– Zu Ernst Jandls Gedicht „An Gott“ aus Ernst Jandl: der gelbe hund. –
ERNST JANDL
an gott
daß an gott geglaubt einstens er habe
fürwahr er das könne nicht sagen
es sei einfach gewesen gott da
und dann nicht mehr gewesen gott da
und dazwischen sei garnichts gewesen
jetzt aber er müßte sich plagen
wenn jetzt an gott glauben er wollte
garantieren für ihn könnte niemand
indes vielleicht eines tages
werde einfach gott wieder da sein
und garnichts gewesen dazwischen
Ernst Jandl hat sich zunächst als Sprachspieler einen Namen gemacht, zu der Zeit, als eine Poesie aus Buchstaben oder Lauten als der neueste Schrei galt oder mindestens als interessantes Formexperiment. Von dieser Art von Dichtung ist nicht mehr viel übriggeblieben, und Jandl selbst, solchen Experimenten immer nur schlitzohrig zugetan, hat den Weg beschritten, der allem Sprachspiel vorgeschrieben ist, wenn es ernstgenommen werden will: den zum Sinn-Spiel hin.
Was er damals gelernt und seitdem beibehalten hat, ist das Streben nach dem einfachsten Ausdruck. Die Beiläufigkeit des Sprechens, bis hin zum Schnoddrigen und zum Jargon, ist sein Metier geworden – auch seine Maske. Wenn er bewußt, wie in diesem Gedicht, die Wortfolge im Satz verbiegt, Umstellungen vornimmt, die den Vers beim ersten Hören hart und holprig machen, so vor allem, um dieser gespielten Beiläufigkeit ein Bein zu stellen. Ganz so harmlos, wie die schmucklosen Sätze vorgäben, meint das, sei er nicht.
Schon der Titel des Gedichts stellt eine Falle auf: „an gott“ klingt wie eine Adresse, wie ein Anruf, Gebete werden „an gott“ gerichtet. Aber genau dieses „an gott“ wird gleich in den ersten Versen in Zweifel gezogen, mitsamt dem Verbum „glauben“, zu dem es gehört: Gott war einmal da, dann war er nicht mehr da, und dazwischen sei jenes „garnichts“ gewesen, das eine Majuskel verdienen würde, wenn es in Jandls Texten überhaupt Majuskeln gäbe.
Mit den simpelsten Worten sagt der nach seinem Glauben Befragte, zwischen der durch Anwesenheit schlagend bewiesenen Existenz Gottes und seiner ebenso evidenten Abwesenheit gebe es nichts Drittes, das mit „glauben an“ zu umschreiben wäre. Anders ausgedrückt: Wo der Glaube wirksam ist, nimmt er die Form der Gewißheit an, und es hat nur wenig zu sagen, ob dies die Gewißheit des Kindes ist oder die früherer Epochen oder die des von seinem Glauben Erfüllten. Für den scheinbar so naiv Daherredenden, diesen weisen Tor namens Ernst Jandl, fällt das Philosophieren über Gott mit dem „garnichts“ zusammen.
Das Argument ist wiederum das simpelste, das aus dem Spruchvorrat des kleinen Mannes: Wofür sich plagen, wenn niemand den Erfolg garantiert? Die Ehe, die einmal das Credo mit dem Kredit eingegangen ist, das Vertrauen des Gläubigers verwandt mit dem des Gläubigen, gilt nicht mehr: zu viele Pleiten erlebt.
Aber dieser nüchterne Redner und Rechner, der das Glauben abgeschrieben hat wie eine faul gewordene Beteiligung, wagt dann doch ein „indes“, ein „vielleicht“, ein „eines tages“: Gott kann wiederkommen, wie er weggegangen ist. Das Dasein Gottes tritt überraschend ins Futur. Die Skepsis des Sprechers erfaßt nun diese selbst. Was bisher Entwicklung schien, vom Glauben weg, stellt sich als zyklische Möglichkeit heraus, als Kreislauf der Dinge, als ewige Wiederkehr.
Die Form des Gedichts nähert sich dem Rondeau. Wer biblisch bewandert ist, mag auch an die Rede Jesu von seinem Weggehen und seiner Wiederkehr denken. Wer aber lyrische Ohren hat, dem klingt das „und gar nichts gewesen dazwischen“ diesmal wie Dur, und es wird ihm auffallen, daß in diesem Kehrreimsatz die Wörter ihre Stellung vertauscht haben: Das erste Mal liegt der Akzent in dem fast durchgängig auf „a“ reimenden Gedicht auf dem „garnichts“; im Schlußvers, rückt „garnichts“ nach vorn, „dazwischen“ bildet den hellen Schlußakkord. Das Nichts-gewesen bezieht sich diesmal auf die Negation Gottes, auf die laue Entscheidungslosigkeit des Zwischenzustandes, in dem wir befangen sind.
Jandl hat ein ganzes Theaterstück im Konjunktiv geschrieben; so darf man sich auch an dem durchgehenden Irrealis dieses Gedichts, an seiner metaphysischen List, die der Wirklichkeit Gottes ihren Platz einräumt, poetisch erfreuen.
Werner Ross, aus Marcel Reich-Ranicki (Hrsg.): Frankfurter Anthologie. Neunter Band, Insel Verlag, 1985
Von wegen ‘holprig’ – hat denn niemand gemerkt, dass das Gedicht einen wunderbaren Walzerrhythmus hat? (Zumindest habe ich noch keinen Kommentar dazu gefunden.) Vielleicht ist es ja das Wiener Blut, das sich hier bemerkbar macht… 🙂