Gestalten der Geschichte: die historische Ballade, die ihre Blütezeit im vergangenen Jahrhundert hatte, das historische Porträtgedicht oder die geschichtsphilosophische Lyrik. Gedrängtheit und Kürze des Gedichts haben ihren Preis; im Unterschied zum historisch-biographischen Roman muß sich das Gedicht mit einem beschränkten Blickfeld zufriedengeben, ihm ist weniger der historische Prozeß als der geschichtliche Augenblick gemäß. Bei äußerster Eingrenzung bleibt dem Autor nur die Zuflucht zur Anekdote. In diesem Sinne sind Hochhuths Einstein-Verse ein anekdotisches Gedicht.
Das Lakonische versteht sich bei Hochhuth ja keineswegs von selbst. Seine Dramen neigen eher zu ausladender Beredtheit. Und auch in einigen seiner Geschichtsgedichte erhofft er sich Eindringlichkeit von rhetorischer Sprache, zumal in Texten, die den Gang der Geschichte in den Bildern von Ebbe und Flut oder von Abstieg und Untergang zu fassen versuchen. „Städte, Staaten – ach, wie rasch Ruinen, / welche scharfe Axt führt doch die Zeit. / Du wie ich nur Schwellen unter Schienen / auf dem Irrweg in Verlorenheit“, heißt es im Gedicht „Geschichte“: Zeilen wie diese gehen hörbar auf Schillerschen Versfüßen.
In den meisten Arbeiten Hochhuths richtet sich das Interesse auf die historisch-politischen Ereignisse und Figuren – nicht im Fünfzeiler über Einstein oder in seinem Schopenhauer-Gedicht. Daß Geschichtslyriker ihre Helden auch der Kulturgeschichte entnehmen, ist nicht neu. Erst in unserem Jahrhundert aber setzt sich die literarische Methode des Zweifels an überlieferten Heldenbildern durch. Was bei Bertolt Brecht („Der Schuh des Empedokles“) exemplarisch begann, führt Hans Magnus Enzensberger fort in „Mausoleum“, seinen „Balladen aus der Geschichte des Fortschritts“. An siebenunddreißig Repräsentanten der Wissenschaften und der Kunst beschreibt er die Entwicklung des Fortschritts als eine Geschichte seiner Widersprüche.
Ununterscheidbar der Fortschritt des Schwindels
vom Schwindel des Fortschritts.
Enzensberger erhellt die historischen Gestalten vom Gegenlicht des Heute her. Hochhuth überträgt die kritisch-polemische Geschichtsbetrachtung seiner Dramen nicht auf das Einstein-Gedicht. Kein Tribunal wird inszeniert. Eher gleicht das Gedicht einer huldigenden Miniatur, einem Votivbildchen. Albert Einstein, das Genie, der Begründer der Relativitätstheorie, rückt uns ganz nahe, als sei er ein Mann aus unserer Nachbarschaft.
Man darf in diesem Gedicht weder nach einer geschichtsphilosophischen Idee noch nach einem wissenschaftlichen Lehrsatz suchen. Wer an den Lippen Einsteins hängt, wird durch keinen geschliffenen Aphorismus belohnt. Die Mitteilung, daß Kopfarbeit überall getan werden und ein Mann der Theorie – hier eben ein Genie der modernen Physik – seine Einfälle auch auf der Straße oder an einer Brücke haben kann, ist nicht eben originell. Für mich hat das Gedicht nur dann einen wahren anekdotischen Kern, wenn man vom Wortlaut der Antwort Einsteins absieht und den Satz als eine zwischenmenschliche Geste begreift, als eine Bezeigung von Freundlichkeit.
Keine gekränkte Diva spricht hier. Der Hinweis auf die Produktivität des Wartens nimmt der Verspätung alle Peinlichkeit, läßt offen, ob sie nicht sogar willkommen war. Derjenige, der am meisten Rücksicht erwarten darf, übt sie selbst auf die uneitelste Weise. „Sagt jetzt: Kann man höflicher sein?“, fragt in Brechts „Legende von der Entstehung des Buches Taoteking“ der Erzähler, nachdem der Philosoph seine Sprüche niedergeschrieben und damit die Bitte des Zöllners erfüllt hat. Höflich wie der weise Laotse ist Einstein. Und so macht Güte seinen Satz denn doch zu einer weisen Antwort.
Walter Hinck, aus Marcel Reich-Ranicki (Hrsg.): Frankfurter Anthologie. Vierzehnter Band, Insel Verlag, 1991
EINSTEIN RELATIV LYRISCH
Newtons Gesetze sind phänomenal,
Einstein modernisierte sie genial.
Zeit ist relativ,
man hat sie leider nie.
Einstein forschte intensiv,
offenbarte sein Genie:
Konstant bewegt sich das Licht,
schneller geht es nunmal nicht.
Ein weiteres Resultat: E = m c ²
Er brachte die Raumzeit ins Spiel,
eine Feldgleichung war das Ziel.
Masse krümmt umgebenden Raum –
Revolutionäres war gedacht,
Wissenschaft vorangebracht.
Einsteins geniale Gedanken
brachten das Weltbild ins Wanken.
Seine Relativitätstheorie,
speziell wie allgemein, ein Meilenstein.
Daneben trat er stets für den Frieden ein.
Rainer Kirmse , Altenburg
Herzliche Grüße aus Thüringen